Einäuglein,
Zweiäuglein, Dreiäuglein 511
Märchentyp AT: 511; cf. 403, 510
Grimm KHM: Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein 130
Eine Mutter hat drei Töchter,
Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein, und eine
Stieftochter, die sie nicht ausstehen kann. Diese muss die
Tiere hüten (Kühe, Ziegen, Schafe) und bekommt fast kein
Essen. Eine kluge Alte gibt ihr zu verstehen, dass sie nur
eines ihrer Tiere mit einem Stock zu berühren oder am
Horn einer der Kühe zu drehen brauche, um soviel zu essen
zu haben, wie sie nur wolle. Manchmal heisst es auch, dass
die Stieftochter den Auftrag bekommen habe, grosse Mengen
Flachs zu verspinnen, aber auch dabei hilft ihr eine Kuh.
In beiden Fällen werden Einäuglein, Zweiäuglein und
Dreiäuglein ausgeschickt, um ihr nachzuspionieren, aber
durch ihre Zauberversformel schlafen sie ein, bis sie
diese einmal falsch aufsagt. Da schlachten sie das
hilfreiche Tier; die kluge Alte aber rät dem Mädchen,
die Eingeweide (Hörner, Hufe) zu vergraben, und daraus
erwächst ein prächtiger Baum (Apfelbaum, Weinquelle),
der silberne Blätter und goldene Früchte trägt. Diese
können nur von dem Mädchen gepflückt werden. Mitunter
fliehen auch das Mädchen und die Kuh, als sie sich
entdeckt sehen. Das Mädchen reitet dann auf der Kuh durch
einen Messing-, Silber- und Goldwald, bricht aber trotz
Verbotes in jedem Wald ein Blatt. Da kommen wilde Tiere
und töten die Kuh, aus deren vergrabenen Hörnern etc.
der wunderbare Baum hervorwächst. Dieser ist es, der ihr
die kostbaren Kleider gibt. Mitunter hüllt sich das
Mädchen in die Haut der Kuh. Ein Prinz begehrt eine
Frucht dieses Baumes. Die Stiefschwestern versuchen, eine
zu pflücken, aber nur der Heldin gelingt es. Der Prinz
heiratet das Mädchen und der Baum begleitet die Heldin
ganz von sich aus.
Anmerkung
Wir wollen versuchen, die Entwicklungsgeschichte des
Märchens zu verfolgen. I. Wir beginnen damit, einige
Fragmente wiederzugeben, die teils östlich vom Zentrum
des byzantinischen Reiches (auch in Afrika) - diese Züge
sind in Klammern gesetzt - teils westlich des genannten
Zentrums aufgezeichnet wurden. Nur die letzteren geben dem
Märchen einen vom dichterischen Standpunkt aus
zufriedenstellenden Schluss. Es lautet: Eine Stiefmutter
hat eine oder mehrere Töchter (und einen eigenen Sohn)
sowie eine Stieftochter (oder mehrere Stieftöchter oder
einen oder mehrere Stiefsöhne). Eine Kuh (Ziege) kommt,
als wäre sie die rechte Mutter, mit Essen zur
Stieftochter, um sie vor dem Verhungern zu bewahren, oder
sie hilft ihr, das zu spinnen, was man ihr aufgetragen
hat. Die Hilfe kommt von den Ohren der Kuh (der Ziege).
Das gleiche wiederholt sich bei der Tochter. Auch ihr wird
geholfen (oder aber sie und ihre Schwestern spionieren der
Stiefschwester nach und dürfen dann deren Essen teilen).
Mitunter sieht man Schwestern mit einem, zwei, drei oder
mehr Augen an diesem Ausspionieren teilnehmen. Um ein
(gewisses) begehrtes Essen zu bekommen, befiehlt die
Stiefmutter, die Kuh (Ziege) zu schlachten. Nach der
Anweisung der Kuh (der Ziege) begräbt (oder verbrennt)
die Stieftocher (oder die Stiefkinder) die Überreste des
Tieres, oder sie findet darin Gold- und Silberkörner, die
sie pflanzt. Daraus erwächst ein Baum (der, als
Abschlussmotiv, den armen Stiefkindern Essen gibt). Er
trägt Früchte, die nur die Stieftochter zu pflücken
vermag und durch die sie einen erstrebenswerten Mann zum
Gemahl bekommt, nachdem die Stiefschwester vergeblich
versucht haben, den Auftrag auszuführen. Die
Stiefschwester rächt sich dann, so dass das Märchen in
450 (Brüderchen und Schwesterchen) oder in 403 (Die
schwarze und die weisse Braut) übergeht.
