Schneewittchen
  709
  Märchentyp AT: 709
  Grimm KHM: Schneewittchen 53
  
  
  Ein Mädchen ist so weiss wie
  Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz. Ein
  Zauberspiegel erzählt ihrer Mutter oder Stiefmutter, dass
  niemand schöner als ihre Tochter/Stieftochter
  Schneewittchen sei. Die Stiefmutter wird von Neid
  ergriffen und befiehlt, das Mädchen zu töten. Aber
  derjenige, der den Auftrag dazu erhält, zeigt statt ihres
  Herzens das Herz eines Tieres vor und lässt das Mädchen
  laufen. Oder sie wird von der Königin im Wagen
  ausgeführt und an einem entlegenen Ort ausgesetzt. Sie
  kommt zu einem Haus, das sieben Zwerge (Räubern, Rittern)
  gehört. Sie wird freundlich aufgenommen, aber die
  Stiefmutter, die durch den Spiegel erfährt, dass
  Schneewittchen lebt, geht entweder selbst oder schickt
  jemand, um das Mädchen mittels eines Kammes, einer
  Schnur, eines Apfels etc. zu vergiften. Zweimal schlägt
  das Vorhaben fehl, doch beim dritten Mal bleibt ihr ein
  vergiftetes Apfelstück im Hals hängen, und sie fällt
  wie tot um. Sie wird für verstorben gehalten und in einen
  gläsernen (goldenen) Sarg gelegt. Eines Tages erscheint
  der Vater bei der Rückkehr vom Krieg am Sarg, und seine
  Diener bewirken durch eine Zeremonie, dass Schneewittchen
  vom Todesschlaf erwacht. Oder ein Prinz verliebt sich in
  das Bild der schlafenden Prinzessin und bittet den Sarg zu
  erhalten. Dieser wird durch Zufall durchgeschüttelt, so
  dass die Schlafende erwacht und den Prinzen heiratet.
  
  
  Anmerkung
  
  Bevor wir dem Ursprung dieses Märchens nachgehen,
  müssen wir feststellen, dass es nichts mit der
  Siegfriedsage zu tun hat. Sigrdrifa und Brünhild waren
  "starke Frauen" und als solche in Panzer
  gekleidet. Sie haben mit Schneewittchen nicht mehr
  gemeinsam, als ein Schlafdorn vielleicht mit einem
  vergifteten Kamm gemeinsam hat. In Italien existierte eine
  Sage (Basile, Pentamerone II, 8), wo das Märchen von
  Schiavotella, d.h. dem Sklavenmädchen, eine Art
  Schneewittchenmärchen ist, aber mit einem ganz andern
  Inhalt als das gewöhnliche. Es scheint aus drei Sagen
  zusammengesetzt zu sein.
  In der ersten veranlasst ein Baron drei Mädchen, über
  eine Rose zu springen. Seine Schwester Cilla will
  verbergen, dass sie die Rose beschädigt hat und isst ein
  abgefallenes Rosenblatt auf. Sie wird davon schwanger, und
  die in den Märchen häufige dritte und letzte Fee spricht
  den Fluch über sie, dass ihre Kinder im Alter von sieben
  Jahren durch einen Kamm sterben sollen (vgl. 410
  Dornröschen). Die nächste Sage, die mit der vorigen
  schlecht zusammengefügt ist, schildert, wie das Mädchen
  Lisa, Cillas Tochter, anscheinend leblos in sieben
  gläserne Särge eingeschlossen und in ein besonderes
  Zimmer gestellt wird. Als die Mutter stirbt, gibt sie den
  Schlüssel und ihre ganze Habe dem Bruder unter der
  Bedingung, dass er das Zimmer nicht öffnet. Die Gattin
  des Bruders tut dies trotz des Verbotes, findet das
  Mädchen und zieht es bei den Haaren hoch, so dass ein
  Kamm herausfällt. Das Mädchen erwacht und ruft:
  "Mutter!" Es wird jedoch mit Schlägen und
  Beschimpfungen überhäuft. Dies wiederholt sich mehrere
  Tage lang, bis der Mann nach Hause kommt. Das Mädchen
  muss in der Küche als Küchenmädchen arbeiten
  (Schiavottella). Die dritte Sage erkennen wir aus
  Einleitungen zu bestimmten, besonders italienischen Amor-
  und Psyche-Varianten (425C) wieder. Der Mann verreist und
  will bei der Heimkehr einem jeden eine Gabe nach Wunsch
  überbringen. Das Mädchen Lisa wünscht sich eine Puppe,
  ein Messer und einen Schleifstein und sagt, ihr Onkel
  müsse an einem Fluss haltmachen, wenn er ihren Wunsch
  vergässe. Dies trifft ein, und er muss umkehren, aber sie
  erhält, was sie sich gewünscht hat. In Übereinstimmung
  mit der mittelalterlichen Auffassung, dass man trotz
  Schweigerversprechens das Recht hat, Gegenständen
  Geheimnisse anzuvertrauen (Öfen, Ziegelsteinen etc.),
  erzählt sie der Puppe ihre Leidensgeschichte und
  verspricht, sich mit ihrem Messer, das sie am Schleifstein
  wetzt, zu töten, wenn sie keine Antwort erhielte. Der
  Onkel hört dies, und seine Frau wird bestraft, während
  die schöne Lisa glücklich verheiratet wird.
