So lauten die Typen 563, 564 und 565 in den
landläufigen Formen. Sie wurden u.a. von Aarne
untersucht. Es ist richtig, dass das alte Indien eine
Menge Wunschkleinode aufweisen kann. Wir finden solche,
die ihrem Besitzer Essen, Geld und Soldaten geben, und im
Pantschatantra (III, 13) machen wir mit einem Gold
liefernden Vogel Bekanntschaft und im Mahabharata mit der
Kuh Kamadenuh Surabhi, die alle Wünsche erfüllen kann.
Andererseits finden wir, wie Herodot erzählt, dass in
Äthiopien - wo sich die Sonne nachts aufhielt -
allmorgendlich ein Tisch mit frischgekochtem Fleisch
gedeckt dastand. Dieser Tisch wurde "Tisch der
Sonne" genannt und scheint dem Perserkönig Kambyses
ebenso bekannt gewesen zu sein wie den Griechen. Sogar
Homer scheint darauf anzuspielen (Od. I, 22). Selbst der
römische Geograph Pomponius Mela erinnert sich in einer
seiner Reisebeschreibungen an diesen Tisch der Sonne in
Äthiopien. Ein sich selbst deckender Tisch wird übrigens
auch in einem griechischen Lustspiel von Krates erwähnt,
und einen nie versiegenden Krug finden wir in Ovids
Philemon und Baucis. Diese Wunschkleinode sind
augenscheinlich von der gleichen Art wie die des Märchens
518. Wir finden dort eine Tarnkappe, Siebenmeilenstiefel
und ein Zauberränzel - und die gleichen Kleinode treffen
wir im Perseusmythos. Derartige Gegenstände haben demnach
während langer Zeit die Phantasie der Menschen
beschäftigt, sowohl am Mittelmeer wie in Persien und
Indien. Aus dieser Vorstellungswelt sind die genannten
Märchen hervorgesprossen.
Am ältesten und mit einem innerhalb des soeben
angegebenen Gebietes bemerkbaren Zug nach Osten dürfte
das Märchen Die zwei wunderbaren Krüge (564) sein. Es
ist in Indien gut belegt und erreichte von dort schon in
der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts n.u.Z. China in
einem nun abhanden gekommenen Manuskript. Wir finden es
jedoch fragmentarisch in einem andern Manuskript, in dem
chinesischen Tripitaka, das 516 n.u.Z. zusammengestellt
wurde.
Das jüngere Märchen Tischlein deck dich (563) ist
westlicher orientiert, obwohl es auch in gewissen Motiven
schon frühzeitig in Indien und China wie in
Tausendundeiner Nacht vertreten war. Es dürfte im
östlichen Mittelmeergebiet aus einer Variante des
vorhergehenden Märchens entstanden sein.
Das Märchen ist jetzt in allen Ländern Europas
vertreten. Der Esel ist selbstverständlich nach Norden
hin gegen ein anderes Tier (Hahn, Bock usw.) ausgetauscht
worden. Der östliche und der westliche Hauptzweig haben
in vielen Fällen hinsichtlich Einleitung und
Haupthandlung übereinstimmende Motive. Wir finden
beispielsweise in beiden den Wind als Gabenspender und das
Motiv eines sich zum Himmel streckenden Schlinggewächses.
Doch hat der östliche Hauptzweig überdies ein ganz
besonderes Motiv, nämlich den armen Mann, der von seinem
reichen Bruder ein einziges Mal ein Stück Fleisch bekam.
Im Tausch hiefür erhält er vom Teufel einen Hahn, ein
Huhn oder eine Mühle, die Gold liefert. Wir lenken die
Aufmerksamkeit besonders auf die Gold liefernde Mühle.
Eine solche Mühle kommt, wenn auch in anderem
Zusammenhang, schon bei den Arabern und Türken vor.