Die in Klammern gesetzten Züge gibt es näher bestimmt
im nördlichen Afrika, auf Madagaskar, in Indien,
Indonesien und teilweise in China. Die Belege sind
ziemlich spärlich. Die übrigen Züge gehören
Griechenland, Jugoslawien, Polen, der Sowjetunion mit den
baltischen Ländern an, mit Ausläufern nach Deutschland,
Frankreich und Korsika. Den ältesten literarischen Beleg
in Europa finden wir bei Montanus aus dem Jahre 1559.
II. Nahe verwandt mit diesen Fragmenten ist eine
Variantengruppe, die eigentlich 314 (Der Goldhaarige)
angehört. Deren Inhalt ist folgender: Ein junger Mann hat
eine Stiefmutter und mehrere Stiefschwestern mit einem,
zwei, drei oder mehr Augen. Er muss das Vieh der
Stiefmutter hüten, bekommt aber nichts zu essen. Eine Kuh
(ein Pferd) - die verstorbene Mutter des Jünglings -
versorgt ihn reichlich mit Essen, das aus dem rechten Ohr
der Kuh aufgetischt wird. Die Schwestern spionieren ihm
nach, schlafen aber ein, und als die Stiefmutter ihn
vergiften und die Kuh schlachten will, flieht der
Jüngling, auf dem Rücken der Kuh reitend, durch einen
Kupfer-, Silber- und Goldwald. Da er, entgegen dem Verbot,
Zweige abbricht, werden sie von wilden Tieren überfallen,
die die Kuh jedoch niederkämpft. Endlich stirbt die Kuh,
aber der Jüngling erhält Nahrung und grosse Viehherden
aus ihren Hörnern und heiratet schliesslich.
Diesen Typ finden wir auf dem bekannten
Überlieferungsweg von den Balkanländern westlich des
Schwarzen Meeres zu den baltischen Ländern, von wo aus
Verzweigungen nach der Sowjetunion, Dänemark, Norwegen,
Island und Irland gehen. Ausserhalb Europas auf
westorientalischem Gebiet, wo dieser Typ auch vereinzelt
angetroffen wird, nähert er sich wieder der üblichen
Form von 314.
III. Wir finden jedoch auch eine förmliche
Verschmelzung zwischen dieser Variantengruppe (II) und der
europäischen Form des oben angegebenen
Aschenputtelmärchens (I), deren Ergebnis die Hauptversion
von 511 (Einäuglein, Zweigäuglein, Dreiäuglein) wird.
Sie hat ungefähr die gleiche Verbreitung in Europa und im
Orient wie die vorhergehende, wenn auch mit einigen
Verzweigungen nach Deutschland, Frankreich und Schweden.
Die Hauptperson ist weiblich, und die Erzählung schliesst
auf die gleiche Weise wie die europäische Form oder
damit, dass die Heldin die einzige ist, die die Früchte
des Baumes pflücken kann und diese Aufgabe als Bedingung
für eine später einzugehende Ehe gestellt bekommt.
IV. Zu diesen Formen des Aschenputtelkomplexes kommt
auch eine Zusammenstellung der "embryonalen"
Formen und der Heiratsbedingung, der Besitzer eines
verlorenen, aber wiedergefundenen Gegenstandes, meist
eines Schuhes, zu sein. Mit diesem Motiv ist ein Fest
verbunden. Die Teilnahme der Stieftochter soll durch
bestimmte Aufträge der Stiefmutter, wie spinnen oder
verschiedene Kornarten sortieren, verhindert werden.
Freundliche Tiere helfen ihr, und durch diese erhält sie
auch ein Kleid, das sie unwiderstehlich macht. Sie
verlässt das Fest und verliert den Schuh, aber der Held
findet ihn und vergewissert sich, dass er ihr gehört.
Westlich von Konstantinopel wird der Gegenstand in der
Regel im Festsaal oder in dessen Nähe gefunden, östlich
davon findet man ihn irgendwo anders. Diese
Zusammenstellung gibt es von Irland bis nach China. In
China sehen wir einen Teil der Varianten in 450/403
(Brüderchen und Schwesterchen und Die schwarze und die
weisse Braut) mit deren Verwandlungsmotiven übergehen.
Diese Verschmelzung kommt jedoch sowohl im Vorderen Orient
wie in Europa vor, besonders bei den Slawen. Auf beiden
Seiten von Konstantinopel, von Persien bis Portugal,
begegnen wir einem anderen eingeschobenen Motiv, das an
480 erinnert. Es wird gleich nach dem Auftrag, eine
bestimmte Menge Flachs zu spinnen, eingefügt. Das Motiv
hat eine natürliche Anknüpfung im Stiefmuttermotiv, in
der spinnenden Kuh und der verlorenen Spindel, die den Weg
zeigt.