  Es ist klar, dass ein Märchen, das von der Eifersucht
  einer Stiefmutter oder Schwiegermutter auf ihre Stief-
  oder Schwiegertochter handelt, leicht eine Sage dieser Art
  von einer durch eine Vergiftung hervorgerufenen
  Schlafkrankheit absorbieren konnte. Das Wiedererwecken aus
  langanhaltendem Schlaf oder vom Scheintod ist im übrigen
  ein in der Antike wie im Orient gleich beliebtes Motiv
  gewesen. Im eigentlichen Schneewittchenmärchen ist das
  Schlafmotiv mit dem Motiv der verleumdeten und
  vertriebenen Gattin (705, 706, 707 u.a.) vereinigt worden.
  Einige Varianten sind sogar ausgebaut worden, und die
  Verfolgung wird nach dem Wiedererwecken fortgesetzt mit
  Motiven aus der Schwarzen und der weissen Braut (403AB)
  oder aus dem Amor- und Psychemärchen (425A).
  In Italien finden wir, ungerechnet die Grimmschen
  Ableger, die verhältnismässig zahlreichsten und besten
  Varianten. Über Frankreich (Bretagne) gelangen wir zu der
  keltischen Minorität in Schottland. Die einzige keltische
  Variante, die wir haben, in welcher übrigens eine Forelle
  in einem Brunnen den Spiegel ersetzt, schliesst damit,
  dass der Held, nachdem er die als tot betrachtete Heldin
  lange betrauert hat, sich wieder verehelicht, und dass er
  sich dann später bei ihrem Erwachen in einen Fall von
  Bigamie verwickelt sieht, womit sich jedoch
  eigentümlicherweise alle drei Beteiligten zufrieden
  geben. A. Nutt, der dem Schneewittchenmärchen sein
  Interesse gewidmet hat, ist der Ansicht, dass dessen
  Ursprung im Bereich dieser keltischen Variante zu suchen
  ist. Einen ähnlichen Schluss gibt es jedoch auch in Marie
  de Frances Lai d’Eliduc (12. Jahrhundert), das kaum als
  Schneewittchenvariante bezeichnet werden kann. Wichtiger
  ist jedoch die Feststellung, dass die Person, von der die
  Heldin erweckt wird, die eigentliche Braut des Helden ist,
  und zwar nicht nur in der keltischen Variante und im Lai d’Eliduc,
  sondern auch in einer türkischen, also östlich Italiens
  aufgezeichneten Variante des Schneewittchenmärchens. In
  der bretonischen Variante wird die Heldin durch die
  jüngste Schwester des Helden wieder zum Leben erweckt. Zu
  diesem nordwesteuropäischen Zweig kann auch Shakespeares
  Cymbeline aus dem Jahr 1610 gezählt werden (siehe 882).
  Dieses Drama ist eindeutig von dem Märchen inspiriert.
  Der Spiegel als Berater scheint ursprünglicher zu sein
  als die Sonne und dürfte aus dem Orient stammen. Er
  erinnert an die Einleitung zu der möglicherweise
  ursprünglichen Rahmenerzählung aus Tausendundeiner
  Nacht, in der der König von Indien an einem bestimmten
  Feiertag des Jahres seinen Spiegel befragte, ob ihn jemand
  an Schönheit überträfe, und jedesmal eine befriedigende
  Antwort erhielt, bis eines Tages eine bejahende kam. Die
  Sonne als Berater tritt jedoch schon in Italien und dann
  besonders innerhalb des östlichen Zweiges des Märchens
  auf.