Bevor wir nun weitergehen, müssen wir uns einen
Begriff davon machen, wie alt das Märchen Tischlein deck
dich in Europa nördlich der Alpen sein kann. Der Teufel,
der in dem Märchen erwähnt wird, und das Christentum
dürften Norddeutschland ungefähr gleichzeitig, d.h. im
9. Jahrhundert, erreicht haben, während die Gebiete um
den Rhein bedeutend früher christianisiert wurden. Der
Teufel des Märchens könnte etwas älter sein als das
Christentum, aber man merkt doch, dass seine Rolle in den
älteren nordeuropäischen Märchen gern von einem Riesen
wie Utgardaloki (siehe 461) gespielt wurde. Seine äussere
Gestalt dürfte der Teufel zum grossen Teil von den
zahllosen Diven des Orients erhalten haben, die das
gleiche Aussehen haben. Wir sprechen jedoch vom Teufel
meist in der Einzahl, ungeachtet dessen, dass man in einem
Fluch beliebig viele Teufel herbeirufen kann, grosse wie
kleine, genauso wie wir vom Fuchs, vom Wolf, vom Julbock
und ähnlichen Potentaten in einer Art Singularis
majestatis sprechen. Im frühen Mittelalter dachte man
sich den Teufel genau wie in dem hier behandelten Märchen
in einem grossen Wald wie auf einem Hof wohnend.
Was das Tuch des Märchens betrifft, so dürfte es als
Haushaltsgegenstand den Römern nichts Unbekanntes gewesen
sein, und nördlich der Alpen war es in der Ritterzeit
fleissig in Gebrauch. Es wechselt jedoch im Märchen mit
dem Tisch ab. In der Wolfdietrichsage gibt es sowohl einen
sich selbst deckenden Tisch wie eine Schachtel, aus der im
Bedarfsfall 50 - 100 bewaffnete Kämpfer zu Hilfe gerufen
werden können (siehe 569). In der älteren Edda in
Lokasenna stellt sich in Ägirs Halle das Bier von selbst
auf den Tisch. Es ist nicht das erste Mal, dass wir in den
nordeuropäischen Sagas ein Volksmärchen durchschimmern
sehen. Es scheint, als ob die Ahnen sich der
Volksmärchenmotive in der gleichen Weise bedient hätten
wie die altgriechischen Dichter, und wie heute kaum jemand
bezweifelt, dass Homer einen nicht geringen Teil des
europäisch-orientalischen Märchenschatzes kannte,
ebensowenig brauchen wir daran zu zweifeln, dass dieser zu
einem gewissen Teil auch unseren Vorfahren bekannt war.
Nichts hindert, dass ein Teil der Märchen und darunter
Tischlein deck dich (563) den Norden so frühzeitig wie
z.B. im 9. Jahrhundert erreicht hat, wenn auch nicht in
den jetzt stereotypen Formen und
selbstverständlicherweise mit anderen Zügen an Stelle
des Esels und des Gasthauswirtes.
Untersuchen wir den östlichen (slawischen) Zweig von
563 (Tischlein deck dich), so finden wir, dass gerade jene
Varianten, die das Motiv vom armen und reichen Bruder und
vom Besuch des Armen beim Teufel enthalten - durch
Einwirken des gleichverlaufenden östlichen (slawischen)
Zweiges der Wunderbaren Krüge (564) -, den Knüppel
oftmals durch eine Anzahl Bewaffneter ersetzen, die aus
irgendeiner Umhüllung (Ränzel, Kessel, Krug, Schachtel
usw.) hervortreten, so z.B. gerade in der
Wolfdietrichsage. Diese Hülle (Ränzel, Kessel usw.) wird
dann nicht nur wie in 564 gleich dem Gegenstand gestaltet,
der das gewünschte Essen oder Geld hervorbringt, sondern
sogar mit diesem zu einem einzigen zusammengelegt. Wir
stehen dann oft entweder vor einer Mühle oder einem
Kessel. Eine völlig gleiche Zusammenlegung finden wir in
einer buddhistischen Legende, die zu dem auf ost- und
mitteleuropäischem Gebiet so häufigen Märchen 569
gehört, auf das wir hinweisen.
Diese Zusammenlegung führt uns jedoch teils zu 565,
teils zum Grottasöngr oder Mühlengesang der jüngeren
Edda, der dem 10. Jahrhundert zugeschrieben wird. König
Fridleivs Sohn Frode in Dänemark, heisst es darin, kaufte
in Schweden zwei Sklavinnen, Fenja und Menja, Nachkommen
von Tjasse, die die Mühle Grotti drehten. Die Mühle
konnte alles mahlen, was man sich wünschte, Gold, Glück
und Frieden. Da aber Frode ihnen keine Ruhe gönnte,
mahlten die beiden Sklavinnen ein ganzes Heer Bewaffneter,
das seine Burg verbrannte und ihm sein Reich wegnahm. Da
hatten Fenja und Menja genug gemahlen, und die Mühle
sprang entzwei.
