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Der starke Hans 650A

Märchentyp AT: 650A; cf. 301B
Grimm KHM: Der junge Riese 90


Der starke Hans wird auf übernatürliche Weise von einem Tier oder Menschen geboren. Er ist ein Bärensohn oder ein Sohn eines Schmiedes und einer Trollfrau. Oft heisst es, dass seine Stärke darauf beruht, dass er ungewöhnlich lange gestillt wurde (Manchmal ist er von einem Tier oder sogar von seinem Pflegevater gestillt worden.) Verschiedene Varianten lassen seine Entstehung durch Axt und Schmiedehammer vollziehen, so dass er aus Eisen (Holz) gefertigt ist. Der Held wächst äusserst rasch und gewinnt eine unglaubliche Stärke, die durch Kraftproben erwiesen wird. Der Held besitzt als Waffe eine schwere Eisenstange und als Spazierstock verwendet er Bäume, die er samt der Wurzel ausreisst. Er betätigt sich als Holzfäller, als Heuer, Drescher und Pflüger und zähmt wilde Tiere.


Anmerkung

Oft heisst es, dass die Stärke darauf beruht, dass der Held ungewöhnlich lange gestillt wurde, und manchmal ist er von einem Tier oder sogar von seinem Pflegevater gestillt worden! Eine Variantengruppe lässt seine Entstehung durch Axt und Schmiedehammer vollziehen und verleiht ihm auf die gleiche Weise Leben wie Pygmalion seiner begehrten Elfenbeinjungfrau (vgl. 653). Eine andere Gruppe lässt ihn trotz seiner Stärke die Gestalt eines Däumlings annehmen, aber für die meisten Varianten ist es charakteristisch, dass der Held rasch wächst und eine unglaubliche Stärke gewinnt, die durch gewaltige Kraftproben erwiesen wird. Manchmal wird er jedoch als Muttersöhnchen geschildert, als ein Aschenputtel, der nichts Nützliches unternehmen will, bis sich der Zuhörer plötzlich über seine unerhörte Kraft wundert. Die Zeit, die er in einem kühlen Hain verschlafen hat, wird auf einmal vielfach wettgemacht. Man begegnet ihm dann bald im Wald als Holzfäller, bald bei der Heumahd, bald mit Dreschflegel oder Pflug, und oftmals bereitet er seinem Herrn Ärger, vor allem dann, wenn er sich unterfängt, unter dessen zahmen Tieren wilde Tiere zu zähmen (vgl. 1542). Aber die Kraft verlangt auch Nahrung. Der starke Hans isst nicht nur so viel, dass er deshalb sein Elternhaus verlassen und sich einen Dienst suchen muss, sondern so über die Massen viel, dass sich sogar Könige und Riesen ausserstande sehen, ihn zu ernähren. Als Waffe lässt er sich viele Pfund schwere Eisenstangen schmieden, die er hoch hinauf in die Luft wirft, um sie nach Stunden wieder aufzufangen, und als Spazierstöcke verwendet er Bäume, die er samt der Wurzel ausreisst.

Oft heisst es von ihm wie von den persischen Helden, dass er zu einem Schmied in die Lehre gesteckt wurde, aber eine solche Kraft hatte, dass er den Amboss zerschlug oder mit seinen Schlägern in den Boden trieb. Er verteidigte seine jüngeren Arbeitskameraden, wenn er auch früher für seine Spielgefährten lebensgefährlich gewesen war, scheute sich hingegen nicht, seinen Meister zu verprügeln. Damit kommen wir wieder auf das Gebiet der Schwänke. Als Lohn verlangte er manchmal nur, seinem Meister am Ende der Dienstzeit eine Ohrfeige verabreichen zu dürfen, oder er schliesst mit dem Herrn einen Vertrag, dass keiner von beiden böse werden dürfe. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir im Märchen auch Anschläge auf das Leben des Helden finden. Manchmal wird er, besonders in Westeuropa, in einen Brunnen hinuntergelockt und erhält dort einen Mühlstein wie einen Ring um den Hals gelegt. Dieser Zug erinnert an 1146 (Mühlstein), wenn er auch nicht damit identisch ist. Besonders in Osteuropa wird der Held manchmal auch in eine Mühle voller Teufel zum Mahlen geschickt, soweit er nicht direkt in die Hölle gesandt wird. Zuweilen, wenn er als Soldat auftritt, erhält er einen tückischen Uriasbrief, doch er kann auch unverwundbar sein. Der Schluss des Ganzen ist oft, dass der Held gewinnt und seinem Herrn eine Ohrfeige geben darf, die aber so kräftig ist, dass der Bauer direkt in den Himmel fährt, um nie wieder herunterzukommen.

