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Das Rätsel des Freiers 851

Märchentyp AT: 851; cf. 516, 517, 518, 571, 572, 573, 574, 621, 851A, 853
Grimm KHM: Das Rätsel 22


Eine Prinzessin soll sich mit demjenigen verheiraten, der ihr ein unlösbares Rätsel aufgeben kann. Kann sie es jedoch lösen, verliert er sein Leben durch Köpfen. Schon viele haben die Brautaufgabe zu meistern versucht, doch zahlreiche Köpfe stecken schon auf dem Pfahl im Hof. Da erscheint eines Tages ein Jüngling, ein Wanderbursche oder fahrender Ritter und gibt ihr ein Rätsel auf, das sie nicht lösen kann. Sie versucht, ihm die Antwort mit Hilfe ihrer Dienerin zu entlocken, doch er durchschaut die List und schickt die Mädchen weg. Zuletzt schleicht sie sich selbst in nächtlicher Stunde zu ihm. Sie schläft bei ihm, und er gibt ihr die Auflösung preis. Am anderen Tag verkündet sie die Auflösung des Rätsels und verlangt den Tod des Freiers. Aber dieser zeigt ein Stück ihres Nachthemdes vor, das bezeugt, dass die Prinzessin bei ihm war und die Lösung erfahren hat. Dadurch erhält er sie zur Frau.


Anmerkung

Schon im Roman Apollonius von Tyrus aus dem 3. Jahrhundert n.u.Z. wird eine Prinzessin dem Mann versprochen, der bestimmte Rätsel lösen kann. Das gleiche Motiv gibt es in Persien bei Nizami im 12. Jahrhundert und in Turando(k)t (= Turans Tochter) in Tausendundein Tag, 1675 aus dem Persischen übersetzt; aber dort obliegt es wie in dem hier behandelten Märchen dem weiblichen Teil, die Aufgabe zu lösen. Diese Aufgabe beschränkt sich jedoch darauf, den Namen des Helden zu erraten. In einem anderen persischen Märchen geht jedoch das Erraten des Namens in das Lösen eines Rätsels über, und die Dienerinnen und die Heldin spielen am Ende der Erzählung die gleiche Rolle wie in unserem Märchen. Ähnliche Tendenzen findet man übrigens auch im Märchen von Turandot. Wir haben literarische und auch volkstümliche Märchen, in denen es die Prinzessin ist, die das Rätsel lösen soll, und nicht der Freier. Sie ist es, die Rätselbücher und Gelehrsamkeit besitzt.

Wenn der Rahmen der Erzählung auch oft der oben skizzierte ist, so wechseln die Rätsel doch wie die Bilder eines Kaleidoskops. Solche Abwechslungen sind auf dem Gebiet der Schwänke eine gewöhnliche Erscheinung. Die Rätsel sind oft sehr seltsam, einige scheinen ihre Wurzel in den im Orient häufigen Scharfsinnsproben zu haben. In den südosteuropäischen Varianten erkennen wir Rätsel, die sonst besonders arabischen Rätselsammlungen angehören. Man fragt dort gerne wie mitunter auch in unserem Märchen nach Wasser, das nicht vom Himmel oder von der Erde kommt (Schweiss), oder man nennt sein Reitpferd Vater oder Mutter, wenn man sich auf deren Kosten das Geld beschafft hat, es zu kaufen.

Das grösste Interesse wandte sich jedoch der weitverbreiteten Frage zu: "Was ist das: Eins tötet eins, eins tötet drei und drei töten zwölf?" In der nordöstlichen Hälfte Europas ist sie so gut wie alleinstehend. Die Frage wurde auch in einer gewissen Weise dramatisiert, so dass es den Anschein hat, als habe der Rätselsteller das Abenteuer, das dem Rätsel zugrunde liegt, selbst erlebt. Sein Pferd, heisst es, wurde von einer gewissen Person vergiftet, worauf drei Raben vom Pferd frassen und auch vergiftet wurden. Der Rätselsteller behauptet dann, zwölf Räubern in die Hände gefallen zu sein, die die Raben zubereiteten, davon assen und starben. Dieses Abenteuer ist es, das die Prinzessin herausfinden soll.


