Der singende
Knochen 780
Märchentyp AT: 780
Grimm KHM: Der singende Knochen 28
In einem Land verwüstet ein wildes
Tier (Wildschwein, Drache) die Äcker der Bauern und die
Ländereien des Königs. Die Prinzessin wird nun
demjenigen versprochen, der das Land von der Plage
befreien und das Tier töten kann. Ein älterer und ein
jüngerer Bruder hören von der Brautaufgabe und melden
sich beim König. Darauf ziehen sie aus, doch der Ältere
hat kein Glück. Der freundliche Jüngere erhält von
einem Wesen (Zwerg, Mann) Hilfe und Ratschläge, so dass
er das Wildschwein zu erledigen vermag, ohne selbst
getötet zu werden. Auf der Heimkehr zum Königshof trifft
er seinen Bruder, der neidisch wird und ihn auf der
Brücke ins Wasser hinabstürzt. Der Jüngere stirbt und
wird zu einem Baum oder Rohrstengel. Der falsche Bruder
nimmt das erlegte Wildschwein zu sich und heiratet die
Prinzessin. Eines Tages gelangt ein Schäfer zur Brücke
des Brudermordes und findet ein Knöchelchen, woraus er
sich eine Flöte schnitzt. Oder er schnitzt diese aus dem
Baum oder Rohrstengel. Als er darauf spielt, erzählt sie
die Untat des Bruders. Der Schäfer spielt die Flöte auch
dem König vor, so dass der falsche Bruder am Hof
überführt ist. Dieser wird bestraft und gerichtet.
Anmerkung
Literatur
Brewster, P.G.: The two sisters. Helsinki 1953.
Harva, U.: Die religiösen Vorstellungen der altaischen
Völker. Helsinki 1938.
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem.
Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Holmberg, U.: Der Baum des Lebens. Göttinnen und
Baumkult. Bern 1996.
Just, G.: Musik im Märchen. Frankfurt 1991.
Mackensen, L.: Der singende Knochen. Helsinki 1923.
Schmidt, L.: Der singende Knochen. In: Die
Volkserzählung. Berlin 1963.
Uhsadel-Gülke, C.: Knochen und Kessel. Meisenheim 1972.
Märchen
>> The
Griffin
>> Binnorie
>> The
Silver Plate and the Transparent Apple
>> The
Magic Fiddle
>> The Twin
Brothers
>> Der
Rohrstengel
Hinweise
1812 sind es bei Grimm drei Brüder, von denen die
beiden ältesten den jüngsten erschlagen, und in dem Reim
heisst es: "Meine Brüder mich erschlugen, unter die
Brücke begruben". Dies ist 1819 geändert.
Zwei weitere Fassungen, die den Brüdern Grimm vor 1822
aus andern Orten Niederhessens zukamen, heben an wie das
Märchen vom Wasser des Lebens (KHM 97). Ein alter König
wird krank, will seine Krone weggeben und weiss nicht,
welchem von seinen drei (oder zwei) Söhnen. Endlich
beschliesst er, dass sie demjenigen zufallen soll, der
einen Bären mit einem goldenen Schlösschen (oder ein
Wildschwein) fangen kann. Der älteste zieht aus, bekommt
ein Pferd, einen Kuchen und eine Flasche Wein mit auf den
Weg. In dem Wald sitzt ein Männlein unter einem Bau,
fragt freundlich "Wohinaus?" und bittet um ein
Stückchen Kuchen. Der Königssohn antwortet voll Hochmut,
gibt ihm nichts und wird nun von dem Männlein
verwünscht, dass er den Bären umsonst suchen soll. Er
kehrt also unverrichteter Sache wieder heim. Der zweite
wird ausgeschickt; es geht nicht besser. Nun kommt an den
jüngsten, den Dummling, die Reihe; er wird ausgelacht und
erhält statt des Pferdes einen Stock, statt des Kuchens
Brot, statt des Weins Wasser. In dem Wald redet auch ihn
das Männlein an, er antwortet freundlich und teilt seine
Speise mit ihm. Da gibt ihm das Männlein ein Seil, womit
er den Bären auch fängt und ihn heimführt. - Die andere
Erzählung sagt kurz, der zweite Sohn habe das Wildschwein
erlegt. Der älteste Bruder sieht ihn kommen, geht ihm
entgegen und ermordet ihn; das übrige stimmt überein. -
Eine Aargauer Erzählung: "s'Todtebeindli"; ein
Knabe und ein Mädchen werden in den Wald geschickt, eine
Blume zu suchen; wer sie findet, soll das Königreich
haben. Das Mädchen findet sie und schläft ein. Der
Bruder kommt heran, tötet das schlafende Mädchen,
bedeckt es mit Erde und geht fort. Ein Hirtenknabe findet
hernach ein Knöchlein, macht eine Flöte daraus, und das
Knöchlein fängt an zu singen und berichtet, wie alles
geschehen ist. - Im siebenbürgischen Märchen "Der
Rohrstengel" wird der Jüngling, der mit einem
Seidenfaden die Wildsau mit ihren zwölf Ferkeln gefangen
hat, von seinen beiden Brüdern ermordet; die Flöte, die
ihre Untat verrät, wird aber nicht aus seinem Knochen
verfertigt, sondern aus einem Rohrstengel, der aus seinem
Grab emporspriesst und in dem, nach einem weit
verbreiteten Volksglauben die Seele des Verstorbenen
fortlebt. Als der Schäfer die Flöte zum König bringt,
bläst auch dieser darauf, und sie redet ihn an; da
befiehlt der König allen Leuten im Reich, darauf zu
blasen, und als sie an den einen Bruder kommt, klingt es:
O Bruder mein, o Bruder mein,
Du bläst auf meinem Beinelein.