V. und VI. In Europa, vermutlich in Italien, wo wir die
besten Belege finden, sind die Motive vom verlorenen
Schuh, vom Fest und von den Kleidern weiter ausgearbeitet
worden. Sie beherrschen das ganze Märchen auf Kosten des
Einleitungsmotivs der embryonalen Formen, die
zusammenschrumpfen mussten. Wenn es dann heisst, dass die
Heldin, mit ihren Schwestern im eigenen Heim wohnend, eine
Kirche (oder eine Festlichkeit) besucht, stehen wir vor
510A; und wenn es heisst, dass sie die Festlichkeiten (die
Kirche) besucht, nachdem sie Dienst beim Helden genommen
hat, so stehen wir vor 510B. Der letzte Teil des
letztgenannten Märchens wird oft, wie dort angedeutet
wurde, von dem Augenblick an, wo die Heldin beim Helden
Stellung angenommen hat, als Fortsetzung zu 511 erzählt,
und zwar im Anschluss an die Flucht der Heldin und das
Verschwinden des helfenden Tieres.
Wir wollen nun einen Blick auf die verschiedenen Motive
werfen: Von grossem Interesse ist ein griechisches
Fragment, das einer Variante von 450 (Brüderchen und
Schwesterchen, Hahns neugriechischer Sammlung) angehängt
wurde. Das Fragment gibt die Episode vom geschlachteten
Tier und von dem aus desssen Knochen emporwachsenden
goldenen Baum, dessen Früchte nur die Heldin pflücken
kann, genau wieder. Die helfende Kuh ist eindeutig
identisch mit der Mutter der Heldin, wie es auch
ursprünglich gewesen zu sein scheint. Der aus dem
geschlachteten Tier emporwachsende Baum erinnert an
ähnliche Verwandlungen in dem mehr als
dreitausendjährigen Batamärchen. Dort finden wir auch
die Haarlocke, die im Batamärchen die ungefähr gleiche
Rolle spielt, wie der Schuh im Aschenputtelkomplex. Das
Batamärchen wird noch jetzt rings um das Schwarze Meer
erzählt, und vielleicht erklärt dies, dass der Schuh
u.a. in gewissen südslawischen Varianten des
Aschenputtelmärchens ins Wasser fällt, wie die Haarlocke
im Batamärchen. Näher als das Batamärchen steht jedoch
die Sage von der Hetäre Rhodopis aus Naukratis in
Ägypten und dem ihr gehörigen Schuh. Diese Sage wurde
zuerst von Strabo (17,1) erzählt. Inwieweit sie in einem
genetischen Zusammenhang mit dem Schuh des Aschenputtels
steht, ist schwer zu entscheiden. Nach einer griechischen,
schon von Herodot (im Buch II) erwähnten Überlieferung
soll eine der Pyramiden die Grabsstätte Rhodopis’
bezeichnen. Von ihr heisst es, sie sei eine Mitsklavin
Äsops gewesen. Somit hätte sie um 550 v.u.Z. gelebt.
Aber die gleiche Sage wie die von Strabo wiedergegebene
wird auch vom römischen Schriftsteller Aelianus (um 200
n.u.Z.) erzählt. Er ist es, der in diesem Zusammenhang
erstmalig den Namen des Königs Psammetich erwähnt.
Hyginus, ein Zeitgenosse Strabos, gibt jedoch die
ungefähr gleiche Sage, aber mit Hermes und Aphrodite als
Hauptpersonen, nach vermutlich alexandrinischen Quellen
wieder. Das Motiv scheint daher in der Antike ziemlich gut
bekannt gewesen zu sein und dürfte urspünglich ganz
einfach irgendeinem schönen, jungen Mädchen mit einem
Antlitz, so schön wie eine Rose (Rhodopis), zugelegt
worden sein. Die Sage lautet in Kürze: Ein Adler hatte
Rhodopis’ Schuh entführt und ihn auf die Knie des
Königs Psammetich fallen lassen. Der sandte den Schuh in
ganz Ägypten umher, hoffend, dessen Besitzerin zu seiner
Gemahlin machen zu können.
