Die Tochter der
Sonne 898
Märchentyp AT: 898
Grimm KHM:
Um die Prophezeiung zu verhindern,
dass eine Prinzessin durch die Sonne empfängt, wird sie
in einen fensterlosen Turm gebracht. Trotzdem wird sie
schwanger und bekommt ein Mädchen, welches in einem
Garten ausgesetzt wird, wo es ein vorbeifahrender Prinz
findet, der das Mädchen mit sich nach Hause nimmt. Als
sie erwachsen ist, möchte sie der Prinz heiraten, sie ist
jedoch entweder stumm oder gibt eine seltsame Antwort auf
die Frage ihrer Herkunft. Der Prinz heiratet darauf drei
adlige Damen, die jedoch umkommen. Er wird nun krank, die
Heldin kümmert sich um ihn, erzählt ihm ihre besondere
Herkunft und willigt zur Heirat ein.
Die Einleitung wird auch so erzählt, dass ein kinderloses
Ehepaar sich nach einem Traum ein Mädchen aus Holz (Kalk)
macht oder gibt eine Puppe als Tochter aus. Ein Prinz
verlangt sie zur Frau, doch auf dem Weg zu ihm vertauscht
die Herrin des Meeres die Puppe mit ihrer eigenen
zauberkundigen Tochter. Diese bleibt jedoch stumm oder
verweigert sich ihm, da er ihre hohe Abkunft nicht
erkennt. Dann folgt die Episode mit den anderen Frauen.
Schliesslich hört er von Gegenständen, wie die erste
Frau angesprochen werden muss: Tochter der Sonne, Tochter
der Meeresgöttin. Als auch er sie so anspricht, beendet
sie ihre Stummheit und heiratet ihn.
Anmerkung
Am Anfang des Märchens wird das Motiv der
übernatürlichen Empfängnis berichtet, welche die Heldin
oder den Helden auszeichnet. Einer jungen Frau in einem
Turm begegnen wir auch in AT 310 Rapunzel, wo das Mädchen
ebenfalls von einer übernatürlichen Empfängnis
abstammt, nämlich vom Essen der Rapunzeln im Zaubergarten
der Weisen Frau. Zum Motiv der stummen Frau vergleiche AT
451 Die Schwester sucht ihre Brüder oder AT 710 Die
Schwarze Madonna. Durch die verschiedenen Fassungen des
Märchens wissen wir, woher die Heldin abstammt: Sie ist
die Tochter der Sonne (Sonnengöttin) oder Tochter der
Meeresgöttin. Diese bewirkten - ganz im Denken einer
matriarchalen Mythologie - die Empfängnis der Prinzessin.
Dass die junge Heldin zu ihrer Herkunft und Abstammung
schweigt, zeigt uns, dass die mutterrechtliche Genealogie
keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Erst als der Prinz
sie und ihre Abstammung anerkennt, ist die Tochter der
Meeresgöttin bereit, ihn zu heiraten.
Literatur
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr
Heros. München 1993.
Holmberg, U.: Das Wasser des Lebens. Göttinnen und
Wasserkult. Bern 1997.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens.
München 1987.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.
Uther, H.-J.: Jungfrau im Turm. In: EM 7, p. 791-797.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
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