  Die Frage nach dem Alter des Schneewittchenmärchens
  ist schwer zu beantworten. Der älteste zuverlässige
  Beleg dürfte Shakespeares Cymbeline aus dem Jahr 1610
  sein. Die nächstältesten Spuren sind vermutlich
  ebenfalls aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der
  isländische Gelehrte Jon Gudmundsson (gest. 1658) hat das
  Märchen in seinem Armanns rimur wiedergegeben, und der
  deutsche Dichter Johann Rist gibt an (1666), dass er
  dieses oder zumindest "ein Märchen über die schöne
  Frau im Berg bei den sieben Zwergen" von englischen
  Komödianten um 1630 erzählen hörte. Es dürfte jedoch
  als ebenso alt angesehen werden wie das nah verwandte
  Dornröschenmärchen (410). Die Popularität des Märchens
  datiert hingegen erst aus der letzten Zeit und ist ganz
  den Brüdern Grimm zuzuschreiben. Der volkstümliche
  deutsche Variantengrundstock ist sehr spärlich, und aus
  der Zeit vor Grimm kennen wir nur eine geringe Anzahl
  deutscher Varianten.
  Dass der Ausdruck "weiss wie Schnee und rot wie
  Blut" schon in Percevals und Peredurs Mund gelegt
  wurde, widerspricht dem Obengesagten in keiner Weise. Auch
  die jahrelange Wache eines Liebenden bei der Leiche einer
  schönen, jungen Gattin, wie sie von Dichtern geschildert
  wird, hat nichts mit dem Märchen von Schneewittchen zu
  tun, wenn wir auch das Motiv in so alten Märchen wie z.B.
  in der norwegischen Sage von Harald Schönhaar (um 1190)
  und in der deutschen von Karl dem Grossen finden. Hingegen
  kann dieses Motiv Marie de Frances Lai d’Eliduc
  inspiriert haben. Wir treffen es am besten ausgebildet im
  Orient, woher sie so viele ihrer Stoffe geholt hat, in der
  Erzählung vom König Sabur und seinem Sohn Abu’n
  Nahzar. Der Prinz sitzt bei seiner toten Gattin, bis er
  von mitleidigen und guten Geistern und durch die Lehre
  eines treuen Wesirs belehrt wird, sie mittels eines Laubes
  wiederzuerwecken, sowie Marie de France eine Eidechse
  Eliducs Gattin, die von der Schönheit der Heldin
  bezaubert ist, lehren lässt, wie sie die Tote mit einer
  Blume zum Leben erwecken kann (vgl. 612 und 763*).
  
  Literatur
  Böklen, E.: Sneewittchenstudien.
  Fünfundsiebzig Varianten im engern Sinn. Leipzig 1910.
  Brackert, H.: Und wenn sie nicht gestorben sind. Frankfurt
  1980.
  Derungs, K.: Der psychologische Mythos. Frauen, Märchen
  & Sexismus. Bern 1996.
  Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros.
  München 1993.
  Jones, S.: The New Comparative Method: Structural and
  Symbolic Analysis of the Allomotifs of "Snow
  White". Helsinki 1990.
  Horn, K.: The hair is black as ebony. In: Orbis Litterarum
  38, 1983, p. 271-279.
  Lüthi, M.: So leben sie noch heute. Göttingen 1969.
  Sander, E.: Sneewittchen. Borken 1990.
  Stone, K.: The transformation of Snow White. In:
  McGlathery, A.: The brothers Grimm and Folktale. Urbana,
  Chicago 1988.
  
  Märchen
  >> Gold-Tree
  and Silver-Tree
  >> The Crystal
  Casket
  >> Die drei
  Schwestern
  
  Hinweise
  Dies Märchen gehört zu den bekanntesten. Im Eingang
  fällt es mit dem Märchen vom Machandelbaum (KHM 47)
  zusammen, noch näher in einer andern Erzählung, wo sich
  die Königin, indem sie mit dem König auf einem
  Jagdschlitten fährt, einen Apfel schält und dabei in den
  Finger schneidet. - Noch ein andrer Eingang ist folgender:
  Ein Graf und eine Gräfin fuhren an drei Haufen weissem
  Schnee vorbei; da sagte der Graf: "Ich wünsche mir
  ein Mädchen so weiss als dieser Schnee". Bald darauf
  kamen sie an drei Gruben rotes Blut; da sprach er wieder:
  "Ich wünsche mir ein Mädchen so rot an den Wangen
  wie dies Blut". Endlich flogen drei Schwarze Raben
  vorüber; da wünschte er sich ein Mädchen "mit
  Haaren so schwarz wie diese Raben". Als sie noch eine
  Weile fuhren, begegnete ihnen ein Mädchen so weiss wie
  Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie die
  Raben, und das war das Sneewittchen. Der Graf liess es
  gleich in die Kutsche sitzen und hatte es lieb, die
  Gräfin aber sah es nicht gern und dachte nur, wie sie es
  wieder los werden könnte. Endlich liess sie ihren
  Handschuh hinausfallen und befahl dem Sneewittchen, ihn
  wieder zu suchen; in der Zeit aber musste der Kutscher
  geschwind fortfahren. Nun ist Sneewittchen allein und
  kommt zu den Zwergen usw. - In einer dritten Erzählung
  ist bloss abweichend, dass die Königin mit dem
  Sneewittchen in den Wald fährt und es bittet ihr von den
  schönen Rosen, die da stehen, einen Strauss abzubrechen.