Von besonderem Interesse sind die griechischen und die älteren nordeuropäischen Varianten. Die griechischen zeigen, dass sie Bekanntschaft mit dem östlichen und auch mit dem westlichen Zweig des Batamärchens (318) sowie mit 519 (Brünhilde) und 301A (Der Bärensohn) gemacht haben, ohne dass man behaupten könnte, dass sie einem davon direkt entsprechen. Die älteren nordeuropäischen Varianten zeigen Fragmente des Märchens, die der Literatur des Mittelalters, insbesondere der isländischen, angehören. Wir finden die Abenteuer des Helden bei der Heuernte, beim Hüten sowie andere Jugendstreiche in der Grettis- und der Ormr Storolfssonsaga, und in der Floamannasaga wird er von seinem Vater gesäugt. Die Sagas münden dann in Abenteuer, die in ihrer allgemeinen Anlage an die griechischen Varianten erinnern, besonders hinsichtlich der Kämpfe mit übernatürlich starken weiblichen Zauberwesen, wie Grendels Mutter im Beowulfsepos. Gewisse, analoge Züge (das Ausreissen der Bäume mit der Wurzel, das Hinaufwerfen der Eisenstangen in den Himmel und das Zerschlagen des Hammers und des Ambosses) ersehen wir in der Siegfriedsage und in Fridausis persischem Königsbuch (um 1000 n.u.Z.). Das Märchen wurde in Schweden im Jahre 1701 aufgezeichnet. Der Held hat darin den in Dänemark häufigen und auch in Südschweden vorkommenden Namen Knös, der teils Teufel, Zauberwesen, Flegel, teils Erderhöhung oder Erdknollen bedeutet.


Literatur

Holmberg, U.: Der Baum des Lebens. Göttinnen und Baumkult. Bern 1996.
Merkel, H.M.: Das Märchen vom starken Hans. München 1977.

Meyer,, G.F.: Erzählungen vom starken Mann in Schleswig Holstein. In: Norddeutsche Zeitschrift für Volkskunde 12, 1934. p. 180-196.
Panzer, F.: Beowulf. München 1910.
Scherb, H.: Das Motiv vom starken Knaben in den Märchen der Weltliteratur. Stuttgart 1930.
Ward, D.: Bärensohn. In: EM 1, p. 1232-1235.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

In einer Frankfurter Fassung "Hans ohne Bart" tritt Hans, der dreimal sieben Jahre von seiner Mutter gesäugt worden, bei einer Müllerin in Dienst und macht mit ihr ab, dass, wer von beiden dem andern aufkündige, von diesem Schläge erhalten solle. Da er alles Brot im Haus verzehrt, schickt sie ihn abends in die Mühle zu den Irrwischen; aber er klemmt sie unter den Mühlstein und schleift ihnen Nase und Lenden ab. Er soll im Wald Holz holen, reisst die Bäume samt der Wurzel aus, schlägt die Pferde tot, weil sie den Wagen nicht vorwärts bringen, und zieht ihn allein heim. Wie er dann nach einem Kraut in der Teufelshöhle geschickt wird, hebt er einen Schatz und bringt der Müllerin einen Haufen Geld zurück.

