Von einem
  Riesen getötet 311
  Märchentyp AT: 311; cf. 312
  Grimm KHM: Fitchers Vogel 46; Hasenbraut 66
  
  
  Ein Mädchen wird in die Behausung
  eines übernatürlichen Wesens (Riesen) gelockt. Es wird
  ihr befohlen, Menschengebeine oder dgl. zu essen, oder es
  wird ihr verboten, ein bestimmtes Zimmer zu betreten.
  Dieses enthält zerstückelte Menschenleiber. Sie wird
  dadurch verraten, dass die Gebeine sprechen können, oder
  durch ein Tier oder dadurch, dass sie das Blut, das an
  einem Schlüssel oder einem anderen Gegenstand klebt,
  nicht abwaschen kann, und wird von dem Ungeheuer getötet.
  Ihre zweite Schwester erleidet dasselbe Schicksal; aber
  der dritten Schwester gelingt es, mit Hilfe von
  "Schlafdorn", eines hilfreichen Tieres (Katze)
  oder einer Salbe mit lebenerweckenden Kräften die Lage zu
  meistern, die Schwestern wiederzuerwecken und schliesslich
  das Ungeheuer dahin zu bringen, dass es in einer Truhe
  oder in einem Sack mit Gold zuerst die Schwestern und dann
  sie selbst nach Hause trägt. Manchmal flieht sie statt
  dessen in einem Federkleid wie ein Vogel und hinterlässt
  eine ausgestopfte Puppe in ihrem Bett.
  
  
  Anmerkung
  
  Das Märchen ist beinahe in ganz Europa und im Vorderen
  Orient sowie in Indien und Palästina verbreitet. In
  Südeuropa hat es mehrere Züge, die eindeutig
  orientalisch sind. Die Gestalt und Art des Ungeheuers ist
  sehr schwer zu bestimmen: in den nordeuropäischen,
  keltischen und russischen Märchen handelt es sich oft um
  ein Tier, in Schweden manchmal um eine Goldkatze; in
  Italien, am Balkan und in den westslawischen Ländern, wo
  das Märchen häufig vertreten ist, dürfte man ihn am
  treffendsten mit dem Teufel identifizieren können. Dort
  tritt auch die verstorbene Mutter oder die Jungfrau Maria
  als Helferin des Opfers auf. Wenn das Ungeheuer selbst
  seine zum Leben erweckten Opfer in einem Sack wegtragen
  muss oder dadurch genarrt wird, dass eine Puppe in das
  Bett gelegt wird oder dass die Heldin ein Federkleid
  anlegt, werden unsere Gedanken auf jene scherzhaften
  Märchen hingelenkt, in denen der Teufel oder der dumme
  Riese die Hauptrolle spielt (1091, 1115, 1132, 1405). Den
  weggetragenen Sack finden wir u.a. auch in einem
  dänischen Volkslied vom Meergeist Rosmer.
  
  Literatur
  Christiansen, R. Th.: Studies in folklore.
  Bloomington 1957.
  Hartland, E.S.: The forbidden chamber. In:
  Folk-Lore Journal 3, 1885. p. 193-242.
  Haiding, K.: Kinderspiel und Volksüberlieferung. München
  1939.
  Hartmann, E.: Die Trollvorstellungen in den Sagen und
  Märchen der skandinavischen Völker. Stuttgart 1936.
  Heckmann, E.: Blaubart. Schwetzingen 1930.
  Herzog, J.: Die Märchentypen des Ritter Blaubart und
  Fitchervogel. Köln 1929.
  Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens.
  München 1987.
  Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das
  Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 595.
  Uther, H.-J.: Der Frauenmörder Blaubart und seine
  Artverwandten. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde
  84, 1988. p. 34-54.
  
