www.amaliabooks.com 

maerchenlexikon.de  

edition amalia   

Home Lexikon  |  Titel  |  Index-AT  |  Motive Grimm-KHM  |  edition amalia 

  

Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein 511

Märchentyp AT: 511; cf. 403, 510
Grimm KHM: Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein 130


Eine Mutter hat drei Töchter, Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein, und eine Stieftochter, die sie nicht ausstehen kann. Diese muss die Tiere hüten (Kühe, Ziegen, Schafe) und bekommt fast kein Essen. Eine kluge Alte gibt ihr zu verstehen, dass sie nur eines ihrer Tiere mit einem Stock zu berühren oder am Horn einer der Kühe zu drehen brauche, um soviel zu essen zu haben, wie sie nur wolle. Manchmal heisst es auch, dass die Stieftochter den Auftrag bekommen habe, grosse Mengen Flachs zu verspinnen, aber auch dabei hilft ihr eine Kuh. In beiden Fällen werden Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein ausgeschickt, um ihr nachzuspionieren, aber durch ihre Zauberversformel schlafen sie ein, bis sie diese einmal falsch aufsagt. Da schlachten sie das hilfreiche Tier; die kluge Alte aber rät dem Mädchen, die Eingeweide (Hörner, Hufe) zu vergraben, und daraus erwächst ein prächtiger Baum (Apfelbaum, Weinquelle), der silberne Blätter und goldene Früchte trägt. Diese können nur von dem Mädchen gepflückt werden. Mitunter fliehen auch das Mädchen und die Kuh, als sie sich entdeckt sehen. Das Mädchen reitet dann auf der Kuh durch einen Messing-, Silber- und Goldwald, bricht aber trotz Verbotes in jedem Wald ein Blatt. Da kommen wilde Tiere und töten die Kuh, aus deren vergrabenen Hörnern etc. der wunderbare Baum hervorwächst. Dieser ist es, der ihr die kostbaren Kleider gibt. Mitunter hüllt sich das Mädchen in die Haut der Kuh. Ein Prinz begehrt eine Frucht dieses Baumes. Die Stiefschwestern versuchen, eine zu pflücken, aber nur der Heldin gelingt es. Der Prinz heiratet das Mädchen und der Baum begleitet die Heldin ganz von sich aus.


Anmerkung

Wir wollen versuchen, die Entwicklungsgeschichte des Märchens zu verfolgen. I. Wir beginnen damit, einige Fragmente wiederzugeben, die teils östlich vom Zentrum des byzantinischen Reiches (auch in Afrika) - diese Züge sind in Klammern gesetzt - teils westlich des genannten Zentrums aufgezeichnet wurden. Nur die letzteren geben dem Märchen einen vom dichterischen Standpunkt aus zufriedenstellenden Schluss. Es lautet: Eine Stiefmutter hat eine oder mehrere Töchter (und einen eigenen Sohn) sowie eine Stieftochter (oder mehrere Stieftöchter oder einen oder mehrere Stiefsöhne). Eine Kuh (Ziege) kommt, als wäre sie die rechte Mutter, mit Essen zur Stieftochter, um sie vor dem Verhungern zu bewahren, oder sie hilft ihr, das zu spinnen, was man ihr aufgetragen hat. Die Hilfe kommt von den Ohren der Kuh (der Ziege). Das gleiche wiederholt sich bei der Tochter. Auch ihr wird geholfen (oder aber sie und ihre Schwestern spionieren der Stiefschwester nach und dürfen dann deren Essen teilen). Mitunter sieht man Schwestern mit einem, zwei, drei oder mehr Augen an diesem Ausspionieren teilnehmen. Um ein (gewisses) begehrtes Essen zu bekommen, befiehlt die Stiefmutter, die Kuh (Ziege) zu schlachten. Nach der Anweisung der Kuh (der Ziege) begräbt (oder verbrennt) die Stieftocher (oder die Stiefkinder) die Überreste des Tieres, oder sie findet darin Gold- und Silberkörner, die sie pflanzt. Daraus erwächst ein Baum (der, als Abschlussmotiv, den armen Stiefkindern Essen gibt). Er trägt Früchte, die nur die Stieftochter zu pflücken vermag und durch die sie einen erstrebenswerten Mann zum Gemahl bekommt, nachdem die Stiefschwester vergeblich versucht haben, den Auftrag auszuführen. Die Stiefschwester rächt sich dann, so dass das Märchen in 450 (Brüderchen und Schwesterchen) oder in 403 (Die schwarze und die weisse Braut) übergeht.

