Fortunatus 566
  Märchentyp AT: 566
  Grimm KHM: Der Krautesel 122
  
  
  Drei Brüder erhalten eine Börse,
  die nie leer wird, ein Horn, das ein ganzes Heer
  zusammenruft, und einen fliegenden Mantel, der seinen
  Träger an jeden Ort bringt, an den er sich wünscht. Eine
  Prinzessin bemächtigt sich der Börse und des Hornes. Von
  einem der Brüder, der sich des Mantels bemächtigte, wird
  sie auf eine Insel entführt. Die Prinzessin nimmt
  schliesslich auch den Mantel und kehrt alleine wieder nach
  Hause zurück. Der auf der Insel zurückgelassene Mann
  findet dort einen Baum, dessen Früchte (Äpfel, Feigen)
  demjenigen, der davon isst, ein Horn auf der Stirn wachsen
  lassen, und einen anderen, durch dessen Früchte es wieder
  verschwindet. Der junge Mann kommt schliesslich an den Hof
  zurück und tritt mit den wunderbaren Früchten als Arzt
  auf. Er verkauft die Früchte an die Prinzessin, die er
  mit den Früchten des anderen Baumes heilt. Somit erhält
  er die wunderbaren Dinge zurück.
  
  
  Anmerkung
  So ungefähr lautet die Urform der europäischen
  Versionen dieses Märchens. Man merkt jedoch sofort, dass
  es nicht ganz volkstümlich ist. Es wird beispielsweise
  überhaupt nicht vom jüngsten
  Bruder gesprochen, auch nicht vom ältesten, sondern vom
  dem "ersten". Das Märchen folgt auch getreu
  einem etwa 1440 verfassten Roman mit dem Namen Fortunatus.
  In diesem Roman heisst der Held mit dem Geldbeutel Andalos
  und sein Bruder mit dem fliegenden Hut Ampedos oder so
  ähnlich. Die Prinzessin ist die Prinzessin Agrippina von
  England, und der Vater der Brüder heisst Fortunatus. Von
  ihm hatten sie die Kleinode geerbt. Er hatte nach einer
  anstrengenden Bärenjagd von einer gebefreudigen Göttin
  geträumt und war mit dem Beutel in der Hand erwacht, und
  der Hut war ihm von einem Pascha in Alexandria gezeigt
  worden. Er hatte dann den Hut aufgesetzt, sich nach Hause
  zu seiner Frau gewünscht und den Hut, als er dort gut
  angekommen war, ohne weiteres behalten. Es sind die
  Erlebnisse der Brüder und insbesondere des Andalos, die
  mit dem Märchen übereinstimmen, während das Auftreten
  des Vaters mehr der Handlungsweise in 518 (Die um magische
  Gegenstände streitenden Erben) entspricht. Der Roman ist
  mit langen Reisebeschreibungen geschmückt, besonders mit
  Namen aus dem Orient. Die Vorbilder zu diesen
  Reisebeschreibungen, die es übrigens ermöglichten, den
  Zeitpunkt für das Entstehen dieses Romans festzulegen,
  sind teils Marco Polo, teils und hauptsächlich
  Montevillas (von 1355) Reiseschilderungen. Die Handlung
  selbst könnte der Verfasser aus den Gesta Romanorum
  geholt haben, vieles deutet aber darauf hin, dass er sich
  eines morgenländischen Stoffes bedient hat. Unter den
  jetzigen volkstümlichen Varianten ist nur eine, von
  Island, die der leicht erkennbaren, massvollen Schilderung
  der Gesta Romanorum folgt, und unter den älteren ist die
  ebenfalls isländische Blavussage zu bemerken.
  Wenden wir uns gegen Osten, so finden wir Fragmente des
  Märchens teils in einer Bearbeitung von Apulejus, teils
  im Tripitaka und im Sukasaptati in Indien. Bei Apulejus
  und im Tripitaka handelt es sich nur um die Verwandlung in
  einen Esel und die Rückverwandlung durch ein Kraut. Im
  Sukasaptati (Nr. 7) steht der Zusammenhang der Handlung
  unserem Märchen näher, und dort ist, wie im allgemeinen
  in den morgenländischen Varianten, die Königstochter
