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Die kunstreichen Brüder 653

Märchentyp AT: 653AB; cf. 513, 514
Grimm KHM: Die vier kunstreichen Brüder 129


Vier Brüder werden von ihrem Vater in die Lehre gegeben. Sie kommen nach Hause und zeigen, was sie können. Einer kann ausserordentlich gut sehen, der zweite stehlen, der dritte schiessen und der vierte nähen. Diese vier sollen dann eine geraubte Prinzessin befreien (oder wieder zum Leben erwecken). Der Seher macht sie bei einem Drachen oder einer Schlange ausfindig, der Dieb stiehlt sie, der Schütze erschiesst den verfolgenden Drachen und der Schneider näht das sinkende Schiff wieder zusammen. Jeder beansprucht nun die Prinzessin zur Frau, und sie geraten in Streit. Oder der Vater gewinnt sie, die Söhne erhalten statt dessen Geld oder die Hälfte des Königreiches.


Anmerkung

Wer dem östlichen Zweig des Batamärchens von Kleinasien gefolgt ist, hat sicherlich beobachtet, wie die wunderbaren Helfer (513AB) mit ihrer in erster Linie physischen Kraft nach und nach an die Stelle der Brüder des Helden treten, um dann in Indien von den Kunstfertigen Brüdern ersetzt zu werden. Selbstverständlich variieren die Motive und die Anzahl der Brüder ins Unendliche. In Indien im Vetalapancavimsatika und Kathasaritsagara wiedergegeben, beginnt das Märchen damit, dass eine Prinzessin nur den zum Gemahl haben will, der mit einer ganz besonderen Eigenschaft ausgestattet ist. Da meldet sich ein Freier, der einen Wagen hat, der durch die Luft fährt, ein anderer, der alles weiss und errechnet, und ein dritter, der ein unübertrefflicher Bogenschütze ist. Der eine hat die Zustimmung des Vaters, der andere die der Mutter und der dritte die des Bruders erhalten. Plötzlich wird die Prinzessin von einem Drachen geraubt. Der Allwissende sagt, wo sie sich befindet, der Bogenschütze tötet den Drachen, und der Wagenbauer holt sie mit seinem Wagen von einem sonst nicht erreichbaren Berg ab. Sie streiten dann darum, wer sie bekommen soll, und der Zuhörer erhält die Frage zur Entscheidung vorgelegt. Eine in gewisser Beziehung ähnliche Erzählung hat von Indien her die Mongolen erreicht und wird in der Siddhi Kur-Version mit einem Einschlag aus dem Lockenmotiv des Batamärchens wiedergegeben. Diese Version ist dann vermutlich ins Deutsche übersetzt worden und nach und nach in ein schwedisches Volksbuch Vännerna von 1824 gekommen, worin der Rechenmeister, der Tischler, der Maler, der Arzt, der Schmied und "Nichts" die Hauptpersonen sind.

Die indische Version ist im Orient ins Persische und Türkische übersetzt worden. Eine Variante ist in das Märchen Pari Banou in Tausendundeiner Nacht eingewoben. Nach Italien kam das Märchen im 14. Jahrhundert von Osten auf literarischem Weg nach Deutschland ungefähr in der oben auszugsweise wiedergegebenen Form im 18. Jahrhundert. Es hat nun die meisten Länder Europas erreicht. Die Kunst, einen Gegenstand (Ei, Schiff) zusammenzunähen, scheint kein dem Märchen ursprünglich angehörendes Motiv zu sein. Es ist wahrscheinlich aus dem alten Haikar-Märchen entnommen, wo wir entsprechende Züge finden.

Im Orient gibt es eine eigentümliche Sonderform, in welcher Kunstbeflissene das Bild eines jungen Mädchens anfertigen und ihm wie Pygmalion Leben geben (vgl. 650). Auch hier schliesst das Märchen mit einem Streit zwischen den Urhebern.