Die in Klammern gesetzten Züge gibt es näher bestimmt im nördlichen Afrika, auf Madagaskar, in Indien, Indonesien und teilweise in China. Die Belege sind ziemlich spärlich. Die übrigen Züge gehören Griechenland, Jugoslawien, Polen, der Sowjetunion mit den baltischen Ländern an, mit Ausläufern nach Deutschland, Frankreich und Korsika. Den ältesten literarischen Beleg in Europa finden wir bei Montanus aus dem Jahre 1559.

II. Nahe verwandt mit diesen Fragmenten ist eine Variantengruppe, die eigentlich 314 (Der Goldhaarige) angehört. Deren Inhalt ist folgender: Ein junger Mann hat eine Stiefmutter und mehrere Stiefschwestern mit einem, zwei, drei oder mehr Augen. Er muss das Vieh der Stiefmutter hüten, bekommt aber nichts zu essen. Eine Kuh (ein Pferd) - die verstorbene Mutter des Jünglings - versorgt ihn reichlich mit Essen, das aus dem rechten Ohr der Kuh aufgetischt wird. Die Schwestern spionieren ihm nach, schlafen aber ein, und als die Stiefmutter ihn vergiften und die Kuh schlachten will, flieht der Jüngling, auf dem Rücken der Kuh reitend, durch einen Kupfer-, Silber- und Goldwald. Da er, entgegen dem Verbot, Zweige abbricht, werden sie von wilden Tieren überfallen, die die Kuh jedoch niederkämpft. Endlich stirbt die Kuh, aber der Jüngling erhält Nahrung und grosse Viehherden aus ihren Hörnern und heiratet schliesslich.

Diesen Typ finden wir auf dem bekannten Überlieferungsweg von den Balkanländern westlich des Schwarzen Meeres zu den baltischen Ländern, von wo aus Verzweigungen nach der Sowjetunion, Dänemark, Norwegen, Island und Irland gehen. Ausserhalb Europas auf westorientalischem Gebiet, wo dieser Typ auch vereinzelt angetroffen wird, nähert er sich wieder der üblichen Form von 314.

III. Wir finden jedoch auch eine förmliche Verschmelzung zwischen dieser Variantengruppe (II) und der europäischen Form des oben angegebenen Aschenputtelmärchens (I), deren Ergebnis die Hauptversion von 511 (Einäuglein, Zweigäuglein, Dreiäuglein) wird. Sie hat ungefähr die gleiche Verbreitung in Europa und im Orient wie die vorhergehende, wenn auch mit einigen Verzweigungen nach Deutschland, Frankreich und Schweden. Die Hauptperson ist weiblich, und die Erzählung schliesst auf die gleiche Weise wie die europäische Form oder damit, dass die Heldin die einzige ist, die die Früchte des Baumes pflücken kann und diese Aufgabe als Bedingung für eine später einzugehende Ehe gestellt bekommt.

IV. Zu diesen Formen des Aschenputtelkomplexes kommt auch eine Zusammenstellung der "embryonalen" Formen und der Heiratsbedingung, der Besitzer eines verlorenen, aber wiedergefundenen Gegenstandes, meist eines Schuhes, zu sein. Mit diesem Motiv ist ein Fest verbunden. Die Teilnahme der Stieftochter soll durch bestimmte Aufträge der Stiefmutter, wie spinnen oder verschiedene Kornarten sortieren, verhindert werden. Freundliche Tiere helfen ihr, und durch diese erhält sie auch ein Kleid, das sie unwiderstehlich macht. Sie verlässt das Fest und verliert den Schuh, aber der Held findet ihn und vergewissert sich, dass er ihr gehört. Westlich von Konstantinopel wird der Gegenstand in der Regel im Festsaal oder in dessen Nähe gefunden, östlich davon findet man ihn irgendwo anders. Diese Zusammenstellung gibt es von Irland bis nach China. In China sehen wir einen Teil der Varianten in 450/403 (Brüderchen und Schwesterchen und Die schwarze und die weisse Braut) mit deren Verwandlungsmotiven übergehen. Diese Verschmelzung kommt jedoch sowohl im Vorderen Orient wie in Europa vor, besonders bei den Slawen. Auf beiden Seiten von Konstantinopel, von Persien bis Portugal, begegnen wir einem anderen eingeschobenen Motiv, das an 480 erinnert. Es wird gleich nach dem Auftrag, eine bestimmte Menge Flachs zu spinnen, eingefügt. Das Motiv hat eine natürliche Anknüpfung im Stiefmuttermotiv, in der spinnenden Kuh und der verlorenen Spindel, die den Weg zeigt.

