Das Wasser des Lebens in
den Märchen
August Wünsche
In dem grossen Märchenschatz der Völker handeln viele Märchen vom Wasser des Lebens
[AT 551], welches die Kraft besitzt, Tote ins Leben zurückzuführen und solche, welche
nahe am Sterben sind, wieder gesund zu machen.
Die Grundzüge der Märchen sind in der Hauptsache folgende. Gewöhnlich handelt es
sich um einen König und seine drei Söhne. Der König leidet an einer schlimmen
Krankheit, von der ihn kein Arzt zu heilen vermag. Da vernimmt er durch irgendeine
Gelegenheit die Kunde, dass er von seinem Siechtum durch das Lebenswasser eines fernen
Landes befreit werden könne. Aus Liebe zu ihrem Vater machen sich die drei Söhne
nacheinander auf den Weg, das Lebenswasser zu holen. Doch die beiden ältesten erliegen
den auf dem Weg ihnen begegnenden Versuchungen, nur der jüngste ist wegen seiner
Standhaftigkeit und Bescheidenheit so glücklich, es zu erhalten. Ein Riese, ein Zwerg,
ein alter Mann oder eine alte Frau sind ihm zur Auffindung der Wunderquelle behilflich,
indem sie ihm guten Rat erteilen und ihm sagen, wie er es anzufangen und wovor er sich in
acht zu nehmen habe. Hier und da greifen auch dienstbare Tiere, Vierfüssler, Vögel und
Fische hilfreich ein, indem sie dem Jüngling genau die Örtlichkeit des Wassers angeben,
oder auch selbst ihn mit Schnelligkeit dahin bringen. Die Lebensquelle sprudelt in einem
Berg, der sich nur zu gewissen Zeiten, gewöhnlich gegen Mittag oder Mitternacht von 11
bis 12 Uhr öffnet. Im Berg steht in der Regel in einem prächtigen Garten ein versunkenes
Schloss, das die grossen Schätze und Kostbarkeiten birgt, durch deren Anblick der
Eintretende geblendet wird. In einem Gemach des Schlosses wieder ruht auf einem Bett eine
Jungfrau von wunderbarer Schönheit, die später als Prinzessin hervortritt und den
Prinzen, der durch das Schöpfen des Lebenswassers sie von ihrem Zauber gelöst hat, zum
Gemahl fordert. Der Prinz hat nur kurze Zeit bei ihr geruht oder ihr einen flüchtigen
Kuss auf die Lippen gedrückt. In vielen Fällen wird der Eingang zur Quelle von einem
Drachen oder einem anderen Ungeheuer bewacht, die erst aus dem Weg geräumt werden
müssen. Es kostet einen schweren Kampf. Auf dem Heimweg trifft der jüngste Königssohn
gewöhnlich mit seinen älteren Brüdern wieder zusammen, die ihr Leben durch tolle
Streiche verwirkt haben und die er vom Tod loskauft. Zuweilen sind aber die Brüder durch
ihre Unbedachtsamkeit in schwarze Steine verwandelt worden und liegen am Abhang des
Zauberberges, oder stehen als Marmorsäulen auf demselben, oder sind infolge ihres
Hochmutes in einen tiefen Abgrund eingeschlossen. Auch in diesem Zustand werden sie durch
den jüngsten Bruder bald durch das geschöpfte Wasser des Lebens, bald auf seine Bitten
hin wieder ins Leben gerufen. Vereint reisen sie nun mit ihrem Bruder nach Hause zum
König. Unterwegs aber erfasst die beiden falschen Brüder Neid und Missgunst, weil ihr
Bruder allein in den Besitz des Lebenswassers gelangt ist und sie sich vergeblich darum
bemüht haben. Daher vertauschen sie das Lebenswasser, während der Bruder schläft, mit
gewöhnlichem Wasser und eilen nun voraus und machen mit dem erbeuteten Trank den kranken
König gesund, oder sie erscheinen nach der Ankunft des Bruders, dessen vertauschtes
Wasser den König nur noch elender gemacht hat. Dabei raunen sie dem König heimlich ins
Ohr, dass der jüngere Bruder ihn habe vergiften wollen, infolgedessen dieser vom König
verbannt oder gar zum Tod verurteilt wird. Derselbe lebt nun längere Zeit zurückgezogen
und verkleidet in einer untergeordneten Stellung, bis endlich durch die von ihm
entzauberte Prinzessin seine Unschuld an den Tag kommt. An Stelle des Königs tritt in
anderen Märchen eine Prinzessin, die sich das Lebenswasser zur Vervollständigung ihres
Glückes wünscht. Ihre beiden Brüder unternehmen aus Liebe zu ihr das Wagestück, da sie
aber nicht zurückkehren und die Prinzessin an gewissen von den Brüdern ihr
zurückgelassenen Zeichen deren Tod erkennt, so macht sie sich selbst auf den Weg nach dem
Wasser des Lebens, und sie ist so glücklich, es nicht nur in ihren Besitz zu bringen,
sondern auch ihre verzauberten Brüder wiederzugewinnen. Tiere leisten ihr auch dabei
wichtige Dienste. In einer anderen Gruppe von Märchen wieder, die sicher in
verwandtschaftlichem Zusammenhang steht, verlangt eine Mutter, die sich nur krank stellt,
