Der goldene
Bock 854
Märchentyp AT: 854AB
Grimm KHM:
Eine Prinzessin wird von ihrem
Vater in einem Turm, in einem unterirdischen Gebäude, in
einem Berg oder in einem Geheimgang versteckt. Derjenige,
der zu ihr findet, erhält die Prinzessin und das
Königreich. Ein Held erscheint und sagt dem König, dass
er nur eines brauche, um die Prinzessin zu heiraten. Der
König gibt ihm darauf Gold, aus dem der Held mit Hilfe
einer alten Frau oder eines Mannes einen goldenen Bock
(Hirsch, Adler, Tanzbär) machen lässt. In diesen
versteckt sich der Held und erhält somit Zugang zur
geheimen Kammer der Prinzessin, die am Königshof Gefallen
am seltsamen, oft musizierenden Bock gewinnt und ihn in
ihr Schlafgemach bringen lässt. In der Nacht steigt der
Mann aus seinem Versteck und nähert sich der Prinzessin.
Diese erwacht und vergnügt sich mit ihm. So gewinnt er
die Heiratsaufgabe und die Hand der Königstochter.
Manchmal verlangt der überlistete König noch weitere
Proben, so das Erkennen der Prinzessin unter
gleichgekleideten Mädchen etc., was der Junge jedoch
durch die Hilfe der Prinzessin erfüllt.
Anmerkung
Die Brautaufgabe für den jungen Helden erprobt
besonders seine Klugheit und Geschicklichkeit; er muss
sich als kunstreicher Mann ausweisen. Dass er sich in ein
Tier verwandelt bzw. sich in einem Tierfell etc.
versteckt, dürfte auf schamanistische Praktiken
zurückgehen, wo die Kleidung des Tierfelles die
Identität des Trägers mit dem Tier anzeigt. Der Hergang
in unserem Märchen erinnert an gewisse Volksbräuche, die
heute nur noch von Kindern ausgeführt werden. Es handelt
sich um ein ehemaliges Ritualspiel, bei dem eine junge
Frau von einem Bewerber gefunden werden muss bzw. zu ihr
über Hindernisse so schnell wie möglich hinrennt, jedoch
von einem Bewacher daran gehindert wird. Erreicht der
junge Mann mit Geschick und List schliesslich die Frau,
gewinnt er sie zur Braut und darf sich mit ihr vermählen.
Erscheinen im Ritualspiel nur drei Hauptfiguren - die
junge Frau, der Bewacher und der Bewerber -, so berichtet
unser Märchen ebenfalls von nur drei Hauptgestalten: die
Prinzessin, der Held und der König. Die Haupthandlung ist
dabei, dass der junge Held den König überlistet - oft
mit Hilfe der Prinzessin - und die Königstochter zur
Hochzeit gewinnt. Dies ist ein charakteristischer Zug im
Märchen, bei dem es sich um einen Wettbewerb eines
Vorgängers-Nachfolgers um den Thron bzw. die Prinzessin
handelt. Denn der "Vater" oder
"König" ist niemand anderes als der Vorgänger
des Helden auf dem jetzigen Thron, der durch die Frauen im
Königshaus (Prinzessin) vererbt wird. Nach der Lösung
der Brautaufgaben bzw. der Überlistung des Königs
gewinnt der junge Held die Prinzessin, um durch eine
Hochzeit mit ihr den Thron zu erlangen, bis ein anderer
Mann sich nach einer gewissen Zeit einstellt und die
Brautaufgaben löst.
Literatur
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem.
Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Köhler, R. u.a.: Vom goldenen Löwen. In:
Zeitschrift für Volkskunde 6, 1896, p. 166.
Ranke, K.: Schleswig-holsteinische Volksmärchen. Kiel
1955.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens.
München 1987.
Scherf, W.: Das Märchenlexikon. München 1995.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.
Märchen
>> Die
versteckte Königstochter
Hinweise
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Die versteckte Königstochter.
Haltrich/Deutschland 41
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