Aus Waldeck: "Der durch die Schlangenhaut stark gewordene Schmied"; wie Siegfried. - Dänisch: in Jütland erzählt man von dem starken Hans, seine Gutmütigkeit sei so gross als seine Stärke. Der Herr, bei dem er dient, will ihn gern los sein; seine Tochter muss einen goldenen Ring in einen tiefen Brunnen werfen, und der soll sie zur Gemahlin haben, der hinabsteigt und ihn wieder heraufholt. Der starke Hans ist bereit dazu; während er aber unten ist, lässt der Herr einen grossen und schweren Mühlstein herbeibringen und in den Brunnen hinabwerfen. Doch glücklicherweise fällt er so, dass das Loch, das mitten im Mühlstein ist, gerade auf den Kopf von Hans kommt und der Stein auf seinem Hals sitzen bleibt. Ein andermal zwingt er den Teufel und seine Gesellen, für ihn in der Mühle zu mahlen. "Stærke-Hans og Herremanden"; Hans entsteht aus einem Gänseei; Brunnen, zur Hölle. "Stærkenhans"; von einer Bärin gesäugt, Brunnen, Teufelsmühle, Hölle. " Stærke Hans"; aus Gänseei, dreschen, Brunnen reinigen, Holzfällen, Krieg; nach der Heirat schwindet die Stärke. - Schwedisch: "Der Ellernriese"; aus Holz geschnitzt, Brunnen. - Norwegisch: "Mumle Gaaseæg"; aus einem Gänseei, im Krieg, beim Teufel. - Slowakisch: der dreimal sieben Jahre lang gesäugte Riese Lomidrevo (Baumreisser) mit andern Gefährten. - Polnisch: "Der starke Maciek"; pflügt, drischt und trägt fort mit Hilfe des von ihm bezwungenen Teufels und Drachen. - Weissrussisch: "Iwan des Windes Sohn"; spannt Bären ein, bezwingt den Teufel, den Feuerkönig und mit Hilfe zweier Gefährten den Drachen, der drei Prinzessinnen geraubt hat. - Finnisch: "Mikko Mieheläinen"; Sohn einer Waldfrau; holt Holz, Fische, Gold vom Warägerkönig; dann Erdmänneken, KHM 91. - Türkisch: der Riese ist der Sohn eines Popen und einer Bärin; Teufelsmühle. - Ismeritinisch: Bärensohn muss die Schöne für den König holen, verbündet sich mit andern Gefährten. - Ossetisch: von einem Riesen erzogen, spannt zwei Tiger vor den Holzwagen und sieben Riesen vor den Pflug, heiratet eine Riesenjungfrau, auf die der Chan durch ein Goldhaar im Strom aufmerksam wird.

Das Märchen reiht verschiedene Taten eines ungeheuer starken Helden lose aneinander. Seine Stärke leitet sich aus seiner Abstammung von Bären (s. KHM 91) oder von einem Meerweib oder Waldweib (so besonders in dänischen und schwedischen Fassungen) her oder davon, dass ihn seine Mutter sieben, zehn, zwölf Jahre lang säugt, oder dass er aus Holz oder Eisen angefertigt ist (Eine Fee säugt ihn im serbokroatischen Märchen. Eine Hirschkuh säugt den ausgesetzten Knaben). Weiter wird hervorgehoben seine Esslust; seine Erziehung beim Schmied (das Schmieden der eisernen Keule), seine Leistungen beim Holzfällen, Pflügen, Dreschen, seine Abenteuer im Brunnen, in der Teufelsmühle, in der Hölle usw. Als Lohn hat er sich für seine Knechtesdienste häufig ausbedungen, dass er seinem Herrn einen Schlag versetzen darf; oder Herr und Knecht haben eine Zornwette geschlossen; wer sich zuerst ärgert, dem schneidet der andre Nase und Ohren ab oder einen Riemen aus dem Rücken.

Es finden sich auch Übergänge zum Schneider und Riesen (KHM 20), zu des Teufels russigem Bruder (KHM 100) und zum Meisterdieb (KHM 192). - Vielfach werden die Arbeiten des starken Knechts, der als Lohn für das Ausdreschen allen Getreides soviel Getreide erhält, als er forttragen kann, usw. verbunden mit dem Motiv des büssenden Teufels, der dem Bauer, dem er sein Brot gestohlen, zur Strafe eine Zeitlang dienen muss.

