Das Schwein
Es war einmal eine Frau, die hatte drei Töchter, und die sollten eines Tages
Flachs schwingen. Wie sie draussen waren, kam die Mutter, um nach der Arbeit zu sehen. Da
kam ein Schwein in den Garten gerannt und frass von dem Kohl. Die Frau sagte zu ihrer
ältesten Tochter, sie solle hingehen und es fortjagen, und die Tochter lief mit der
Flachsschwinge in der Hand auf das Schwein zu.
Als sie aber in die Nähe kam, rief dieses: "Kraul mich, kraul mich!"
"Ja, ich will dich schon kraulen, dass es dir Angst wird!" sagte das Mädchen
und rannte dem Schwein nach, und das lief eiligst in den Wald.
Aber da kam ein so dichter Nebel, dass das Mädchen sich verirrte, und da ging das
Schwein hinter ein Gesträuch und kam als Mensch wieder hervor und sagte zu dem Mädchen,
es solle mit ihm gehen. Sie würde es gut und nichts anderes zu arbeiten haben, als für
sie beide das Essen zu besorgen. Im übrigen könne sie tun, was sie wolle. Das Mädchen
konnte den Heimweg nicht mehr finden, denn sie war ganz in der Irre, und da ging sie mit
dem Schwein.
Am nächsten Tag war die Mutter mit den zwei anderen Töchtern beim Backen. Da sahen
sie wieder ein Schwein draussen im Garten, und die Mutter sagte zu der zweiten Tochter,
sie solle schnell gehen und es aus dem Garten jagen. Sie rannte mit dem Schürhaken in der
Hand hinaus.
Das Schwein rannte auch und sie hinterdrein in den Wald, und da kam auf einmal ein so
dichter Nebel, dass sie sich verirrte, und auf einmal sah sie das Schwein nicht mehr, aber
es stand ein Mann vor ihr, der sagte zu ihr wie zu ihrer Schwester, sie solle mit ihm
heimgehen. Sie brauche nichts zu arbeiten und dürfe all sein Silber und Gold sehen; nur
in eine Kammer dürfe sie nicht hinein.
Am dritten Tag war die Mutter mit der jüngsten Tochter beim Flachshecheln, und da
sahen sie wieder ein Schwein im Garten. Die Tochter wollte hinausgehen und es verjagen,
aber die Mutter wollte es nicht erlauben, weil sie fürchtete, sie würde auch nicht
wiederkommen wie die beiden anderen.
"Nein", sagte die Tochter, "ich will schon achtgeben", und sie
rannte dem Schwein nach.
"Kraul mich, kraul mich!" rief es.
"Ja, ich will dich schon kraulen", schie sie und schlug auf das Tier ein.
"Ja, du kannst mich kraulen", sagte das Schwein und rannte dem Wald zu und
sie hinterdrein. Aber da kam wieder ein dichter Nebel, so dass sie den Weg nicht mehr
fand, und das Schwein verwandelte sich in einen Menschen und sagte zu ihr, sie solle mit
ihm heimgehen und seine Frau werden. Sie brauche nur für das Essen zu sorgen für sie
beide, und nur in zwei Kammern dürfe sie nicht hinein -- dass waren eben die Kammern, wo
er ihre beiden Schwestern hielt, aber das konnte sie ja nicht wissen.
Den Heimweg konnte sie nicht mehr finden, und da folgte sie ihm eben. Sie hatte es auch
gut bei ihm, und es war so viel Gold und Silber da, dass es ganz unheimlich war. Aber
trotzdem war sie nicht glücklich, denn sie wusste, dass ihre Mutter Sehnsucht nach ihr
hatte. Aber wie sie jemals wieder heimkommen sollte, das konnte sie sich nicht denken.
Der Mann war den ganzen Tag fort, und sie war allein zu Hause, und da schaute sie eines
Tages durch das Schlüsselloch in die Kammern, die sie nicht betreten durfte, und da sah
sie, dass ihre Schwestern drinnen waren. Sie rief ihnen zu, und sie beredeten sich durch
die Schlüssellöcher, wie sie wieder zusammenkommen und den Weg nach Hause finden
könnten.
Die eine Schwester wusste, dass der Schlüssel zu den Kammern auf einem Sims beim Herd
lag, und das Mädchen holte ihn gleich, und nun konnte sie ja bei ihnen aus- und eingehen,
wie es ihr passte. Da überlegte sie sich, wie sie wohl den Mann anführen könnte, dass
sie wieder heim zu ihren Eltern kämen, die sicher in grosser Sorge um sie schwebten und
nicht wissen konnten, wo sie geblieben waren.
Als der Mann am Abend heimkam, beklagte er sich über die schlimme Kälte.
"Ja, wir können es wohl aushalten", sagte sie, "aber was meinst du, wie
es meinen armen Eltern bei dieser strengen Kälte geht: sie haben nur harte Kieselsteine
zu brennen, und die sind heute so gut wie gestern und morgen so gut wie heute."
Da sagte er, er habe ja nichts dagegen, wenn man ihnen Brennmaterial zukommen lasse. Er
wolle diesen Abend noch ausgehen, und sie solle Kohlen in einen Sack tun und ihn zubinden.
Er wolle sie dann selbst den Eltern bringen. Sie dankte ihm dafür und war sehr zufrieden.
Dann nahm sie einen Sack und tat zuunterst Silber und Gold und dann ihre eine Schwester
hinein und Kohlen darüber, damit er nichts merken sollte, und sagte zu ihrer Schwester:
"Wenn er nun mit dir unterwegs ist, wird er wohl in den Sack schauen, aber dann musst
du sagen: ich seh dich schon, ich seh dich schon! Dann glaubt er, ich sei es, die ihm
aufpasst."