Literatur

Cerha, F.: Der Turandotstoff in der deutschen Literatur. Wien 1950.
Hentze, C.: Religiöse und mythische Hintergründe zu Turandot. In: Antaios 1, 1959, p. 21-41.
Lüthi, M.: Es war einmal. Göttingen 1968.
Vries, J. de: Das Märchen von klugen Rätsellösern. Helsinki 1928.
Wesselski, A.: Der Knabenkönig und das kluge Mädchen. Prag 1929.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Eine Zwehrner Fassung beginnt damit, dass eine stolze Königstochter ein Gebot ausgehen liess, wer ihr ein Rätsel brächte, das sie raten könnte, der hätte dafür sein Leben verloren (1); wenn sie es aber nicht erriete, so wollte sie auch seine Gemahlin werden. Ein Kaufmannssohn hört davon und will mit seinem klugen Diener hinreisen. Darüber fallen Vater und Mutter in grosse Trauer, und weil sie gewiss glauben, ihr liebes Kind müsse dort umkommen, sprechen sie: "Es ist besser, dass er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde", tröpfeln Gift in den Abschiedswein und reichen ihm das Glas auf das Pferd; er aber gibt dem Pferde die Sporen, dass der Wein verschüttet und dem Pferde davon ins Ohr spritzt. Nach einer Weile fällt das Pferd um, der Herr setzt sich auf das Pferd des Dieners. Nun sieht der Diener, wie Raben von dem vergifteten Pferde fressen und bald tot umfallen. Er nimmt drei tote Raben, lässt sie im Wirtshausse klein hacken und drei Brote daraus backen; als am andern Morgen im Walde Spitzbuben sie anhalten, gibt er ihnen die Brote; sie essen davon und fallen alle tot nieder. Nun kommen sie in die Stadt, und der junge Kaufmann tritt vor die Königstochter und gibt ihr das Rätsel auf: "Auf einen Schlag eins, auf zwei Schlag drei, und auf drei Schlag zwölf: wie ist das zu lösen?" Die Königstochter kann es nicht herausbringen und sendet in den nächsten beiden Nächten zwei Mägde in das Schlafgemach des Freiers, um ihn zu belauschen, der Diener aber jagt sie mit Ruten weg und nimmt ihnen ihre Kleider. In der dritten Nacht kommt die Königstochter selber und meint, er werde ihr im Traum antworten; er ist aber wach, sagt die Lösung und hält, da sie gehen will, ihr nebelgraues Kleid fest, das er am Morgen als Wahrzeichen vorlegt.

(1) Dass auf das Misslingen der Aufgabe Todesstrafe gesetzt wird, kommt ebenso in den zertanzten Schuhen KHM 133 und in den sechs Dienern KHM 134 vor.

Mit dieser Fassung ist in den späteren Grimm-Ausgaben eine andre Erzählung verbunden, die in den Anmerkungen von 1822 (3, 41) ohne Angabe der Herkunft angeführt wird; die 3. Auflage der Anmerkungen (1856) vergisst jedoch, auf diese Abänderung hinzuweisen. Ein Königssohn erblickt ein Mädchen, dessen Schönheit ihn so reizt, dass er ihm nachgeht und in das Haus einer Hexe gerät, deren Tochter es war. Das Mädchen selbst ist gut gesinnt und warnt ihn vor den Zauber- und Gifttränken seiner Mutter. Er reitet fort, aber sie eilt ihm nach und will ihm einen Trank bringen. Da sie ihn nicht erreichen kann, gibt sie das Glas seinem Diener, der soll es ihm geben; aber das Glas springt, und das Pferd, auch von dem Gift bespritzt (vgl. Grimm, Deutsche Sagen 2 Nr. 547 "Das Oldenburger Horn"), fällt tot nieder. Der Diener läuft dem Herren nach und erzählt ihm, was geschehen ist; sie gehen zurück, um den Sattel zu holen, das sitzt ein Rabe auf dem Pferd und frisst davon. Der Königssohn tötet ihn, und sie nehmen ihn mit; und als sie ins Wirtshaus kommen, geben sie ihn dem Wirt, der soll ihn braten. Sie sind aber in eine Mördergrube geraten und werden eingeschlossen. Nachts kammen die Mörder, um den Fremden das Leben zu nehmen, essen aber zuvor den Raben, der für jene gebraten war, und sterben alle davon. Nun geht die Tochter des Wirts, die es redlich meint, öffnet den Fremden die Türe und zeigt ihnen das viele Gold und die Schätze. Der Königssohn sagt, das solle sie zum Lohn behalten, reitet mit seinem Diener weiter und kommt in die Stadt, wo die Königstochter die Rätsel löst. Er legt ihr nun vor: "Einer schlug keinen und schlug doch zwölf". Das übrige stimmt mit der Zwehrner Fassung überein.