nach dem lebenspendenden Wasser. Nachdem ihr einziger starker Sohn in einem Schloss ihr
ein bequemes Leben bereitet hat, hat sie sich mit einem Drachen vermählt und auf dessen
Rat hin, weil er sein Leben gefährdet sieht, sucht sie den Sohn aus dem Weg zu räumen,
indem sie ihm schwere Aufgaben stellt. Mit Hilfe einer alten Frau oder einer Heiligen, die
sich als sein Schutzgeist erweist, gewinnt er das Wasser des Lebens, die Frau oder die
Heilige behält aber davon etwas zurück. Schliesslich bringt die Mutter den Sohn doch
noch ums Leben, es wird ihm der Kopf abgeschlagen und sein Leib wird zerstückt. Der
zerstückelte Körper wird dann in einen Sack gesteckt und dem treuen Pferd auf den
Rücken gebunden, das die Ladung zu der alten Frau oder der Heiligen trägt. Diese aber
weiss schon, was geschehen ist, sie setzt die einzelnen Teile wieder zusammen, begiesst
sie mit dem zurückbehaltenen Lebenswasser, wodurch der Jüngling sofort wieder dem Leben
zurückgegeben wird. Mitunter sprudeln aber in dem Berg zwei, sogar drei Quellen. Neben
dem Brunnen mit dem Wasser des Lebens steht auch der mit dem Wasser des Todes und der mit
dem Wasser der Schönheit und Verjüngung. Das Lebenswasser hat dann nur die Kraft, gesund
zu machen und Gestorbene oder Getötete wieder ins Leben zurückzurufen, sie bleiben aber
auf der Altersstufe, in der sie gestanden sind, und bedürfen daher noch des Wassers der
Schönheit, um wieder ihre frühere Jugendfrische und Kraft zu erhalten. Ohne Zweifel
liegt hier eine Spaltung in der Vorstellung vor, und wir haben in dem Schönheitswasser
nur eine Abschwächung des ursprünglichen Lebenswassers, das zugleich Leben und
Verjüngung wirkt, zu erblicken. Dass die ganze Märchengruppe auf mythologische
Vorstellungen zurückgeht, liegt auf der Hand.
Nach dieser Darlegung der allgemeinen Grundzüge verzeichnen wir die auf das Wasser des
Lebens bezüglichen Märchen bei den verschiedenen Völkern. Deutsch lesen wir das
Märchen bei den Brüdern Grimm [KHM 97, AT 551] mit zwei Varianten. Nach ihm liegt ein
König krank darnieder, alle Medizin vermag ihn nicht wieder herzustellen, nur das Wasser
des Lebens kann ihm helfen. Die beiden ältesten Söhne, die sich aufmachen, den
Gesundheit verleihenden Trank zu holen, werden aber durch einen Zwerg wegen ihres
hochmütigen Betragens in eine enge Schlucht eingesperrt, nur der jüngste, der bescheiden
ist, erfährt von dem Zwerg, wo sich die Lebensquelle befindet. Sie quillt im Hof eines
verwünschten Schlosses. Um zu ihr zu gelangen, gibt ihm der Zwerg eine Rute und zwei Laib
Brot mit; mit jener soll er dreimal an das eiserne Tor schlagen, bis es aufspringe, mit
diesem soll er die vor dem Tor lagernden Löwen speisen. Das Wasser soll er noch vor 12
Uhr schöpfen, sonst schlage das Tor wieder zu und er könne nicht mehr heraus. Der Prinz
befolgt genau die Ratschläge des Zwerges. Eine Prinzessin, die durch seinen Kuss
entzaubert wird, zeigt ihm den Weg nach der Quelle. Nachdem er einen Becher aus ihr
geschöpft hat und wieder aus dem Schloss tritt, schlägt die Glocke gerade zwölf und das
Tor kracht so heftig zu, dass ihm noch ein Stück von der Ferse abgequetscht wird. Auf der
Heimreise vertauschen ihm aber seine beiden Brüder, die der Zwerg auf seine Bitte wieder
losgelassen hat, das Wasser des Lebens mit bitterem Meerwasser. Wie er dem Vater das
Wasser reicht, und dieser etwas davon kostet, wird dieser noch kränker als zuvor. Bald
darauf erscheinen die beiden älteren Brüder mit dem wirklichen Wasser des Lebens vor dem
Vater, dessen Genuss ihn auf einmal umwandelt. Die Krankheit ist verschwunden, und er ist
stark und gesund wie in seinen jungen Tagen. Da die beiden älteren Brüder ihren
jüngsten beim Vater anklagen, er habe ihn vergiften wollen, so wird das Todesurteil über
ihn gesprochen, er soll heimlich erschossen werden. Ein Jäger, von Mitleid ergriffen,
führt aber den Befehl des Königs nicht aus und so bleibt der Prinz am Leben. Nach einem
Jahr wird der Betrug entdeckt. Während die beiden älteren Brüder schon im Begriff
stehen, sich mit der entzauberten Prinzessin zu vermählen, lenken sie von der goldenen,
glänzenden Strasse zu ihrem Schloss ab und reiten rechts nebenher, weshalb sie zu ihr
nicht eingelassen werden, nur der jüngste reitet mitten darüber und erhält als der
wahre Held ihre Hand.
