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Rapunzel 310

Märchentyp AT: 310
Grimm KHM: Rapunzel 12


Das Märchen schildert anfangs ein kinderloses Ehepaar. Als die Frau schwanger geworden ist, erblickt sie in einem Garten hinter ihrem Haus, der einer Zauberin gehört, eine Frucht oder ein Kraut (Rapunzel). Es gelüstet sie sehr nach diesem Kraut und glaubt, sterben zu müssen, wenn sie es nicht zu essen bekommt. Ihr Mann besorgt ihr die Pflanze, wird aber eines Tages von der Besitzerin des Gartens erwischt. Er kann sich aus ihrer Macht loskaufen, indem er ihr das Kind verspricht, das seine Frau erwartet. Als das Kind zur Welt kommt, holt es sich die seltsame Frau. Das Kind ist ein Mädchen und trägt den Namen Rapunzel - sie ist das schönste Kind unter der Sonne und hat lange goldene Haare. Wie es zwölf Jahre alt ist, sperrt es die Zauberin in einen hohen Turm in einem Wald ein. Nur sie kann zum Mädchen hinaufgelangen, indem sie sich an den langen goldenen Zöpfen des Mädchens hinaufzieht. Nach ein paar Jahren reitet ein Königssohn durch den Wald und wird auf Rapunzel durch ihren schönen Gesang aufmerksam. Er sieht, wie die Zauberin es anstellt, um zu dem Mädchen zu gelangen, ahmt sie in ihrer Abwesenheit nach und kommt so zu Rapunzel. Sie verheiraten sich und planen zusammen, wie Rapunzel aus dem Turm entkommen könnte. Jeden Abend besucht sie der Königssohn. Einmal jedoch verrät sich Rapunzel, indem sie zur Zauberin sagt, dass sie viel schwerer heraufzuziehen sei als der junge Prinz. Die Zauberin wird wütend, schneidet Rapunzel die Haare ab und bringt sie in eine Wüstenei. Die seltsame Frau ahmt nun ihrerseits das Mädchen mit den Zöpfen nach und begegnet dem Prinzen, den sie beschimpft. Der Prinz stürzt sich vom Turm in ein Dornengestrüpp und erblindet. Er irrt nun jahrelang im Wald herum, bis er zur Wüstenei gelangt. Dort gebar inzwischen Rapunzel Zwillinge, ein Mädchen und einen Knaben. Der Prinz erkennt ihren Gesang wieder. Während sie sich umarmen, benetzen zwei Tränen von Rapunzel seine Augen, so dass er durch sie wieder sehen kann.


Anmerkung

Die Märchenfassung, welche die Brüder Grimm in ihre Sammlung aufnahmen, stützt sich auf die Version, die Joachim Schulz 1790 in seinem Kleinen Roman veröffentlichte. Diese geht wiederum auf ein französisches Feenmärchen zurück, das die Hofdame de la Force 1698 unter dem Titel Persinette veröffentlichte. Eine weitere Quelle ist das Pentamerone von Basile (gest. 1632), wo das Märchen unter dem Titel Petrosinella aufgeführt ist. Alle diese literarischen Zeugnisse dürften jedoch auf Volksüberlieferungen zurückgehen.

Nebst der Rapunzel erwähnen die Märchenfassungen auch Petersilie oder Kohl, aber auch Birnen, Äpfel, Fenchel, Linsen oder Beeren tauchen als begehrenswerte Gartenfrüchte auf. Meistens ist es eine Frau, die diese Früchte oder Pflanzen aus dem Garten einer "Zauberin" (Patin, Grossmutter Aula etc.) holt, aber es kann auch ein Mann (Gatte) geschickt werden. Die Gelüste nach einer Frucht bei schwangeren Frauen ist ein Motiv, das wir weltweit in Mythen, Märchen und in Volkstraditionen wiederfinden. Oftmals gelangt das Kind schon wenige Tage nach seiner Geburt zur alten Frau und nicht erst als zwölfjähriges Mädchen. Übrigens verlässt die Heldin in vielen Volkserzählungen den Turm oder dgl. nicht erniedrigt, sondern meistens sogar bereichert, denn sie ist nun selbst zur Zauberin geworden, was sie in einer magischen Flucht bestätigt.


Literatur

Derungs, K.: Der psychologische Mythos. Frauen, Märchen & Sexismus. Bern 1996.
Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der Brüder Grimm. Bern 1999.
Grätz, M.: Das Märchen in der deutschen Aufklärung. Stuttgart 1988.
Lauer, B.: Rapunzel. Kassel 1993.
Lüthi, M.: Die Herkunft des Grimmschen Rapunzelmärchens. In: Fabula 3, 1960, p 62-96.
Lüthi, M.: Volksmärchen und Volkssage. Bern, München 1961.
Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 584.