V. und VI. In Europa, vermutlich in Italien, wo wir die besten Belege finden, sind die Motive vom verlorenen Schuh, vom Fest und von den Kleidern weiter ausgearbeitet worden. Sie beherrschen das ganze Märchen auf Kosten des Einleitungsmotivs der embryonalen Formen, die zusammenschrumpfen mussten. Wenn es dann heisst, dass die Heldin, mit ihren Schwestern im eigenen Heim wohnend, eine Kirche (oder eine Festlichkeit) besucht, stehen wir vor 510A; und wenn es heisst, dass sie die Festlichkeiten (die Kirche) besucht, nachdem sie Dienst beim Helden genommen hat, so stehen wir vor 510B. Der letzte Teil des letztgenannten Märchens wird oft, wie dort angedeutet wurde, von dem Augenblick an, wo die Heldin beim Helden Stellung angenommen hat, als Fortsetzung zu 511 erzählt, und zwar im Anschluss an die Flucht der Heldin und das Verschwinden des helfenden Tieres.

Wir wollen nun einen Blick auf die verschiedenen Motive werfen: Von grossem Interesse ist ein griechisches Fragment, das einer Variante von 450 (Brüderchen und Schwesterchen, Hahns neugriechischer Sammlung) angehängt wurde. Das Fragment gibt die Episode vom geschlachteten Tier und von dem aus desssen Knochen emporwachsenden goldenen Baum, dessen Früchte nur die Heldin pflücken kann, genau wieder. Die helfende Kuh ist eindeutig identisch mit der Mutter der Heldin, wie es auch ursprünglich gewesen zu sein scheint. Der aus dem geschlachteten Tier emporwachsende Baum erinnert an ähnliche Verwandlungen in dem mehr als dreitausendjährigen Batamärchen. Dort finden wir auch die Haarlocke, die im Batamärchen die ungefähr gleiche Rolle spielt, wie der Schuh im Aschenputtelkomplex. Das Batamärchen wird noch jetzt rings um das Schwarze Meer erzählt, und vielleicht erklärt dies, dass der Schuh u.a. in gewissen südslawischen Varianten des Aschenputtelmärchens ins Wasser fällt, wie die Haarlocke im Batamärchen. Näher als das Batamärchen steht jedoch die Sage von der Hetäre Rhodopis aus Naukratis in Ägypten und dem ihr gehörigen Schuh. Diese Sage wurde zuerst von Strabo (17,1) erzählt. Inwieweit sie in einem genetischen Zusammenhang mit dem Schuh des Aschenputtels steht, ist schwer zu entscheiden. Nach einer griechischen, schon von Herodot (im Buch II) erwähnten Überlieferung soll eine der Pyramiden die Grabsstätte Rhodopis’ bezeichnen. Von ihr heisst es, sie sei eine Mitsklavin Äsops gewesen. Somit hätte sie um 550 v.u.Z. gelebt. Aber die gleiche Sage wie die von Strabo wiedergegebene wird auch vom römischen Schriftsteller Aelianus (um 200 n.u.Z.) erzählt. Er ist es, der in diesem Zusammenhang erstmalig den Namen des Königs Psammetich erwähnt. Hyginus, ein Zeitgenosse Strabos, gibt jedoch die ungefähr gleiche Sage, aber mit Hermes und Aphrodite als Hauptpersonen, nach vermutlich alexandrinischen Quellen wieder. Das Motiv scheint daher in der Antike ziemlich gut bekannt gewesen zu sein und dürfte urspünglich ganz einfach irgendeinem schönen, jungen Mädchen mit einem Antlitz, so schön wie eine Rose (Rhodopis), zugelegt worden sein. Die Sage lautet in Kürze: Ein Adler hatte Rhodopis’ Schuh entführt und ihn auf die Knie des Königs Psammetich fallen lassen. Der sandte den Schuh in ganz Ägypten umher, hoffend, dessen Besitzerin zu seiner Gemahlin machen zu können.