  Während es bricht, fährt sie fort und lässt es allein.
  - In einer vierten wird erzählt, dass Sneewittchen nach
  seinem Tod von den Zwergen sollte verbrannt werden. Sie
  wickeln es in ein Tuch, machen einen Scheiterhaufen unter
  einen Baum und hängen es in Stricken darüber. Wie sie
  eben das Feuer anstecken wollen, kommt der Königssohn,
  lässt es herabholen und nimmt es mit sich in den Wagen.
  Vom Fahren springt ihm das Stück des giftigen Apfels aus
  dem Hals, und es wird lebendig. - Eine fünfte Erzählung
  hat folgende Abweichung: ein König verliert seine
  Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter, Sneewittchen,
  hat, und nimmt eine andere, mit der er drei Töchter
  bekommt. Diese hasst das Stiefkind, auch wegen seiner
  wunderbaren Schönheit, und unterdrückt es, wo sie kann.
  Im Wald in einer Höhle wohnen sieben Zwerge, die töten
  jedes Mädchen, das sich ihnen naht. Das weiss die
  Königin, und weil sie Sneewittchen nicht geradezu
  ermorden will, hofft sie es dadurch los zu werden, dass
  sie es hinaus vor die Höhle führt und zu ihm sagt:
  "Geh da hinein und wart, bis ich wieder komme!"
  Dann geht sie fort, Sneewittchen aber getrost in die
  Höhle. Die Zwerge kommen und wollen es anfangs töten;
  weil es aber so schön ist, lassen sie es leben und sagen,
  es solle ihnen dafür den Haushalt führen. Sneewittchen
  hatte aber einen Hund, der hiess Spiegel; wie es nun fort
  ist, liegt der traurig im Schloss. Die Königin fragt ihn:
  "Spiegel unter der Bank,
  Sieh in dieses Land, sieh in jenes Land:
  Wer ist die schönste in Engelland?"
  Der Hund antwortet: "Sneewittchen ist schöner bei
  seinen sieben Zwergen als die Frau Königin mit ihren drei
  Töchtern". Da merkt sie, dass es noch lebt, und
  macht einen giftigen Schnürriemen. Damit geht sie zur
  Höhle, ruft Sneewittchen, es solle ihr aufmachen.
  Sneewittchen will nicht, weil die sieben Zwerge ihm streng
  verboten haben, keinen Menschen hereinzulassen, auch die
  Stiefmutter nicht, die sein Verderben gewollt habe. Sie
  sagt aber zu Sneewittchen, sie habe keine Töchter mehr,
  ein Ritter habe sie ihr entführt, sie wolle bei ihm leben
  und es putzen. Sneewittchen wird mitleidig und lässt sie
  herein; da schnürt sie es mit dem giftigen Schnürriemen,
  dass es tot zur Erde fällt, und geht fort. Die sieben
  Zwerge aber kommen, nehmen ein Messer und schneiden den
  Schnürriemen entzwei, da ist es wieder lebendig. Die
  Königin fragt nun den Spiegel unter der Bank, der gibt
  ihr dieselbe Antwort. Da macht sie ein giftiges Kopfband,
  geht mit dem hinaus und redet zu Sneewittchen so
  beweglich, dass es sie noch einmal einlässt; sie bindet
  ihm das Kopfband um, und es fällt tot nieder. Aber die
  sieben Zwerge sehen, was geschehen ist, schneiden das
  Kopfband ab, und es hat das Leben wieder. Zum drittenmal
  fragt die Königin den Hund und erhält dieselbe Antwort.
  Sie geht nun mit einem giftigen Apfel hinaus, und so sehr
  Sneewittchen von den Zwergen gewarnt ist, wird es doch von
  ihren Klagen gerührt, macht auf und isst von dem Apfel.
  Da ist es tot, und als die Zwerge kommen, können sie
  nicht helfen, und der Spiegel unter der Bank sagt der
  Königin, sie sei die schönste. Die sieben Zwerge aber
  machen einen silbernen Sarg, legen Sneewittchen hinein und
  setzen es auf einen Baum vor ihrer Höhle. Ein Königssohn
  kommt vorbei und bittet die Zwerge, ihm den Sarg zu geben,
  nimmt ihn mit, und daheim lässt er es auf ein Bett legen
  und putzen, als wäre es lebendig, und liebt es über alle
  Massen; ein Diener muss ihm auch beständig aufwarten. Der
  wird einmal bös darüber: "Da soll man dem toten
  Mädchen tun, als wenn es lebte!" gibt ihm einen
  Schlag in den Rücken, da fährt der Apfelbissen aus dem
  Mund, und Sneewittchen ist wieder lebendig.