Der Mann kam und holte den Sack, und das Mädchen sagte, er dürfe ihn nicht aufmachen,
sie werde ihm nachschauen und aufpassen, dass er ihn auch wirklich zu ihren Eltern trage.
Er ging mit dem Sack fort, aber als er ein Stück gegangen war, sagte er:
Der Weg ist weit
Und die Last ist schwer,
Wenn ich nur wüsst, was im Sack drinnen wär?
Aber da rief die Schwester im Sack: "Ich seh dich wohl, ich seh dich wohl!"
Da bekam der Mann Angst, denn er glaubte, seine Frau könne ihn sehen, und er sagte:
Verflucht deiner hellen Augen Strahl!
Du kannst ja sehn über Berg und tiefes Tal!
Und er ging eiligst in ihr Elternhaus und schmiss den Sack zur Tür herein und sagte,
da hätten sie etwas zum Heizen. Die Eltern machten sogleich den Sack auf und freuten sich
sehr: nun hatten sie ja ihre älteste Tochter wieder.
Der Mann kam heim und war müde und ging nicht in die Kammern wie sonst. Und am
nächsten Tag sagte seine Frau wieder zu ihm, es sei so furchtbar kalt, und sie fürchte,
ihre Eltern hätten die Kohlen schon verbrannt, ob er nicht am Abend wieder einen Sack
hintragen wolle?
Ja, sagte er, sie soll ihn nur herrichten. Da tat sie wie das letztemal Silber und Gold
zuunterst und darauf die andere Schwester und darüber Kohlen. Und sie sagte dieser
Schwester dasselbe wie der anderen. Dann kam der Mann und schleppte den Sack davon, und es
ging wie das letztemal. Als er ein gutes Stück gegangen war, sagte er:
Der Weg ist weit
Und die Last ist schwer,
Wenn ich nur wüsst, was im Sack drinnen wär?
Aber da rief die Schwester im Sack: "Ich seh dich wohl, ich seh dich wohl!"
Der Mann meinte wieder, seine Frau passe ihm auf, und sagte:
Verflucht deiner hellen Augen Strahl!
Du kannst ja sehn über Berg und tiefes Tal!
Und er ging eiligst zu ihren Eltern und schmiss den Sack klobig zur Tür herein. Wie er
heimkam, wollte er in die Kammern schauen, aber da sagte seine Frau, das sei doch heute
abend nicht mehr nötig. Das Essen sei fertig, und nun solle er doch endlich kommen. Also
ging er auch diesen Abend nicht in die Kammern.
Am nächsten Tag war er nicht zu Hause und konnte auch nicht in seinen Kammern
nachsehen, und als er heimkam, sagte seine Frau wieder zu ihm, ihre Eltern stürben gewiss
eines elenden Todes bei dieser Kälte, und ob sie nicht doch noch einen Sack Kohlen
bekommen könnten.
"Ja, ja", sagte der Mann, einen wolle er ihnen noch schenken. "Aber alle
guten Dinge sind drei", und mehr bekämen sie nicht. Es sei schon recht, sagte sie,
wenn er ihnen nur noch den einen schenken wolle, so werde sie nie mehr weiteres von ihm
verlangen.
"Aber mir ist nicht recht wohl heute", sagte sie, "und wenn ich
vielleicht den Sack nicht zugebunden habe, so bin ich ins Bett gegangen, und du bist so
gut und bindest ihn selber zu."
Ja, ja, sagte der Mann.
Wie nun der Mann fort war nahm sie zuallererst einen grossen Armvoll Stroh, band ein
grosses Handtuch darum und legte es ins Bett. Dann tat sie erst Gold und Silber in einen
Sack, kroch selber hinein und deckte sich so gut als möglich mit Kohlen zu. Als der Mann
kam und sah, dass der Sack nicht zugebunden war und die Kohlenschaufel noch daneben stand,
war es ihm ganz klar, dass seine Frau ins Bett gegangen war. Also band er den Sack zu und
ging damit fort. Als er ein Stück weit gekommen war, sagte er:
Der Weg ist weit
Und die Last ist schwer,
Wenn ich nur wüsst, was im Sack drinnen wär?
Aber da rief die Frau im Sack: "Ich seh dich wohl, ich seh dich wohl!"
"O weh!", sagte der Mann:
Verflucht deiner hellen Augen Strahl!
Du kannst ja sehn über Berg und tiefes Tal!
Und er lief eiligst mit dem Sack zu ihren Eltern, schmiss ihn zur Tür hinein und
brummte, da hätten sie ihn, aber mehr bekämen sie nicht. Sie bedankten sich sehr und
waren sehr froh, denn nun hatten sie ja alle ihre drei Töchter wieder. Er hatte sie
geholt und auch wiedergebracht und wusste nicht einmal etwas davon.
Als er nun heimkam, nahm er sich endlich die Zeit, in die Kammern zu schauen -- und die
waren leer. Da lief er ans Bett und wollte nach seiner Frau sehen. Er schrie sie an und
schüttelte sie, aber er hatte ja nur das Strohbündel in der Hand. Und da merkte er, dass
er angeführt war, und da wurde er so böse, dass er in lauter Kieselsteine zersprang, wie
sie uns jetzt die Füsse ritzen.
Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen. Jena 1915, Teil 1, Nr. 26. (AT 311,
Dänemark, Ostjütland)
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