In gleicher Weise unternehmen in der paderbornschen Variante bei Grimm drei Prinzen die
Reise nach dem verzauberten Schloss mit dem Lebenswasser, sie hegen aber keine feindliche
Gesinnung gegeneinander. Durch einen Zwerg erhalten sie Kunde von dem Schloss. Sie können
jedoch nur in dasselbe gelangen, nachdem ein jeder sich drei Federn von einem Falken, der
dreimal des Tages geflogen kommt und jedesmal eine fallen lässt, erbeutet. Um in den
Besitz des Lebenswassers zu kommen, müssen sie einen Kampf mit einem siebenköpfigen
Drachenungeheuer bestehen. Die beiden älteren unterliegen in diesem Kampf und werden in
Steine verwandelt, der jüngste aber schlägt mit einem Schlag die sieben Köpfe des
Drachen ab und empfängt dafür das kostbare Wasser; ausserdem wird ihm noch die
Königstochter des Zauberschlosses als Gemahlin zuteil. Auf Bitten des jüngsten Prinzen
werden aber auch die beiden älteren wieder ins Leben zurückgerufen.
In der hannoverschen Variante bei Grimm befindet sich das Wasser des Lebens im Keller
eines Zauberschlosses, das nur in der Zeit von 11 bis 12 Uhr zu sehen ist, hernach
versinkt es ins Wasser. Von den drei Prinzen eines Königs gelingt es wieder nur dem
jüngsten, das Schloss aufzufinden und für den kranken König das Wasser zu schöpfen.
Die verschiedensten Wesen wie Hasen, Füchse, Winde werden von einem Riesen, an den sich
der Prinz gewendet hat, zu Rate gezogen, um Bescheid zu geben, wo das Zauberschloss liege,
sie vermögen es aber nicht, nur dem Nordwind ist der Ort bekannt. Dieser erhält den
Auftrag, den Königssohn dahin zu bringen. Kaum ist der Prinz wieder zum Tor hinaus, so
verschwindet das Schloss. Die Entzauberung der Prinzessin erfolgt mit dem Schöpfen des
Lebenswassers.
Einige Abweichungen enthält das von Th. Vernaleken mitgeteilte Märchen aus
Schrattental. Da unternehmen es fünf Söhne, ihrem königlichen Vater, der am Siechtum
darniederliegt, das Wasser des Lebens zu verschaffen, doch nur dem jüngsten von ihnen
glückt es, dieses nach verschiedenen Abenteuern (als Vogelhirte, Kammerdiener und
Stalljunge) durch die Hilfe eines Bären zu erhalten. Auf dem Rückweg finden ihn seine
vier Brüder und nehmen ihm das Wasser des Lebens mit noch anderen Schätzen weg und eilen
zu ihrem Vater; aber es hat sich zu Eis verwandelt und bleibt ohne Wirkung, bis der Finder
selbst nach Hause kommt. Aus Dankbarkeit übergibt der Vater dem treuen Sohn das Reich,
das er mit dem Bär, der sich, nachdem ihm auf seine Bitte das Haupt abgeschlagen worden
ist, ebenfalls in einen Königssohn verwandelt hat, gemeinschaftlich regiert, während
seine vier anderen Brüder des Landes verwiesen werden.
Mit verschiedenen Abweichungen erzählt den Vorgang Th. Vernaleken. Auf der Tür der
Quelle, die sich in einem grossen Garten befindet, stehen die Worte: "Die Quelle in
diesem Garten heilt alle Krankheiten." Im Schloss neben dem Garten liegt alles
verzaubert in tiefem Schlaf, auch die schöne Prinzessin. Ein blind gewordener Graf
erfährt eines Tages, dass er nur durch das Wasser der Wunderquelle wieder gesund werden
kann, aber von seinen drei Söhnen, die er danach ausschickt, hat nur der Jüngste das
Glück, seine Flasche davon zu füllen, bei den beiden älteren verschwindet allemal das
Wasser in dem Augenblicke, wenn sie das Gefäss hineinstecken. Auf der Rückreise wird der
jüngste Bruder von den älteren in einem Wald ermordet, und um jede Spur von der Untat zu
verwischen, machen sie ein Feuer und werfen ihn hinein. Doch da kommen die drei dankbaren
Tiere Hirsch, Adler und Schwein, die auf ihre Bitten früher einmal von ihm nicht
erschossen wurden, und machen ihn durch allerlei Salben und Kräuter wieder gesund. Bald
meldet sich die erlöste Prinzessin und fordert den Grafen auf, dass derjenige seiner
Söhne, der in ihrem Zimmer gewesen wäre, auf einem mit Diamanten bestreuten Weg zu ihr
komme. Es versuchen dies zunächst die beiden älteren, sie werden aber von ihr, weil sie
vom Weg abbiegen, nicht angenommen. Endlich erscheint der jüngste Bruder, der bei einem
Bauer sich verdingt hat, er ist der rechte Held und erhält die Hand der Prinzessin.
In oft wunderbaren Variationen begegnen wir dem Märchen auch bei anderen Völkern. Das
Unsterblichkeitswasser, das ein Königssohn für seinen kranken Vater holt, sprudelt hier
am Ende der Welt hinter zwei hohen, bald auseinandergehenden, bald wieder
zusammenschlagenden Bergen.
