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Der Bruder heiratet die Schwester 722*

Märchentyp AT: 722*; cf. 327A, 313E*, 510A, 510B
Grimm KHM: Allerleirauh 65


Eine Zauberin schenkt einer alten Fürstin einen reichmachenden Ring für den Sohn. Daran ist jedoch eine Bedingung geknüpft: Der Sohn darf nur diejenige heiraten, welcher der Ring genau passt. Die alte Fürstin stirbt, und er findet nur ein einziges Mädchen, dem der Ring wie angegossen sitzt - seine Schwester. Bruder und Schwester heiraten, als aber die junge Frau in die Schlafkammer gerufen wird, öffnet sich die Erde und die Schwester versinkt. Auf dem Weg unter der Erde gelangt sie an ein seltsames Haus - es ist das Haus der Baba Jaga. Dort trifft sie ein schönes, ihr gleichendes Mädchen beim Sticken. Die beiden Mädchen entfliehen durch eine magische Flucht (Zauberbürste, Zauberkamm und Zaubertuch) von dem Haus der dämonischen Baba Jaga, die bei der Verfolgung der Mädchen umkommt. Die Zwillingsschwestern gelangen in das Land des Bruders, der die Zwillingsschwester seiner Schwester heiratet, denn der Baba-Jaga-Tochter passt der Ring ebenso gut wie der eigenen Schwester, die einen anderen heiratet.


Anmerkung

 


Literatur

Brewster, P.G.: The Incest Theme in Folksong. Helsinki 1972.
Derungs, K.: Amalia oder Der Vogel der Wahrheit. Mythen und Märchen aus Rätien im Kulturvergleich. Chur 1994.
Göttner-Abendroth, H.: Für die Musen. Frankfurt 1989.

Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros. München 1993.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Allerleirauh:

Von dem verwandten "Aschenputtel" (KHM 21) unterscheidet sich unser Märchen durch den Eingang wie durch die Art, in der die Heldin entdeckt wird. Eine paderbörnische Erzählung weicht in einigen Stücken ab. Das Mädchen tut den Mantel von allerlei Rauhwerk, in das auch Moos und, was man noch sonst im Wald findet, eingenäht worden, über die drei glänzenden Kleider und entflieht in den Wald. Dort steigt es aus Furcht vor den wilden Tieren auf einen hohen Baum und schläft, auf den Ästen ruhend, ein. Morgens kommen Holzhacker, Holz für des Königs Hof zu holen, die hacken den Baum um, auf welchem Allerleirauh noch immer fort schläft; doch fällt er langsam, so dass es keinen Schaden nimmt. Es erwacht ganz erschrocken; als es aber sieht, dass es bei guten Leuten ist, bittet es, sie möchten es mitnehmen. "Ja", sagen sie, "setz dich da auf den Holzwagen, du Rauhtierchen!" Sie fahren an des Königs Hof, und es dient in der Küche. Als es die Suppe so gut gekocht hat, lässt es der König rufen und spricht: "Du bist ja ein schönes Kind; komm, setz dich auf meinen Sessel!" Da legt er ihm seinen Kopf in den Schoss und spricht: "Laus mich ein wenig!" Das tut es und muss es von nun an jeden Mittag tun. Einmal sieht er dabei durch den Ärmel das glänzende Sternenkleid durchblinken und reisst ihm den Mantel ab, sie steht nun da als die schönste Königstochter von der Welt. - Nach einer Erzählung aus dem Paderbörnischen stellt sich Allerleirauh stumm. Der König schlägt sie einmal mit der Peitsche; da bekommt der Rauhmantel einen Ritz, durch den das Goldkleid schimmert. Der König reisst ihn grösser, und so wird sie entdeckt. Auch folgt in beiden Erzählungen die Strafe des Vaters. Er muss sich selbst das Urteil sprechen, dass er nicht länger verdiene König zu sein.

