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Das Blumenmädchen 407

Märchentyp AT: 407
Grimm KHM: Der liebste Roland 56; Die Nelke 76


Ein Mädchen wird in eine Blume verwandelt. Ein Mann bricht einen Stengel der Blume und das Mädchen erscheint wieder in menschlicher Gestalt. Er und das Mädchen heiraten. Oder eine Frau hat noch keine Kinder und wünscht sich eines sehnlichst. Weil sie sich dieses so sehr wünscht, gebärt sie schliesslich eine rötlich-braune Beere oder einen Zweig als Tochter. Das Beeren-Kind wird entzaubert, erscheint in menschlicher Gestalt und heiratet einen Prinzen. Ist die Tochter ein Zweig, pflanzt die Mutter diesen in einen Topf und pflegt ihn liebevoll als ihr Kind. Ein Prinz fühlt sich zu diesem Topf hingezogen und wird liebeskrank. Er erwirbt die Pflanze, aus der nachts ein schönes Mädchen erscheint, die mit dem Prinzen isst und liegt. Eines Tages zieht der Prinz in den Krieg, und das Mädchen wird von einer neidischen Frau (Verlobte) getötet. Eine alte Frau (Sonnenmutter) belebt das Mädchen, die nach der Wiedergeburt den Prinzen heiratet.


Anmerkung

 


Literatur

Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der Brüder Grimm. Bern 1999.
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem. Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Holmberg, U.: Der Baum des Lebens. Göttinnen und Baumkult. Bern 1996.
Karlinger, F.: Verwandlung auf der Flucht vor drohendem Inzest. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 77, 1981, p. 178-184.
Meinel, G.: Blume. In: EM 2, p. 483-495.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Eine in Kassel vernommene Fassung: Auf eine Zeit lebte ein König, der wollte sich niemals verheiraten. Da stand er einmal am Fenster und sah die Leute in die Kirche gehen, da war ein Mädchen darunter von solcher Schönheit, dass er in einem Augenblick seinen Vorsatz aufgab, das Mädchen zu sich rief und es zu seiner Gemahlin wählte. Nach Verlauf eines Jahres gebar sie einen Prinzen. Da wusste der König nicht, wen er zu Gevatter bitten sollte; endlich sagte er: "Der erste, der mir begegnet, wer es ist, den bitte ich zu Gevatter"; ging aus, und der erste, der ihm begegnete, das war ein armer alter Mann, den bat er auch darauf zu Gevatter. Der arme Mann sagte zu, bat sich aber aus, dass er das Kind allein in die Kirche trage, dass diese verschlossen werde und niemand zusehen dürfe. Das wurde ihm alles bewilligt. Der König aber hatte einen bösen, neugierigen Gärtner; wie nun der alte Mann das Kind in die Kirche trug, schlich er sich nach und versteckte sich in den Bänken. Da sah er, wie der Alte das Kind vor den Altar trug, es segnete und wie einer, der geheime Kräfte versteht, ihm die Gabe verlieh, dass alles, was es sich wünsche, eintreffen solle. Der böse Gärtner dachte gleich, welch einen Vorteil er sich daraus verschaffen könnte, wenn er das Kind hätte. Wie nun einmal die Königin in dem Garten spazieren ging und es auf dem Arm trug, riss er es weg, bestrich ihr den Mund mit Blut eines geschlachteten Huhns und klagte sie bei dem König an, er habe gesehen, wie sie ihr Kind in dem Garten getötet und aufgegessen. Der König liess sie ins Gefängnis werfen; der Gärtner schickte das Kind weit weg zu einem Förster in den Wald, der sollte es da gross ziehen. - Der Prinz lernte die Jägerei. Der Förster aber hatte eine schöne Tochter namens Lise. Die zwei Kinder hatten einander sehr lieb, und Lise entdeckte ihm, dass er ein Prinz sei, und alles, was er wünsche, das müsse eintreffen. Da kam bald darauf der Gärtner zu dem Förster. Wie ihn der Prinz sah, verwünschte er ihn gleich in einen Pudel, seine liebe Lise aber in eine Nelke; die steckte er vor, der Pudel aber musste neben ihm herlaufen. - So ging er an seines Vaters Hof und nahm als Jäger bei ihm Dienste. Er wurde auch bald bei ihm beliebt wie keiner von den andern Jägern, weil er alles Wild schiessen konnte; denn er brauchte nur zu wünschen, so kam es vor ihm hingelaufen. Für alle Dienste verlangte er gar keinen Lohn, bloss eine Stube für sich, die er immer verschlossen hielt; auch wollte er für sein Essen selber sorgen. Das kam seinen Kameraden wunderlich vor, dass der umsonst diene, und einer schlich ihm nach und guckte durchs Schlüsselloch. Da sah er, wie der neue Jäger vor einem Tisch sass mit dem prächtigsten Essen besetzt, und neben ihm ein schönes Mädchen, und dass beide sehr freundlich und vergnügt miteinander waren. Das Essen aber hatte sich der Prinz nur auf den Tisch gewünscht, und das Mädchen war seine liebe Lise; die verwandelte er allezeit in ihre natürliche Gestalt und war in ihrer Gesellschaft, so oft er allein war; wenn er aber ausging, war es wieder eine Nelke, die in einem Glas mit Wasser stand. - Die Jäger meinten, er müsse grosse Reichtümer haben, und brachen, als er auf der Jagd war, in seine Stube ein; da fanden sie aber gar nichts, nur die Nelke vorm Fenster. Weil sie so schön war, brachte sie einer zum König, der trug auch einen so grossen Gefallen daran, dass er sie von dem Jäger verlangte. Der wollte sie aber um alles Gold nicht hingeben, weil es seine liebste Lise war. Endlich, wie der König darauf bestand, entdeckte er ihm alles, und dass er sein Sohn wäre. Wie der König das hörte, freute er sich von Herzen. Die Königin wurde aus dem Gefängnis befreit und die treue Lise des Prinzen Gemahlin. Der gottlose Gärtner musste zur Strafe ein Pudel bleiben und wurde von den Knechten unter den Tisch gestossen.