Im Arabischen kommt das Märchen in dem bekannten Märchenwerk 1001 Nacht vor unter der
Aufschrift: Die beiden neidischen Schwestern. Das belebende Wasser befindet sich hier auf
einem Berg, der aber nur unter grossen Gefahren zu erreichen ist und schon manchem das
Leben gekostet hat, auch die beiden Brüder der Prinzessin, Bahmann und Perwis haben
bereits ihr Leben verloren, indem sie alle in schwarze Steine verwandelt worden sind. Da
macht sich die ritterliche Prinzessin selbst auf den Weg nach dem Berg. Durch eine von
einem Derwisch ihr gegebene Kugel, die vor ihr herrollt, gelangt sie an den Berg und
lässt sich beim Hinaufsteigen durch das von allen Seiten sie umtönende unsichtbare
Spottredengewirr nicht zurückschrecken, hat sie sich doch, wie einst Odysseus beim Gesang
der Sirenen, die Ohren mit Baumwolle verstopft. Nachdem sie glücklich den Gipfel des
Berges erreicht hat, bringt sie sich zunächst in den Besitz von den drei Wunderdingen,
die ihr eine alte Fromme zur Vervollständigung ihres Glücks ans Herz gelegt hat: den
sprechenden Vogel Bülbülhesar, der die Eigenschaft besitzt, alle Singvögel der Gegend
an sich zu locken, den singenden Baum, dessen Blätter Zungen und Kehlen sind, und das
goldgelbe Wasser, von dem man nur einen einzigen Tropfen in ein Becken auszugiessen
braucht, um den schönsten Springbrunnen zu erhalten. Mit Hilfe des Wundervogels gewinnt
sie dann auch das Wasser im Krug. Beim Heruntersteigen des Berges besprengt sie alle
schwarzen Steine damit und sie werden zu lebendigen Menschen. Als die Brüder wieder
lebend vor ihr stehen und sie diese fragt, was sie hier am Berg gemacht hätten, antworten
sie, dass sie geschlafen haben. "Ja wohl," versetzt die Prinzessin, "aber
ohne mich würde euer Schlaf auch fortdauern und hätte vielleicht bis zum Tage des
Gerichts gewährt." Voller Freude kehren hierauf alle nach den Ländern zurück,
woher sie gekommen waren.
In enger Verwandtschaft mit dem orientalischen Märchen steht das italienische bei
Straparola, nur fehlt hier das lebenspendende Wasser. An Stelle desselben tritt aber eine
Feder des glänzend grünen Vogels, durch welche die Prinzessin Serena ihre beiden in
Marmorsäulen verwandelten königlichen Brüder, Acquirino und Fluvio, wieder belebt,
indem sie mit derselben ihre Augen berührt. Das erwähnte tanzende Wasser dagegen ist
ebenso wie in dem Märchen in 1001 Nacht nur ein kosmetisches Wasser, das der Prinzessin
noch grössere Schönheit verleiht.
Ganz in der Art wie das Märchen in 1001 Nacht und das bei Straparola ist das
griechische bei Hahn Nr. 69. Das Lebenswasser ist auf einem Berg, der sich gegen Mittag
öffnet, und wer schnell genug ist, aus ihm zu schöpfen und wieder herauszukommen, bevor
sich der Berg schliesst, der kann Tote wieder zum Leben erwecken. Nachdem zwei Prinzen
ihrer Schwester den musikmachenden Zweig sowie einen Zauberspiegel, in dem sie alle
Städte, Dörfer, Länder und Prinzen sehen kann, verschafft hatten, sollen sie ihr noch
Dikjeretto holen, der ihr sagt, was die Menschen auf der ganzen Welt sprechen, weil der
alle Sprachen versteht, die es auf der Welt gibt. Als jedoch die Brüder der Blick des
Vogels traf, wurden sie sofort zu Stein. An zwei Hemden, die kohlschwarz geworden sind,
erkennt die Prinzessin den Untergang ihrer Brüder. Sie macht sich daher selbst auf den
Weg und es gelingt ihr, sich des Vogels zu bemächtigen; von ihm erfährt sie nicht nur,
wo ihre Brüder sind, sondern auch den Ort der Quelle des Lebenswassers. Wie sie sich aber
beeilte, es schloss sich der Berg so dicht hinter ihr zu, dass ein Stück ihres Kleides
eingezwängt wurde. Die Prinzessin besann sich aber nicht lange, sondern schnitt das
Stück mit ihrem Schwert ab; nun ging sie dahin, wo ihre Brüder standen, besprengte sie
mit dem Wasser des Lebens und sofort wurden sie wieder lebendig und dehnten und reckten
sich, wie einer, der vom Schlaf erwacht, und riefen: "Ach, wie fest haben wir
geschlafen und wie leicht sind wir aufgewacht!" Darauf besprengte sie alle anderen
Königs- und Fürstensöhne, welche bereits früher durch den Blick des Wundervogels
versteinert worden waren, und machte sie wieder lebendig.
Einen ähnlichen Sachverhalt zeigt das Märchen bei Zingerle: Die neidische Schwester,
die dem Grafen nach der Einkerkerung ihrer Schwester die Wirtschaft führt, verlangt von
dem jüngeren Sohn des Grafen, er soll ihr drei Dinge schaffen, den Vogel Phönix, das
Wasser des Lebens und die Wunderblume, damit würde er ihr eine grosse Freude bereiten. Da
sie wusste, mit wie vielen Gefahren das Herbeischaffen dieser Dinge verbunden war, so
hoffte sie, dass er dabei zugrunde gehen werde. Das Wasser des Lebens befand sich hinter
einem stockfinsteren Wald gegen Sonnenaufgang in einem Teich, der von einem Drachen
bewacht wurde. Ein Fuchs begleitete ihn auf dem Weg dahin. Da dieser sich zuerst dem
Drachen näherte, so fuhr dieser auf ihn los und verfolgte ihn aufs hitzigste;
währenddessen aber schlich sich der Jüngling zum Teich, füllte sich den Krug mit Wasser
und eilte auf der anderen Seite über Stock und Stein davon, bis er mit dem Fuchs wieder
zusammentraf, der ihn auch wieder aus dem Wald leitete. Durch das Lebenswasser wurde der
kranke Graf wieder gesund und fühlte sich stärker und besser als jemals. Am Ende kommt
der Betrug an das Tageslicht, der Graf erkennt in dem Jüngling seinen Sohn und spricht
über die Rabenschwester das Todesurteil aus. Später gesellt sich zum Glück des Grafen
noch die Wiederkehr seiner schönen Frau, die er als längst gestorben wähnte. Sie war
von der Schwester in den Fuchs verwandelt worden; mit der Tötung des Fuchses durch den
Jüngling aber war der Zauber gebrochen.