Dass ein Vater versucht, seine Tochter zur Gemahlin zu gewinnen, ist ein anderes, dem Aschenputtelkomplex zugehöriges Motiv. Es tritt schon bei Herodot auf (im Buch II), kurz bevor er die Erzählung über Rhodopis wiedergibt. Altertümlich ist auch der Zug, nach welchem die Heldin ihre Gaben aus den Hörnern der Kuh (Ziege) erhält. Wir haben hier ein klares Gegenstück zu der alten, griechischen Mythe von der Ziege Amaltheia, aus deren Hörnern man alles, was man wünschte, bekommen konnte. Das Motiv entwickelt sich jedoch oft wie eine Entlehnung aus dem zumindest zur frühbyzantinischen Zeit gehörenden Märchen vom Tischlein deck dich (563), in dem das Tier einen gedeckten Tisch gleichsam aus der Erde hervorwachsen lässt (siehe 565). Bevor wir die Antike verlassen, wollen wir noch an die Mythe von Argos Panoptes, dem Allessehenden, erinnern, welcher der in eine Kuh verwandelten Io nachspioniert, und an die Mythe von Phrixos und Helle (siehe 450). Die anonyme Anstellung im Schloss der Prinzessin ist aus dem 3. Jahrhundert in Byzanz aus dem Roman Apollonius von Tyrus bekannt und gehört auch der Hauptversion von 314 (Der Goldhaarige) an.

Wenden wir uns nun der germanischen Antike zu, so begegnen wir auch dort dem Schuh in Verbindung mit der Ehe. Dass er zu den Brautgeschenken gehörte, erfahren wir u.a. aus 1353 (Kitta Grau stiftet Unheil). In dem aus dem Jahr 1160 stammenden und von einem bayrischen Kleriker gedichteten Lied von König Rother - gleichgültig ob das Vorbild der Langobardenkönig Rothari von Rom (gest. 650) oder König Roger II. von Neapel-Sizilien (gest. 1154) war - wird behauptet, dass er seiner Auserkorenen, der Tochter des Kaisers Konstantin in Konstantinopel, einen Goldschuh und einen Silberschuh gesandt und ihr später zuerst den einen, dann den anderen selbst angezogen habe. Das gleiche wird, wenn auch auf andere Weise, in der Dietrichsage wiedergegeben.

Den im Märchen so häufigen und sogar in China vorkommenden Auftrag, verschiedene Getreidearten zu sortieren, erkennen wir aus Apulejus’ Version von Amor und Psyche (425ABC) aus dem 2. Jahrhundert n.u.Z. wieder (vgl. 554, Die dankbaren Tiere). Darin begegnen wir auch den zwei älteren, neidischen Schwestern der Heldin.

Das Motiv von den Kupfer-, Silber- und Goldwäldern findet sich teils auf den bekannten Traditionswegen von Konstantinopel nordwärts nach den baltischen Ländern, teils in Skandinavien, Frankreich und Irland. Wir haben bereits in der Untersuchung von 306 (Die zertanzten Schuhe) gezeigt, dass dieses Motiv in das letztgenannte Märchen frühestens im Mittelalter hineingekommen ist. Der Auftrag, grosse Mengen Flachs zu spinnen, scheint zu Beginn der Neuzeit volkstümlich geworden zu sein. Wir verweisen auf 500 (Titteliture) und 501 (Die drei Spinnerinnen).

Der Name Aschenputtel ist sicher mittelalterlich. Er wird von Geiler von Kaysersberg erwähnt, und wir haben ihn im Norden indirekt u.a. in der Gautrekssaga etwa um 1265 (siehe 1415 und BP I, 183 Anm. 1). Der Name scheint vom Balkan zu stammen, wo das neugriechische Staktoputa (wörtlich Aschenvulva) genetisch dem Aschenputtel des Deutschen wie dem Akepot des Dänischen und Schwedischen entspricht, während das Italienische Basiles Gatta Cenerentola und das Französische Perraults Cendrillon besitzt. Da der Name am frühesten männlichen Individuen gegeben worden zu sein scheint, ist es schwer, daraus irgendwelche Schlüsse über das Alter des Märchens zu ziehen, aber sicher ist, dass stakte (staktos) während der byzantinischen Zeit eher Öl als Asche bedeutete. Den ältesten literarischen Beleg haben wir bei Montanus.

Altertümlich ist sicher die Zusammenstellung (IV) und die Hinzufügung, die vom verlorenen Schuh (oder einem entsprechenden Gegenstand) handelt. Diese hat nicht nur die grösste Verbreitung, sondern ist auch schon frühzeitig in China aufgezeichnet worden. Dort, im südlichen China, finden wir nicht nur die in eine Kuh verwandelte verstorbene Mutter und deren erneuten Tod, sondern auch die Stiefschwestern, die Einladung zum Fest, das mit Hilfe der Mutter erhaltene Gewand und den verlorenen Schuh wieder. Das Märchen wird dort noch jetzt erzählt und findet sich, wenn auch mit einem Fisch an Stelle der Kuh, schon im letzten Teil der klassischen Zeit der chinesischen Dichtkunst, d.h. in der T’ang-Periode von 618 - 906. Der Fisch gehört oft den orientalischen Formen an. Was Europa betrifft, finden wir das Schuhmotiv auf Island in der mittelalterlichen Vilmundarsaga, also früher als in einem anderen europäischen Land.