  durch eine Hetäre ersetzt. Bei einigen von ihnen bildet
  eine Variante des Märchens vom Zaubervogel (567) die
  Einleitung. In diesem Märchen findet der Bruder, der das
  Herz des Vogels isst, jeden Tag ein Goldstück unter
  seinem Kopfkissen, und demjenigen, der den Kopf isst, wird
  versprochen, König zu werden. Letzterer wird in gewissen
  Varianten auch Drachentöter und Held wie im Märchen von
  den Zwillingsbrüdern (303), während der Bruder, der die
  Goldmünze erhält, in den Rahmen des hier behandelten
  Märchens hineingestellt und von einer Hetäre um seinen
  Anteil gebracht wird, ihn aber genau auf die gleiche Weise
  wiedererhält, wie oben beschrieben.
  Einen solchen, etwas verzerrten Typ gibt es auch im
  Siddhi-Kur. An Stelle des hervorspriessenden Hornes usw.
  finden wir dort wie übrigens in mehreren
  morgenländischen Varianten dieses Typs die Verwandlung in
  ein Tier (Esel oder Affe). Die orientalischen Varianten
  werden oft mit dem Märchen 518 eingeleitet, also dem
  gleichen Motiv, das in Alexandria hinter dem Erwerb des
  fliegenden Hutes durch den Vater, Fortunatus, liegt. Das
  Märchen tritt oft im Verein mit 569 (Betrügerischer
  Austausch magischer Gegenstände) auf.
  Nach allem zu urteilen, hat das Märchen am Ende des
  Mittelalters vom Orient her West- und Südeuropa erreicht
  und dort den Anstoss zur Entstehung des Fortunatusromans
  wie des Fortunatusmärchens gegeben. Das Märchen von
  Fortunatus hat sich dann über ganz Europa verbreitet und
  sogar oft das Märchen vom Zaubervogel als
  Einleitungsmotiv mitgerissen. Eine ganze Gruppe von
  Varianten hat sich zu einem Sondertyp entwickelt, den wir
  von Grimms Krautesel kennen. Dort ist das Märchen sehr
  vereinfacht, und die Heldin ist die Tochter einer Hexe,
  die Motivkette ist jedoch dieselbe.
  Hier wurden Metamorphosen von Apulejus, aus dem
  Tripitaka oder aus dem Sukasaptati als älteste Belege
  für das Märchen genannt. Aber eines der Hauptmotive
  liegt weit länger in der Zeit zurück und dem Abendlande
  viel näher. In der Odyssee werden die Männer des
  Odysseus aus Schweinen wieder zu Menschen verwandelt,
  hauptsächlich durch den Zauberstab der als kleinasiatisch
  angesehenen Göttin Circe. Hinter dem Zauberstab steht als
  Doppelmotiv das von Hermes dem Odysseus überreichte
  Zauberkraut "moly". Fügen wir hinzu, dass die
  Kleinode in der Odyssee von der gleichen Art sind wie die,
  die wir in 518 kennenlernten, und dass der nie versiegende
  Geldbeutel dem in 563, 564 und 565 gleicht. In Europa
  dürfte seine eigentliche Verbreitungszeit im 16. und 17.
  Jahrhundert liegen.
  Selbstverständlich hat nicht nur der Fortunatusroman -
  er wurde erstmalig in Augsburg 1509 gedruckt und in einer
  Unzahl von Volksbüchern verbreitet -, sondern haben auch
  seine vielen literarischen Bearbeitungen und
  Dramatisierungen, u.a. von Hans Sachs und Decker, einen
  gewissen Einfluss auf die Bildung einer ganzen Anzahl
  Varianten ausgeübt. Das älteste bekannte schwedischen
  Volksbuch wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts gedruckt
  und hatte zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert ein halbes
  Dutzend Auflagen. In der ersteren ruft die entstellende
  Frucht ein Horn hervor, in der letzteren Eselsohren, die
  oft zu einer langen, wurstähnlichen Nase popularisiert
  wurden, gleich dem Motiv in Perraults Drei Wünschen.
  