Verschiedenes Eigenartige hinsichtlich des eigentlichen Grundgedankens enthält das
sizilianische Märchen. Das Lebenswasser quillt hier in der Unterwelt in einem Brunnen
eines schönen Gartens und tropft aus ihm als der Schweiss der Frau Fata Morgana. Es ist
kein lebenspendendes, sondern nur gesundheitverleihendes Nass. Der Blinde, der damit seine
Augen wäscht, wird wieder sehend. Als solches tut es die Wirkung an einem König, der vom
vielen Weinen um den angeblichen Tod seines jüngsten Sohnes blind geworden ist. Mit Hilfe
eines Pferdes, in dem der Bruder der Fata Morgana verzaubert steckt, gewinnt es unter
grossen Gefahren der jüngste Sohn; die beiden älteren Brüder aber rauben es ihm
unterwegs und bringen es dem Vater. Schliesslich aber kommt der wahre Sachverhalt, dass
nicht die älteren Brüder, sondern der jüngste das Wasser gefunden hat, an den Tag: jene
verlieren den Thron, während ihn dieser erhält und sich mit der Fata Morgana
verheiratet.
In einem griechischen Märchen rettet eine Tochter, deren Vater, ein Fischer, dem
Teufel für grosse Schätze seine zwei Kinder als Gemahlinnen überlassen hat, durch
Besprengung mit dem Lebenswasser aus einer Flasche nicht nur ihre versteinerte Schwester,
sondern auch alle die Frauen, die mit ihr versteinert in einem Zimmer dastanden. Der
Teufel wohnt in der Unterwelt. Ein Greis am Eingang zeigt ihr den Weg zu ihm, der mit
grossen Gefahren verbunden ist. Die Schwester war durch eine Ohrfeige des Teufels in Stein
verwandelt worden, weil sie einen ihr zum Mittagsmahl dargereichten Menschenfuss nicht
verzehrt, sondern auf den Mist geworfen hatte.
Nicht mehr in der ursprünglichen Form, sondern schon im Übergang mit einer anderen
Gruppe von Märchen begriffen, tritt uns das Lebenswasser in einem magyarischen Märchen
entgegen. Hier hört der von seinen beiden Brüdern schmählich verlassene Ferkò, nachdem
sie ihn geblendet und obendrein ein Bein gebrochen haben, auf einem Hügel mit einem
Hochgericht, wie ein Rabe dem anderen von einem Teich in der Nähe erzählt, wer sich
darin bade, der werde frisch und gesund, wenn er gleichwohl dem Tod im Rachen sässe; und
wer sich die Augen mit dem Tau wasche und auf den Hügel falle, dessen Gesicht werde so
scharf, wie des Adlers Augen, wenn er auch blind wäre von Jugend auf. Ferkò erhielt
durch den Tau das Licht seiner Augen wieder und durch das Baden im Teich fühlte er sich
kräftig und gesund. Er nahm von dem Wasser ein Krüglein voll mit sich und setzte seine
Reise fort. Unterwegs heilte er damit einen hinkenden Wolf, eine Maus, deren Vorderbeine
in einem Fangeisen gebrochen waren, und eine Bienenkönigin mit einem zerrissenen Flügel.
Ferkò kam dann in ein fremdes Königreich auf eine Burg und bot dem König seine Dienste
an, wo er mit seinen Brüdern wieder zusammentraf. Diese erschraken über seine Ankunft
und wollten ihn aus dem Weg räumen. Sie redeten dem König ein, er wäre ein böser
Zauberer, der die Absicht habe, die schöne Prinzessin im Turm zu entführen. Der König
gab ihm deshalb auf, drei Dinge zu verrichten, nämlich in einem Tag eine Burg zu erbauen,
die noch viel schöner sei als die seine, sodann alle von der Ernte liegen gebliebenen
Getreidekörner auf den Feldern im Umkreis der Königsstadt auf einen Haufen
zusammenzulesen, endlich die Wölfe des ganzen Landes auf einen Hügel zusammenzutreiben.
Ferkò löste die erste Aufgabe mit Hilfe der Bienenkönigin, die zweite mit Hilfe der
Maus und die dritte mit Hilfe des Wolfes. Nachdem die Wölfe den König und die falschen
Brüder aufgefressen hatten, befreite Ferkò die schöne Prinzessin aus dem Turm und
vermählte sich mit ihr.