Wo der Grottasöngr gedichtet wurde, ist schwer zu
sagen. Olrik verlegt ihn nach Norwegen, hauptsächlich im
Hinblick darauf, dass er die Meinung vertritt, dass die
beiden Sklavinnen Bergflüsse symbolisieren, die die
Mühle treiben. Nach dem, was der Grottasöngr selbst
sagt, stammten die beiden Sklavinnen aus Schweden. Wir
sahen vorhin, dass die Bestandteile des Liedes zu einem
grossen Teil aus den östlichen (slawischen) Zweigen von
563 und 564 geholt wurden. Parallelen sind bei den Finnen
Hiisis russisch-karelische Mühle und die Sampo-Mühle,
die Mehl und Salz mahlte.
Das Märchen 565 hat, wie wir sahen, die gleiche Quelle
wie der Grottasöngr, aber eine andere Gestaltung. Auch
dieses ist aus den östlichen (slawischen) Zweigen von 563
und 564 entstanden und hat vom ersteren das Motiv vom
armen und reichen Bruder und vom Besuch des Armen beim
Teufel übernommen und von beiden (oder von 569) die
Wunschgegenstände, die gleichzeitig zu einem Gegenstand
verschmelzen mussten, in der Regel zu einer Mühle, oder
in einer kleineren Variantengruppe zu einem Kessel, die
geben und bestrafen können. Die Mühle gibt dadurch, dass
sie zum Wohle ihres rechtmässigen Eigentümers alles
mahlt, Geld, Mehl, Heringe, Mehlsuppe oder Salz. Bestrafen
kann sie dadurch, dass der Uneingeweihte sie nicht
anzuhalten vermag (vgl. 569), aber niemals dadurch, dass
sie wie die Mühle im Grottasöngr Bewaffnete
hervorbringt. Dem Märchen wurde schliesslich ein
ätiologischer Zusatz, der erklären will, warum das
Meerwasser salzig ist, beigefügt. Ein
"Schiffer" heisst es, hat sich unrechtmässig
die Mühle angeeignet, und auch nachdem das Schiff
untergegangen ist, weil die salzmahlende Mühle nicht
angehalten werden konnte, fährt sie fort, auf dem
Meeresgrund Salz zu mahlen. Die Bekanntschaft mit diesem
Märchen (565) und dessen ätiologischem Zusatz ist es,
die Snorri in seiner Einleitung zum Grottasöngr Frodes
Besieger zu einem "Seekönig" machen lässt, der
sich der Mühle und der beiden Sklavinnen bemächtigt und
ihnen Salz zu mahlen befiehlt, bis das Schiff sinkt.
Später fügt er in voller Übereinstimmung mit dem
Märchen hinzu: "Das Meer tost, wenn die Mühle tost,
und da wird das Meer salzig." Aber die Mühle Grotti
war an sich keine Mühle, die nicht angehalten werden
konnte. Sie mahlte nur so lang, wie sie rastlos von Fenja
und Menja gedreht wurde. Der Grottasöngr und die
Einleitung Snorris hierzu sind somit zwei verschiedene
Schöpfungen, die eine inspiriert von 563 und 564, die
letztere von 565.
Das Märchen 565 scheint mit morgenländischem
Einschlag in Mitteleuropa entstanden zu sein und hat
Varianten in Estland, Deutschland, der Normandie,
Dänemark, Norwegen, auf Island, in Schweden und Finnland.
Ganz vereinzelt sind auch auf ost- und westslawischem
Gebiet, in Griechenland und in China Varianten zu finden.
Im letztgenannten Land wird sogar das Meerwasser salzig.
Diesen Zusatz dürfte das Märchen jedoch in Dänemark
durch einfache Verdoppelung des Hauptmotivs erhalten
haben. In Westdeutschland ist ein Sondertyp entstanden, in
dem die Mühle, wie oben angedeutet, durch einen Kessel
ersetzt wird, der seinen Besitzerinnen in bedrohlichem
Übermass Brei kocht. Gewisse nordeuropäische Varianten
sind mit 715 (Der Halbhahn) verschmolzen.