Das eigentliche Aschenputtelmärchen (V, d.h. 510A) dürfte in Italien entstanden sein, wenn es auch seine Wurzeln östlicher hat. Der Zeitpunkt hierfür ist sicherlich das Mittelalter. Es wurde u.a. von Basile (gest. 1632) in seinem Pentamorene (I,6) bearbeitet. Von Italien aus erreichte es die übrigen romanischen Länder besonders Frankreich, wo sich u.a. Perrault (1697) seiner bemächtigte. Seine Version hat, wenn auch hauptsächlich auf literarischem Weg, ganz Europa erfasst, und überall, wo von dem kleinen Glasschuh erzählt wird, kann man des französischen Einflusses gewiss sein. "La pantoufle de verre" war nämlich ursprünglich ein Leder- oder, näher bestimmt, Grauwerkschuh, d.h. ein "pantoufle de vair". Nach Deutschland scheint es, zumindest mit einem Teil der Versionen, ziemlich direkt von Italien aus gekommen zu sein und wurde u.a. von den Brüdern Grimm bearbeitet. Die slawischen Varianten sind unsicher und wechselnd. Für sie sind die drei Nüsse mit den Gewändern darin und der Schluss mit dem obenerwähnten Brauttausch aus 450 oder 403 kennzeichnend.

Fräulein Zottelpelz oder Holzkittel (VI, d.h. 510B) dürfte gleichfalls im Mittelalter entstanden sein. In einem Teil südeuropäischer Varianten trägt die Heldin noch Kleider mit den für das späte Mittelalter typischen Schellen. Damit kann der Umstand in Verbindung gebracht werden, dass das Märchen auf gewisse Züge (Kleid, Harfe und Namen) der Erzählung von Kraka in der Ragnarssaga Lodbrokar aus der Zeit vor 1250, mit 875 (Disamärchen) als Hauptmotiv, eingewirkt zu haben scheint. Während die früheren, hier zeitlich festgelegten Versionen Zaubermärchen des alten Typs sind, die sich teilweise sogar in einer anderen Welt abspielen, ist Fräulein Zottelpelz ein Novellenmärchen, das keinerlei übernatürlichen Eingreifens bedarf. Dahinter sieht man auch in mehreren Varianten die Spuren eines rationalisierten mittelalterlichen Romans vom Typ Helena von Konstantinopel oder Das Mädchen ohne Hände mit dem gleichen Einleitungsmotiv wie Fräulein Zottelpelz.

In einer französischen Version des Romans, Mannequin genannt oder Roman de la Manekine von Philippe de Beaumanoir, ungefähr um 1270, wird die Heldin Joie verurteilt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, als sie das Angebot ihres Vaters ausschlägt (siehe auch unter 706). Ein "Manekine" wird an ihrer Stelle verbrannt, und sie selbst flieht. Nach der Flucht wird ihr daher der Name "Manekine" gegeben. Bei Straparola (um 1550) flieht Aschenputtel in einem Kleiderschrank eingeschlossen, aus dem sie dann heimlich hervorkommt, und in mehreren südeuropäischen Aufzeichnungen von Fräulein Zottelpelz (Holzkittel) flieht die Heldin in einem hohlen, konischen Holzfutteral oder bewegt sich in einer hölzernen Puppe mit beweglichen Armen und Beinen oder auch in einem Mantel aus Holz, wenn sie nicht in ihren Zottelpelz gekleidet ist. In jedem Fall hat der Holzkittel der Heldin in Italien, Griechenland und Skandinavien den Namen gegeben (Maria di legno oder intaulata, Xylomaria, Karin Traestakk und Karin Träkjortel). In Italien war dieser Typ sehr beliebt, und er ist dort reich belegt. In Frankreich, wohin er wahrscheinlich von Italien aus gekommen ist, ist er mindestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt und wurde von Perrrault 1694 mit den Namen Peau d’asne in gebundene Form gebracht. Der Holzkittel der Heldin in Skandinavien soll aus Birkenrinde, Hobelspänen oder dgl. verfertigt sein.