In dem walachischen Märchen befreit Petru Firitschell eine Prinzessin, indem er einen
zwölfköpfigen Drachen erlegt, dem sie zum Frass ausgesetzt ist; ein neidischer Zigeuner
aber tötet ihn und spielt sich als Retter auf. Doch drei Tiere, ein Fuchs, ein Wolf und
ein Bär, bringen aus Dankbarkeit den Toten wieder zum Leben, weil er dereinst auf ihr
Bitten im Wald nicht den Pfeil auf sie abgedrückt hatte. Der Fuchs bringt von einer
Schlange ein wunderbares Kraut, durch das Kopf und Rumpf wieder geheilt werden, und der
Wolf schafft das Wasser des Lebens herbei, durch das der Körper wieder zum Leben kommt.
Durch Vorzeigen der Drachenzunge bewährt Petru Firitschell sich vor dem Kaiser als der
wahre Sieger und erhält die schöne Prinzessin als Frau.
Mancherlei eigentümliche Abweichungen bieten zwei neugriechische Märchen. In dem
einen holt ein als Gärtner verkappter Prinz für seinen erblindeten königlichen
Schwiegervater das Wasser des Lebens, weil er nach dem Ausspruch der Ärzte durch kein
anderes Heilmittel geheilt werden kann. Er füllt eine Flasche davon; unterwegs begegnen
ihm seine beiden Schwäger, die auch die Quelle des Lebenswassers für den König suchen;
sie erhalten von ihm gemeines Wasser. Dieselben kommen zuerst zum König, doch so oft er
sich damit auch bestreicht, das Sehvermögen will nicht zurückkehren. Als schliesslich
der Schwiegersohn das wirkliche Lebenswasser bringt, will der König gar nichts davon
wissen, erst auf vieles Zureden seiner Tochter lässt er sich bewegen, davon Gebrauch zu
machen. Beim erstmaligen Bestreichen sah er schon ein klein wenig, beim zweiten Mal besser
und beim dritten Mal sah er vollkommen. Da umarmte der König seinen Schwiegersohn und
wollte ihn von nun an als wirklichen Sohn anerkennen, dieser aber ging nur unter der
Bedingung darauf ein, dass er ihm den Weg von seiner Gärtnerhütte bis zum königlichen
Schloss mit lauter Goldstücken bedecken lasse. Dies geschah. Darauf hüllte sich der Sohn
in das Gewand des Meeres und der Wellen, stieg auf sein Fohlen und ritt auf dem Goldweg
nach dem Königsschloss, wo er mit grossen Ehren empfangen wurde.
In dem anderen Märchen hat eine Prinzessin bekannt machen lassen, nur denjenigen
heiraten zu wollen, der ihr das Wasser des Lebens bringe, um sich damit zu waschen. Das
Wasser befindet sich in einem Berg, der sich so schnell wie der Blitz öffnet und ebenso
schnell wieder schliesst [Klappfelsen]. Schon viele waren nach ihm ausgegangen, aber
vergebens. Eines Tages trat ein Jüngling vor den König und bat ihn um die Erlaubnis, das
Wasser holen zu dürfen. Mit wunderbarer Schnelligkeit, die er einem Adler als
Gegenleistung für einen Dienst verdankte, ausgerüstet, begab er sich auf den Weg. Als er
an den Berg kam und rief: "Adler mit deinen Flügeln!", erhielt er sofort
Flügel, und mit diesen schoss er, so schnell er konnte, durch den Spalt des Berges,
füllte seine Kürbisflasche mit dem Wasser des Lebens und flog ebenso schnell wieder
zurück, als sich dieser wieder öffnete. Er brachte der Prinzessin heimlich das Wasser
und sie wurde seine Gemahlin.
In einigen Märchen erscheint neben dem Lebenswasser noch die Unsterblichkeitsfrucht in
der Gestalt eines Apfels. Wir haben in dieser Verbindung sicher einen Nachklang der in den
Mythologien der meisten Völker wiederkehrenden Vorstellung, dass die Götter zu Erhaltung
ihres Lebens eines Trankes und einer Speise bedurften.
Wir verweisen in dieser Beziehung auf drei Märchen. So sucht in einem Märchen aus
Syra eine Mutter auf den Rat des Drakos, mit dem sie sich verheiratet, ihren Sohn dadurch
aus dem Weg zu schaffen, dass sie sich krank stellt und von ihm verlangt, zuerst das
Wasser des Lebens, sodann den Apfel des Lebens zu holen. Der Jüngling kommt auf dem Weg
nach dem Wasser des Lebens in eine Hütte zu einer Alten, die aber eine Schicksalsgöttin
ist; sie zeigt ihm einen Berg, der sich jeden Tag um Mittagszeit öffnet. Sie sagt ihm,
wenn er hineinkomme, werde er viele Quellen sehen und jede werde rufen: "Schöpfe aus
mir! Schöpfe aus mir!" er solle aber warten, bis er eine Biene fliegen sehe, dieser
müsste er nachgehen und von der Quelle Wasser schöpfen, bei welcher sie sich hinsetze;
schöpfe er aus einer anderen, so sei er verloren. Der Jüngling befolgt den Rat der Alten
und kehrt mit dem Wasser zu ihr zurück; diese jedoch vertauscht es in der Nacht, wo er
bei ihr herbergt, und stellt ihm dafür gemeines Wasser hin. Ebenso gelingt es dem
Jüngling, durch die Alte den Apfel des Lebens in einem Garten zu erhalten, den diese aber
auch mit einem gewöhnlichen austauscht. Da die Mutter weder durch den einen noch durch
den anderen Auftrag ihren Zweck erreicht hat, so greift sie jetzt zu einer anderen List.