Aus Tirol "Die drei Raben" (der Diener des Prinzen Ratgeb probiert den von der Königin mitgegebenen Trunk zuerst an den Pferden. "Eins tötet drei, drei töten zwölf". Angehängt das Märchen von Drosselbart, KHM 52). - Aus Österreich "Eins schlägt zwölf, zwölf schlagen neunundvierzig" (der Prinz schüttet den vom Vater erhaltenen Becher auf den Kopf des Pferdes). - Aus Pommern "Eins schlug eins". "Hans und sein Herr" (Ein schlug ein, und ein schlug drei, und drei schlugen vierundzwanzig). - Aus Mecklenburg "Eins schlug drei" (9 Fassungen. "Eins schlug eins, eins schlug zwei, zwei schlug sieben, und davon sind wir beide geblieben" u.ä.). Vlämisch "Van den eenigen zoon" (Een doodt er vier, vier doodt er twaalf. Der Vater, der dem Sohn den Giftbecher reicht, hat früher seine Frau umgebracht, deren Geist den Sohn warnt).

Dänisch "Engelens Folgeskab"; hier rettet der verkappte Engel den Jüngling aus allen Nöten, kocht ihm Speise in der einsamen Kirche mit Gesangbüchern, fährt im Kanzeldeckel mit ihm übers Wasser zum Schlosse und legt der Prinzessin das Rätsel vor: "Horn tötete das Pferd, das Pferd tötete zwölf Krähen, und zwölf Krähen zwölf Räuber, dadurch wurden zwei Unschuldige gerettet, die bereiteten ihr Essen mit Gottes Wort und brachen den Himmel ab und fuhren darin übers Wasser". - Im isländischen Märchen bei Rittershaus S. 82 Nr. 21 "Ganti á Hólnum" werden Haraldur und sein Pflegebruder von einem Pferdeknecht beraten. Vergifteter Apfel, elf Wölfe, elf Drachen, drei Riesen. - In der gälischen Fassung "Ridere of riddles" warnt der rechte Sohn den Helden, den die Stiefmutter vergiften will, und reitet mit ihm fort; aus den vergifteten zwölf Raben werden zwölf Pasteten gemacht: "Einer tötete zwei, zwei töteten zwölf, zwölf töteten vierundzwanzig, und zwei kamen davon." - In der bretonischen "Petit-Jean et la princesse devineresse" ersinnt der verabschiedete Soldat, der den Junker zur Brautfahrt bewogen hat, das Rätsel: "Quandn ous partîmes de la maison, nous étions quatre; de quatre il est mort deux; de deux il est mort quatre; de quatre nous avons fait huit; de huit il est mort seize, et nous sommes encore venus quatre vous voir". Zuletzt muss der Junker einen Sack mit Wahrheiten füllen und beschämt dabei die beiden Mägde und die Prinzessin. Ähnlich "Historie d’une devinette": "Ma mère m’a fait un gâteau; j’en ai donné à Paul; Paul en a crevé; Paul en a fait crever sept; avec mon arbalète j’ai tue ce que je ne voyais pas; j’ai mange de la chair qui n’était pa digne, et qui était cuite avec des paroles saintes".