Manchmal findet man in dieser Version als Einleitungsmotiv fälschlich 923 (Ich liebe dich wie das Salz), worauf verwiesen wird. Schliesslich muss darauf hingewiesen werden, dass es im griechischen Sprachgebiet, auf dem Balkan wie auf Cypern, eine Gruppe Varianten des Aschenputtelkomplexes gibt, die in ihrem altertümlichen Einleitungsmotiv erzählen, wie die Mutter der Heldin starb. Als die Mutter, heisst es, dreimal ihre Spindel verloren hatte, beschlossen ihre beiden ältesten Töchter, sie in eine Kuh zu verwandeln, zu schlachten, zu kochen und aufzuessen (Ein von Herodot - im Buch II kurz vor der Rhodopissage - genannter König schloss seine verstorbene Tochter, mit der er sich früher verheiraten wolte, in einen Sarkophag in Kuhform ein. Sie wurde später verehrt, als ob sie eine Kuh wäre. Eine solche Vorstellung kann möglicherweise das Auftreten der Mutter als Kuh erklären. Der Zug wäre dann eine Reminiszenz der Isis-Verehrung der Ägypter.) Die Jüngste weinte und wollte nichts essen, sondern sammelte die Knochen und begrub sie. Auf dem Grab fand sie dann das Kleid und andere Kostbarkeiten. Diese eigentümliche Einleitung passt und wird auch für jeden der beiden Typen 510A und 511 verwendet, und ohne Bedenken lässt man später die beiden Kannibalinnen von Schwestern am Ostersonntag und -montag die Kirche besuchen. Das eine oder andere Motiv könnte bis 4000 Jahre vor unserer Zeit zurückliegen.


Literatur

Cox, M.E.R.: Cinderella. Three Hundred and Forty-five Variants of Cinderella, Catskin and Cap o’Rushes Abstracted and Tabulated with a Discussion of Medieval Analogues and Notes. London 1893. (reprinted 1967)
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros. München 1993.
Lüthi, M.: Es war einmal. Göttingen 1968.
Schmidt, S.: Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. In: EM 3, p. 1197-1203.


Märchen

>> The wicked stepmother
>> Wee Little Havroshechka


Hinweise

Die Geschichte Zweiäugleins ähnelt der Aschenbrödels (KHM 21). Es wird von Mutter und Schwestern misshandelt (A1), doch von einer weisen Frau (B1) und einer Ziege getröstet und gespeist (B3); aus dem Eingeweide des getöteten Tieres erwächst ein Gold und Silber abschüttelnder Baum (B4), und als der Freier sich einstellt, vermag sie allein dessen Verlangen nach den Goldäpfeln zu erfüllen (D3) und wird seine Gattin (E).

In der zu Strassburg zwischen 1559 und 1566 gedruckten Gartengesellschaft des Martin Montanus steht die älteste Aufzeichnung des Märchens, betitelt "Ein schöne History von einer Frawen mit zweyen Kindlin". Hier ist der Hass der Stiefmutter wider Margretlin so gross, dass sie mit der andern Tochter Annelin das Kind in den Wald führt und dort allein lässt. Auf den Rat seiner Patin hat es aber Sägemehl unterwegs ausgestreut und findet dadurch den Weg nach Hause. Das zweitemal, wo es Spreu mitnimmt, geht's ebenso; als es den dritten Tag Hanfsamen fallen lässt, fressen die Vögel den weg, und Margretlin irrt bis zum Abend im Wald umher, bis es an ein Häuslein kommt, wo ein Erdkühlein wohnt. Dies nimmt das Mädchen bei sich auf, lässt sich morgens und abends von ihr melken und bringt ihr Samt und Seide zur Kleidung. Nach einem Jahr kommt ihre Schwester in den Wald, erblickt das Häuslein, pocht an und bittet solange, bis sie ihr wider das Gebot des Erdkühleins auftut und alles, was ihr begegnet ist, erzählt. So hört die Stiefmutter von dem Erdkühlein, holt es zu sich und lässt es vom Metzger schlachten. Aus dem Schwanz, Horn und Hufen, die Margretlin in die Erde pflanzt, wächst ein schöner Apfelbaum auf. Ein vorüberreitender Herr begehrt für seinen fieberkranken Sohn ein paar Äpfel; als aber Annelin und die Mutter sie pflücken wollen, heben sich die Äste empor und neigen sich erst, als Margretlin hinzutritt. Da fragt der Herr, wie das zugehe, und ladet, als er alles vernommen, sie ein, mit ihm zu kommen; gern folgt sie und nimmt ihren Wunderbaum, der sich bald ausgraben lässt, mit. - Hier gleicht also der Eingang der Erzählung von Hänsel und Gretel (KHM 15), während die neidische Schwester weder einäugig noch dreiäugig ist und der einschläfernde Zauberspruch fehlt.