Dass ein Vater versucht, seine Tochter zur Gemahlin zu
gewinnen, ist ein anderes, dem Aschenputtelkomplex
zugehöriges Motiv. Es tritt schon bei Herodot auf (im
Buch II), kurz bevor er die Erzählung über Rhodopis
wiedergibt. Altertümlich ist auch der Zug, nach welchem
die Heldin ihre Gaben aus den Hörnern der Kuh (Ziege)
erhält. Wir haben hier ein klares Gegenstück zu der
alten, griechischen Mythe von der Ziege Amaltheia, aus
deren Hörnern man alles, was man wünschte, bekommen
konnte. Das Motiv entwickelt sich jedoch oft wie eine
Entlehnung aus dem zumindest zur frühbyzantinischen Zeit
gehörenden Märchen vom Tischlein deck dich (563), in dem
das Tier einen gedeckten Tisch gleichsam aus der Erde
hervorwachsen lässt (siehe 565). Bevor wir die Antike
verlassen, wollen wir noch an die Mythe von Argos
Panoptes, dem Allessehenden, erinnern, welcher der in eine
Kuh verwandelten Io nachspioniert, und an die Mythe von
Phrixos und Helle (siehe 450). Die anonyme Anstellung im
Schloss der Prinzessin ist aus dem 3. Jahrhundert in
Byzanz aus dem Roman Apollonius von Tyrus bekannt und
gehört auch der Hauptversion von 314 (Der Goldhaarige)
an.
Wenden wir uns nun der germanischen Antike zu, so
begegnen wir auch dort dem Schuh in Verbindung mit der
Ehe. Dass er zu den Brautgeschenken gehörte, erfahren wir
u.a. aus 1353 (Kitta Grau stiftet Unheil). In dem aus dem
Jahr 1160 stammenden und von einem bayrischen Kleriker
gedichteten Lied von König Rother - gleichgültig ob das
Vorbild der Langobardenkönig Rothari von Rom (gest. 650)
oder König Roger II. von Neapel-Sizilien (gest. 1154) war
- wird behauptet, dass er seiner Auserkorenen, der Tochter
des Kaisers Konstantin in Konstantinopel, einen Goldschuh
und einen Silberschuh gesandt und ihr später zuerst den
einen, dann den anderen selbst angezogen habe. Das gleiche
wird, wenn auch auf andere Weise, in der Dietrichsage
wiedergegeben.
Den im Märchen so häufigen und sogar in China
vorkommenden Auftrag, verschiedene Getreidearten zu
sortieren, erkennen wir aus Apulejus’ Version von Amor
und Psyche (425ABC) aus dem 2. Jahrhundert n.u.Z. wieder
(vgl. 554, Die dankbaren Tiere). Darin begegnen wir auch
den zwei älteren, neidischen Schwestern der Heldin.
Das Motiv von den Kupfer-, Silber- und Goldwäldern
findet sich teils auf den bekannten Traditionswegen von
Konstantinopel nordwärts nach den baltischen Ländern,
teils in Skandinavien, Frankreich und Irland. Wir haben
bereits in der Untersuchung von 306 (Die zertanzten
Schuhe) gezeigt, dass dieses Motiv in das letztgenannte
Märchen frühestens im Mittelalter hineingekommen ist.
Der Auftrag, grosse Mengen Flachs zu spinnen, scheint zu
Beginn der Neuzeit volkstümlich geworden zu sein. Wir
verweisen auf 500 (Titteliture) und 501 (Die drei
Spinnerinnen).
Der Name Aschenputtel ist sicher mittelalterlich. Er
wird von Geiler von Kaysersberg erwähnt, und wir haben
ihn im Norden indirekt u.a. in der Gautrekssaga etwa um
1265 (siehe 1415 und BP I, 183 Anm. 1). Der Name scheint
vom Balkan zu stammen, wo das neugriechische Staktoputa
(wörtlich Aschenvulva) genetisch dem Aschenputtel des
Deutschen wie dem Akepot des Dänischen und Schwedischen
entspricht, während das Italienische Basiles Gatta
Cenerentola und das Französische Perraults Cendrillon
besitzt. Da der Name am frühesten männlichen Individuen
gegeben worden zu sein scheint, ist es schwer, daraus
irgendwelche Schlüsse über das Alter des Märchens zu
ziehen, aber sicher ist, dass stakte (staktos) während
der byzantinischen Zeit eher Öl als Asche bedeutete. Den
ältesten literarischen Beleg haben wir bei Montanus.
Altertümlich ist sicher die Zusammenstellung (IV) und
die Hinzufügung, die vom verlorenen Schuh (oder einem
entsprechenden Gegenstand) handelt. Diese hat nicht nur
die grösste Verbreitung, sondern ist auch schon
frühzeitig in China aufgezeichnet worden. Dort, im
südlichen China, finden wir nicht nur die in eine Kuh
verwandelte verstorbene Mutter und deren erneuten Tod,
sondern auch die Stiefschwestern, die Einladung zum Fest,
das mit Hilfe der Mutter erhaltene Gewand und den
verlorenen Schuh wieder. Das Märchen wird dort noch jetzt
erzählt und findet sich, wenn auch mit einem Fisch an
Stelle der Kuh, schon im letzten Teil der klassischen Zeit
der chinesischen Dichtkunst, d.h. in der T’ang-Periode
von 618 - 906. Der Fisch gehört oft den orientalischen
Formen an. Was Europa betrifft, finden wir das Schuhmotiv
auf Island in der mittelalterlichen Vilmundarsaga, also
früher als in einem anderen europäischen Land.