In den italienischen Fassungen fehlt der Diener, statt des Pferdes erscheint oft ein Hund oder Esel, und das Rätsel ist durch andre Erlebnisse des Helden vermehrt; er beobachtet etwa, wie der Wasserfall einen Felsen ausgehöhlt hat, er schläft, auf der Brücke zwischen Himmel und Erde ein, er schiesst nach einem Vogel und trifft dafür eine trächtige Häsin, deren Junge er an einem Feuer aus Büchern brät. Aus Basilicata "Vom Hündlein Fortuna" lautet das Rätsel:

Die Mutter hatt‘ auf mein Ende gedacht,
Das hat Fortuna den Tod gebracht.
Wegen Fortuna starben vier,
Wegen der vier blieben sechse mir.
Schoss, was ich sah, und traf versteckt,
Was ich mit Augen nicht entdeckt.
Geschaffnes Fleisch, noch nicht geboren,
Hab ich zum Mahle mir erkoren;
Da ich kein andres Feuer vermocht,
Hab mit gedrucktem Wort ich’s gekocht.
Dann schlief zwischen Himmel und Erd ich ein.
Nun rate das, o Königin mein!

Der Sieger im Rätselkampf "Soldatino" wird ins Gefängnis gesteckt und hilft sicht mit einem Wunschtuch, Geldbeutel und Tanzpfeife. Die Prinzessin soll eine Nacht mit ihm zubringen, ihm aber nichts als Nein antworten. - Aus Mantua "L’indovinello del contadino": "Der Kuchen tötet den Hund, der Hund tötete drei [Vögel], drei töteten vier [Räuber]; ich schoss, den ich sah, und tötete, den ich nicht sah, ass erschaffenes, ungeborenes Fleisch, mit Worten gebraten; gut ist der Baum [auf dem der Vogel sass], aber besser die Wurzel [das Geld der Räuber]. - Aus St. Stefano "L’indovinello e gli animali riconoscenti" (vergiftetes Brot, Esel, drei Raben. Angehängt die dankbaren Tiere, KHM 62). - Aus Corsica "La bête à sept têtes": der dritte Bruder gibt dem Könige das Rätsel auf und tötet einen Drachen (Ich hatte zwei Kuchen, die töteten Bertu und töteten sieben, die töteten hundert). - Aus Malta "Der einfältige Bursche und die drei Rätsel" (Kika starb und mit ihr noch mehrere. - Geschossen hab ich auf den Erblickten, getrofen hab ich den Verborgenen, gegessen hab ich das Fleisch der Ungeborenen, aus keiner Eischale schlüpften die Gefundenen. - Der Tote befördert die Lebendigen). - Aus Mallorca "Der einäugige Peter".

Griechisch: "Der Kuchen frass die Schöne [Hündin]; die arme getötete Schöne frass drei Schwarze [Raben]; ich bekam geborenes und nicht geborenes Fleisch; ich briet es mit Buchstaben und trank Wasser weder vom Himmel noch von der Erde [aus der heiligen Lampe der Kapelle]". Polnisch, Kolberg: Das Gift das der Prinz sich für alle Fälle von der Mutter erbeten hat, fällt ihm im Schlafe aufs Gras; das Pferd frisst davon, dann drei Raben und zwölf Räuber. Nicht er gibt das Rätsel auf, sondern die Prinzessin: Einer macht drei, und drei machen zu drei, wenn wir die ersten drei hinzufügen; wer das errät, wird mir süsser sein als Honig.