In einer am Rhein erzählten Fassung sind es acht Schwestern, deren jede ein Auge mehr hat. In der siebenbürgischen "Das Zauberhorn" sieht die dreiäugige Schwester, wie ein Stier für Gretchen spinnt; darauf wird er getötet, ersteht aus dem von Gretchen aufbewahrten Horn wieder, bekämpft den Bären, in den sich die Stiefmutter verwandelt hat, und wird endlich zu einem schönen Prinzen. Auch in der ostpreussischen Fassung "Die gute Kuh" spinnt die Kuh für die Heldin, die Stiefschwester tritt aber erst beim Pflücken der Goldäpfel hervor.

Dänisch: "Mette Træhætte"; die dreiäugige Schwester, durch den Spruch nicht eingeschläfert, belauscht die Heldin am Grab der Mutter, wie zwei Tauben ihr Speise bringen. Bei "Den lille Guldsko" bietet der hilfreiche Stier dem hungernden Mädchen nicht nur Speisen aus seinem rechten Ohr, sondern fordert sie auch auf, mit ihm zu fliehen. Als sie trotz seiner Warnung im Kupfer-, Silber- und Goldwald einen Zweig abbricht, muss der Stier mit dem kupfernen, silbernen und goldenen Stier kämpfen und erliegt dem letzten. Sie schneidet ihm das rechte Ohr ab, das ihr im Königsschloss kostbare Kleider liefert. Dem Diener, den ihr der Prinz beim Verlassen der Kirche nachsendet, antwortet sie, sie komme aus Wasserland, Kammland, Handtuchland. - Dieselben Züge finden wir in einer schwedischen Aufzeichnung: um der Heirat mit einem verhassten Knecht zu entgehen, flieht die Bauerntochter auf ihrem Stier. Im Eichen-, Hasel- und Lindenwald bricht sie wider das Verbot ein Blatt ab und hat nun drei Kleider von Messing, Silber und Gold, der Stier aber wird von Wölfen zerrissen. Ebenso bei "Flickan och Kon", wo aus dem vergrabenen Herzen der Kuh ein Apfelbaum entspriesst, dessen Früchte nur die Heldin pflücken kann. Bei "Fröken Skinnpäls rör i askan" ist ein Bär an die Stelle des Ochsen getreten, in dessen Haut sich das Mädchen nachher hüllt. - Ein Stier ist es im norwegischen Märchen bei "Kari Trästak". Die Stiefschwester, der ihre Mutter noch zwei Augen in den Nacken gesetzt hat, belauscht die Speisung durch den Ochsen. Auf des Ochsen Grab darf die Heldin drei Wünsche tun. Angeschlossen wird die Erzählung von der untergeschobenen Braut; der Jüngling, der die Magd aus ihrer Niedrigkeit zieht, ist ihr Bruder; er rühmt dem König ihre Schönheit, aber die Stiefmutter stürzt sie auf der Brautfahrt ins Meer usw. - Englisch: "The red calf". - Gälisch: "The sharp grey sheep"; Dreiäuglein verrät das speisebringende Schaf, das geschlachtet und wieder belebt wird, aber lahm bleibt, weil das Mädchen die Hufe zu sammeln vergessen hat. In der von Kenneth MacLeod mitgeteilten Fassung aus Inverness-shire wird das Schaf als die Mutter der Heldin bezeichnet. Diese schläfert ihre lauschende Stiefschwester zweimal mit dem Spruch ein:

"Shut one eye,
Shut two eyes,
Shut your eyes
In deep sleep!"

vergisst aber beim dritten Mal zu sagen: "two eyes". Das Schaf wird geschlachtet, ersteht aber aus den gesammelten Knochen wieder als eine schöne Frau. Es folgt die Begegnung beim Tanz, die Schuhprobe, die falsche Braut und Hochzeit.