Du arger Bruder schlugst mich tot,
Es floss mein Blut so rot, so rot;
Der andre Bruder grub mich ein.
Was mochte des wohl Ursach sein?
S war um das Wild, s war um das Schwein,
S war um des Königs Töchterlein.
In zwei pommerschen Fassungen "Das
Flötenrohr", wo die Brüder entweder ein Schwein
töten oder ihrem Vater ein Blume holen sollen, ist die
Flöte aus Schilfrohr gemacht. Dagegen berichtet die
lauenburgische Fassung "Es kommt doch einmal an den
Tag", wie ein Hirt sein Horn an den Hollunderbaum
hängt, unter dem der Erschlagene begraben liegt, und wie
das Horn von selber anhebt zu blasen:
Tut, tut, tut,
Als mein Bruder mich begrub
Wohl unter dem Hollunderbaum,
Das Häslein war mein,
Das gab mir St. Petrus ganz allein.
Friesisch "Twee zusters", wo die eine
Schwester die andre in ein frisches Grab stösst und Erde
darauf schüttet, der Totengräber aber und der Bruder den
Ruf der Halberstickten vernehmen. - Im flämischen
Märchen "Van eene koningsdochter" schnitzt ein
Hirt eine Flöte aus dem Brustknochen der erschlagenen
Königstochter, die Magdalenenblumen für ihre kranke
Mutter geholt hatte. In den andern flämischen Fassungen
aber geht die Aufdeckung des Mordes, den der Knabe um
eines Apfels, Körbchens oder Kreuzchens willen an der
Schwester verübt hat, von einer Blume aus, die am Tatort
entspriesst, von einem Vorübergehenden gepflückt wird
und nun zu singen beginnt: Ach koopman lief, ach koopman
lief, Mijn broeder heeft mij vermoord, Al om mijn gouden
korfken, En daarom ben ik dood.
Im wallonischen Märchen "La rose de Ste.
Ernelle" singt die aus dem Rosenzweig geschnittene
Flöte: Berger très dous, Juwez tout douzément! C'était
mon frère qui m'a tuwée, Dedans ces grands bois, Pour la
ros' de saint' Ernelle, Que j'avais trouvée, Dedans ces
grands bois.
Mehrere französische Fassungen stimmen ganz zu den
wallonischen und flämischen, insofern ein Mädchen um
einer Blume willen vom Bruder erschlagen wird. "Le
sifflet qui parle"; Mörder sind hier die beiden
älteren Schwestern. Umgekehrt tötet in einer Erzählung
aus Haute-Bresse "Les roseaux qui chantent" die
Schwester den Bruder. Bei "La flûte
accusatrice" singt die Flöte des erschlagenen Knaben
nachts von selber: "Bruder und Schwester haben mich
ermordet um meiner Flöte willen und mich in den Graben
unter der Pappel geworfen"; wie sie dem Leichnam an
den Mund gesetzt wird, wird dieser wieder lebendig. Sonst
aber sind es wie im Deutschen drei oder zwei
Königssöhne, die dem Vater ein Heilmittel oder ein
Kleinod holen sollen; der jüngste findet es, wird aber
von den älteren Brüdern aus Neid umgebracht. "La
rose pimprenelle"; der jüngere Bruder findet das
Blatt der Eberesche, das die Herrschaft sichert; der
ältere stürzt ihn in den Brunnen. "Changé en
arbre"; der Erschlagene wird von der Schwester wieder
belebt. Aus Ariège "La feilha de Ilaurier"; der
Vater lässt die Gebeine sammeln und in einem goldenen
Schrein verwahren; da hört eine Magd in jenem Zimmer
Schritte, schaut durchs Schlüsselloch und sieht den
wiedererstandenen Königssohn.
