Die beiden Goldkinder
   
  Vor vielen, vielen Jahren geschah es einmal, dass zwei Mägde im Feld nicht weit von
  der Landstrasse arbeiteten; die eine rupfte Hanf, die andere schnitt Korn; sie sprachen
  aber miteinander von mancherlei und waren lustig und guter Dinge. Nur einmal kam auf einem
  stattlichen Ross der junge König herangeritten. Die Mägde liessen von ihrer Arbeit,
  standen und staunten. Als der König ganz nahe war, grüsste er die Jungfern freundlich,
  und da rief die jüngere gleich der altem: "Wenn mich der König zum Weibe nähme,
  würde ich ihn und seinen ganzen Hof mit meinem Hanf bekleiden!" - "Und
  ich", sagte die ältere, "würde, wenn er mich zu seiner Köchin machte, ihn und
  sein ganzes Haus mit meinem Korn ernähren!'
  
  Diese Reden hatte der hohe Herrscher gehört. und da sie ihm wohl gefielen, schickte er am
  folgenden Tage nach den beiden Mägden und wählte sich die jüngere zu seiner Gemahlin,
  die ältere aber machte er zu seiner Oberköchin und gab ihr die Aufsicht über alle
  Bäcker und Köche des Reiches. Anfangs fühlten sich beide Mägde sehr glücklich, bald
  aber erwachte in der älteren der gelbe Neid: sie wäre selbst gerne in der Stelle ihrer
  jungem Freundin gewesen. Darum erdachte sie bei sich einen Plan, wie sie dieselbe
  verderben sollte. Sie stellte sich gegen die junge Königin sehr untertänig und treu, und
  diese in ihrem arglosen Herzen liebte sie wie zuvor, als sie noch Gespielinnen waren. Nun
  kam aber die Zeit, dass die junge Königin gebären sollte; die Köchin hatte unter gutem
  Vorwande alle Leute aus der Nähe entfernt; die Königin gebar zwei wunderliebliche
  Kinder, einen Knaben und ein Mädchen mit goldenen Haaren. Die arge Köchin nahm nun diese
  schnell, ohne dass es die kranke Königin merken konnte, eilte mit ihnen in den Hof und
  begrub sie in den Mist, lief dann wieder hinein und legte ein Hündchen und ein Kätzchen
  an die Stelle der Kinder und setzte sich neben das Bett.
  
  Bald darauf bat die Königin ihre Freundin, sie möchte ihr die Kinder zeigen. Da fing
  diese an zu jammern und zu klagen: "O Gott, wünsche dir das nicht; es ist ein
  grosses Unglück geschehen." Damit stand sie auf und lief wehklagend hinaus und
  erzählte es den Hofleuten, und diese erzählten es weiter, und bald kam es an den König.
  Als dieser hörte, dass sein Weib einen Hund und eine Katze geboren hätte, ward er sehr
  zornig und liess gleich die beiden Tiere ersäufen und sein Weib lebendig begraben. Nicht
  lange darnach heiratete er die Köchin. Aus dem Mist aber, worin die beiden Kinder
  begraben worden, wuchsen zwei goldne Tannenbäumchen hervor, so schön, dass es eine Lust
  war, sie anzuschauen, und der König besonders hatte grosse Freude daran. Doch der
  Königin pochte immer das Herz, wenn sie die Bäumchen sah, und am Ende konnte sie ihren
  Anblick nicht mehr ertragen; sie stellte sich daher krank und sprach zum König: sie
  könne nicht eher genesen, bis sie nicht auf Brettern ruhe, die aus den beiden
  Tannenbäumchen gemacht worden. So leid es dem König um die Bäumchen tat, so liess er es
  doch geschehen, dass man sie fällte und daraus zwei Bretter für das königliche Ehebett
  machte. In der Nacht aber, als der König und die Königin zuerst darauf ruhten, fingen
  beide Bretter nur einmal an zu reden: "Brüderchen", sprach das eine, "wie
  drückt es mich so schwer, auf mir liegt die böse Stiefmutter?" -
  "Schwesterchen", sagte das andere, "wie ist mir so leicht, auf mir liegt
  der gute Vater!" Der König schlief fest und hörte nichts; die Königin jedoch hatte
  alles wohl vernommen und war voller Unruhe die ganze Nacht.
  
  Als es Tag wurde und der König erwachte, sprach sie: "Ach lieber Mann, die Bretter
  taugen gar nichts, mein Übel ist nur ärger geworden, lass uns sie verbrennen!'' Der
  König widerredete nicht, denn er wünschte ja, sein Weib solle gesund werden. Alsbald
  wurde der Ofen geheizt, und als die Glut gross genug war, liess die Königin die zwei
  Bretter hineinwerfen, und sie sah zu, wie sie verbrannten. Zwei kleine Funken aber waren
  herausgesprungen und in die Gerste gefallen, das hatte die Königin nicht bemerkt. Bald
  darauf trug die Magd die Gerste den Schafen, und ein Mutterschaf ass die beiden Funken mit
  und nach einiger Zeit brachte es zwei Lämmlein mit goldner Wolle zur Welt. Der König
  hatte grosse Freude darüber, aber die Königin stach der erste Anblick derselben so ins
  Herz, dass sie gleich krank wurde. Man verordnete ihr allerlei, allein sie konnte nicht
  gesund werden; da sagte sie endlich, wenn sie die Herzen der beiden Lämmlein ässe,
  müsste ihr das wohl helfen. Was sollte der König tun; er musste zulassen, dass sie
  geschlachtet wurden. Die Herzen briet man und brachte sie der Königin; die Gedärme aber
  wurden in den Fluss geworfen; zwei Stücke nun wurden weithin vom Wasser fortgeführt und
  endlich ans Ufer ausgeworfen. Hier wurden daraus wieder die zwei Kinder mit den goldnen
  Haaren und waren gleich so gross, als wären sie seit ihrer Geburt immer gewachsen; nur
  blieben sie nackt, denn noch keine Mutter hatte ihnen ja ein Hemdchen angelegt. Sie waren
  aber so lieblich und schön, dass die Sonne auf ihrem Tagesgange stehen blieb, sich nicht
  satt sehen konnte und sieben Tage lang nicht unterging.
  