Literatur

Benfey, T.: Das Märchen von den Menschen mit den wunderbaren Eigenschaften, seine Quelle und seine Verbreitung. In: Das Ausland 31, 41-45, 1858, p. 969 ff.
Göttner-Abendroth, H.: Die Göttin und ihr Heros. München 1993.
Ranke, K.: Schleswig-holsteinische Volksmärchen. Kiel 1955.

Röth, D.: Kleines Typenverzeichnis. Hohengehren 1998.
Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 615.

Scherf, W.: Das Märchenlexikon. München 1995.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Das Märchen berührt sich mit KHM 71 "Sechse kommen durch die ganze Welt", wo in einigen Fassungen gleichfalls Menschen mit wunderbaren Eigenschaften eine Jungfrau aus Gefangenschaft befreien, und in seinem ersten Teil mit den drei kunstfertigen Brüdern (KHM 124), die freilich keine solche gemeinsame Tat unternehmen.

In der Panciatichischen Handschrift des alten italienischen Novellino wandern vier Königgsöhne in die Ferne; der erste studiert zu Paris die Wissenschaften, der andre wird in Sizilien ein Bogenschütz, der dritte in Katalonien ein geschickter Dieb, der vierte in Genua Schiffsbauer. Dann kehren sie heim und vereinigen sich, um von einer Insel eine von einem Drachen geraubte Jungfrau und reiche Schätze zu holen. - Bei Morlini sind es drei Söhne eines armen Mannes; der jüngste, der die Vogelsprache gelernt hat, vernimmt von einer Elster, wo ein Schatz vergraben liegt, und von einem andern Vogel, wie die auf der Insel Chios gefangene Prinzessin Aglaea befreit werden kann; der zweite baut ein Schiff, das sie dahin bringt; der erste, ein gewandter Kriegsmann, stösst seine beiden Dolche in die Mauer des Turms, klettert hinauf und lässt an einem Seil die Jungfrau und die Schätze hinab. Dann aber geraten die drei in einen Streit, wem die Schöne zufallen soll, und dieser Streit ist noch unentschieden. - Basile berichtet von fünf Brüdern, einem Dieb, Schiffsbauer, Bogenschützen, einem, der ein Tote erweckendes Kraut, und einem, der die Vogelsprache kennt. Der Schütze erlegt den Drachen, der in einer Wolke die zu Schiff Entrinnenden verfolgt, der Kräuterkundige ruft die vor Schrecken tot niedergesunkene Jungfrau ins Leben zurück. An dem Streit der Brüder beteiligt sich ihr Vater, dem der König auffälligerweise die Prinzessin zuspricht. - Bei "Mantel, Spiegel und Fläschchen" besitzen die drei Brüder nicht Kunstfertigkeiten, sondern Zaubergegenstände, die sie der schönen Königstochter vergeblich als Brautgaben anbieten; als sie aber plötzlich stirbt, sieht's der eine im Spiegel, der andre fährt auf dem Wunschmantel zu ihr, und der dritte erweckt sie mit seinem Lebensbalsam und wird ihr Gatte. - Isländisch: "Wachgut und seine Brüder"; Hältgut, Hautgut, Spürtgut, Klettertgut befreien fünf Königstöchter. "Die drei Freier um eine Braut"; Streit um die durch Fernrohr, Flugmantel und Lebensapfel Gerettete. - Bretonisch: "Les six frères paresseux"; Kletterer, Schiffsbauer, Flicker, Jäger, Geiger, Rätselrater retten die vom Drachen entführte Prinzessin und beleben die Ertrunkene; ihr Streit bleibt unentschieden. - Italienisch: "Von den sieben Brüdern, die Zaubergaben hatten"; Läufer, Horcher, Starker, Dieb, Baumeister, Schütze, Gitarrenspieler. Der jüngste Bruder heiratet die Prinzessin. - Griechisch: "Von den drei um die Braut streitenden Brüdern"; Fernrohr, Teppich, Apfelsine. Der König heiratet selber das Mädchen. - Serbokroatisch: "Der Kaiser, seine Tochter und ihre drei Freier"; Teppich, Fernrohr, Salbe; keiner der drei Grafen erhält die Tochter. - Bulgarisch: acht Brüder befreien die vom Teufel entführte Prinzessin; der 1. entdeckt die Spur, der 2. horcht, der 3. öffnet den Stein, der 4. wirft, der 5. stiehlt, der 6. errichtet ein Haus, der 7. schiesst, der 8. fängt alles auf. - Tschechisch: "Die vier Brüder"; Flicker, Hadernsammler, Sterngucker, Jäger; ihren Streit entscheidet die Prinzessin. - Grossrussisch: "Von den sieben Simeonen, den leiblichen Brüdern"; Schmied, Kletterer, Schiffsbauer, Taucher, Schütze, Springer, Dieb holen die schöne Helena für den Zaren. Aus Perm: Dieb, Schmied, Schütze, Vogelholer, Seher, Schiffsbauer, Arzt wollen die Jungfrau für den Zaren gewinnen, diese erwählt aber den Dieb.