Das eigentliche Aschenputtelmärchen (V, d.h. 510A)
dürfte in Italien entstanden sein, wenn es auch seine
Wurzeln östlicher hat. Der Zeitpunkt hierfür ist
sicherlich das Mittelalter. Es wurde u.a. von Basile
(gest. 1632) in seinem Pentamorene (I,6) bearbeitet. Von
Italien aus erreichte es die übrigen romanischen Länder
besonders Frankreich, wo sich u.a. Perrault (1697) seiner
bemächtigte. Seine Version hat, wenn auch hauptsächlich
auf literarischem Weg, ganz Europa erfasst, und überall,
wo von dem kleinen Glasschuh erzählt wird, kann man des
französischen Einflusses gewiss sein. "La pantoufle
de verre" war nämlich ursprünglich ein Leder- oder,
näher bestimmt, Grauwerkschuh, d.h. ein "pantoufle
de vair". Nach Deutschland scheint es, zumindest mit
einem Teil der Versionen, ziemlich direkt von Italien aus
gekommen zu sein und wurde u.a. von den Brüdern Grimm
bearbeitet. Die slawischen Varianten sind unsicher und
wechselnd. Für sie sind die drei Nüsse mit den
Gewändern darin und der Schluss mit dem obenerwähnten
Brauttausch aus 450 oder 403 kennzeichnend.
Fräulein Zottelpelz oder Holzkittel (VI, d.h. 510B)
dürfte gleichfalls im Mittelalter entstanden sein. In
einem Teil südeuropäischer Varianten trägt die Heldin
noch Kleider mit den für das späte Mittelalter typischen
Schellen. Damit kann der Umstand in Verbindung gebracht
werden, dass das Märchen auf gewisse Züge (Kleid, Harfe
und Namen) der Erzählung von Kraka in der Ragnarssaga
Lodbrokar aus der Zeit vor 1250, mit 875 (Disamärchen)
als Hauptmotiv, eingewirkt zu haben scheint. Während die
früheren, hier zeitlich festgelegten Versionen
Zaubermärchen des alten Typs sind, die sich teilweise
sogar in einer anderen Welt abspielen, ist Fräulein
Zottelpelz ein Novellenmärchen, das keinerlei
übernatürlichen Eingreifens bedarf. Dahinter sieht man
auch in mehreren Varianten die Spuren eines
rationalisierten mittelalterlichen Romans vom Typ Helena
von Konstantinopel oder Das Mädchen ohne Hände mit dem
gleichen Einleitungsmotiv wie Fräulein Zottelpelz.
In einer französischen Version des Romans, Mannequin
genannt oder Roman de la Manekine von Philippe de
Beaumanoir, ungefähr um 1270, wird die Heldin Joie
verurteilt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden,
als sie das Angebot ihres Vaters ausschlägt (siehe auch
unter 706). Ein "Manekine" wird an ihrer Stelle
verbrannt, und sie selbst flieht. Nach der Flucht wird ihr
daher der Name "Manekine" gegeben. Bei
Straparola (um 1550) flieht Aschenputtel in einem
Kleiderschrank eingeschlossen, aus dem sie dann heimlich
hervorkommt, und in mehreren südeuropäischen
Aufzeichnungen von Fräulein Zottelpelz (Holzkittel)
flieht die Heldin in einem hohlen, konischen Holzfutteral
oder bewegt sich in einer hölzernen Puppe mit beweglichen
Armen und Beinen oder auch in einem Mantel aus Holz, wenn
sie nicht in ihren Zottelpelz gekleidet ist. In jedem Fall
hat der Holzkittel der Heldin in Italien, Griechenland und
Skandinavien den Namen gegeben (Maria di legno oder
intaulata, Xylomaria, Karin Traestakk und Karin
Träkjortel). In Italien war dieser Typ sehr beliebt, und
er ist dort reich belegt. In Frankreich, wohin er
wahrscheinlich von Italien aus gekommen ist, ist er
mindestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt und
wurde von Perrrault 1694 mit den Namen Peau d’asne in
gebundene Form gebracht. Der Holzkittel der Heldin in
Skandinavien soll aus Birkenrinde, Hobelspänen oder dgl.
verfertigt sein.