  Eine Erzählung des Märchens aus Wien (1822) gibt
  folgenden Zusammenhang. Es sind drei Schwestern,
  Sneewittchen die schönste und jüngste; jene beiden
  hassen es und schicken es mit einem Laibel Brot und einem
  Wasserkrug in die Welt. Sneewittchen kommt zum Glasberg
  und hält den Zwergen Haus. Wenn die zwei Schwestern nun
  den Spiegel fragen, wer die schönste sei, antwortet er:
  "Die schönste ist auf dem Glasberge,
  Wohnt bei den kleinen Zwergen."
  Sie senden jemand dorthin, der soll Sneewittchen
  vergiften.
  Aus dem Wallis "Das hübsche Vogelti", wo
  statt des Zauberspiegels eine Hexe, statt der Zwerge
  zwölf Räuber und statt Schnürriemen und Giftapfel Hemd
  und Goldring erscheinen.
  Wir unterscheiden folgende Züge: A. die Schönheit der
  Heldin weiss wie Schnee, rot wie Blut; - B. die Eifersucht
  der Stiefmutter, welche einen Zauberspiegel besitzt; - C1.
  die Stiefmutter befiehlt einem Jäger, die Heldin im Wald
  zu erstechen, der sie indes verschont; - C2. 4. und sucht
  sie dann durch einen vergifteten Schnürriemen, Kamm und
  Apfel zu töten. - D. Die Zwerge (Räuber), welche
  Sneewittchen bei sich aufgenommen haben, vereiteln diese
  Versuche bis auf den letzten und legen das tote Mädchen,
  in einen Glassarg. - E. Ein Königssohn sieht es und
  erweckt es zum Leben. - F. Die böse Stiefmutter wird
  bestraft.
  Dänisch: "Den kjønne Pige og de klare
  Skaaler"; bei einem Hirten; ein Vogel bringt Kamm,
  Goldband und Ring; das Mädchen gebiert im Zauberschlaf
  infolge der ihr eingeflössten Hexengrütze zwei Knaben,
  die den Schlafring von ihrem Finger saugen; die Königin
  fragt ihre redenden Schalen. - Schwedisch:
  "Rosend'-snöhvit"; die Stiefmutter fragt:
  "Spegel klar, spegel klar, hvilken är vackrare än
  jag?" und sendet ihre drei Töchter Ettöga, Tvåöga
  und Treöga zur Hütte der drei Arbeiter. "Kungen ock
  torparedottern"; hier verfolgt nicht die Stiefmutter,
  sondern der eigne Gatte die Heldin, die im Haus der zwölf
  Räuber einen Sohn gebiert; er sendet ihr durch eine Hexe
  einen verzauberten Apfel, erweckt sie aber durch eine
  Riechflasche aus dem Zauberschlaf. - Norwegisch:
  "Jungfrau Gyltrom"; statt der Zwerge drei
  Bärenprinzen. Anfang wie Frau Holle, oben KHM 24, zum
  Schluss wird die hässliche Stiefschwester statt der
  Kindbetterin untergeschoben. "Snofri"; kein
  Spiegel; Gürtel, Haarnadel, Nadel. - Isländisch:
  "Wilfriður Wölufegri"; Ring, Schuh, Gürtel.
  Die Mutter fragt den Spiegel: "Segðu mér nú,
  glerið mitt búna, Hvernig liður Vilfríði Völufegri
  núna?" Der Vater verfolgt dann die verheiratete
  Tochter weiter. - Englisch: in Shakespeares Cymbeline,
  soll Imogen ebenso wie Sneewittchen auf Befehl ihrer
  Stiefmutter von einem Diener getötet werden, wird aber
  verschont, und findet Zuflucht in der Höhle, die von dem
  verbannten Belarius und seinen Söhnen bewohnt wird; wie
  sie den von der Stiefmutter erhaltenen Heiltrank kostet,
  sinkt sie in totenähnlichen Schlaf. - Schottisch:
  "Gold tree and Silver tree"; statt des Spiegels
  befragt die arge Mutter eine Forelle im Brunnen, sie
  heisst ihre Tochter den kleinen Finger durchs
  Schlüsselloch stecken und stösst einen giftigen Splitter
  hinein. - Französisch: "Les bas enchantés";
  kein Spiegel, drei Brüder; die jüngste Schwester des
  Jägers zieht der Prinzessin die Zauberstrümpfe aus.
