Die versteckte Königstochter
Es war einmal ein junger Kaufmannssohn, den schickte sein Vater, weil er zum Geschäft
nichts taugte und den ganzen Tag immer nur geigen wollte, fort. Als der Junge wegzog, sah
er auf der Gasse einen Knaben, der mit zwei Hölzchen immer geigte. Das gefiel ihm.
"Willst du vielleicht auch geigen lernen?" - "O ja!" sprach der Knabe,
"wenn nur jemand mich lehrte!" - "So komme mit mir!" sprach der
Kaufmannssohn, "ich will dich lehren!" und so tat er's auch. Beide gingen nun in
die Welt und ergeigten sich ihr Brot. Auf der Strasse aber trafen sie einmal einen Mann
mit einem Bären. Der Kaufmannssohn gab ihm all sein Geld für den Bären. Da sagte sein
Schüler: "Warum hast du das getan, wovon sollen wir jetzt leben?" - "Warte
nur, wir wollen geigen, und der Bär soll tanzen; so bekommen wir schon wieder Geld!
". Als aber der Bär nicht recht tanzen wollte, schlug ihn der Kaufmannssohn tot und
liess sich selbst in die Haut nähen, und zwar so, dass man ihn für einen rechten Bären
halten sollte. Darauf kamen sie auch in die Residenz; der Schüler geigte, und der
Kaufmannssohn als Bär tanzte, und zwar so schön und künstlich, dass alle Leute
herbeikamen und zusahen. Und wenn der Fiedler falsch griff und schlecht geigte, schlug ihn
der Bär; denn er konnte ja selbst besser geigen, da er den Knaben gelehrt hatte; allein
das wussten die Leute nicht; sie glaubten, es sei ein rechter Bär, und deshalb lachten
sie dann so sehr, wenn er das Geigen besser verstehen wollte.
Nun bekam auch der König Kunde davon und liess beide vor sich kommen und den Knaben
geigen und den Bären tanzen; da musste er über die lustige Gestalt des Bären auch
lachen. Er hatte aber auch eine sehr schöne Tochter, die war nun gross, und er wollte sie
niemandem zum Weibe geben, damit er selbst sich immerfort an ihrer Schönheit erfreue. Er
hatte sie aber in einen Berg versteckt, wo ausser ihm und einem treuen Diener keine Seele
den Zugang wusste; und er hatte ausschreiben lassen, wer sich um seine Tochter bewerbe,
müsse sie suchen, und wer es dann unternähme und fände sie nicht, der verliere sein
Leben. Dadurch hatte er gehofft, alle Freier abzuschrecken; allein es hatten doch einige
Königssöhne das Wagstück unternommen, alle aber ihren Tod gefunden; jetzt kam lange
keiner mehr, und das war dem König recht. Nun, da er den drolligen Bären gesehen, dachte
er bei sich: "Deine Tochter hat so wenig Freude im Berge, du musst ihr doch auch
einmal ein Vergnügen gönnen!" und er liess durch seinen treuen Diener den Bären zu
ihr hingeleiten. Es führten aber dahin drei Türen. Zu der ersten fand sich der
Schlüssel unter einem Felsstein; der Diener nahm ihn und sperrte auf; vor der zweiten
aber stand ein alter Jude mit einem langen Bart; der Diener zupfte ihn am Bart, und es
fiel daraus der Schlüssel zur Türe. Darauf kamen sie an die dritte; hier hielt ein
wilder Löwe Wache; der Diener zupfte ihn an den Mähnen, und der Schlüssel zur Türe
fiel herunter; er öffnete und führte den Bären hinein. Die Königstochter sass eben in
Gedanken, sang vor sich hin und spielte die Zither. Als der Bär die Musik hörte, fing er
sogleich an zu tanzen, und die Königstochter musste über die Massen lachen, und der Bär
machte ihr so viel Spass, dass sie ihren Vater bitten liess, er möge ihn längere Zeit
bei ihr lassen. Kaum war der getreue Diener fort, so fing nur einmal der Bär an zu reden
und sprach: "O schöne Königstochter, ich bin kein Bär, sondern ein Mensch wie du
und ein junger Kaufmannssohn; komme nur und schnüre mir das Gesicht auf, so wirst du es
sehen!" Da pochte der Königstochter das Herz vor Freude, denn sie hatte ausser ihrem
alten Vater und dem alten Diener lange keinen Menschen gesehen. Sie schnürte ihn schnell
auf und sah den schönen Jungen, und weil er ihr gefiel, so schnürte sie schnell wieder
zu, noch ehe der Diener kommen konnte, und sagte ihm, wie er sie von ihrem grausamen Vater
erwerben könne. Er wusste aber schon alles. Als der Diener zurückkam und die Erlaubnis
brachte, dass der Bär noch länger dableiben könne, sagte die Königstochter:
"Führe ihn nur gleich hinaus, ich bin seiner schon satt!"