Manchmal findet man in dieser Version als
Einleitungsmotiv fälschlich 923 (Ich liebe dich wie das
Salz), worauf verwiesen wird. Schliesslich muss darauf
hingewiesen werden, dass es im griechischen Sprachgebiet,
auf dem Balkan wie auf Cypern, eine Gruppe Varianten des
Aschenputtelkomplexes gibt, die in ihrem altertümlichen
Einleitungsmotiv erzählen, wie die Mutter der Heldin
starb. Als die Mutter, heisst es, dreimal ihre Spindel
verloren hatte, beschlossen ihre beiden ältesten
Töchter, sie in eine Kuh zu verwandeln, zu schlachten, zu
kochen und aufzuessen (Ein von Herodot - im Buch II kurz
vor der Rhodopissage - genannter König schloss seine
verstorbene Tochter, mit der er sich früher verheiraten
wolte, in einen Sarkophag in Kuhform ein. Sie wurde
später verehrt, als ob sie eine Kuh wäre. Eine solche
Vorstellung kann möglicherweise das Auftreten der Mutter
als Kuh erklären. Der Zug wäre dann eine Reminiszenz der
Isis-Verehrung der Ägypter.) Die Jüngste weinte und
wollte nichts essen, sondern sammelte die Knochen und
begrub sie. Auf dem Grab fand sie dann das Kleid und
andere Kostbarkeiten. Diese eigentümliche Einleitung
passt und wird auch für jeden der beiden Typen 510A und
511 verwendet, und ohne Bedenken lässt man später die
beiden Kannibalinnen von Schwestern am Ostersonntag und
-montag die Kirche besuchen. Das eine oder andere Motiv
könnte bis 4000 Jahre vor unserer Zeit zurückliegen.
Literatur
Cox, M.E.R.: Cinderella. Three Hundred and
Forty-five Variants of Cinderella, Catskin and Cap o’Rushes
Abstracted and Tabulated with a Discussion of Medieval
Analogues and Notes. London 1893. (reprinted 1967)
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros.
München 1993.
Lüthi, M.: Es war einmal. Göttingen 1968.
Schmidt, S.: Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. In:
EM 3, p. 1197-1203.
Märchen
>> The
wicked stepmother
>> Wee Little
Havroshechka
Hinweise
Die Geschichte Zweiäugleins ähnelt der Aschenbrödels
(KHM 21). Es wird von Mutter und Schwestern misshandelt
(A1), doch von einer weisen Frau (B1) und einer Ziege
getröstet und gespeist (B3); aus dem Eingeweide des
getöteten Tieres erwächst ein Gold und Silber
abschüttelnder Baum (B4), und als der Freier sich
einstellt, vermag sie allein dessen Verlangen nach den
Goldäpfeln zu erfüllen (D3) und wird seine Gattin (E).
In der zu Strassburg zwischen 1559 und 1566 gedruckten
Gartengesellschaft des Martin Montanus steht die älteste
Aufzeichnung des Märchens, betitelt "Ein schöne
History von einer Frawen mit zweyen Kindlin". Hier
ist der Hass der Stiefmutter wider Margretlin so gross,
dass sie mit der andern Tochter Annelin das Kind in den
Wald führt und dort allein lässt. Auf den Rat seiner
Patin hat es aber Sägemehl unterwegs ausgestreut und
findet dadurch den Weg nach Hause. Das zweitemal, wo es
Spreu mitnimmt, geht's ebenso; als es den dritten Tag
Hanfsamen fallen lässt, fressen die Vögel den weg, und
Margretlin irrt bis zum Abend im Wald umher, bis es an ein
Häuslein kommt, wo ein Erdkühlein wohnt. Dies nimmt das
Mädchen bei sich auf, lässt sich morgens und abends von
ihr melken und bringt ihr Samt und Seide zur Kleidung.
Nach einem Jahr kommt ihre Schwester in den Wald, erblickt
das Häuslein, pocht an und bittet solange, bis sie ihr
wider das Gebot des Erdkühleins auftut und alles, was ihr
begegnet ist, erzählt. So hört die Stiefmutter von dem
Erdkühlein, holt es zu sich und lässt es vom Metzger
schlachten. Aus dem Schwanz, Horn und Hufen, die
Margretlin in die Erde pflanzt, wächst ein schöner
Apfelbaum auf. Ein vorüberreitender Herr begehrt für
seinen fieberkranken Sohn ein paar Äpfel; als aber
Annelin und die Mutter sie pflücken wollen, heben sich
die Äste empor und neigen sich erst, als Margretlin
hinzutritt. Da fragt der Herr, wie das zugehe, und ladet,
als er alles vernommen, sie ein, mit ihm zu kommen; gern
folgt sie und nimmt ihren Wunderbaum, der sich bald
ausgraben lässt, mit. - Hier gleicht also der Eingang der
Erzählung von Hänsel und Gretel (KHM 15), während die
neidische Schwester weder einäugig noch dreiäugig ist
und der einschläfernde Zauberspruch fehlt.
