Das ist eine
Lüge! 852
Märchentyp AT: 852
Grimm KHM: Der Dreschflegel vom Himmel 112
Ein König verspricht seine Tochter
demjenigen, der so gut lügen kann, dass der König ihn
einen Lügner heisst, bzw. ausspricht: "Das ist eine
Lüge!" Ein Mann kommt und erzählt eine
phantastische Lügengeschichte. Doch der König sagt nur,
das wäre nicht möglich. Die Geschichte endet damit, dass
der Mann einen königlichen Brief gefunden habe, in
welchem stehe, dass der König sein Knecht sei oder dass
die Eltern des Königs Schweinehirten gewesen seien.
Empört ruft nun der König: Das ist eine Lüge! Da muss
er dem Mann die Prinzessin geben.
Anmerkung
So lautet die älteste Aufzeichnung des Märchens in
einem auf deutschem Sprachgebiet
verfassten lateinischen Gedicht (Modus florum) aus dem 10.
Jahrhundert. Das Märchen ist tatsächlich nur eine
Rahmenerzählung für sogenannte Lügenmärchen, und oft
ist es die Prinzessin, die dazu gebracht werden soll zu
sagen: "Das ist eine Lüge!" Im übrigen gibt es
ähnliche Märchen mit anderer Belohnung als der Hand
einer Prinzessin, aber in der Regel gewinnt der Lügner
dadurch, dass er seinen Auftraggeber beleidigt.
Literatur
Röhrich, L.: Märchen und Wirklichkeit.
Wiesbaden 1974.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Eine Erzählung aus dem Münsterischen hat eine andere
Einkleidung. Der König lässt bekannt machen, wer am
besten zu lügen wisse, solle seine Tochter haben. Die
Hofleute versuchens nach der Reihe, machen's aber alle zu
fein und können keine tüchtige, ungewaschene Lüge
aufbringen. Da stellt sich ein armer Bauernjunge vor den
König und erzählt: "Herr König, in unserm Garten
stand einmal ein Kohlkopf, der wurde gross und immer
grösser und fing an in die Höhe zu schiessen, dass er
endlich bis an den Himmel rührte. Daran stieg ich hinauf,
um einmal in den Himmel zu sehen. Nun war eben das
Himmelstor offen, und ich sah eine solche Pracht und
Herrlichkeit, dass ich geradezu hineinspringen wollte,
aber es fuhr mir vor der Nase zu, und ich blieb in den
Wolken hangen. Ich liess mich zwar an einem Strick
herunter, aber der brach auf der Hälfte des Wegs, und ich
fiel herab und gerade in einen Kieselstein; doch besann
ich mich bald, lief heim, holte ein Beil und hieb mich
wieder los". - "Das heisst aufgeschnitten",
sagt der König, "das sind ja die gröbsten Lügen,
die ich mein Lebtag gehört habe." "Desto
besser", antwortete der Bauer, "so ist eure
Tochter mein". Dem König wurde angst, und er gab ihm
ein grosses Stück Geld, um ihn los zu werden. Das war dem
Bauer eben recht, denn er hatte schon gesehen, dass die
Königstochter trübe Augen hatte und gewaltig hässlich
war.
Statt der Hand der Prinzessin wird auch eine Geldsumme
als Preis auf die grösste Lüge gesetzt. - Ferner ist der
Preis Getreide oder Kuchen, ein Gespann Pferde, ein Hase,
Schiffe, Feuer, ein Haus oder Garten.
Meist nötigt in diesen Erzählungen nicht die reiche
Erfindungsgabe des Lügners den König oder den Wettenden
zur Anerkennung, sondern die Beleidigung seiner Ehre, mit
der jener schliesst und zum Widerspruch reizt.
Der Inhalt der Lügenerzählung ist uraltes Gut und
brauchte nur in einem andern Ton erzählt zu werden, um in
weitverbreitete Mythen einzugreifen. Das Aufsteigen zum
Himmel an einer Bohnenranke, einem Buchweizenhalm oder
einem über Nacht aufgesprossten Tannenbaum, tritt auf: im
englischen Märchen von Jack und dem Bohnenstengel.
