Die
unglückliche Prinzessin 938A
Märchentyp AT: 938A
Grimm KHM:
Eine Königin und
ein König haben drei oder mehrere Töchter. Die Familie
ist aber nicht gesegnet und vom Schicksal verfolgt. Eines
Tages erscheint eine alte Frau und gibt der Königin den
Rat, eine der Töchter im Schlaf zu beobachten, denn eine
von ihnen trage ein schweres Schicksal, das die ganze
Familie trifft. Die Mutter befolgt den Rat und entdeckt,
dass die Jüngste das Unglück bewirkt. Diese verlässt
freiwillig den Hof und gelangt zu verschiedenen Leuten
(Seidenspinner, Glas- und Weinhändler etc.), wo sie
dreimal Herberge findet. In der Nacht erscheint jeweils
die Schicksalsfrau der Jüngsten und zerstört Hab und Gut
der Leute. Am Morgen wird die Prinzessin verdächtigt, so
dass diese den Schaden bezahlt, bis sie mittellos ist. Sie
findet eine Anstellung bei einer guten Königin, bei der
sie feines Garn spinnt. Die Königin erkennt das Schicksal
der Prinzessin und rät ihr, die Schicksalsfrau mit einem
Brot auf einem Berg aufzusuchen, wo sich auch andere
Schicksalsfrauen aufhalten. Die Prinzessin macht sich auf
den Weg und gelangt zu ihrer Schicksalsfrau, die sie aber
abweist und beschimpft. Das Mädchen bleibt jedoch
standhaft und erreicht, dass ihr von der alten Frau ein
anderes Schicksal zugeteilt wird. Die Prinzessin erhält
von ihr einen kostbaren Faden, mit dem sie zur Königin
zurückkehrt. In einem Königreich soll nun eine Hochzeit
stattfinden, doch dem Prinzen fehlt ein besonderer Faden.
Er entdeckt, dass nur die Prinzessin einen solchen Faden
besitzt und versucht, ihn zu erwerben. Die Prinzessin
verlangt, dass ihr der Faden mit Gold aufgewogen wird,
doch alles Gold vermag nicht, den Faden im Gewicht zu
erreichen. Schliesslich sitzt der Prinz selbst auf die
Waage, die nun dem Gewicht nachgibt. Da der Seidenfaden
soviel wiegt wie der Prinz, verlangt er die Prinzessin zur
Frau, die eine glückliche Hochzeit feiert.
Anmerkung
Das Märchen ist besonders in Griechenland, auf den
griechischen Inseln, auf Kreta, in Sizilien, in Portugal
und auch in Irland bekannt. Es scheint, als ob es sich um
ein ausgesprochen mediterranes Zaubermärchen handelt.
Nicht immer ist die Ausgangsfamilie eine königliche, dem
entsprechend ist auch das weitere Milieu. Die Einteilung
des Märchens in einen internationalen Märchentyp ist
bisher nicht glücklich gelöst. Der griechische Forscher
G. Megas möchte es unter eine Unglücksgeschichte AT 735
einteilen, während die Erzählung notgedrungen unter AT
938A (Unglück in der Jugend) kursiert. Die sehr schöne
Geschichte müsste jedoch einen eigenen Märchentyp
erhalten.
Zweifellos gehört das Zaubermärchen zu einer alten
Erzählschicht im Mittelmeergebiet, mit einem Schwerpunkt
im östlichen Teil. Die Schicksalsfrau und der Faden
erinnern an die römischen Parzen oder die griechischen
Moiren, die in einer Dreiheit und als weisse, rote und
schwarze Moiren auftreten können. Sie sind diejenigen,
die den Menschen den Schicksals- bzw. Lebensfaden
zuteilen. Manchmal wird die Schicksalsfrau auch
Sternenfrau genannt, die von der Prinzessin kein Brot
erhält, sondern die Alte wird von der jungen Frau
gewaschen und gekämmt, so dass diese ihr nun freundlich
gesinnt ist. Betrachten wir das Märchen genauer, so
fällt auf, dass die Haupthandlungen nur von weiblichen
Gestalten ausgeführt werden. Kulturgeschichtlich
berühren wir mit dieser Erzählung das weitverbreitete
Motiv der Mädchen-Initiation, die wiederum einen
mutterrechtlich-matriarchalen Kulturhintergrund besitzt.
Eine solche Gesellschaftsform ist in der Region am
Beispiel des minoischen Kreta erkennbar. Kreta ist heute
ebenfalls bekannt für seine kunstvollen Stickereien und
archaischen Bräuche.
Literatur
Brednich, R.W.: Volkserzählungen und
Volksglaube von den Schicksalsfrauen. Helsinki 1964.
Derungs, K.: Struktur des Zaubermärchens II.
Transformation und narrative Formen. Hildesheim, Zürich,
New York 1994.
Früh, S. u.a.: Der Kult der drei heiligen Frauen.
Märchen, Sagen und Brauch. Bern 1998.
Früh, S./Derungs, K.: Schwarze Madonna im
Märchen. Mythen und Märchen von der Schwarzen Frau. Bern
1998.
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros.
München 1993.
Ranke-Graves, R.v.: Griechische Mythologie. Reinbek 1987.
Märchen
>> The
child who came from an egg
>> Die
unglückliche Prinzessin
>> Die
Unglücksbringerin
Hinweise
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Die unglückliche Prinzessin.
Früh/Madonna
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