In einer am Rhein erzählten Fassung sind es acht
Schwestern, deren jede ein Auge mehr hat. In der
siebenbürgischen "Das Zauberhorn" sieht die
dreiäugige Schwester, wie ein Stier für Gretchen spinnt;
darauf wird er getötet, ersteht aus dem von Gretchen
aufbewahrten Horn wieder, bekämpft den Bären, in den
sich die Stiefmutter verwandelt hat, und wird endlich zu
einem schönen Prinzen. Auch in der ostpreussischen
Fassung "Die gute Kuh" spinnt die Kuh für die
Heldin, die Stiefschwester tritt aber erst beim Pflücken
der Goldäpfel hervor.
Dänisch: "Mette Træhætte"; die dreiäugige
Schwester, durch den Spruch nicht eingeschläfert,
belauscht die Heldin am Grab der Mutter, wie zwei Tauben
ihr Speise bringen. Bei "Den lille Guldsko"
bietet der hilfreiche Stier dem hungernden Mädchen nicht
nur Speisen aus seinem rechten Ohr, sondern fordert sie
auch auf, mit ihm zu fliehen. Als sie trotz seiner Warnung
im Kupfer-, Silber- und Goldwald einen Zweig abbricht,
muss der Stier mit dem kupfernen, silbernen und goldenen
Stier kämpfen und erliegt dem letzten. Sie schneidet ihm
das rechte Ohr ab, das ihr im Königsschloss kostbare
Kleider liefert. Dem Diener, den ihr der Prinz beim
Verlassen der Kirche nachsendet, antwortet sie, sie komme
aus Wasserland, Kammland, Handtuchland. - Dieselben Züge
finden wir in einer schwedischen Aufzeichnung: um der
Heirat mit einem verhassten Knecht zu entgehen, flieht die
Bauerntochter auf ihrem Stier. Im Eichen-, Hasel- und
Lindenwald bricht sie wider das Verbot ein Blatt ab und
hat nun drei Kleider von Messing, Silber und Gold, der
Stier aber wird von Wölfen zerrissen. Ebenso bei
"Flickan och Kon", wo aus dem vergrabenen Herzen
der Kuh ein Apfelbaum entspriesst, dessen Früchte nur die
Heldin pflücken kann. Bei "Fröken Skinnpäls rör i
askan" ist ein Bär an die Stelle des Ochsen
getreten, in dessen Haut sich das Mädchen nachher hüllt.
- Ein Stier ist es im norwegischen Märchen bei "Kari
Trästak". Die Stiefschwester, der ihre Mutter noch
zwei Augen in den Nacken gesetzt hat, belauscht die
Speisung durch den Ochsen. Auf des Ochsen Grab darf die
Heldin drei Wünsche tun. Angeschlossen wird die
Erzählung von der untergeschobenen Braut; der Jüngling,
der die Magd aus ihrer Niedrigkeit zieht, ist ihr Bruder;
er rühmt dem König ihre Schönheit, aber die Stiefmutter
stürzt sie auf der Brautfahrt ins Meer usw. - Englisch:
"The red calf". - Gälisch: "The sharp grey
sheep"; Dreiäuglein verrät das speisebringende
Schaf, das geschlachtet und wieder belebt wird, aber lahm
bleibt, weil das Mädchen die Hufe zu sammeln vergessen
hat. In der von Kenneth MacLeod mitgeteilten Fassung aus
Inverness-shire wird das Schaf als die Mutter der Heldin
bezeichnet. Diese schläfert ihre lauschende
Stiefschwester zweimal mit dem Spruch ein:
"Shut one eye,
Shut two eyes,
Shut your eyes
In deep sleep!"
vergisst aber beim dritten Mal zu sagen: "two
eyes". Das Schaf wird geschlachtet, ersteht aber aus
den gesammelten Knochen wieder als eine schöne Frau. Es
folgt die Begegnung beim Tanz, die Schuhprobe, die falsche
Braut und Hochzeit.
Französisch: "Le taureau bleu"; die Heldin
flieht auf dem Ochsen durch den Kupfer-, Silber- und
Goldwald wie in den skandinavischen Fassungen, wird
Jaquette de bois genannt. "La petite Annette";
Jungfrau Maria gibt ein Stäbchen, mit dem des Widders Ohr
berührt wird; dreiäugige Stiefschwester lauscht.
