Der Mann in
drei Tiergestalten 665
Märchentyp AT: 665; cf. 302
Grimm KHM:
Der Held erhält die Gabe, sich in
einen Vogel, einen Fisch und einen Hasen (Hirsch) zu
verwandeln, entweder von einem alten Mann oder von
dankbaren Tieren. In einem Kampf muss der Held für den
König dessen magisches Schwert oder einen Ring der
Prinzessin sicherstellen. Derjenige, der dies erfüllt,
erhält die Hand der Prinzessin. Er benützt seine
Verwandlungskünste, gelangt als Hirsch, Fisch und Vogel
(Sphären der Erde, des Wassers und der Luft) zum fernen
Schloss und behändigt das Schwert (den Ring). Die
Prinzessin schneidet ihm jedoch eine Feder (Haare,
Schuppen) ab, als er als Vogel das Schloss verlässt oder
als er sich ihr in seinen Verwandlungsgestalten zeigt. Als
Hase wird er von einem Mann (einem betrügerischen Freier)
erschossen; dieser nimmt die Dinge an sich und verlangt
die Prinzessin zur Belohnung. Doch diese verlangt einen
Aufschub. Die dankbaren Tiere oder der Jenseitige bringen
den Helden wieder ins Leben zurück, welcher als Taube nun
zum Schloss der Prinzessin fliegt, die verheiratet werden
soll. Schliesslich erkennt sie aber den eigentlichen
Helden an der Feder wieder, oder er legt eine
Verwandlungsprobe ab und erhält die von ihr entnommenen
Teile zurück. Er wird wieder zum Mann, und die Prinzessin
heiratet ihn.
Anmerkung
Wie so oft reflektiert das Zaubermärchen das
schamanistische Weltbild der Dreiteilung in eine Ober-,
Mittel- und Unterwelt, die durch eine Jenseitsreise
durchschritten werden kann. In unserem Märchen werden
diese drei Reiche durch Tiersymbole bzw. durch Tiere der
entsprechenden Sphären angetönt. So steht der Vogel
naturpoetisch für die Sphären der Luft und der Oberwelt,
der Fisch im Wasser für die Unterwelt und der Hase als
Landtier für die Mittelwelt. Ausgesprochen schamanistisch
ist auch die Verwandlungsfähigkeit des jungen Helden in
die entsprechenden Tiere, die er zudem als Helfertiere
besitzt, und die Lehre bei einem alten Mann, der selbst
schamanistische Fähigkeiten aufweist. Einen Rest eines
älteren weiblichen Schamanismus erkennen wir in der
Gestalt der "Prinzessin", die einmal die
Jenseitsreise (Tod und Wiederkehr) des Helden bewirkt hat,
was jedoch in den Hintergrund gerückt ist. Dennoch ist
das Motiv des Entnehmens eines Körperteiles
(Zerstückelung) und des Zusammenfügens (Feder, Schuppe,
Haare) deutlich tradiert, was von der Prinzessin
ausgeführt wird.
Literatur
Derungs, K.: Struktur des Zaubermärchens I.
Bern, Stuttgart, Wien 1994.
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem.
Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Mudrak, E.: Herr und Herrin der Tiere. In: Fabula 4, 1961,
p. 163-173.
Peuckert, W.E.: Zu AT 665. In: Deutsche
Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und
Geistesgeschichte 14, 1936.
Röhrich, L.: Herr der Tiere. In: EM 6, p. 866-879.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Das Bauernbürschlein. Ortutay/Ungarn 4
Der schnelle Bote. Afanasjew/Russland 259
Fortunio. Straparola/Italien 3,4
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