  "Boule de neige"; der vergiftete Apfel springt
  bei der Erschütterung des Wagens der Totgeglaubten aus
  dem Mund; die Mutter tötet sich selbst. - Italienisch:
  "Die drei Schwestern"; die neidischen Schwestern
  senden der vom Greis im Waldhaus aufgenommenen Heldin
  Ring, Schnürleib, Nadel; die Mutter des Prinzen zieht die
  Nadel heraus. Eine Variante: wilder Mann im Wald,
  vergifteter Apfel. "Le miroir" und "La
  marâtre"; im Räuberhaus, Schlafnadel; die
  Stiefmutter bewirkt nach der Heirat durch
  Briefvertauschung die Verstossung der Helden.
  "L'ostessa"; Räuberhaus; Kamm, Ring. "La
  fola dèl mercant"; neidische Schwestern senden
  Ohrring, Halsband und Ring zum wilden Mann. "La bella
  ostessina"; bei einer Fee; Blumen, Kuchen, Kleider.
  Weitere Verfolgung nach der Hochzeit. "La crudel
  matrigna"; bei einer Bettlerin; giftige Blumen.
  "The glass coffin"; sieben Räuber; Zaubersalbe.
  "La scatola di cristallo"; Ermellina bei einer
  Fee; Süssigkeiten und Kleid. "La bianca e la
  negra"; Schwester fragt Sonne; drei Jäger; Gürtel,
  Kamm, Apfel. "La bella Venezia"; zwölf Räuber,
  Schlafnadel. "U padre e a figlia"; verbunden mit
  dem Mädchen ohne Hände und Aschenbrödel; Sonne
  antwortet statt des Spiegels. "Die dreizehn
  Banditen"; Granadina; vergiftete Schuhe. "Maria,
  die böse Stiefmutter und die Räuber"; sieben
  Räuber, Ring. "Maruzzedda"; neidische
  Schwestern senden Kuchen und Hut; weitere Verfolgung nach
  der Hochzeit. "Von der schönen Anna"; neidische
  Schwestern senden eine vergiftete Traube. "La 'nfanti
  Margarita"; bei einer verdammten Seele; Haarband,
  Nadel. Bei "La schiavotella" fehlt die
  Verfolgung durch Stiefmutter oder Schwestern, vielmehr
  stirbt Lisa beim Kämmen infolge eines Feenfluches, wird
  in einen Glassarg gelegt und nach Jahren durch die
  eifersüchtige Frau ihres Oheims erweckt. - Katalanisch:
  "La hermosa hijastra"; statt des Spiegels ein
  böser Geist, der auch Ring und Pantoffel ins Haus der
  vier Brüder trägt; die Mutter des Prinzen zieht den
  Pantoffel ab. "Na Magraneta"; Spiegel; 13
  Räuber; Ring, von der Dienerin des Königs abgezogen. -
  Portugiesisch: "Os sapatinhos de setim"; bei
  einer Alten, die ihr Atlasschuhe anzieht; die Mutter des
  Königs entfernt sie. - Baskisch: "La mère jalouse
  et la jeune persécutée"; statt der Stiefmutter
  stösst eine zauberkundige Patin die Heldin in die
  Zisterne, reicht im Räuberhaus ihr giftiges Brot,
  verwandelt die Wöchnerin in eine Taube und legt sich an
  ihre Stelle. - Griechisch: "Marula und die Mutter des
  Érotas"; bei den Brüdern; Apfel, Ring; Verfolgung
  durch die böse Schwieger, welche die neugeborenen
  Zwillinge tötet. "Les trois soeurs"; bei einer
  Nereide; die neidische Schwester sendet Nadel und
  Weintraube, verwandelt die Verheiratete in einen Vogel und
  nimmt ihre Stelle ein. "Rodia"; neidische
  Schwestern senden Schärpe und Süssigkeiten zur Göttin
  Nykteris; die Mutter des Königs erweckt das Mädchen.
  "Le miroir de la magicienne"; das Mädchen
  verlässt mit ihren drei Brüdern das Vaterhaus, Ring.
  "Marietta et la sorcière, sa marâtre"; Sonne
  statt Spiegel; bei vierzig Riesen; Ring, Weintraube;
  Hochzeit, Verwandlung in Taube. - Albanisch:
  "Schneewittchen"; Marigo tötet auf Anstiften
  ihrer Lehrerin ihre Mutter, wird vom Vater in die Einöde
  geführt, bei vierzig Drachen; Nadel, Ring.
  "Fatime"; neidische Schwestern, Sonne statt
  Spiegel, bei 40 Räubern; Halsband, Goldstücke, Ring.
  Marigo von der Stiefmutter in den Wald geschickt, kommt zu
  vierzig Räubern, von denen die Sonne statt des
  Zauberspiegels der Stiefmutter erzählt; vergifteter Kamm
  und Kuchen. - Rumänisch: "Der Zauberspiegel";
  bei zwölf Räubern; Ring, Ohrgehänge, Blume; die Mutter
  tötet das Kind der Wöchnerin.