Kaum war der Bär draussen dem Geiger übergeben worden, so zogen beide in den Wald; der
Kaufmannssohn legte das Bärenfell ab und zog schöne Kleider an, ging darauf am andern
Morgen in die Stadt und meldete sich beim König, er wolle seine Tochter suchen. Der
König lachte und sprach: "Wenn du ein Narr sein und dein Leben verlieren willst,
meinetwegen!" Es war aber die zwölfte Stunde mittags bestimmt, bis zu der er sie
finden sollte; sonst koste es sein Leben. Der Junge war lustig und guter Dinge, nahm eine
Büchse und ging auf die Jagd, um sich die Zeit zu vertreiben. Da sah er ein Wildschwein
und wollte gleich schiessen: "Lasse das gut sein; ich will dir dafür einmal
beistehen! Nimm hier diese Borste, und wenn du in Not bist, so drehe sie nur, und gleich
bin ich da!" Er setzte ab, nahm die Borste und ging weiter. Nun sah er bald einen
Adler, der frass an einem Hasen, gleich zielte er und wollte losdrücken; da rief der
Adler: "Lasse das gut sein; ich will dir dafür helfen! Nimm hier diese Feder, und
wenn du in Not bist, so drehe sie, und gleich bin ich bei dir!'' Er setzte ab, nahm die
Feder und ging seines Weges. Nur einmal sah er den Tod, der lag nahe an einem tiefen
Abgrund und schlief: "Ha!" dachte er, "der Menschenverderber soll endlich
doch mein Blei schmecken!" Er legte an und wollte losdrücken; indem erwachte der Tod
und sah die Gefahr, in der er schwebte. "Um des Himmels willen, schiesse nicht, welch
ein Unglück würde es sein auf Erden, wenn ich nicht mehr wäre! Siehe aber, ich will
dir's vergelten; nimm hier diesen Knochen, und wenn du in Not bist, so drehe ihn einmal,
und gleich bin ich da!" Er setzte ab, nahm den Knochen und ging. Er sah nach der
Zeit, da fehlte nur eine halbe Stunde noch; da eilte er schnell zu dem Berg. Er holte den
Schlüssel zur ersten Türe gleich unter dem Felsstein hervor und öffnete; er zupfte den
Juden am Bart und schloss die zweite Türe auf; er schüttelte dem Löwen die Mähnen und
nahm den dritten Schlüssel und kam zur Königstochter, die schon lange auf ihn gewartet
hatte. Er nahm sie züchtig bei der Hand und führte sie zu ihrem Vater und sprach:
"Das Meinige habe ich getan, jetzt ist es an Euch, Herr König, zu erfüllen, was Ihr
versprochen habt!"
Aber der Alte wollte seine Tochter nicht verlieren und sagte daher zum Kaufmannssohn ganz
zornig: "Noch nicht! Erst musst du ein Zimmer voll verschimmelten Brotes in einer
Nacht aufessen, wenn du meine Tochter haben willst!" Der Kaufmannssohn wusste sich
lange nicht zu helfen; er nahm die Borste und drehte. Alsbald war das Wildschwein da und
eine ganze Menge anderer Schweine, und das Brot war auf einmal fort und auch der Boden
noch geleckt. Am andern Morgen verwunderte sich der König sehr, dass dem Jungen auch dies
gelungen war; aber voll Ärger rief er: "Noch bekommst du sie nicht; erst musst du
ein Zimmer voll Erbsen in einer Nacht auflesen, dass nicht eine einzige dableibt!" In
der Nacht nahm der Junge gleich die Feder hervor und drehte; sogleich war der Adler da und
brachte alle Vögel mit, und in einem Augenblick war keine einzige Erbse zu sehen. Als am
folgenden Morgen der alte König sah, dass auch diese Aufgabe vollführt war, stieg sein
Zorn auf das höchste und er rief: "Nein, ich gebe sie dir doch nicht, nie und
nimmermehr!" Da nahm der Kaufmannssohn den Knochen hervor und drehte. Alsbald kann
der Tod und schleppte den alten König fort.
Die Königstochter aber reichte dem Jungen die Hand, und sie hielten eine fröhliche
Hochzeit. Der Kaufmannssohn ward nun König; er wollte seinen Geiger zum Minister machen,
aber dem gefiel das nicht; er gab ihm nun viel Geld, und so zog der in ein anderes Land
und wurde da ein reicher Mann.
Josef Haltrich: Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen. Wien 1882 u.ö.,
Nr. 41. (AT 854A, Deutschland)
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