  Märchen
  >> Die
  silberne Nase
  >> Das Schwein
  
  Hinweise
  Fitchers Vogel:
  Bei Pröhle, "Bienchens Haus" heisst sie
  Fledervogel, die Wiederbelebung der toten Schwestern
  fehlt. Bei "Das Zwergloch" erhalten die von den
  Zwergen in Rosen verwandelten Schwestern durch die
  jüngste ihre menschliche Gestalt wieder und entrinnen in
  verschiedenen Verkleidungen.
  Wir unterscheiden hier folgende Motive: A. Ein Mädchen
  wird durch ein verbotenes Zimmer auf die Probe gestellt;
  ein Ei oder ein Schlüssel wird blutig. - B. Zwei
  Schwestern erleiden für ihre Neugier den Tod. - C. Die
  jüngste findet und belebt die Leichen. - D. Der Mörder
  muss selber die Wiedererweckten in einem Korb forttragen.
  - E. Die Heldin entrinnt als Vogel verkleidet. - F. Der
  Mörder wird bestraft.
  Anderwärts erscheint statt des Zwerges oder
  Hexenmeisters ein Räuber oder Ritter, wie im
  Räuberbräutigam KHM 40 und im Blaubartmärchen, oder der
  Teufel; die Heimkehr aus dem Räuberhaus verliert oft das
  Wunderbare, da die Frau ihren Mann zu einem Besuch bei
  ihrem Vater zu bereden weiss. "Vom bösen Ritter am
  Dietrichsberg"; die Heldin flieht mit den Köpfen
  ihrer Schwestern. "Die Räuberbraut"; zieht dem
  Brunnenpfahl ihre Kleider an und versteckt sich in einem
  hohlen Baum; der Menschenfresser wird von einem jagenden
  Prinzen erschossen. "Die verwünschten Vögel";
  werden von der dritten Schwester besprengt; diese bindet
  den Kopf der Katze, den sie verzehren soll, sich auf den
  Leib, von wo er ihrem Mann antwortet. - Schottisch:
  "The widow and her daughters"; Pferd lockt in
  den Hügel, verbotenes Zimmer, hilfreiche Katze. -
  Italienisch: "Le diable joué par sa femme"; sie
  darf nicht in die Kessel sehen, in denen die armen Seelen
  kochen, und lässt sich vom Teufel in einer Kiste
  heimtragen. "Der Teufel und seine Weiber"; ein
  Rettich zieht die drei Schwestern hinab; verbotenes
  Zimmer, Rose; der Teufel trägt in drei Kisten die
  Schwestern zurück, ohne es zu merken. "Der Teufel
  heiratet die Schwestern". "L'orco"; Leben
  des Unholds im Ei. "Le tre fornarine";
  verbotenes Zimmer; die jüngste entflieht mit einem
  Prinzen aus dem Räuberhaus. Bei "Ohimè" sollen
  die Schwestern Menschenfleisch essen, das nachher auf die
  Frage des Unholds antwortet.(Drei Brüder werden ebenso
  erprobt bei "Il contadino che aveva tre
  figlioli"; magische Flucht, das Pferd wird zu einer
  Prinzessin.) - Maltesisch: "Der goldene Adler";
  Flucht mit einem Prinzen.
  Serbokroatisch: der Räuberhauptmann folgt der
  jüngsten Schwester; Schluss wie in Ali Baba und den
  vierzig Räubern. Letopis: die Schwestern sind durch eine
  schwarze, unter die Zunge gestossene Nadel betäubt. -
  Bulgarisch: die jüngste entflieht in einer goldenen
  Laterne, die dann ein Kaiser findet. - Cechisch: der
  Teufel führt die Mädchen zu Luciper in die Teufelsburg;
  ihre und andere Seelen werden mit Hilfe der Jungfrau Maria
  aus den Töpfen erlöst. - Slowakisch: die Schwestern
  salben sich und fliegen heim. - Polnisch: die jüngste
  Schwester erschlägt den Kater, dem sie nicht zu fressen
  geben soll, und entflieht mit den belebten Schwestern. Die
  jüngste entlockt dem Mann, wo sein Leben liegt: in einem
  unter einem grossen Stein verborgenen Schaf. -
  Grossrussisch: statt des Räubers ein Bär; die Heldin