Indisch: Die schöne Mahâdevî will nur einen Mann heiraten, der eine unübertreffliche Gabe besitzt. Ein Brahmane, der einen durch die Luft fahrenden Zauberwagen hat, wirbt bei dem Vater um sie; ein andrer, der die Kunst zu erkennen versteht, bei dem Bruder; ein ausgezeichneter Bogenschütze bei der Mutter. Die drei Freier erhalten jedesmal eine Zusage und geraten, als sie zusammentreffen, in Streit. Da entführt nachts ein böser Geist das Mädchen. Nun können die Freier ihre Künste erweisen; der Wissende gibt den Berg an, wo der Drache die Geraubte verbirgt, der Besitzer des Wagens stellt diesen zur Verfügung, der Schütze tötet den Räuber und bringt die Jungfrau zurück. Nun beginnt der Streit um sie von neuem; wer von den dreien soll sie erhalten? - In der mongolischen Bearbeitung, dem Siddhi-Kür, pflanzen sechs Wandergenossen, ein begüterter Jüngling, ein Arzt, Maler, Rechenmeister, Holzkünstler und Schmied, bei ihrer Trennung Lebensbäume, um daraus später das Schicksal der einzelnen zu erfahren. Der erste heiratet eine schöne Jungfrau, wird aber vom Chan, der sie besitzen möchte, umgebracht. Als die Genossen seinen Baum verdorrt finden, erwecken der Rechner, Schmied und Arzt den Jüngling wieder; und der Schreiner und Maler verfertigen einen Wundervogel, in dem jener zum Palast fliegen und seine Gattin holen kann. Sie geraten aber in Streit und zerstückeln die Frau. - Afrikanisch: "Über Eltern und ihre vier Kinder"; Dieb, Jäger, Flicker holen die vom Regenbogen entführte Schwester zu Schiff ab und erschiessen den Verfolger.