  "Schneewittchen"; neidische Schwestern, Sonne;
  bei sieben Goldgräbern; Kamm, Gürtel, Apfel. -
  Serbokroatisch: Mutter und Tochter haben ein goldenes
  Kreuz auf der Stirn; Ring; die Mutter fängt die Briefe
  auf, die dem in den Krieg gezogenen Prinzen die Geburt der
  Kinder melden. Die Stieftochter bei sieben Drachen, vom
  Helden belebt, als sie begraben werden soll. - Bulgarisch:
  die beiden älteren Schwestern verfolgen die Heldin, deren
  Schönheit die Sonne bezeugt hat; die Stiefmutter
  verwandelt die junge Königin in einen Sperling und legt
  ihre Kleider an. - Tschechisch aus Mähren: verbunden mit
  dem "Marienkind", Waisenmädchen bei den
  Räubern, findet im verbotenen Zimmer ein verstaubtes
  Kruzifix, leugnet das dem alten Weib gegenüber, erhält
  eine Granatenschnur; Ring, Schuhe, Haarnadel. - Slowakisch
  aus Oberungarn: das Mädchen entsteht aus den hinter den
  Ofen gelegten Schalen eines Apfels, den die kinderlose
  Frau nach des Bettlers Rat gekauft hat; die zwölfjährige
  wird von Räubern gekauft, von einer Hexe mit Ring,
  Granatenschnur und Haarnadel betört. - Polnisch aus den
  Beskiden: der Bruder soll das verleumdete Mädchen
  erschiessen; Haarnadel, Ring von einer Zauberin gebracht;
  von der Schwieger mit den beiden Kindern in einer Tonne
  ins Wasser geworfen. - Grossrussisch: "Der
  Zauberspiegel"; die erste Verfolgung geht vom Vater
  aus, bei dem der unzüchtige Oheim die Heldin verleumdet
  hat; die zweite von der Stiefmutter, die dritte vom
  Schiffskapitän. Aus Rjäsan: die Stieftochter in den Wald
  geführt; die Stiefmutter schickt ihr durch den Vater ein
  Hemd; der unzüchtige, verleumderische Oheim sendet durch
  eine Hexe dem verstossenen Mädchen einen Ring. Aus Kursk:
  Apfel, Ring, Ohrschmuck; auf dem Krystallberge zwölf
  Falken. Aus Vladikavkaz: statt der verleumdeten
  Kaufmannsfrau wird die Tochter vom Bruder auf eine Insel
  geführt; jene schickt ihr ein vergiftetes Kleid. -
  Kleinrussisch aus der Ukraine: das vor dem Vater fliehende
  Mädchen kommt zu zwölf Brüdern, die es vom Drachen
  befreit, erhält von der verwandelten Drachenfrau Hemd,
  Nadel, Ring. - Weissrussisch: "Von dem redenden
  Spieglein und der in Schlaf versenkten Prinzessin";
  bei zwölf Räubern; Ring, Apfel, Haarnadel; die Mutter
  des Prinzen zieht die Nadel heraus. - Litauisch: verbunden
  mit den "sieben Raben"; die Schwieger steckt dem
  "stummen" Mädchen einen Zauberring an; als der
  junge König die Leiche in einem goldenen Sarg im Wald
  aufstellt, findet ein andrer König sie dort.
  In einem indischen Märchen "Princess
  Aubergine" ist das Leben der aus einer Eierfrucht
  hervorgegangenen und von einem armen Ehepaar aufgezogenen
  Heldin an einen Halsschmuck geknüpft, der im Leib eines
  grün-roten Fisches verborgen ist. Dieses Halsbandes
  bemächtigt sich die neidische Königin, nachdem sie das
  Mädchen achtmal in Schlaf versenkt und befragt und
  ihretwegen ihre sieben Söhne getötet hat. Aber ihr
  Gatte, der König, findet auf der Jagd im Wald die
  schlafende, mit Blumen bedeckte Jungfrau, wohnt ihr bei
  und trifft nach Jahresfrist neben der Schlafenden einen
  Knaben, der ihm erzählt, dass seine Mutter durch das
  Halsband der Königin wieder zum Leben erweckt werden
  könne. "Die kleine Surja Bai" ist von einem
  Adler geraubt und erzogen; in Abwesenheit der Pflegeeltern
  löscht die Katze ihr Feuer aus, sie muss bei
  Menschenfressern neues Feuer holen, wird verfolgt und
  verwundet sich an dem giftigen Fingernagel des Rakschas,
  der in der Tür stecken blieb; ein Rajah findet die Tote,
  zieht den Dorn heraus und führt die Auflebende als Gattin
  heim; seine erste Frau stösst sie ins Wasser, sie wird
  zur Sonnenblume, zum Mangobaum, zur Frucht und endlich zum
  Menschen. In der tripolitanischen Erzählung lebt die
  Heldin Udêa nicht im Adlerhorst, sondern bei ihren sieben
  Brüdern; die Verfolgung durch den Menschenfresser aber
  ist dieselbe; sie erwacht, als ein Mann ihren Ring
  abstreifen will und dabei jenen Fingernagel herauszieht. -
  Ein Menschenfresser tritt auch im kabylischen Märchen
  "Thizurith Imellah" auf; auf Geheiss der Mutter,
  die den Mond statt des Spiegels befragt, muss der Vater
  der Heldin eine Opiumpille beibringen; der Gatte lädt die
  Leiche in einer Kiste auf ein Kamel; Haremsfrauen des
  Sultans erwecken sie. - Aus Algier: "Amna et sa
  marâtre"; Sonne statt Spiegel befragt; bei sieben
  Dschinnen; die giftige Dattel zieht ihr eine Schwester des
  Königs aus dem Mund.