Italienisch: "La fleur qui chante"; die Blume
in der Hand des Schäfers singt von der Mordtat des
älteren Bruders. "Die Greifenfeder"; der
jüngste Prinz, der die verlorene Feder des Vaters
wiederfindet, wird von den beiden Brüdern erschlagen; aus
seinem Knochen fertigt ein Schäfer die Flöte. "La
penna dell' uccello grifone"; aus dem abgeschnittenen
Rohr, das dem Vater gebracht wird, kommt der Getötete
wieder hervor. "Lu re di Napuli"; Prinz findet
die Falkenfeder, die seinen blinden Vater heilen soll;
Knochen. "Vom singenden Dudelsack"; der Schäfer
macht aus den Knochen und der Haut einen Dudelsack, der
singt:
Spiele mich, spiele mich, o mein Bauer,
Spiele nur immer munter fort!
Für drei Federn eines Pfauen
Ward ich getötet am Jordan dort
Von meinem Bruder, dem Verräter.
Der zweite hat keine Schuld zu tragen,
Dem grossen aber geht es an den Kragen.
Portugiesisch: "A menina e o figo";
Rosenstrauch offenbart die Tat der Stiefmutter, das
Mädchen wird ausgegraben und wieder lebendig. -
Brasilien: aus den Haaren der beiden von der Stiefmutter
vergrabenen Mädchen wächst Gras, aus dem der Knecht mit
der Sense die Worte vernimmt: "Mäher meines Vaters,
hau mir nicht die Haare ab! Meine Mutter kämmte mich,
meine Stiefmutter vergrub mich wegen der Feigen vom
Feigenbaum, welche die Sperlinge frassen". -
Slowakisch der Ahorn singt: "Herr der Geigenspieler,
fälle nicht! Mich hat die Schwester erschlagen, das
Herzchen mir betrübt. Herr Geigenspieler, fälle
nicht!" Auch die Eltern, Bruder und Schwester kommen
und hören die Worte. - Polnisch: der König verspricht
derjenigen Tochter, die am meisten Blumen aus dem Wald
bringt, sein Gut; aus der Linde auf dem Grab der jüngeren
Schwester wird ein Pfeifchen gemacht. "Die
Pfeife" offenbart die Weidenpfeife, die der Hirt sich
geschnitten hat, dass die älteste der drei Schwestern im
Wald die jüngste aus Eifersucht auf deren Geliebten
ermordet hat. Kozlowski: ein Freier verheisst diejenige
unter den drei Schwestern heimzuführen, die zuerst den
Korb voll Himbeeren pflückt; ein Greis hilft der
jüngsten; Weide auf dem Grab. Bei Karol Balinski gleicht
der Eingang unserm Froschkönig (KHM 1): die jüngere
Schwester erhält erst, nachdem sie sich dem zur Schlange
verwünschten Prinzen versprochen, Wasser aus dem Brunnen;
als nach einem halben Jahr der Freier in Menschengestalt
erscheint, wollen ihm die Eltern lieber die ältere
Tochter vermählen und stellen beiden Töchtern Aufgaben,
die nur die jüngere löst; daher erschlägt und vergräbt
die andere diese; an ihrem Hochzeitstag spielt ein junger
Hirt das den Mord verratende Lied. Aus Posen: Mord beim
Erdbeerpflücken, Birke von der mittleren Schwester
gepflanzt. Aus Krakau: Stiefmutter und älteste Tochter
begehen den Mord. Ähnlich lauten die Volksballaden bei
Kolberg, als die Schwester die Geige zornig zerschmettert,
fliegt daraus eine Taube zum Himmel empor; in zwei
Fassungen aus Lublin wächst eine Eibe oder Weide auf dem
Grab. - Weissrussisch: der Vater sagt den Töchtern,
welche von ihnen zuerst ein Körbchen voll Erdbeeren
bringe, solle heiraten; der Prinz, der sich vom Ahorn ein
Pfeifchen schneiden lässt, gräbt das Mädchen aus, und
es wird wieder lebendig. Aus Mogilew: zwei Schwestern
erschlagen den Bruder; eine goldene und silberne Eiche. -
Kleinrussisch: Hollunder aus dem Grab des von Olenka beim
Erdbeersammeln erschlagenen Bruders. Aus Grodno:
Kirschbaum vom Grab des beim Erdbeersammeln von den beiden
älteren Brüdern erschlagenen Knaben. Moszynska: ein
Lyraspieler nimmt die Därme als Saiten; der Mörder wirft
die Lyra zur Erde, da steht das Mädchen lebendig vor den
Ihrigen. - Grossrussisch: Flöte des Schafhirten aus dem
Rohr auf dem Grab des von der Schwester erschlagenen
Knaben; aus Wologda: das Mädchen ist von den kinderlosen
Eltern aus Schnee geknetet: von den Gespielinnen beim
Erdbeersuchen erschlagen; belebt, als der Vater die Flöte
zerbricht oder in einer andern Fassung die Mutter die Rose
ins Wasser stellt. Bei Bogdan singt die Flöte:
"Spiele, Flöte, spiele und tröste mein
Väterchen und Mütterchen und meine lieben Schwesterlein!
