Der Frosch (La Rana)
Ein Mann und eine Frau hatten keine Kinder und hätten doch für ihr Leben gern solche
gehabt. Sie beteten um einen Nachkommen unter was immer Bedingungen. Der Himmel schien
sich ihrer erbarmen zu wollen; als aber die Zeit um war, zeigte es sich, dass das
Neugeborene ein Frosch war. Aber der Mann und die Frau liessen sich nicht irre machen und
zogen denselben auf. Sie lehrten ihn Musik und allerlei Künste. Vorzüglich aber liebte
der Frosch den Gesang und bildete seine Stimme und seine Anlagen so aus, dass man glauben
musste, es sei die beste Sängerin der Stadt. Niemand hatte den Frosch noch gesehen, aber
man hielt ihn in der Tat für eine unbekannte Sängerin und konnte sich nicht erklären,
warum dieselbe nicht öffentlich auftrete.
Eines Tages ging der Königssohn am Hause vorüber, und als er den Frosch singen
hörte, blieb er stehen und hörte lange zu. Sogleich verliebte er sich sterblich in die
unbekannte Sängerin und ging zu ihrem Vater mit der Bitte, sie sehen und sprechen zu
dürfen; allein dieser wies das Ansinnen zurück. Als der Prinz sie wieder einmal singen
hörte, wurde er noch mehr verliebt und verlangte von ihrem Vater, er solle sie ihm zur
Frau geben. Dieser aber erwiederte, er müsse zuvor seine Tochter befragen. Der Frosch
willigte ein, stellte jedoch die Bedingung, in einem geschlossenen Wagen in die
Königsburg gebracht zu werden und dort sich ungesehen in das Brautgemach begeben zu
dürfen. Der Prinz, dadurch nur noch neugieriger gemacht, gestand es zu.
Am bestimmten Tage fuhr der Frosch in einem wohlverschlossenen Wagen in das königliche
Schloss und gelangte ungesehen in das prächtige Brautgemach, wo er in das eine der beiden
Betten kroch und sich verbarg. Als der Prinz abends kam, war er erstaunt, seine Braut nich
zu finden und ging missmutig zu Bette. Um Mitternacht aber kroch der Frosch aus den
Polstern hervor auf die Brust des Prinzen, welcher darob vom Schlafe halb erwachte, den
Frosch mit der Hand fasste und auf den Boden schleuderte. Da hüpfte derselbe zornig
hinaus und über die Stiegen hinab nach Hause.
Dem Prinzen tat es am Morgen leid, den Frosch auf den Boden geschleudert zu haben, und
er wurde betrübt und melancholisch. Nach einiger Zeit ging er wieder am Hause vorbei, und
als er den Gesang hörte, wurde er wahnsinnig verliebt und warb aufs Neue um die Braut.
Der Frosch willigte endlich ein, ohne dieses Mal eine Bedingung zu stellen.
Er liess sich ein Wägelchen aus Pappe machen, spannte einen Hahn davor und fur damit,
selbst kutschierend, zum Königsschlosse. Auf dem Wege standen drei Feen. Von diesen hatte
eine beim Essen Fischgräten verschluckt, welche ihr im Halse stecken geblieben waren und
grossen Schmerz verursachten. Als nun diese drei den Frosch sahen, wie er mit seinem Hahne
im kleinen Wagen daher fuhr und mit der Peitsche so lustig knallte, lachten sie so
herzlich, dass der einen die Gräten aus dem Halse kamen, und sie auf einmal von allen
Schmerzen frei war.
Da gingen sie auf den Frosch zu, und die erste sagte: "Ich will dir einen schönen
Wagen und Pferde und Bediente geben!" Und im Nu standen Wagen und Pferde da mit
Bedienten in schönen Livreien.
Darauf sprach die zweite: "Ich will dir kostbare Kleider und Gold und Silber
geben!" Und im Nu war auch dies Alles da und glänzte und schimmerte, dass es eine
Freude war.
Sodann kam die dritte, welche durch das Lachen von den Gräten befreit worden war und
sagte: "Ich will dich verwandeln!"
In demselben Augenblicke wurde der Frosch ein schönes Mädchen. Dieses dankte den drei
gütigen Feen auf das Herzlichste und fuhr fröhlich in die Königsburg zu einer Hochzeit
voll Jubel und Lustbarkeit.
Christian Schneller: Märchen und Sagen aus Wälschtirol: Ein Beitrag zur
deutschen Sagenkunde. Innsbruck 1867, Nr. 29. (AT 402, Tirol)
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