  Genauere Angaben über die einzelnen Varianten und eine
  Übersicht der Motive bieten die sorgfältigen
  "Sneewittchenstudien" von E. Böklen (1. Teil,
  Leipzig 1910). Der Einfluss anderer Märchenkreise wie
  Hänsel und Gretel, der sieben Raben, Dornröschens, des
  Mädchens ohne Hände, der untergeschobenen Braut,
  Einäuglein usw. zeigt sich darin, dass die Verfolgungen
  der Heldin nicht nur von der Stiefmutter ausgehen, sondern
  auch vom Vater, von neidischen Schwestern, ja infolge von
  Verleumdung und Briefvertauschung auch vom Gatten, von der
  Schwiegermutter, einer Nebenfrau oder Dienerin.
  Auch im Eingang des Machandelbaums (KHM 47) und in
  einer Variante des Aschenputtels (KHM 21) steht der Wunsch
  der kinderlosen Frau nach einem Kind, so weiss wie Schnee,
  so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz, ein uralter
  poetischer Ausdruck der Schönheit. So steigt vor
  Parzival, als der Falke auf eine Wildgans stösst und drei
  Blutstropfen vor ihm in den Schnee fallen, das Bild der
  geliebten Condwiramur mit ihrer weissen Haut und ihrem
  rosigen Mund auf und zwingt ihn zu unwiderstehlicher
  Sehnsucht. In gälischen Erzählungen von Peredur oder von
  den Söhnen von Uisnech kommt hinzu die an das schwarze
  Haar mahnende Farbe eines Raben. - In italienischen
  Erzählungen tritt oft Marmor, Milch oder Käse an Stelle
  des Schnees.
  Statt des antwortenden Zauberspiegels, wird im
  schottischen Märchen ein Brunnen, in griechischen und
  orientalischen Fassungen die Sonne oder der Mond erwähnt;
  doch erregen auch Menschen, welche die Schönheit des
  Mädchens preisen, die Eifersucht der Mutter. - Der bald
  durch einen Apfel, bald durch Kleidungsstücke, einen
  Kamm, Ring oder Haarnadel verursachte Zauberschlaf der
  Heldin, die blühend frisch und rotwangig bleibt, wird von
  F. Vogt (Beitrag zur Volkskunde für Weinhold 1896 S. 227)
  mit dem Dornröschens (KHM 50) verglichen. In einer
  nordeuropäischen Sage des 12. Jahrhunderts heisst es von
  Snjøfríþ, der schönsten Frau, Haralds der Haarschönen
  Gemahlin, als sie starb: "Ihr Antlitz veränderte
  sich nicht im geringsten, und sie war noch ebenso rot, als
  da sie lebendig war; der König sass bei der Leiche und
  dachte, sie würde wieder ins Leben zurückkehren; so sass
  er drei Jahre". In der arabischen Erzählung von
  König Sabur und seinem Sohn Abu'n nahzar sitzt der Prinz
  neben der Leiche seiner durch eine Nebenfrau vergifteten
  Gattin Uah'chjah, bis mitleidige Geister und ein treuer
  Vezier ihm einen Baum zeigen, dessen Blätter Tote
  erwecken.
  
  Variantenverzeichnis
  >> Märchen-Suchdienst
  Die Küchenmagd. Basile/Italien 2,8
  Richilde. Musäus/Deutschland 1,2
  Schneewittchen. Grimm/KHM 53
  Der Zauberspiegel. Afanasjew/Russland 211
  Der Zauberring. Karlinger/Italien 31
  Sneewittchen. Derungs/Grimm
  
  top