Sie brachten mich Arme um, sie erschlugen mich um das
Silbertellerchen und die Glaskugel."
Die Tote wird vom Vater erweckt und heiratet den Zaren.
Aus Samara: der Vater schneidet das Pfeifchen aus
Engelwurz auf, da sitzt das Mädchen drin. Aus
Archangelsk: der Vater, dann auch der Bruder, die Mutter
und die mörderische Schwester vernehmen das Lied, dann
pocht die Erschlagene an die Tür. Von einem singenden
Knochen erzählt Wesselofsky: als der Jäger auf dem im
Wald gefundenen Knochen bläst, ertönt das Lied, dass
zwei Schwestern um zweier goldenen Äpfel und einer
Silberschüssel willen sie erschlagen haben.
In einigen slawischen Märchen tritt eine besondere
Einleitung auf. Drei Königssöhne wachen hintereinander
nachts, um das Wildschwein zu erlegen, das des Vaters
Garten verwüstet. Als dies dem jüngsten, einem Dummling,
gelingt, ermorden ihn die andern beiden aus Neid. Aus
seinem Grab wächst ein Baum, an dem ein Hirt eine Geige
hängen sieht. - Masurisch: "Der goldene Apfel";
die Hirtenflöte singt:
Spiele, liebe Flöte!
Ich habe einen Stein auf meinem Herzen,
Der älteste Bruder hat mich erschlagen,
Der zweite Bruder hat ihm dazu geraten,
Und ich habe dem Vater ein Schwein getötet.
Aus der Flöte kommt nach mehreren Verwandlungen der
erschlagene Jüngling lebendig zum Vorschein. - Ähnlich
beginnt das Zigeunermärchen: "Der Chagrin und die
drei Brüder" mit der nächtlichen Lauer auf das
dämonische Schwein, die dem jüngsten Hirtensohn gelingt;
die Brüder erschlagen ihn, finden aber den Tod, als sie
die ihm verheissenen Schätze holen wollten; die
Weidenflöte belehrt den Vater, wie er den Ermordeten zum
Leben erwecken kann. In einer kroatischen Ballade endlich
bittet ein von ihrer Mutter verfluchtes Mädchen, Gott
möge es zum Sperberbaum machen, die schwarzen Augen zur
kühlen Quelle, die blonden Haare zur grünen Wiese; als
ein Schafhirt sich aus dem Baum eine Flöte macht, meint
die Mutter die Stimme ihrer Tochter zu hören. In andern
Fassungen erhängt sich das Mädchen, oder es will zum
Baum werden, weil neun Bane sich seinetwegen bekriegen;
oder es bittet in der Flöte, Gott möge es wieder
beleben, damit es der alten Mutter Stütze sein könne.
Ungarisch: drei Schwestern, Ahorn, Flöte. "Der
Ahornbaum"; wächst da, wo zwei Königstöchter ihre
Schwester beim Erdbeerenlesen erschlugen. Ein Bettler
macht sich eine Fiedel daraus, die singt:
Ich war eines Königs Tochter,
Aber jetzt bin ich aus Ahorn
Ein klein Geiglein.
Als die Mörderin die Geige fallen lässt, springt die
Jungfrau daraus hervor.