Jack, der einzige Sohn einer armen Witwe, hört auf
nichts, was ihm seine Mutter sagt, ist darum sorglos,
ungezogen, aber nicht bösartig. Sie gibt ihm eine Kuh,
das letzte was sie hat, um sie zu verkaufen. Jack
vertauscht sie einem Metzger für ein paar bunte Bohnen.
Als er damit heimkommt, wirft sie die Mutter unwillig weg;
einige fallen in den Garten, und am folgenden Morgen sieht
Jack mit Erstaunen, dass sie aufgegangen und wunderbar
gewachsen sind. Die Stengel, ganz dick und ineinander
geflochten, bilden ein Leiter, deren Ende Jack nicht
ersehen kann und die bis in die Wolken zu reichen scheint.
Gegen seiner Mutter Willen steigt er hinauf und kommt nach
einigen Stunden ganz erschöpft zu der Spitze. Er findet
eine fremde Gegend ohne Baum, Strauch, Haus, auch keine
lebende Kreatur, bloss Stücke roher Steine liegen hier
und da. Er geht fort, begegnet endlich einer alten, armen
und zerlumpten Frau; sie ist aber eine Fee und erzählt
ihm von seinem Vater, von dem Jack noch nie etwas gehört
hat. Ein böser Riese hatte ihn aus Neid, weil er ein
guter Mann war, der seinen Reichtum mit Dürftigen teilte,
ums Leben gebracht und seine Schätze weggenommen. Jack
war noch ein Kind, ihm und der Mutter schenkte der Riese
nur unter der Bedingung das Leben, dass sie die Untat nie
jemand offenbare. Die Fee war es, die Jack angetrieben
hatte, die Bohnen einzuhandeln, und welche die Leiter
daraus hatte wachsen lassen. Der Riese, sagt sie ihm,
wohne in der Nähe, er solle seinen Vater an ihm rächen
und seine Schätze wiedernehmen. Jack macht sich auf, am
Abend kommt er an des Riesen Haus, die Frau steht vor der
Türe. Sie ist gutmütig und verbirgt ihn im Ofen vor dem
Menschenfresser. Der Riese kommt heim und wittert die
frische Speise, aber die Frau beruhigt ihn. Nach dem Essen
sagt er zu ihr: "Bring mir die Henne!" Sie
bringt eine Henne, die goldene Eier legt. Der Riese
vergnügt sich daran, bis er einschläft und schnarcht.
Jetzt kriecht Jack hervor, packt die Henne und eilt damit
fort. Er findet auch glücklich den Weg zum Bohnenstengel
und bringt den Schatz seiner Mutter, so dass sie jetzt
ohne Sorgen leben. Jack macht sich zum zweitenmal die
Bohnenleiter hinauf, doch so verkleidet, dass ihn die
Riesenfrau nicht erkennen kann; sie steht an der Türe und
versteckt ihn wieder. Es geht wie das vorige Mal, Jack
nimmt dem schnarchenden Riesen zwei Beutel weg, einen mit
Gold, den andern mit Silber. Zwar fängt ein Hündchen an
zu bellen, aber Jack beschwichtigt es mit einem Brocken
und kommt glücklich mit der Beute heim. Seine Mutter
findet er krank aus Kummer über seine Abwesenheit, doch
erholt sie sich bald wieder. Eine Zeitlang bleibt er bei
ihr, zuletzt kann er nicht widerstehen und steigt zum
drittenmal die Bohnenleiter hinauf. Der Riese lässt sich
nach dem Essen eine Harfe bringen, die von selbst spielt;
nachdem er eingeschlafen ist, kommt Jack hervor und nimmt
sie weg. Aber die Zauberharfe ruft: "Meister,
Meister, Meister!" Der Riese erwacht; noch trunken,
kann er anfangs sich nicht auf den Beinen halten, doch
taumelt er ihm endlich nach. Jack aber langt zuerst bei
der Bohnenleiter an und ruft oben schon nach einem Beil;
wie er unten ist, nimmt er es gleich und hackt die
Bohnenstengel entzwei, so dass der Riese, der eben daran
herabsteigt, sich tot fallen muss.
Variantenverzeichnis
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