Einige Züge begegnen im slowakischen Märchen vom Mädchen ohne Hände: die Lilie auf dem Grab der Mutter wird auf Wunsch des Knaben zur Mutter; und im böhmischen Genovefamärchen: die Blume auf dem Grab der wiedergefundenen Königin nimmt der Witwer in sein Zimmer, nachts verschwinden die Speisen. - Grossrussisch: der Sohn ruft zum Schluss seine Mutter aus dem Grab. - Kleinrussisch: der Diener belauscht an der Brücke die Prophezeiung zweier Engel, tötet sein Kind und tauscht es mit dem des reichen Herrn; er und seine Frau werden durch den vom Engel beratenen Knaben in Hunde verwandelt; keine Geliebte. Der Diener stiehlt den Neugeborenen und beschmiert den Mund der Mutter mit Blut; der Knabe erhält von der Mutter Gottes die Weisung, an der Brust seiner verstorbenen Mutter zu saugen. Die Verleumdung der unschuldigen Kindbetterin, als hätte sie ihre Kinder verzehrt, begegnete schon im "Marienkind".

Die Verwandlung eines Mädchens in eine Blume wird in diesem Märchen wie im Liebsten Roland (KHM 56) meist vom Geliebten bewirkt, um es zeitweilig der Verfolgung zu entziehen; anderwärts ist sie ein Zauber (1), den erst der Geliebte bricht. So gebiert bei Basile "La mortella" eine Frau statt des ersehnten Kindes einen Heidelbeerzweig, den sie in einem Topf ans Fenster setzt; als aber der Königssohn den Blumentopf kauft und in sein Zimmer stellt, wird dieser zu einer Jungfrau, deren Liebe er heimlich geniesst, bis neidische Mädchen in seiner Abwesenheit eindringen und die Zweige zerreissen. Bei Pitrè "Rosamarina", ist es ein Rosmarinzweig, bei "La mela", ein Apfel. - Griechisch: "La jeune fille dans la cruche"; des Prinzen Braut wird, von der Nebenbuhlerin ins Meer gestürzt, zum Fisch, zur Zypresse, als Zweig bei der alten Frau wieder zum Mädchen.

(1) Ein Mädchen wird von der eigenen Mutter zu einem Baum verwünscht. - Ein Königssohn erbeutet drei Zitronen, aus denen, als er sie aufschneidet, schöne Mädchen hervorkommen; aber wenn sie nicht sofort Wasser erhalten, sterben sie alsbald; drei Eier; das von der Nebenbuhlerin ertränkte Mädchen wird Fisch, Ahornbaum, Splitter und endlich Mensch; vergessene Braut wird zum Stein und zur Blume.

Slowakisch: die Lilie, die der Junge am Grab der Mutter pflückt, wird zur Mutter. - Grossrussisch: aus einem Zweig im Garten wird ein Mädchen, das heimlich das Hauswesen besorgt. - Indisch: "Seven brothers and their sister"; der Bräutigam des von den Brüdern dem Teichgott geopferten Mädchens schwimmt zu der im Teich erwachsenen Blüte und pflückt sie ab. - Hinterindisch: "La sandale d'or"; die ertränkte Braut wird Schildkröte, Amsel, Bambus, Frucht, Mädchen. "Néang Kantoc"; die getötete Braut steigt aus dem Bambus, der auf ihrem Grab gewachsen ist.

In der besonders in Osteuropa verbreiteten Erzählung von der Teufelsbraut pflückt der Fürst die Blume, die hernach zu einem Mädchen wird, vom Grab einer Jungfrau, der ein Vampir oder Teufel in menschlicher Gestalt nachstellte.

In einem Zigeunermärchen offenbart sich die auf dem Grab der Mutter gepflückte Blume, die den Jüngling durch alle Abenteuer geleitet, schliesslich als die Seele seiner Mutter.

 

>> Der liebste Roland


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Daphne. Karlinger/Rumänien 8
Der Heidelbeerzweig. Basile/Italien 1,2
Die Nelke. Grimm/KHM 76
Die Schildkröte und das Erbsenmännchen. Megas/Griechenland 24


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