Aus Skandinavien und England: die sprechende Harfe.
Zwei Königstöchter schreiten zum Meeresstrand, die
jüngere klar wie die Sonne, die ältere schwarz wie die
Erde und voll arger Gedanken. Da stösst diese die
Schwester in die Flut hinab; vergeblich fleht die
Ertrinkende um Hilfe und bietet ihr Goldband, ihre
Goldkrone und selbst ihren Bräutigam.
"Und nimmer helf ich zum Lande dir,
"Dein junger Bräutigam wird doch mir",
lautet die Antwort. Schiffer ziehen die Leiche ans
Land. Ein Spielmann nimmt aus ihr das Brustbein zum
Harfengestell, die Finger zu Schrauben, das Goldhaar zu
Saiten und geht zum Hochtzeitshaus. Da ertönen aus seiner
Harfe die Worte:
"Der Bräutigam war mein Verlobter so traut,
Mein rotes Goldband trägt die Braut;
Meine Schwester stiess mich ins Meer hinab."
Und entsetzt wagt die Verbrecherin ihre Untat nicht
mehr zu leugnen. So berichtet eine schwedische Fassung,
von der die norwegischen, dänischen, färöischen und
isländischen Versionen nicht wesentlich abweichen; nur
reizt in der färöischen die jüngere Schwester die
andere durch eine unbesonnene Bemerkung:
"Und ob du dich wäschest Tag und Nacht,
Du wirst nicht weisser, als Gott dich gemacht."
Und das Ende der Mörderin erfährt bisweilen weitere
Ausmalung. In den englischen und schottischen Versionen
wird die Königstochter durchweg nicht im Meer, sondern in
einem Fluss ertränkt, und ein Müller zieht die Leiche
heraus. Auch in der deutschen Sprachinsel Gottschee hat
Hauffen die Ballade von den zwei Königstöchtern
aufgefunden. Sie gehen waschen zum breiten Meer, zum
tiefen See; die ältere fordert die Schwester, die sie um
ihren vornehmen Freier beneidet, auf:
"Tritt her, tritt her auf den grauen Stein!
Ich will dir waschen die Füsslein weiss"
und stösst sie hinein. Als Spielleute vorüberziehen,
hören sie den Ruf:
"Ihr Geigerlein, Geigerlein, ihr Lieben mein,
Nehmt hin, nehmt hin mein Seidenhaar
Zu euren Saiten, dass sie spielen fein!
Nehmt hin, nehmt hin meine Fingerlein,
Gebrauchet sie als Wirbelein!
Geht geigen vor der Königs Tür:
Der König hatte zwei Töchterlein,
Die ältre stiess die jüngre ins Meer hinein."
Eine solche Weisung der toten Jungfrau an die
Spielleute kehrt wieder in der mährisch-schlesischen
Ballade von der Erle, die auch cechisch und polnisch
vorhanden ist. Drei Spielleute wollen sich Holz zu einer
Fiedel hauen; da blutet der Erlenbaum und hebt an zu
reden, er sei ein Mädchen, das die Mutter verwünscht
habe, weil es am Brunnen zu lange verweilte; nun sollen
die Spielleute das Lied von ihm vor der Tür der
hartherzigen Mutter geigen. - Ein estnisches Märchen von
der ermordeten Schwester beginnt mit der Ermordung beim
Beerensammeln und schliesst daran die Verfertigung der
Harfe aus einer Birke, die an jener Stelle erwachsen ist.
Wie in den zuletzt genannten Balladen redet die Birke den
Bruder an:
"Brüderlein, Brüderlein,
Fälle mich, fälle mich!
Hell als Harfe werd ich klingen,
Hell als Harfe, langnachhallend.
Schwestern beide bösen Sinnes
Brachten um das liebe Beerlein,
Scharrtens ein auf Bergeshöhe."
Daheim verwandelt sich die Harfe, nachdem alle
Angehörigen auf ihr gespielt, in allerlei Getier und
endlich in das Mädchen. - In einem entsprechenden
lettischen Lied ist das Mädchen im Bach verunglückt,
eine Linde wächst aus ihrem Leichnam, aus welcher der
Bruder eine Harfe (Pfeife) schnitzt; aber nicht diese
redet, sondern die Mutter erkennt aus ihrem Ton die
verlorene Tochter. Dagegen ist es in einem litauischen
Märchen bei Geitler, der Sohn der Mörderin, der einen
Zweig vom Grab der Ermordeten als Fiedelbogen benutzt, und
nun offenbart die Geige jene Tat.