"Endors-toi d'un oeil, endors-toi de deux
yeux!"; aus der Leber des Widders ein Apfelbaum.
Ähnlich "La petite brebiette blanche"; aus den
Füssen des Schafes entsteht ein Schloss und "Le
petit mouton Martinet"; die Stiefschwester sieht das
drittemal, wie der Widder auf die Worte Fanchettes:
"Par la vertu de mon mouton Martin,
Qu'il vienne une table où j'aie tout à souhait"
Speisen spendet; aus dem Kopf des Widders wird ein
Schloss; die Stiefmutter wird getötet. "Le petit
agneau blanc"; aus Kopf und Füssen des Lammes eine
Weinquelle und vier Fruchtbäume. "Le poirier
d'or"; entspriesst aus den Knochen des geschlachteten
Widders. - Aus Korsika: "Les trois pommes de
Mariucella"; von den drei Äpfeln in der
geschlachteten spinnenden Kuh isst die Heldin einen, aus
dem zweiten wird ein Hahn, der die Unterschiebung der
Stiefschwester als Königsbraut verrät, aus dem dritten
ein Apfelbaum. Die Stiefmutter versteckt die rechte Braut
im Fass. - Italienisch: "Vaccarella". "La
bella e la brutta"; spinnende Kuh; Katze verrät die
Unterschiebung der Braut; Glastreppe der Feen. "La
ragazza serpe"; vermischt mit der untergeschobenen
Braut. - Serbokroatisch: die Kuh spinnt auf Zureden einer
weissen Frau; im Magen der Kuh ist ein Koffer mit
Kleidern. - Grossrussisch: die Sterbende vermacht der
Tochter die Kuh; die der Waise auferlegten Aufgaben
erfüllt ein Häschen; Besuch beim Prinzen, Schuhprobe;
die Stiefmutter verwandelt die Braut in ein Tier und
schiebt ihre Tochter unter; die Amme vernimmt den Tausch
vom Häschen und meldet ihn dem Prinzen. - Littauisch:
"Von dem Mädchen, das eine Hexe zur Stiefmutter
hatte"; Mutter im Grab rät; spinnende Kuh; ein-,
zwei- und dreiäugige Stiefschwestern lauschen; aus dem
Eingeweide der Kuh ein Weinbrunnen und ein Apfelbaum. -
Estnisch: "Der Bösen Tochter und das
Waisenmädchen"; Mutter im Grab antwortet. Angehängt
die untergeschobene Braut und Mutter im Grab, Wunderkuh,
Apfelbaum.
Eine arabische Erzählung "La vache des
orphelins" hat die Besonderheit, dass zwei
Geschwister von der Kuh gespeist und von ihren
Stiefgeschwistern belauscht werden; als die Stiefmutter
die Kuh schlachten lässt, entsteht aus ihren Knochen ein
Aloebaum. - Indisch: "The wicked stepmother";
Ziege = rechte Mutter, einäugige Stiefschwester, Knochen
vergraben; der König findet in einem Fisch den Nasenring
des Mädchens, forscht nach ihr und heiratet sie.
"Punchkin"; sieben Schwestern stillen ihren
Hunger an einem Pomelobaum und einem Milchbrunnen am Grab
ihrer Mutter, bis die Stiefmutter beides zerstört.
In einer andern Märchengruppe wird ein Knabe auf
gleiche Weise von einer Kuh (oder einem Stier oder Pferd)
genährt, mit der er entrinnt, als sie geschlachtet werden
soll. - Siebenbürgisch: "Der starke Hans"; die
Kuh ist seine verwandelte Mutter, die dritte
Stiefschwester hat zwei Augen im Nacken. - Serbokroatisch:
"Eine Vila kämmt die Frau"; als der Stier im
Kampf mit Drachen unterliegt, nimmt der Knabe aus seinem
linken Horn Speise, aus dem rechten Viehherden. -
Polnisch: Knabe und Mädchen fliehen auf der Kuh vor dem
Stiefvater. - Grossrussisch: "Vanjuschka und
Annuschka"; Stier. - Lettisch: sterbend empfiehlt die
Mutter das Mädchen der Kuh. - Ungarisch: "Die rote
Kuh"; Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein;
kupferne, silberne und goldene Brücke.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein.
Grimm/KHM 130
Klein Chavroschecka. Afanasjew/Russland 100
Kari Trästak. Asbjörnsen/Norwegen 1,19
Das klingende Lindchen. Nedo/Sorben 52a
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