Grossrussisch "The blind man and the cripple"; hier findet der Diener des Prinzen unterwegs einen Beutel mit Geld, tut dies in seine Börse, und der Prinz gibt der Schönen das Rätsel auf: "Wir fuhren des Weges, erblickten am Wege ein Gut liegen, nahmen das Gut mit dem Gut und legten es in unser Gut". Aus Archangelsk, wo der Soldat das Rätsel vom vergifteten Pferd, den Raben und Räubern dem basurmanischen Kaiser aufgibt, der den rechtgläubigen Zaren zum Rätselkampf herausgefordert hatte. Aus Orenburg, wo der Kaufmann es dem Weibe aufgibt, bei dem er früher übernachtet und das den Mordanschlag auf ihn gemacht hatte. Aus Archangelsk: Ich setze mich auf den Vater, ritt auf der Mutter, trieb an mit der Schwester" [diese hatten Ross, Sattel und Peitsche gegeben]. "Ich wusch mich weder mit Tau noch mit Wasser [Pferdeschweiss], ich trocknete mich ab weder mit Seide noch mit Linnen" [Mähne]. "Ich briet die Gans nicht auf der Erde noch am Wasser [in einer Grube] und ass sie oberhalb des Waldes" [auf einem Baumwipfel]). Aus Olonetz: Ich verjagte das Gute aus dem Guten mit dem Guten" [Stier, Korn, Kornbüschel]. "Ich hob das Böse aus dem Bösen mit dem Bösen" [Schlange, Feuer, Säbel]. "Wir übernachteten im Freien, wuschen uns nicht mit Wasser, wischten uns ab nicht mit Linnen".

Kleinrussisch: ein heimkehrender Soldat schüttet den Branntwein, den ihm seine Frau reicht, auf sein Pferd; das verendet alsbald, ebenso zwei Raben, aus denen sechs Kuchen gemacht werden, und zwölf Räuber. Das Rätsel gibt der soldat dem Kaiser auf, der auf das Nichtlösen der Rätsel die Enthauptung gesetzt hat; er köpft den Kaiser und heiratet die Kaiserin. Weissrussisch: um den Dummling loszuwerden, schicken die Nachbarn ihn zu der rätselratenden Zauberin und geben ihm ein vergiftetes Brot mit, das aber nur seinem Pferde, zwei Raben und zwölf Räubern den Tod bringt. Ungarisch "Die zauberkundige Prinzessin" (Von einem Tropfen starb einer, von einem zwei, von zweien zwölf).

Unheimlicher und schauerlicher klingt das Rätsel aus Mecklenburg: "Ungeburen sitt up Ungeburen un drecht sein Mudder uppe Hand" oder "Ich ungeboren, mein Pferd ungeboren, meine Mutter trag ich auf Händen und Lenden" oder "Ungeboren bin ich, auf Ungeboren reit ich und trage meine Hände in meiner Mutter Brüsten". Italienisch:

Nato non sono io
Neppure il cavallo mio,
In man porto mia madre,
Son figlio della figlia del mio padre.

Aus Mentone "L’énigme": "Je ne sui pas né, ni mon cheval non plus; je suis fils de la fille de mon père, et je porte les mains de ma mère." Als Erklärung dazu erzählt Comparetti, dass ein Witwer eine sündige Liebe zu seiner heranwachsenden Tochter fasste, sie schwängerte und dann aus Furcht vor der Schande töten liess. Der aus dem Leibe der Toten geschnittene Knabe erfuhr von seinem Lehrer das Geheimnis seiner Geburt, suchte im Grabgewölbe die Leiche seiner Mutter auf und schnitt sich aus deren Haut ein paar Handschuhe zurecht. Mit einem Füllen, das gleich ihm aus dem Leibe der Stute geschnitten war, zog er zu einer Königstochter, die alle Rätsel ihrer Freier erriet, und gab ihr das oben angeführte Rätsel auf. Da sie die Lösung nicht fand, schlich sie nachts in Männerkleidung zu ihm, machte ihn trunken und entlockte ihm das Geheimnis. Am andern Morgen offenbarte sie den Sinn des Rätsels und wollte den Freier zum Tode führen lassen, da zeigte dieser das Hemd vor, das die Prinzessin mit dem seinigen vertauscht hatte, und wurde ihr Gemahl.

Griechisch "Les deux énigmes"; hier wird die Prinzessin durch dieselbe Aufgabe genötigt, ihr eignes Rätsel vom ermordeten Geliebten zu erklären. Kleinrussisch: der sündige Vater schneidet seiner Tochter den mit ihr erzeugten Sohn aus dem Leibe und begräbt sie neben seiner Frau; das Rätsel lautet: "Der nicht Geborene ist angekommen auf dem nicht Geborenen, und seine Mutter hat er auf den Händen gebracht." Der Jüngling löst mit Hilfe dankbarer Tiere die Aufgaben der Königstochter.