  fährt ohne die Schwestern belebt zu haben in einem
  Mörser voll Gold nach Hause; wie sie dem Bären zuruft:
  "Ich sehe, ich sehe, krummfüssiger Teufel",
  reisst er zornig Bäume nieder und wird von ihnen
  erschlagen. - Kleinrussisch: die Schwestern fliehen
  zusammen; der Bettler zündet ihre Hütte an, wird bald
  gefangen und gehängt. Cubinskij: eingeschaltet in das
  Mädchen als Krieger. - Weissrussisch: Bär; dann
  Bärensohn und seine Gefährten. - Litauisch: die Koffer
  mit den sechs Schwestern werden von den Gesellen des
  Räubers zurückgetragen; Soldaten umstellen ihre Höhle.
  - Lettisch: die dritte Frau lässt sich auch vom Mann
  wegtragen; er gibt sich selbst den Tod, als er sieht, wie
  er betört worden. - Türkisch: die Schwestern waren mit
  den Ohren an die Wand genagelt; die jüngste flieht in
  einer Kiste, die ins Meer geworfen wird. - Aus Palästina:
  Vampir hängt die Schwestern an den Haaren auf und steckt
  die jüngste in eine Kiste, die er ins Meer wirft. -
  Indisch: "Der gefrässige Tiger"; Vogel warnt;
  der Bruder rächt den Tod seiner drei Schwestern.
  "Bopoluchi"; Krähe, Pfau und Schakal warnen;
  das Mädchen tötet des Räubers Mutter, setzt die Leiche
  in ihren Kleidern ans Spinnrad und entrinnt; als nachts
  vier Räuber ihr Bett forttragen, erschlägt sie diese
  alle.
  Perraults berühmte Erzählung "Barbe-bleue",
  welche 1697 veröffentlicht wurde, macht den Frauenmörder
  zu einem reichen Ritter von unheimlicher Hässlichkeit.
  Seine letzte Frau soll sterben, als durch den blutigen
  Schlüssel offenbar wird, dass sie das verbotene Zimmer
  betreten hat; sie erlangt eine Viertelstunde Aufschub und
  sendet ihre ältere Schwester Anne auf den Turm, um nach
  den erwarteten Brüdern auszuschauen; schon schleift sie
  der Wüterich an den Haaren fort, da stürmen die beiden
  Brüder herein und durchbohren ihn. Dieser dramatische
  Schluss, die wiederholten angstvollen Fragen der Frau an
  die in die Ferne spähende Schwester und die drohenden
  Rufe des unten harrenden Blaubart, klingen in den neueren
  französischen Volksmärchen wieder, wo oft die Brüder
  durch einen Hund oder Falken der Frau herbeigerufen werden
  und der sein Messer wetzende Unmensch beständig singt:
  "J'aiguise, j'aiguise mon couteau, pour tuer ma femme
  qu'est en haut."
  Der Gehorsamsprobe mit dem verbotenen Zimmer, welche im
  Märchen den Mord begründen soll, ist ein neues,
  wenngleich bereits in indischen und arabischen
  Erzählungen, auch im Marienkind (KHM 3) vorkommendes
  Motiv.
  Den skandinavischen und russischen Versionen
  eigentümlich ist die Tiergestalt, die der Unhold annimmt,
  um das Mädchen in seine unterirdische Wohnung zu locken;
  in italienischen zieht ein Rettich oder Blumenkohl das
  Mädchen hinunter. Dass eine angekleidete Puppe die Braut
  vorstellen muss, wird ebenso im Märchen von der
  Häsichenbraut (KHM 66) erzählt und zeigt die
  Verwandtschaft. Die Verkleidung des Mädchens in einen
  Vogel, den der begegnende Hexenmeister nicht erkennt,
  gemahnt an die zur Fastnacht, bei Hochzeiten und andern
  Festen üblichen Vermummungen.
  
  Variantenverzeichnis
  >> Märchen-Suchdienst
  Cannetella. Basile/Italien 3,1
  Die drei Bräute. Bechstein/Deutschland 83a
  Fitchers Vogel. Grimm/KHM 46
  Das goldene Ei. Bechstein/Deutschland 90a
  Die schöne junge Braut. Bechstein/Deutschland 23
  
  top