Aus Indien: "Eine Metamorphose"; Mädchen von
den Brüdern getötet und verzehrt; Bambus, Geige,
Mädchen. "Die Zwillinge"; umgebracht durch die
Nebenfrauen ihres Vaters, werden zu Blumen und, als der
Vater naht, zu Menschen. Bei Bompas wächst auf der
Stelle, wo die Brüder das Mädchen dem Teichgott geopfert
haben, ein Bambus, aus dem ein Mann sich eine Flöte
anfertigt; ein Santal stiehlt diese und merkt, dass sie
nachts sich in eine Frau verwandelt; da ergreift er sie,
und sie bleibt fortan Mensch. Ebd. fällt der Vater den
Bambus, der auf dem Grab seines von den Stiefbrüdern
getöteten jüngsten Sohnes gewachsen ist, und der Knabe
kommt hervor. Ebd. macht ein Bettler aus den Bambusrohren,
die aus dem Grab zweier Knaben entsprossen sind, zwei
Flöten; als der Vater diese hört, kommen die Knaben
daraus hervor.
In einem Betschuanen-Märchen ziehen zwei Brüder aus,
ihr Glück zu versuchen. Der jüngere gewinnt einem Riesen
eine grosse Herde Kühe ab, in der sich eine Kuh befindet,
die weiss ist wie der gefallene Schnee. Er kommt mit dem
älteren Bruder wieder zusammen, der nur eine Herde Hunde
erworben hat. Dieser verlangt jetzt die weisse Kuh, und
als sie ihm versagt wird, ermordet er hinterlistig den
jüngeren bei einem Brunnen. Alsbald sitzt auf dem Horn
der weissen Kuh ein Vöglein und verkündigt, was
geschehen ist. Der Mörder zerschmettert das Vöglein mit
einem Steinwurf, aber es erscheint wieder auf dem Horn. Er
tötet es abermals, verbrennt es und zerstreut seine Asche
in den Wind. Das Vöglein zeigt sich zum drittenmal und
spricht: "Ich bin das Herz des Getöteten, mein
Leichnam ist bei der Quelle in der Wüste." - Statt
des Vogels, der auch in andern afrikanischen Märchen die
Untat offenbart und an die unten KHM 47 folgende
Erzählung vom Machandelbaum erinnert, verraten bei
Chatelain, die beiden Hunde des Erschlagenen Mutelembe und
Ngunga durch ein Lied den Mord und erstehen, als der
Bruder sie tötet, immer wieder zum Leben. - Die singende
Grabespflanze, die in europäischen Fassungen vorkommt,
begegnet auch in Dahomeh und im Kongo; ein Pilz, den die
Mutter pflücken will, ruft: "Mutter, reiss mich
nicht ab! Ich war bei meinen Freunden, sie gaben mir
zweitausend Kauris; meinem Bruder gaben sie tausend, und
der Unbarmherzige schlug mich tot."
Die hier aufgezählten Märchen von dem enthüllten
Geschwistermord scheiden sich, wie auch Monseur in seiner
ausführlichen Untersuchung "L'os qui chante"
(Bulletin de folklore 1, 39-51. 89-152. 2, 219-241. 3,
35-49. 1891-1898) bemerkt, in zwei Gruppen. In der einen
wird die wunderbare Flöte, die wider den Mörder Zeugnis
ablegt, aus einem Knochen des Erschlagenen gemacht, in der
andern aus einer seinem Grab entsprossenen Pflanze, in der
die Seele des Toten fortlebt, um bisweilen sogar ihre
leibliche Gestalt wieder zu gewinnen. Statt der Flöte
erscheinen auch andre Instrumente, Harfe, Dudelsack,
Fiedel. Der Ermordete ist entweder ein Jüngling, den
seine Brüder beneiden, oder eine Jungfrau, deren
Bräutigam von der Schwester begehrt wird, oder ein
kleines Mädchen, dem der Bruder eine Blume entreissen
oder eine Belohnung vorwegnehmen will. Die Mordtat
geschieht meist im Wald, in der skandinavischen Ballade,
die nach England wie nach Deutschland und Estland
gedrungen ist, am Seestrand.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Die Greifenfeder. Schneller/Tirol 51
Das klagende Lied. Bechstein/Deutschland 3
Das klagende Lied. Haltrich/Deutschland 43
Der singende Knochen. Grimm/KHM 28
Vom singenden Dudelsack. Gonzenbach/Sizilien 51
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