Sie entlockt ihm nämlich das Geheimnis seiner Stärke, die in drei goldenen Haarlocken
sitzt. Sie schneidet ihm während des Schlafes diese ab, worauf der Drakos ihm den Kopf
abschlägt. Rumpf und Kopf werden von beiden in einen Sack getan und auf das Pferd des
Sohnes gebunden, das damit schnell nach dem Haus der Alten läuft, die sogleich ahnt, was
geschehen ist. Sie breitet ein Tuch auf die Erde, legt den Körper des Jünglings darauf,
und sofort kehrt Leben in die Glieder zurück; darauf gibt sie ihm den Apfel des Lebens
und nach dessen Genuss steht der Jüngling auf und ist vollkommen gesund und munter wie
früher.
Hahn teilt noch eine Variante aus Witzo in Epirus mit. Zufolge dieser beschliesst eine
Prinzessin, die ebenfalls in einem Liebesverhältnis mit einem Drakos lebt, ihren Bruder
dadurch aus dem Weg zu schaffen, dass sie sich krank stellt und bittet, ihr das Wasser des
Lebens zu holen. Der Prinz wendet sich an die Elfinnen, die durch einen Pfiff alle Dohlen
versammeln und sie fragen, wer von ihnen das Wasser des Lebens holen wolle. Eine hinkende
Krähe erbietet sich dazu; sie schafft es aus einem Berg herbei, der sich öffnet und
schliesst. Die Elfinnen aber geben dem Prinzen nur die Hälfte des Wassers, die andere
behalten sie für sich. Durch das Abschneiden von drei goldenen Haaren tötet die
Prinzessin später aber doch noch ihren Bruder, und der Drakos zerschneidet ihn in Stücke
und macht aus ihnen dem Hengst des Prinzen einen Sattel. Der Hengst läuft zu den
Elfinnen, und diese beleben den Prinzen mit dem zurückbehaltenen Wasser des Lebens.
In verwandtschaftlichem Zusammenhang mit den deutschen Märchen bei den Brüdern Grimm
steht das Märchen im Schwedischen. Durch eine alte Wahrsagerin erfährt ein greiser
König eines mächtigen Reiches, der sich zu sterben fürchtet, wie er durch Zauberwasser
und die Äpfel im Land der Jugend von neuem seine Gesundheit und Jugend wiedergewinnen
könne. Vergeblich bemühen sich seine beiden älteren Söhne um die kostbaren Gaben, nur
der jüngste hat das Glück, weil er den Versuchungen auf der Reise Widerstand leistet,
sie in seinen Besitz zu bringen. Von der Beherrscherin der vierfüssigen Waldtiere gelangt
er durch den Wolf zur Beherrscherin der Vögel, von dieser durch den Adler wieder zur
Beherrscherin der Fische und von dieser durch den Walfisch endlich in das Land der Jugend.
Das Lebenswasser sprudelt als herrliche Quelle in dem grossen Saal eines verzauberten
Schlosses, und gleich daneben steht auch der Apfelbaum mit den verjüngenden Früchten. Er
tritt gerade noch zur rechten Zeit aus dem Schloss, ehe alles erwacht; die schöne
Prinzessin hat er nur flüchtig gesehen. Nachdem er durch dieselben Tiere wieder den
Rückweg angetreten hat, trifft er mit seinen beiden Brüdern zusammen, die ihm aus Neid
und Missgunst die erbeuteten kostbaren Gaben mit gewöhnlichen vertauschen. Als er zu
Hause ankommt, erweisen sich daher das Wasser sowohl wie die Äpfel als kraftlos, der
König bleibt alt und grau wie er gewesen ist. Anders verhält es sich, als die beiden
älteren Brüder dem Vater das echte Wasser und die echten Äpfel darreichen, da geht
sogleich eine mächtige Veränderung mit ihm vor. Sein graues Haar wird blond, der Mund
füllt sich voll Zähne, alle Runzeln verschwinden, kurz, er steht vor ihnen wie ein
schöner Jüngling. Der Vater lässt hierauf den jüngsten Sohn wegen seiner Falschheit in
die Löwengrube werfen, während er sich gegen die beiden Älteren dankbar erweist. Durch
dankbare Tiere wird aber der Jüngste aus der Löwengrube gerettet und am Leben erhalten.
Nach einiger Frist wird durch die Prinzessin, die durch das Holen des Wunderwassers und
der Jugendäpfel entzaubert worden ist und nun ihren Gemahl sucht, das heimtückische
Gebaren der beiden älteren Brüder entlarvt, und der jüngste, der auf goldenem Weg zu
ihrem Schiff reitet, erhält ihre Hand.