  Da es nun so lange nicht Nacht werden wollte, so wunderte sich des unser Herrgott und
  dachte; "Das hast du doch nicht also geordnet!" Er kam daher zur Sonne und
  fragte sie, warum sie so lange am Himmel verweile und nicht untergehe. Da zeigte sie ihm
  unten auf der Erde die beiden schönen Kinder, wie sie an dem Flusse spielten. Unser
  Herrgott war entzückt und gerührt bei dem Anblick der Kleinen, welche so
  mutterseelenallein und nackt waren, und sprach: "Ich will mich ihrer annehmen."
  Da stieg er auf die Erde als ein alter guter Mann, und die Kinder liefen, sobald sie ihn
  sahen, gleich zu ihm und waren froh. Da gab er jedem ein Hemdchen und ein goldnes
  Hämmerchen und sprach: "Gehet nur immer auf der Strasse fort, da werdet ihr in die
  grosse Stadt kommen; klopfet an die Türen an, und wo man euch aufmacht, da tretet ein.
  Wenn nun ein freundlicher Mann euch fragt, wer ihr seid, so erzählt ihm dieses
  Märchen." Nun erzählte ihnen unser Herrgott ihre ganze Lebensgeschichte, entfernte
  sich dann und stieg wieder in seinen Himmel hinauf. Die Kleinen aber wandelten fort und
  kamen endlich in die grosse Stadt; sie klopften an viele Türen, aber keine wurden ihnen
  aufgetan; zuletzt kamen sie auch an den Palast des Königs. Sowie sie hier anklopften,
  öffneten sich gleich von selbst die grossen Flügeltüren. Sie traten ein, und es sass
  der König gerade in tiefem Nachdenken und härmte sich, dass er keine Kinder hatte; indem
  fiel sein Blick auf die kleinen himmlisch-schönen Kinder mit den goldnen Haaren.
  "Kommt her", rief er, "was für ein Engel hat euch zu mir gesendet ?
  Erzählet mir's!" Die Kleinen gingen hin, setzten sich ihm vertraulich auf die beiden
  Knie und liebkosten ihn; der Knabe fing darauf an zu erzählen, wie ihn unser Herrgott
  gelehrt hatte, und wenn er etwas ausliess oder nicht gut erzählte, verbesserte ihn sein
  Schwesterchen.
  "Gott, o Gott!" seufzte der König, als die Erzählung zu Ende war, und in dem
  Augenblicke trat auch die Königin ein. Als sie die Kinder erblickte, erfasste sie ein
  grausiges Entsetzen; sie kehrte um, schlug die Türe hinter sich zu und lief wie
  wahnsinnig fort. Die Kinder aber sassen dem König auf dem Schosse ruhig und voller
  Unschuld und wussten nicht, warum er so schwer geseufzt und die Frau so entsetzlich sie
  angesehen hatte.
  
  Endlich sagte er: "Oh ihr meine lieben Kinder, das ist kein Märchen, das euch der
  alte Mann erzählt hat, sondern euere und meine wahrhaftige Geschichte. Der alte gute Mann
  aber ist der liebe Gott, der alles so wunderbarlich geleitet und nun offenbart hat.
  "Wehe, wehe der bösen Königin!" Damit ging er hinaus und gab Befehl, dass man
  sein Weib sogleich lebendig begraben solle. Aber man konnte sie lange nicht finden;
  endlich traf man sie am Ufer des Flusses, wie sie sich die Haare zerraufte. Sie hatte sich
  erhängen wollen, allein der Strick war zerrissen, darauf hatte sie sich ins Wasser
  gestürzt, allein der Fluss hatte sie wieder herausgeworfen; nun wurde sie ergriffen und
  lebendig verscharrt; die Erde behielt sie nun und bedeckte ihre grosse Sünde mit.
  Der König aber schickte nun sogleich in das Land der sieben Zwerge um Wasser des Lebens,
  liess seine echte Gemahlin ausgraben und machte sie lebendig. Beide lebten nun froh und
  vergnügt und hatten grosse Freude an ihren Kindern. Der Knabe wurde ein stattlicher
  Jüngling und Nachfolger im Reiche seines Vaters, das Mädchen eine wunderschöne
  Prinzessin. Ach, die war so schön, so schön, dass es nicht zu beschreiben ist; ich will
  nur dieses sagen: wenn sie ausging, neigten sich alle Blumen vor ihr demütig, und alle
  jungen Kaiser und Könige warben um ihre Hand. Da sie aber gelobt hatte, nur den zu
  heiraten, der das beste Herz habe, so nahm sie zuletzt einen armen Kohlenbrenner, denn
  damals hatte der das beste Herz in der Christenheit.Auch du hättest sie wahrlich gerne
  bekommen; Allein dich hätte sie nicht genommen!
   
  Josef Haltrich: Sächsische Volksmärchen aus Siebenbürgen. Wien 1882 u.ö.,
  Nr. 1. (AT 707, Deutschland)
  
  top