  Literatur
  Aarne, A.: Die drei Zaubergegenstände und die
  wunderbaren Früchte. In: Vergleichende Märchenforschung.
  Helsingfors 1908.
  Günther, H.: Zur Herkunft des Volksbuches von
  Fortunatus und seinen Söhnen. Freiburg 1915.
  Miranda, E.: Fortuna. In: EM 5, p. 1-6.
  Lazar, B.: Über das Fortunatus-Märchen. Leipzig
  1897.
  Uther, H.-J.: Fortunatus. In: EM 5, p. 7-14.
  Wiemann, R.: Die Erzählstruktur im Volksbuch Fortunatus.
  Hildesheim 1970.
  
  Märchen
  >> Das grosse Buch der
  Zaubermärchen
  
  Hinweise
  Die Erzählung handelt A) von dem Herzen des
  Glücksvogels, nach dessen Genuss der Held alle Morgen ein
  Goldstück unter seinem Kopfkissen findet (oder Gold
  speit), und B) von dessen Verlust und Wiedergewinnung; ein
  habgieriges Mädchen lässt ihn sich erbrechen und nimmt
  das Herz an sich, wird aber zur Strafe in eine Eselin
  verwandelt.
  Im kalmükischen Siddhi-Kür speien der Fürstensohn
  und sein Diener Gold, weil sie zwei Kröten verschlungen
  haben; zwei Branntweinverkäuferinnen, Mutter und Tochter,
  lassen sie in der Trunkenheit viel Geld speien und werden
  dafür vom Diener durch ein Zauberpapier in Eselinnen
  verwandelt.
  Die Verwandlung des Helden in einen Esel und seine
  Entzauberung durch Rosen kommt schon in dem verlorenen
  griechischen Roman des Lukios von Paträ vor. Lukios
  belauscht eine Zauberin, die sich durch Bestreichen mit
  einer Salbe in einen Vogel verwandelt, und bittet die Magd
  um eine gleiche Salbe; die aber vergreift sich in der
  Büchse, und Lukios wird zum Esel und erlebt viele
  Abenteuer.
  Ein Bürgerssohn aus Brück in Sachsen geht unter die
  Schweden und liegt eine zeitlang in einer schlesischen
  Stadt, wo er eine Liebschaft mit der schönen Tochter
  einer armen Witwe anfängt und sich mit ihr verlobt. Als
  er fortzieht und Mutter und Tochter mit Nachholung
  vertröstet, merkt jene, dass er es nicht aufrichtig
  meint, und spricht: "Dein Bräutigam wird dich wohl
  sitzen lassen, ich will ihn dafür zum Esel machen".
  Die Tochter antwortet: "Will er so untreu handeln, so
  ist er nichts Besseres wert". Der Reiter zieht fort;
  als er aber ein wenig nachreitet und an einen Strauch
  kommt, meint er, es sei Not einmal abzusteigen; wie er
  aber abgestiegen ist, wird er alsbald zum Esel, bleibt
  auch bei seinem Pferd stehen. Nun kommen andere, behalten
  das Pferd und verkaufen den Esel einem Müller zum
  Sackträger. Aber er ist mutwillig und wirft alle Säcke
  herab, so dass ihn der Müller einem andern Müller
  verkauft, wo aber der Menschesel sich nicht frömmer
  verhält; ja er schreit einmal laut und schlägt aus, als
  der Müller mit der Magd scherzen will, und wird nun
  weiter und gerade in die Stadt verkauft, wo er zum Esel
  geworden war. Als er einst mit einem Sack an dem Hexenhaus
  vorübergeht und eben Mutter und Tochter vor der Tür
  stehen, spricht diese: "Ei, Mutter, steht da unser
  Eselchen! Könnte der nicht wieder zu einem Menschen
  werden?" - "Ja", antwortet die Mutter,
  "wenn die Lilien blühen und er davon isst, so kann
  es geschehen." Das hört der Esel, und als die Lilien
  blühen und in der Apotheke ein Topf damit angefüllt
  etwas hoch steht, wirft er im Vorbeigehen seinen Sack zur
  Erde, springt hinauf, erschnappt die Lilien und wird
  alsbald wieder zum Menschen, steht aber nackend da.
  In neueren Sagen erlöst ein Blumenkranz am
  Fronleichnamstag oder geweihtes Wasser den Eselmenschen.
  
  Variantenverzeichnis
  >> Märchen-Suchdienst
  Der Krautesel. Grimm/KHM 122
  Rolands Knappen. Musäus/Deutschland 1,3
  Die Börse, die Pfeife und der Hut. Soupault/Frankreich
  2,5
  
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