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Die drei Schlangenblätter 612

Märchentyp AT: 612
Grimm KHM: Die drei Schlangenblätter 16


Ein Mann verliert seine Frau kurz nach der Heirat. Er hat versprochen, sich mit ihr begraben zu lassen (an ihrem Grab zu wachen), falls sie zuerst sterben sollte. Im Grab sieht er, wie eine Schlange stirbt und eine andere Schlange ein Kraut (ein Laub) holt und ihre Gefährtin damit wieder zum Leben erweckt. Der Mann erweckt seine Frau auf die gleiche Art, sie wird ihm aber untreu und lässt ihn töten bzw. bewirkt durch List, dass er zum Tod verurteilt wird. Ein treuer Diener erweckt ihn jedoch mit dem Kraut wieder zum Leben.


Anmerkung

Das Schlangenmotiv, das sicherlich sehr alt ist (man vergleiche das Gilgameschepos), gibt es bei Apollodorus und Hyginus in der Erzählung von Polyidos, der in Glaukos Grab eingeschlossen wurde. Das gleiche Motiv finden wir später bei Marie de France (12. Jahrhundert, in Eliduc, vgl. unter 709) und in der Völsungasaga, 8. Kap. (um das Jahr 1260), aber in beiden Fällen handelt es sich um Wiesel an Stelle der Schlangen. Dass ein Mann zugleich mit seiner verstorbenen Frau begraben werden sollte, wissen wir u.a. aus Sindbads vierter Reise in Tausendundeiner Nacht. Das Motiv von der vom Mann wiedererweckten oder zumindest geretteten, aber dann ungetreuen Frau ist in einer ganzen Menge Erzählungen indischen Ursprungs enthalten, wie in den sogenannten Jatakas oder Erzählungen über Buddhas Wiedergeburten, im chinesischen, aus dem Sanskrit übersetzten Tripitaka und im Kathasaritsagara (11. Jahrhundert). Der Mann muss mitunter für das Leben der Frau eine gewisse Anzahl Jahre des eigenen Lebens opfern. Die Geschichte von der ungetreuen Frau kommt dann mit oder ohne Grabkammermotiv vielfach von Tibet sogar bis nach Indonesien, weiter bei den Persern, unter den Arabern, in den Vierzig Wesiren bei den Türken (15. Jahrhundert) sowie im Mittelalter in Europa vor und hat sich sodann in Verbindung mit dem Schlangenmotiv von Italien und Deutschland aus einerseits nach Spanien und Frankreich im Westen und andererseits zu den Slawen und Rumänen im Osten verbreitet, mit dem einen oder anderen Ausläufer nach dem Norden.

In 300 (Der Drachentöter) und 934B (Die Weissagung, durch ein verzaubertes Tier zu sterben) ist das Wiedererweckungsmotiv umgeformt. Dort handelt es sich nicht um Schlangen, sondern um Mäuse, und nicht um Kräuter oder Blätter, sondern um eine Flasche mit Lebenselixier.


Literatur

Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der Brüder Grimm. Bern 1999.
Egli, H.: Das Schlangensymbol. Olten 1982.

Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem. Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Holmberg, U.: Der Baum des Lebens. Göttinnen und Baumkult. Bern 1996.

Paris, G.: Die undankbare Gattin. In: Zeitschrift für Volkskunde 13, 1903. p. 1-24, 129-150.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

Unser Märchen besteht aus folgenden Teilen: A. Der Held muss seiner Braut geloben, sich mit ihr, falls sie vor ihm stirbt, begraben zu lassen. - B. Dies geschieht bald nach der Hochzeit. - C. Im Grabgewölbe gewahrt er, wie eine Schlange eine tote Genossin durch ein Kraut belebt, und erweckt mit diesem seine Gattin. - D. Die Wiederbelebte aber verliebt sich in einen Schiffsherren und (E) wirft mit ihm ihren Mann ins Meer. - F. Von einem treuen Diener mit Hilfe des Schlangenkrautes ins Leben zurückgerufen, (G) entlarvt er das schuldige Paar, das zum Tode verurteilt wird.

Die Fassungen weichen vielfach ab. Das Gelübde der gemeinsamen Bestattung der Ehegatten fehlt. Der Tod und die Wiederbelebung der Frau fehlen. Statt der Schlange reicht ein Greis, eine geisterhafte Frau oder eine Schwalbe das totenerweckende Blatt, die Rose oder Salbe. Überall ferner tötet die untreue Gattin ihren Mann nicht selbst, sondern bewirkt durch eine List, dass er als Dieb zum Tode verurteilt wird. Der Wiederbelebte heilt nun eine kranke Prinzessin oder einen Fürsten und erlangt dadurch die Macht, die beiden Schuldigen zu bestrafen. Im rumänischen Märchen versöhnt sich der Mann wieder mit ihr.

Dass die Frau verlangt, der überlebende Gatte solle sich mit ihr begraben lassen, wird in Sindbads vierter Reise als eine Sitte auf einer der Sunda-Inseln bezeichnet und ist auch anderwärts nachgewiesen.

Das den Schlangen bekannte Lebenskraut erscheint schon in der altgriechischen Sage: Polyidos sollte dem Glaukos das Leben wiedergeben, konnte es aber nicht; darum liess ihn der erzürnte Vater zu der Leiche in das Grabmal verschliessen. Polyidos sah, wie eine Schlange auf den toten Glaukos schlüpfte, und erschlug sie; bald kam eine zweite Schlange und trug ein Kraut im Mund, das sie auf die getötete legte, wovon diese alsbald wieder lebendig wurde. Schnell ergriff Polyidos das Kraut, legte es auf den Glaukos, und er erhielt das Leben wieder. In der Völsungasaga sind zwei Buschkatzen, im irischen Märchen zwei Vögel an die Stelle der Schlangen getreten. In einer sibirischen Erzählung sieht der gelähmte Held, wie eine Maus, der er das Bein geknickt hat, von ihren Genossen durch eine Wurzel geheilt wird, und gesundet selber durch diese. Im slowakischen Märchen kriecht ein Frosch mit dem Lebenskraut dem von seinen Brüdern erschlagenen Helden übers Gesicht. Im kroatischen belebt die Schwester, oder die bezwungene Vila den Toten mit einem Kraut.


Variantenverzeichnis

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Die drei Schlangenblätter. Grimm/KHM 16


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