Eine Erzählung leitet anders ein. Allerleirauh wird von einer Stiefmutter vertrieben, weil ein fremder Königssohn nicht ihrer rechten Tochter, sondern jener einen Treuring geschenkt hat. Allerleirauh kommt hernach an ihres Geliebten Hof, tut gemeine Arbeit und putzt ihm die Schuhe, wird aber entdeckt, indem sie den Treuring unter das Weissbrot legt. - Aus Niederösterreich: "Besenwurf, Bürstenwurf, Kammwurf"; Adelheid flüchtet vor dem Vater, der sie zur Frau begehrt, und dient als Magd dem Fürsten, der im Zorn Besen, Bürste und Kamm nach ihr wirft; beim Tanz nennt sie sich Adelheid aus Besenwurf; er entdeckt sie, als er seinen Ring, den er ihr angesteckt, in der Brühe findet. - Aus Mecklenburg: beim Krauen sieht der Prinz das Demantkleid durch den Krähenpelz schimmern. - Aus Ostpreussen: "Die Prinzessin mit den schönen Kleidern"; wirft einen Ring, goldene Weefe und Wocken in die Suppe des Königs.

In andern Fassungen ist de Eingang von dem unnatürlichen Gelüsten des Vaters fortgefallen, so in dem Märchen "Die Nymphe des Brunnens", wo Mathilde nach der Zerstörung des väterlichen Schlosses flüchtet; sie hat von ihrer Patin, einer Nixe, ein Wunschbüchschen erhalten und entfernt sich aus dem Tanzsaal mit dem Sprüchlein:

"Hinter mir Nacht und vor mit Tag,
Dass mich niemand sehen mag."

Aus Pommern: "Rauhtierchen"; das blinde Mädchen wird von den Eltern einer Hexe geschenkt, die es sehend macht, erzieht und mit einem Wunschbeutel, schönen Kleidern und einer Zaubergabel beschenkt. Im Wald wird es vom König gefunden und als Köchin angenommen. Aus Holstein: "Ruchklas"; ein alter Mann spendet Kleider, liest die Erbsen aus der Asche und schickt die Heldin im Rauhpelz in die königliche Küche. - Dänisch: sie klagt am Grab der Eltern, dass sie eine widerwärtige Heirat schliessen soll, erhält ein Zauberstäbchen und geht in die Fremde; dem liebeskranken Prinzen enthüllt sie sich freiwillig. "Pulleru"; sie begehrt vom Vater ein Federkleid und fliegt davon. "Tahier-tahaer"; Prinz fliegt in ihr Fenster und verwundet sich. - Schwedisch: "Pelsarubb"; der Prinz erkennt sie, als sie ihn laust. "Kråknäbbäkappan"; eine alte Frau lehrt sie, dem Messer, Besen und Lappen Arbeit anzubefehlen. "Annemor"; hilfreich erweist sich ein Unterirdischer im Hügel. - In einer englischen Fassung "Rashie Coat" verlangt der Vater der Heldin, dass sie einen ihr verhassten Mann heirate; eine Fee leiht ihr Beistand. - Gälisch: "The king who wished to marry his daughter". - Irisch: "The princess in the cat-skins"; eine Fee in Gestalt eines Füllens berät die Heldin; der Prinz stutzt über die Ähnlichkeit der Küchenmagd mit seiner Tänzerin und erkennt sie endlich an dem Ring, den er ihr unbemerkt angesteckt hat.

In Frankreich: "Peau d'asne"; auf den Rat einer Fee verlangt die Heldin, um den Vater hinzuhalten, drei Kleider in Wetter-, Mond- und Sonnenfarbe und die Haut seines Gold von sich gebenden Esels; sie flieht und dient als Magd auf einem Meierhof, wo der Prinz sie durchs Schlüsselloch in ihrer Kammer erblickt. Aus der Bretagne: "Le roi qui voulait épouser sa propre fille"; der Prinz verkleidet sich als Frau und erfährt die Geheimnisse der Mädchen, auch der Heldin. "Césarine"; Königstochter von der eigenen Mutter misshandelt, dient als Gänsehüterin und wird vom Prinzen in ihrer Hütte erblickt.

Im Italienischen "Das Mädchen im Schrein": Doralice entflieht ihrem Vater, der sie ehelichen will, in einem Schrank verborgen, heiratet einen Prinzen, wird aber von dem rachsüchtigen Vater der Ermordung ihrer Kinder verdächtigt. Bei "L'orza" weiss die Amme für die in gleicher Bedrängnis befindliche Königstochter einen andern Rat; sie gibt ihr ein Hölzlein, das sie in eine Bärin verwandelt, sobald sie es in den Mund nimmt; ein Prinz findet sie im Wald, erblickt sie auch einmal in Menschengestalt und gewinnt sie lieb. "Zuccaccia"; die Amme macht ihr ein Kleid aus Kürbisstreifen. "Mona Caterina"; König hört die Gänse die Schönheit ihrer badenden Hüterin rühmen. - Sicilisch: "Fidi e Cridi"; Cridi flieht mit ihrer Schwester und tritt an ihre Stelle als Königsbraut, als Fidi vom Vater für ein Jahr in eine Eidechse verwünscht wird. "La cerva"; beide Schwestern in einer Kiste ins Meer geworfen. Die eine vertritt als Braut die in eine Hindin Verwandelte. "L'orso"; die Prinzessin flieht als Bärin verkleidet, weil der Vater sie von der Welt absperrt.