Uther, H.-J.: Jungfrau im Turm. In: EM 7, p. 791-797.


Märchen

>> La chatte blanche/The White Cat


Hinweise

Friedrich Schulz (1762-98) erzählt dies Märchen in seinen Kleinen Romanen 5, 269-288 (Leipzig 1790), nur zu weitläufig, wiewohl ohne Zweifel aus mündlicher Überlieferung. - Es wird auch folgenderweise eingeleitet: eine Hexe hat ein junges Mädchen bei sich und vertraut ihm alle Schlüssel, verbietet ihm aber eine Stube. Als es diese, von Neugierde getrieben, dennoch öffnet, sieht es die Hexe darin sitzen mit zwei grossen Hörnern. Nun wird es von ihr zur Strafe in einen hohen Turm gesetzt, der keine Tür hat. Wenn sie ihm Essen bringt, muss es seine langen Haare aus dem Fenster herablassen, die zwanzig Ellen lang sind, woran die Hexe hinaufsteigt. - Im Märchen von der Padde erscheint zu Anfang eine schöne Jungfrau Petersilie, die dies Kraut lieber als alle andre Speise isst und gern am Fenster ihre langen Haare kämmt. Im holsteinischen von der Edelmannstochter im Turm holt der Mann einen Apfel für seine schwangere Frau aus dem Garten der Fee.

Französisch: Persinette "Parsilette". "La belle blonde". - Italienisch: "Petrosinella"; hier holt die Frau selber Petersilie aus dem Garten der Hexe; und die gemeinsame Flucht der Liebenden gelingt, weil das Mädchen drei Galläpfel hinter sich wirft, aus denen ein Hund, ein Löwe und ein Wolf entstehen; der Wolf zerreisst die Hexe. Auch in dem Märchen von der vergessenen Braut steigt der Prinz zur Tochter der Hexe an den Haaren empor und entrinnt mit ihr. Sizilianisch: "Von der schönen Angiola"; "La vecchia di l'ortu"; "Lo zio Drago"; "Filagranata"; "Petrusinella". - Katalanisch: "La noya dels cabells d'or"; die Frau muss für das aufgelesene Holz ihre Tochter versprechen; das Mädchen schenkt von ihren goldenen Haaren, die der Riese täglich zählt, eins an den Prinzen; auf der Flucht wirft sie weisse und rote Rosen hinter sich, aus denen ein Strom und ein Feuer entsteht. - Portugiesisch: "The maid and the negress"; falsche Braut. - Baskisch: "The fairy-queen godmother." - Maltesisch: "Nanna Aùla". "Fenchelchen"; drei Knäuel ausgeworfen und Verwandlungen auf der Flucht. Vergessene Braut und "Petersilchen". - Serbisch: "Das höllische Blendwerk und die göttliche Macht"; es fehlt die Einleitung von der gestohlenen Petersilie, das Mädchen ist die Tochter der Hexe; nicht das Wasser und Feuer aus den ausgeworfenen Nüssen retten das fliehende Paar, sondern ein Blitz, der auf des Prinzen Gebet die Verfolgerin erschlägt. - Bulgarisch: Tentélina ist vor der Geburt von ihrer Mutter einem Wolf versprochen worden, der sie aus dem Sumpf befreite; sie lebt bei ihm auf einer hohen Pappel; wenn er heimkehrt, ruft er: "Tentelina, Tentelina, lass die Haare hinunter, dass ich hinaufkomme!" Ihr Bruder Kostaden befreit sie, indem er auf der Flucht Kamm, Erde und Seife auswirft.

Es kommt häufig in den Märchen vor, dass der Vater, gewöhnlich aber die Mutter, um ein augenblickliches Gelüsten zu befriedigen, ihr zukünftiges Kind verspricht. Manchmal wird es auch unter versteckten und dunklen Ausdrücken gefordert und bewilligt, z.B. die Mutter soll geben, was sie unter dem Gürtel trägt. In der altnordeuropäischen Alfskongssage kommt schon ein ähnlicher Zug vor. Odin erfüllt den Wunsch der Signy, das beste Bier zu brauen, wogegen sie ihm das zusagt, was zwischen ihr und dem Bierfass ist, nämlich das Kind, womit sie schwanger geht. Auch das Emporsteigen an den Haaren, die eine Jungfrau aus dem Fenster herablässt, ist ein verbreiteter Zug.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Persinette. La Force/Frankreich
Petrosinella. Basile/Italien 2,1
Petersilchen. Calvino/Italien 86
Rapunzel. Grimm/KHM 12
Die weisse Katze. Aulnoy/Frankreich 6,2

Die Padde. Büsching/Deutschland


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