Bei Kolberg schneidet der aus dem Inzest von Vater und Tochter hervorgegangene Bursch seiner Mutter auf deren Geheiss die Haut der Brust ab, um sich Handschuhe daraus machen zu lassen, und nimmt das Fohlen aus dem Leibe der Stute, damit er alles wisse, was in der Welt vorgeht. Sein erstes Rätsel lautet: "Es reitet der nicht Lebende auf dem nicht Lebenden und trägt seine Mutter auf den Händen"; sein zweites spielt auf die den Mägden und der Prinzessin weggenommenen Kleider an: "Ich war gestern auf der Jagd, erschlug drei Rehe, zog ihnen die Haut ab, da entliefen sie mir; dem vierten hab ich den Schweif abgezogen."

In dem griechischen Märchen "La fille qui allaite son père" dagegen und in einem spanischen Rätsel handelt es sich nur um ein ausgeschnittenes Pferd und das Fell der Mutterstute. Nur der Schluss des Märchens, wo der Held der Prinzessin oder ihren Dienerinnen, die nachts sein Geheimnis stehlen wollen, ihr Hemd wegnimmt, um es am andern Tage öffentlich zu zeigen, erscheint bei den Albanesen "Le Joueur de violon" und Russen "Der Schuster und sein Diener Prituitschkin".

In einer Erzählung türkischer Zigeuner erhält ein Verschwender, der seine Eltern verkauft hat, vom Könige einen Uriasbrief, den er aber am Brunnen liest; er gibt darauf der Prinzessin das Rätsel auf: "Meine Mutter trag ich, meinen Vater ritt ich, aus meinem Tode trank ich Wasser." Das stimmt zu dem arabischen Volksrätsel: "Wer war der, welcher auf seiner Mutter (dem Pferde, das er durch Verkauf seiner Mutter erhielt) ritt und sich mit seinem Vater bewaffnete, der Wasser trank, aber weder von der Erde noch vom Himmel (Herr seines Pferdes) und der den Tod (Uriasbrief) auf seiner Schulter trug?" Eine syrische Fassung beginnt ähnlich dem Ruodlieb mit drei Ratschlägen des Vaters; der unschuldig verleumdete Jüngling sendet seinen Gefährten mit dem Uriasbrief zum Statthalter, isst das ungeborne Junge der erlegten Gazelle und trinkt den seinem Pferde abgewischten Schweiss; sein Rätsel lautet: "Wer ass lebendes Fleisch aus totem Leibe und trank Wasser weder von der Erde noch vom Himmel, während er den Tod auf dem Kopfe trug?"

Aramäisch: "Geschichte der Kahramâneh und des jungen Prinzen" (Eltern verkauft, Uriasbrief, Schweiss des Rosses getrunken, 22 Fragen der Prinzessin).