Katalanisch: "La gavia d'or"; die Heldin flüchtet in einer goldenen Truhe, die in eines Prinzen Zimmer gelangt. "La Pell d'ase"; Gänse singen von ihrer schönen Hirtin, vom Prinzen belauscht, Ringprobe statt Schuhprobe. - Mallorkinisch: "Die Feuerbläserin"; von der Fee erhält das Mädchen zwei Flaschen mit Schönheits- und Hässlichkeitswasser und drei Mandeln, in denen Kleider stecken. - Serbokroatisch: die von der bösen Schwester in der Speise eingegebene Schlange entstellt das Mädchen; verstossen dient es als Gänsehirtin, bis der Prinz die der Schlafenden aus dem Mund kriechende Schlange tötet und das Holzgewand birst. - Tschechisch: "Die Prinzessin mit dem Goldstern auf der Stirn". "Der gläserne Berg"; vermischt mit den sieben Raben, KHM 25. Slavia: durch Drehung einer im Traum erhaltenen Nuss macht die Heldin sich zum Küchenjungen; später im Bad an dem Stern auf der Stirn erkannt. - Kleinrussisch aus Galizien: der ins Meer geworfene Sarg wird dem Prinzen gebracht; der verbrecherische Vater ermordet das Kind der Heldin und will die Verstossene in der Teufelsmühle umbringen, sie stürzt ihn aber unters Mühlrad und belebt nach dem Rat dreier Tauben ihr Kind.

In einem nordindischen Märchen lässt die Heldin sich ein Holz- oder Fellkleid machen, um sich vor einem Dämon zu verbergen, der als Affe oder Katze ihren Verlobten bedroht hat, oder um unerkannt dem Bräutigam zu dienen, der sie infolge einer List der neidischen Stiefschwestern verstossen hat; der Prinz entdeckt sie und tötet den Dämon. - Im japanischen Märchen "Das Mädchen mit Holznapf" befiehlt die sterbende Mutter der einzigen Tochter, einen Holznapf, der ihr schönes Antlitz verdeckt, zu tragen, damit sie den Nachstellungen der Männer entrinne. Aber der Sohn ihrer Herrin freit dennoch um sie, und am Hochzeitstag zerspringt der Napf, und kostbare Juwelen fallen heraus. - Die Yumale in Innerafrika berichten, dass Njelu Alimi, als ihr Bruder sie zur Gattin nehmen wollte, in der Haut eines alten Mannes entrann und das Amt eines Ziegenhirten versah; als ihr taubstummer Genosse sie einst die Haut ablegen und baden sieht, lockt er am nächsten Tag durch Gebäreden andre Männer herbei, die dem König von der Schönen erzählen, der wirbt um sie, aber sie geht zu ihrem Stamm zurück, da ihr Bruder inzwischen gestorben ist, und wird Oberpriesterin. - Brasilisch: "Dona Labismina"; die hilfreiche Schlange ist eine Zwillingsschwester der Heldin Maria.

Der Eingang des Märchens, worin die Heldin von dem eignen Vater zur Ehe begehrt wird, erscheint in verschiedenen mittelalterlichen Dichtungen. Auch in einem färöischen Lied von Osla, will der König nur die heiraten, welcher die Kleider der verstorbenen Königin passen. Anderwärts sucht er die, die den Ring der ersten Gattin anstecken kann oder ebensolche Haare hat; bisweilen hat er dies seiner sterbenden Frau schwören müssen. Die Kleidung, in der die Heldin ihrem Vater entrinnt und ihre Schönheit vor jedermann verbirgt, ist entweder ein rauher Pelz oder ein hölzernes Gewand, das sie wie ein Kasten umschliesst, so dass sie sich auch für einen Mann ausgeben kann. In der Regel erhält sie davon ihren Namen.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Fürst Danila-Govorila. Afanasjew/Russland 114


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