Die Brüder Grimm betonen bei diesem Märchen, wie bei den KHM 60, 92, 93, 94, die Verwandtschaft mit der Sage von Siegfried, dessen gewaltige Riesennatur in seiner Jugend die Gedichte ähnlich beschreiben. Er fängt die Löwen, bindet sie an den Schwänzen zusammen und hängt sie über die Mauer. Deutlicher ist sein Arbeiten beim Schmied, dem er hier ebenso ungefüg zuschlägt, der wie Regin goldgierig ist und aus Geiz alles allein besitzen will; ferner die Hinterlist des gleichfalls habsüchtigen Amtmanns, der ihn los sein will, welche jener des Regin entspricht sowie die gefährliche verwünschte Mühle dem Drachennest, wohin er, der den Schrecken nicht kennt (was besonders die nordeuropäische Sage hervorhebt; denn Brunhild hatte gelobt, keinem andern sich zu vermählen als einem ganz Unerschrockenen; s. Sigurdrifas Lied), furchtlos geht und siegreich zurückkommt. Der Riese erscheint ganz in den Sitten, welche die alten Gedichte beschreiben; eine Eisenstange ist seine Waffe, und er versucht die Kraft am Ausreissen der Bäume. Ein russisches Lied in Fürst Wladimirs Tafelrunde zeigt in Tschurilo einen ähnlichen Helden, und im Persischen neigt sich Guschtasp dahin (Firdusi; auch Rustem reisst einen Baum aus der Wurzel und trägt ihn als Stock). Das unschädliche Herabwerfen der Mühlsteine erinnert lebhaft an Thors Abenteuer mit Skrymir (Gylfaginning), wie diese wieder an die böhmische Sage vom Riesen Scharmack.

Die Erziehung bei Riesen ist gleichfalls ein alter bedeutender Umstand; bei diesen oder bei kunstreichen Zwergen wurden die Helden in die Lehre getan, wie Sigurd bei Regin und Widga (Wittich) in der Thidrek-Saga.

Ebenso ist es ein alter Zug, dass der Riese den Jungen selber säugt, was auch in KHM 92 vorkommt. In der Flóamanna-Saga wird erzählt, das Thorgil um sein zartes Kind, dessen Mutter ermordet war, zu ernähren, sich in die Brustwarzen schneiden liess; zuerst kam Blut, dann Molken, endlich Milch, womit das Kind gesäugt wurde.

Siegfried und Eulenspiegel berühren sich nach der Ansicht der Brüder Grimm in unserm Märchen; ähnliche Helden sind Simson, Morolf, der finnische Kullervo (Kalewala, Rune 31-36. J. Grimm, Myth.8 S. 519) und vor allen Gargantua nach den echten Volkssagen von ihm. - Der finnische Riesen-Eulenspiegel Kullervo oder Soini war drei Nächte alt, da trat er sein Windelband auf, und man sah, dass ihm nicht zu trauen war, also wurde er ausgeboten. Ein Schmied nahm ihn in seinen Dienst, dem sollte er sein Kind hüten; aber er griff dem Kind die Augen aus, tötete es nachher und verbrannte die Wiege. Drauf setzte ihn der Schmied über einen Zaun, den er flechten sollte; da holte er Fichten im Wald und flocht sie mit Schlangen zusammen. Nun musste er Vieh weiden, die Hausfrau buk ihm aus Rache einen Stein ins Brot, so dass er sich sein Messer stumpfte; erzürnt rief er Bären und Wölfe, dass sie die Herde frässen; aus den Kuhbeinen und Ochsenhörnern aber machte er sich Blashörner und trieb die Wölfe und Bären statt der andern Herde heim. - Der nordeuropäische Grettir, als er Gänse und Rosse hüten soll, spielt ähnliche Streiche.


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Der junge Riese. Grimm/KHM 90
Der Knecht. Afanasjew/Russland 152
Der starke Gottlieb. Bechstein/Deutschland 6
Nadzej, der Popenenkel. Afanasjew/Russland 143


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