In Indien ist noch eine verwandte Erzählung entstanden, die statt der Befreiung einer geraubten Prinzessin oder der Wiederbelebung einer im Sterben liegenden die Erschaffung eines Mädchens durch drei oder vier kunstreiche Gesellen schildert und gleichfalls von einer sinnvollen Rahmengeschichte eingeschlossen ist: eine stumme Königstochter wird durch die Geschichte und die am Schluss ausgesprochene Frage zum Reden gebracht. Im Vikramacaritam, das bisher nur aus der mongolischen Nachbildung bekannt ist, weiden vier Hirten ihre Herden zusammen auf derselben Wiese. Als einst der eine früher als seine Gefährten kommt, schnitzt er zum Zeichen seiner Anwesenheit aus Holz eine weibliche Figur, und geht wieder fort. Der zweite bemalt die Figur mit gelber Farbe und geht auch fort; der dritte verbessert sie, macht sie einer Frau ähnlich; der vierte beseelt sie und begibt sich fort wie die andern. Als dann alle zum gewohnten Ort zurückkehren und die schöne Frau sehen, geraten sie in heftigen Streit um ihren Besitz. Wem sie gebühre, fragt König Vikramâditja die Göttertochter Naran-Dâkinî, um sie zum Sprechen zu bringen, was vorher keiner vermochte. Auch jetzt schweigt sie; als aber die in Rosenkranz, Altar, Opferkrug und Lampe verwandelten Gefährten des Königs antworten, sie komme dem ersten zu, ergreift sie aufgebracht das Wort: "Der die Figur zuerst machte, ist ihr Vater, der sie bemalte, ihre Mutter, der sie verbesserte, ihr geistlicher Lehrer, der ihr das Leben einhauchte ihr Mann". - Weitaus kunstvoller ist eine siamesische Märchensammlung gestaltet, die eine Prinzessin Kankras, um ihren Vater vom Tode zu retten, dem König von Pataliput erzählt. Viermal trägt der kluge Held der Stummen Königstochter Erzählungen vor, die mit einer Frage enden, auf welche sein in einen Vorhang, eine Lampe, einen Spucknapf oder das Kopfkissen gebannter Milchbruder möglichst verkehrte Antworten gibt, und reizt dadurch viermal die Prinzessin zu Erwiderungen. Die erste Erzählung handelt von vier Mädchen, die einen gepfählten Räuber abnehmen und heilen; die zweite von der hölzernen Jungfrau und dem Zimmermann, Zeichner, Schnitzer und Beleber; die dritte von der durch den Sternseher, Bogenschützen, Taucher und Beleber befreiten Prinzessin; die vierte vom Streit der vier empfindlichen Damen. - Persisch: hier erzählt der König der Lampe, dem Gürtel, der Giesskanne und dem Bettfuss der Prinzessin 1. von den Freiern mit wunderbaren Eigenschaften, 2. von den vertauschten Köpfen, 3. von der belebten Braut, 4. von der hölzernen Jungfrau und dem Holzschnitzer, Juwelier, Weber und Mönch. - In einem ceylonesischen Märchen wird die Jungfrau von vier Reisegesellen, einem Zimmermann, Maler, Kaufmann und Juwelier, geschaffen; als die Lampe, in die der Erzähler einen seiner Begleiter verwandelt hat, töricht antwortet, erklärt die Prinzessin, das Mädchen gehöre dem Wirt, aus dessen Holzblock es geschnitzt wurde. - Tatarisch am Kaukasus: "Der heilige Fisch"; der freigelassene Fisch begleitet in menschlicher Gestalt den Fischer zur schweigenden Prinzessin und erzählt dem Papagei von der Heilung einer Jungfrau durch einen Späher, Flieger und Arzt, sodann von der geschnitzten, bekleideten und belebten Figur. - Auch in dem griechischen Märchen "Das goldene Kästchen" bringt der Jüngling durch drei von seinem Zauberkästchen erzählte Geschichten die Prinzessin zum Reden: 1. die Rettung der Sterbenden, 2. die Erschaffung der hölzernen Jungfrau, 3. Befreiung der vom Zauberer entführten Königstochter durch sieben Brüder, einem Horcher, Starkhändigen, Dieb, Träger, Turmbauer, Schützen und Fänger. - Afrikanisch: "Der Zimmermann und das Amulett"; zweimal wird die Holzfrau entführt; ihr Mann bringt die Verstummte durch Erzählen ihrer Geschichte zum Reden und verlangt das zweitemal durch einen Vogel ihr Amulett zurück; wie sie es ablegt, wird sie wieder zum Baum.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Die fünf Söhne. Basile/Italien 5,7
Die Geschichte von dem Königssohn Ahmed und der Fee Peri Benu. 1001 Nacht/Arabien 3
Die sieben Simeone. Afanasjew/Russland 145
Die vier kunstreichen Brüder. Grimm/KHM 129
Von den drei um die Braut streitenden Brüdern. Hahn/Griechenland 47


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