In einem merkwürdeigen armenisch-persischen Märchen gibt der Freier nicht selber ein Rätsel auf, sondern hat die Frage der persischen Königstochter zu beantworten: "Was hat Senoba dem Gül und was Gül der Senoba getan". Diese Frage bezieht sich, ebenso wie das Rätsel des blutschänderischen Königs Antiochus in der Geschichte des Apollonius von Tyrus und wie die dritte Frage der Prinzessin in Andersens Märchen vom Reisekameraden (KHM 133), auf die geheime Buhlerei der Prinzessin, die in einem unterirdischen Gemache einen hässlichen Zauberer verborgen hält und ihm schon zwei Kinder geboren hat. Mit Lebensgefahr erkundet der Jüngling vom Gül, einem Knechte Salomons, wie derselbe Zauberer mit seinen Genossen sein Weib Senoba zur Untreue verführt hat; er offenbart dem Könige die Schande seiner Tochter, und diese wird nebst ihren Kindern getötet, während der Zauberer entrinnt. - Eine rätselaufgebende Königstochter, die ein kluger Freier durch richtige Lösungen gewinnt, erscheint bereits in Nisamis Dichtung "Sieben Schönheiten" aus dem 12. Jahrhundert und in der berühmten persischen Geschichte von Kalaf und Turandokt, die vvon Pétis de la Croix 1710 in seinen Mille et un jours veröffentlicht und durch Gozzi (1762) und Schiller (1802) auf der Bühne gebracht wurde. Doch will Kalaf, nachdem er die Rätsel der Prinzessin auf die Sonne, das Meer und das Jahr gedeutet, auf sein Recht an sie verzichten, wenn sie die Frage beantworte: "Wie heisst der Prinz, der nachdem er tausend Mühseligkeiten erduldet und sein Brot erbettelt hat, sich jetzt auf dem Gipfel des Ruhmes und er Freude befindet?" (Über das Motiv des Namen-erratens vgl. KHM 55; Gedanken-erraten zu KHM 133). - In einer andern persischen Erzählung vom jungen Perser und der griechischen Prinzessin stellt der Held an die Kaisertochter eine auf sich und seine Eltern bezügliche Frage. (Wie im Arabischen: "Was ist das für ein Mensch, dessen Mutter eine Stute und dessen Vater ein Panzer ist" usw.) Während aber Turandokts Dienerin Kalaf seinen Namen zu entlocken weiss, müssen hier zwei Mägde und die Prinzessin Schmuck und Kleider wie in den europäsichen Fassungen zurücklassen; und als der Perser andern Tags das Rätsel aufgibt: "Drei Täubchen kamen einmal zu einem Täuberich", erklärt sich die Schöne für besiegt.

In einer malaiischen Erzählung "Les énigmes de Boulaq" löst der Freier mit Hilfe eines klugen Papageis die Rätsel der Prinzessin. Aus Brasilien "O matuto João": Brot, Hund, Geier, Räuber; kein Diener, kein Versuch, die Lösung durch List zu erfahren.

Die Gewinnung einer Braut durch Rätsellösung kommt schon in der lateinischen Geschichte des Apollonius von Tyrus vor. Den Freiern seiner Tochter gibt König Antiochus ein rätsel auf,d as sein blutschänderiches Verhältnis zu ihr verhüllt bezeichnet: "Scelere vehor, maternam carnem vescor, quaero fratrem meum, meae matris filium, uxoris meae virum, nec invenio". Durch Rätselfragen hält in der Edda (Alvíssmól) Thor den weisen Zwerg, der seine Tochter zur Gattin begehrt, bis zum Sonnenaufgang hin, dessen Glanz ihn in Stein verwandelt. In den Gesta Romanorum c. 70 stellt dagegen die Königstochter selber drei Fragen, die uns beim Hirtenbüblein (KHM 152) wieder begegnen werden. Ebenos sucht sich in den schottischen Balladen von Hauptmann Wedderburns Werbung und vom stolzen Fräulein Margaret die Schöne durch Rätsel des Freiers zu erwehren; umgekehrt erprobt in deutschen und englischen Liedern der Freier den Scharfsinn des Märchens.

Endlich ist unser Märchen auch zu einem derb schwankhaften Redekampfe geworden, in welchem der bäurische Dummling die Prinzessin überwindet. In einem mhd. Gedicht von Heinz dem Kellner lässt die Königstochter den feinen Junker enthaupten, weil er sie nicht "drîer dinge überreden" kann; der Tölpel Konni aber redet sie an: "Frau, wie ist Euch der Mund so rot!" Sie antwortet: "Es ist Feuer darin". Er zieht ein mitgebrachtes Ei hervor: "So siedet mir dies Ei!" Sie entgegnet: "Narr, stoss es dir in den Hintern!" Da zeigt er einen unterwegs aufgehobenen Eggenzahn vor: "Das passt besser dazu". Und noch gröber lautet die dritte Rede und Gegenrede.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Das Rätsel. Grimm/KHM 22
Geschichte des Khanssohnes Kalaf und der Prinzessin Turandot. 1001 Tag/Arabien


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