In verschiedenen Märchen steht das Wasser des Lebens, wie schon oben erwähnt,
zugleich mit dem Wasser des Todes in Verbindung. Jemand erhält den Auftrag, beides zu
holen. Da stellt sich eine Mutter krank und befiehlt ihrem Sohn, nachdem sie ihn dreimal
sieben Jahre zu seiner Stärkung gesäugt hatte, später sich aber mit einem Drachen
verheiratet hat und nun den Sohn aus der Welt schaffen will, ihr zur Genesung das Wasser
des Lebens und des Todes zu holen. Der Sohn wendet sich an die heilige Nedelka. Diese gibt
ihm zwei Krüge und ihr Ross Tatoschik, das ihn zu zwei Bergen trägt, unter denen das
Wasser des Lebens und des Todes entspringt. Der rechte Berg, wo das Wasser des Lebens
sprudelt, öffnet sich mittags, der linke Berg dagegen, wo das Wasser des Todes steht,
öffnet sich mitternachts. Dem Sohn gelingt es, das Wasser aus beiden Bergen in seine
Krüge zu schöpfen, jedoch wären ihm bald, als der Berg, unter dem das Wasser des Todes
stand, krachend niederfiel, die Hände abgeschlagen worden. Die heilige Nedelka bewahrt
aber das vom Jüngling gebrachte Wasser und gibt ihm anstatt desselben zwei Krüge
gewöhnlichen Wassers. Schliesslich findet der Jüngling doch noch den Tod. Seine Mutter
windet nämlich eine Schnur um ihn, die ihm tief ins Fleisch schneidet und ihn wehrlos
macht. Der Drache schlägt darauf den Kopf ab und zerhaut seinen Leib in Stücke. Die
Mutter nimmt ihm das Herz heraus, bindet den Leib zusammen und hängt das Bündel
Tatoschik um, indem sie spricht: "Hast du ihn als Lebenden getragen, trag ihn auch
als Toten, wohin es dir beliebt." Das Pferd trägt ihn zu seiner Herrin Nedelka, die
sofort das Vorgefallene weiss. Sie fügt alsbald den Leib zusammen und wäscht ihn mit dem
Wasser des Lebens, der Jüngling gähnt, streckt sich und steht lebend und gesund auf.
"Ach, wie lange habe ich geschlafen!" sagt er. "Du hättest in Ewigkeit
geschlafen, wenn ich dich nicht aufgeweckt hätte!" antwortet ihm die Heilige. Ebenso
verfährt Nedelka mit dem später herbeigebrachten Herzen. Nachdem sie es mit dem Wasser
des Todes und des Lebens gewaschen hatte, befahl sie dem Vogel Pelikan, es dem Jüngling
an der rechten Stelle einzusetzen.
Hinsichtlich der Märchen, die neben dem Wasser des Lebens und dem Wasser des Todes
noch von einem Wasser der Schönheit berichten, ist besonders das Märchen bei Wolf
merkwürdig. Da springen in dem weit über dem Meer liegenden Berg Muntserrat, in den sich
der kranke König Karlequintes im Traum eingeschlossen sieht, vor einem stolzen Schloss
drei Brunnen: der Brunnen der Schönheit, der Brunnen des Lebens und der Brunnen des
Todes. Wenn nun jemand ihm das Wasser aus dem Brunnen des Lebens und des Todes hole, so
werde er wieder gesund werden. Nachdem die beiden ältesten Söhne sich vergeblich um das
Wasser bemüht haben und gar nicht zurückgekehrt sind, gelingt es dem Jüngsten, mit
Hilfe eines grauen Männchens den Weg nach dem Berg zu finden. Als er vor dem Berg steht,
tut sich derselbe mit einem Krach auf, als sollte die Welt untergehen, und vor seinen
Augen liegt das schönste Schloss, ganz von Gold bis zu den Ziegeln auf dem Dach und die
Fenster glänzen wie Diamanten. Vor dem Schloss sind auch die drei Brunnen; im Brunnen der
Schönheit wäscht er sich, wie ihm das graue Männchen geraten hatte, wodurch er noch
tausendmal schöner wird, als er schon ist, und aus dem Brunnen des Lebens sowie aus dem
Brunnen des Todes schöpft er je eine Flasche voll. Gern hätte er sich noch die
Herrlichkeiten im Innern des Schlosses besehen, vor allem wäre er gern der Prinzessin
näher getreten, die in einem Zimmer schlief, wenn ihn nicht eine innere Stimme gemahnt
hätte, wieder aufzubrechen. Auf der Rückreise zur See vertauschen seine Brüder, mit
denen er zusammentrifft, während er schläft, das Wasser des Lebens und der Schönheit
mit zwei Flaschen Seewasser, indem sie auf die Flasche mit dem Wasser des Todes schreiben:
Wasser des Lebens. Zu Hause angekommen, raunen die älteren Brüder dem kranken Vater
heimlich zu, sich vor dem jüngeren Bruder in acht zu nehmen, der ihn vergiften wolle. Als
daher dieser arglos das vertauschte Wasser bringt, fordert ihn der Vater auf, von ihm
zuvor dem Hund zu trinken zu geben. Kaum hat der Hund etwas davon getrunken, so stürzt er
tot nieder. Infolgedessen wird der jüngste Sohn sofort vom Hof verbannt. Hierauf
erscheint der älteste Sohn mit dem echten Lebenswasser, das sofort den kranken König
gesund macht; der zweite Sohn bringt darauf das Wasser der Schönheit, das auch seine
Wirkung tut und den König in einen blühenden Jüngling von 18 Jahren verwandelt. Nach
vielen Jahren kommt durch die Prinzessin von Muntserrat, die durch das Holen des Wassers
des Lebens, der Schönheit und des Todes von ihrem Zauber erlöst worden ist, der Betrug
der beiden älteren Brüder an das Tageslicht; sie werden vom Vater verstossen, während
der jüngste Bruder, der im Wald bei einem Förster als Jägerbursche dient, seinen Lohn
empfängt. Er heiratet die Prinzessin und erhält von seinem Vater Reich und Hof.
Quelle mit Anmerkungen: August Wünsche: Lebensbaum und Lebenswasser. In: Uno
Holmberg: Das Wasser des Lebens. Bern 1997, p. 168 ff.