Französisch: "Le taureau bleu"; die Heldin flieht auf dem Ochsen durch den Kupfer-, Silber- und Goldwald wie in den skandinavischen Fassungen, wird Jaquette de bois genannt. "La petite Annette"; Jungfrau Maria gibt ein Stäbchen, mit dem des Widders Ohr berührt wird; dreiäugige Stiefschwester lauscht. "Endors-toi d'un oeil, endors-toi de deux yeux!"; aus der Leber des Widders ein Apfelbaum. Ähnlich "La petite brebiette blanche"; aus den Füssen des Schafes entsteht ein Schloss und "Le petit mouton Martinet"; die Stiefschwester sieht das drittemal, wie der Widder auf die Worte Fanchettes:

"Par la vertu de mon mouton Martin,
Qu'il vienne une table où j'aie tout à souhait"

Speisen spendet; aus dem Kopf des Widders wird ein Schloss; die Stiefmutter wird getötet. "Le petit agneau blanc"; aus Kopf und Füssen des Lammes eine Weinquelle und vier Fruchtbäume. "Le poirier d'or"; entspriesst aus den Knochen des geschlachteten Widders. - Aus Korsika: "Les trois pommes de Mariucella"; von den drei Äpfeln in der geschlachteten spinnenden Kuh isst die Heldin einen, aus dem zweiten wird ein Hahn, der die Unterschiebung der Stiefschwester als Königsbraut verrät, aus dem dritten ein Apfelbaum. Die Stiefmutter versteckt die rechte Braut im Fass. - Italienisch: "Vaccarella". "La bella e la brutta"; spinnende Kuh; Katze verrät die Unterschiebung der Braut; Glastreppe der Feen. "La ragazza serpe"; vermischt mit der untergeschobenen Braut. - Serbokroatisch: die Kuh spinnt auf Zureden einer weissen Frau; im Magen der Kuh ist ein Koffer mit Kleidern. - Grossrussisch: die Sterbende vermacht der Tochter die Kuh; die der Waise auferlegten Aufgaben erfüllt ein Häschen; Besuch beim Prinzen, Schuhprobe; die Stiefmutter verwandelt die Braut in ein Tier und schiebt ihre Tochter unter; die Amme vernimmt den Tausch vom Häschen und meldet ihn dem Prinzen. - Littauisch: "Von dem Mädchen, das eine Hexe zur Stiefmutter hatte"; Mutter im Grab rät; spinnende Kuh; ein-, zwei- und dreiäugige Stiefschwestern lauschen; aus dem Eingeweide der Kuh ein Weinbrunnen und ein Apfelbaum. - Estnisch: "Der Bösen Tochter und das Waisenmädchen"; Mutter im Grab antwortet. Angehängt die untergeschobene Braut und Mutter im Grab, Wunderkuh, Apfelbaum.

Eine arabische Erzählung "La vache des orphelins" hat die Besonderheit, dass zwei Geschwister von der Kuh gespeist und von ihren Stiefgeschwistern belauscht werden; als die Stiefmutter die Kuh schlachten lässt, entsteht aus ihren Knochen ein Aloebaum. - Indisch: "The wicked stepmother"; Ziege = rechte Mutter, einäugige Stiefschwester, Knochen vergraben; der König findet in einem Fisch den Nasenring des Mädchens, forscht nach ihr und heiratet sie. "Punchkin"; sieben Schwestern stillen ihren Hunger an einem Pomelobaum und einem Milchbrunnen am Grab ihrer Mutter, bis die Stiefmutter beides zerstört.

In einer andern Märchengruppe wird ein Knabe auf gleiche Weise von einer Kuh (oder einem Stier oder Pferd) genährt, mit der er entrinnt, als sie geschlachtet werden soll. - Siebenbürgisch: "Der starke Hans"; die Kuh ist seine verwandelte Mutter, die dritte Stiefschwester hat zwei Augen im Nacken. - Serbokroatisch: "Eine Vila kämmt die Frau"; als der Stier im Kampf mit Drachen unterliegt, nimmt der Knabe aus seinem linken Horn Speise, aus dem rechten Viehherden. - Polnisch: Knabe und Mädchen fliehen auf der Kuh vor dem Stiefvater. - Grossrussisch: "Vanjuschka und Annuschka"; Stier. - Lettisch: sterbend empfiehlt die Mutter das Mädchen der Kuh. - Ungarisch: "Die rote Kuh"; Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein; kupferne, silberne und goldene Brücke.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. Grimm/KHM 130
Klein Chavroschecka. Afanasjew/Russland 100
Kari Trästak. Asbjörnsen/Norwegen 1,19
Das klingende Lindchen. Nedo/Sorben 52a


top

 

 

Home  |  Lexikon  |  Titel  |  Index-AT  |  Motive  |  Grimm-KHM  |  edition amalia