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Die magische Mühle 565

Märchentyp AT: 565
Grimm KHM: Der süsse Brei 103


Vom Teufel (von einer Patin, einem Zauberer oder Hahn) bekommt ein armer Mann eine Mühle, die alles mahlt: Geld, Mehl, Mehlsuppe, Heringe, Brei oder Salz. Der reiche neidische Bruder will sie kaufen. Er bekommt sie, muss sie aber dem Bruder zurückgeben, da er nicht weiss, wie sie zum Anhalten gebracht werden kann (Unkenntnis der Halteformel). Die Mühle wird dann an einen Schiffer verkauft oder er stiehlt sie. Doch auch er kann sie nicht anhalten, und das überladene Schiff sinkt. Durch dieses Verschulden mahlt die Mühle auf dem Meeresboden stetig Salz. Deshalb ist das Meerwasser salzig.


Anmerkung

So lauten die Typen 563, 564 und 565 in den landläufigen Formen. Sie wurden u.a. von Aarne untersucht. Es ist richtig, dass das alte Indien eine Menge Wunschkleinode aufweisen kann. Wir finden solche, die ihrem Besitzer Essen, Geld und Soldaten geben, und im Pantschatantra (III, 13) machen wir mit einem Gold liefernden Vogel Bekanntschaft und im Mahabharata mit der Kuh Kamadenuh Surabhi, die alle Wünsche erfüllen kann. Andererseits finden wir, wie Herodot erzählt, dass in Äthiopien - wo sich die Sonne nachts aufhielt - allmorgendlich ein Tisch mit frischgekochtem Fleisch gedeckt dastand. Dieser Tisch wurde "Tisch der Sonne" genannt und scheint dem Perserkönig Kambyses ebenso bekannt gewesen zu sein wie den Griechen. Sogar Homer scheint darauf anzuspielen (Od. I, 22). Selbst der römische Geograph Pomponius Mela erinnert sich in einer seiner Reisebeschreibungen an diesen Tisch der Sonne in Äthiopien. Ein sich selbst deckender Tisch wird übrigens auch in einem griechischen Lustspiel von Krates erwähnt, und einen nie versiegenden Krug finden wir in Ovids Philemon und Baucis. Diese Wunschkleinode sind augenscheinlich von der gleichen Art wie die des Märchens 518. Wir finden dort eine Tarnkappe, Siebenmeilenstiefel und ein Zauberränzel - und die gleichen Kleinode treffen wir im Perseusmythos. Derartige Gegenstände haben demnach während langer Zeit die Phantasie der Menschen beschäftigt, sowohl am Mittelmeer wie in Persien und Indien. Aus dieser Vorstellungswelt sind die genannten Märchen hervorgesprossen.

Am ältesten und mit einem innerhalb des soeben angegebenen Gebietes bemerkbaren Zug nach Osten dürfte das Märchen Die zwei wunderbaren Krüge (564) sein. Es ist in Indien gut belegt und erreichte von dort schon in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts n.u.Z. China in einem nun abhanden gekommenen Manuskript. Wir finden es jedoch fragmentarisch in einem andern Manuskript, in dem chinesischen Tripitaka, das 516 n.u.Z. zusammengestellt wurde.

Das jüngere Märchen Tischlein deck dich (563) ist westlicher orientiert, obwohl es auch in gewissen Motiven schon frühzeitig in Indien und China wie in Tausendundeiner Nacht vertreten war. Es dürfte im östlichen Mittelmeergebiet aus einer Variante des vorhergehenden Märchens entstanden sein.

Das Märchen ist jetzt in allen Ländern Europas vertreten. Der Esel ist selbstverständlich nach Norden hin gegen ein anderes Tier (Hahn, Bock usw.) ausgetauscht worden. Der östliche und der westliche Hauptzweig haben in vielen Fällen hinsichtlich Einleitung und Haupthandlung übereinstimmende Motive. Wir finden beispielsweise in beiden den Wind als Gabenspender und das Motiv eines sich zum Himmel streckenden Schlinggewächses. Doch hat der östliche Hauptzweig überdies ein ganz besonderes Motiv, nämlich den armen Mann, der von seinem reichen Bruder ein einziges Mal ein Stück Fleisch bekam. Im Tausch hiefür erhält er vom Teufel einen Hahn, ein Huhn oder eine Mühle, die Gold liefert. Wir lenken die Aufmerksamkeit besonders auf die Gold liefernde Mühle. Eine solche Mühle kommt, wenn auch in anderem Zusammenhang, schon bei den Arabern und Türken vor.

Bevor wir nun weitergehen, müssen wir uns einen Begriff davon machen, wie alt das Märchen Tischlein deck dich in Europa nördlich der Alpen sein kann. Der Teufel, der in dem Märchen erwähnt wird, und das Christentum dürften Norddeutschland ungefähr gleichzeitig, d.h. im 9. Jahrhundert, erreicht haben, während die Gebiete um den Rhein bedeutend früher christianisiert wurden. Der Teufel des Märchens könnte etwas älter sein als das Christentum, aber man merkt doch, dass seine Rolle in den älteren nordeuropäischen Märchen gern von einem Riesen wie Utgardaloki (siehe 461) gespielt wurde. Seine äussere Gestalt dürfte der Teufel zum grossen Teil von den zahllosen Diven des Orients erhalten haben, die das gleiche Aussehen haben. Wir sprechen jedoch vom Teufel meist in der Einzahl, ungeachtet dessen, dass man in einem Fluch beliebig viele Teufel herbeirufen kann, grosse wie kleine, genauso wie wir vom Fuchs, vom Wolf, vom Julbock und ähnlichen Potentaten in einer Art Singularis majestatis sprechen. Im frühen Mittelalter dachte man sich den Teufel genau wie in dem hier behandelten Märchen in einem grossen Wald wie auf einem Hof wohnend.

Was das Tuch des Märchens betrifft, so dürfte es als Haushaltsgegenstand den Römern nichts Unbekanntes gewesen sein, und nördlich der Alpen war es in der Ritterzeit fleissig in Gebrauch. Es wechselt jedoch im Märchen mit dem Tisch ab. In der Wolfdietrichsage gibt es sowohl einen sich selbst deckenden Tisch wie eine Schachtel, aus der im Bedarfsfall 50 - 100 bewaffnete Kämpfer zu Hilfe gerufen werden können (siehe 569). In der älteren Edda in Lokasenna stellt sich in Ägirs Halle das Bier von selbst auf den Tisch. Es ist nicht das erste Mal, dass wir in den nordeuropäischen Sagas ein Volksmärchen durchschimmern sehen. Es scheint, als ob die Ahnen sich der Volksmärchenmotive in der gleichen Weise bedient hätten wie die altgriechischen Dichter, und wie heute kaum jemand bezweifelt, dass Homer einen nicht geringen Teil des europäisch-orientalischen Märchenschatzes kannte, ebensowenig brauchen wir daran zu zweifeln, dass dieser zu einem gewissen Teil auch unseren Vorfahren bekannt war. Nichts hindert, dass ein Teil der Märchen und darunter Tischlein deck dich (563) den Norden so frühzeitig wie z.B. im 9. Jahrhundert erreicht hat, wenn auch nicht in den jetzt stereotypen Formen und selbstverständlicherweise mit anderen Zügen an Stelle des Esels und des Gasthauswirtes.

Untersuchen wir den östlichen (slawischen) Zweig von 563 (Tischlein deck dich), so finden wir, dass gerade jene Varianten, die das Motiv vom armen und reichen Bruder und vom Besuch des Armen beim Teufel enthalten - durch Einwirken des gleichverlaufenden östlichen (slawischen) Zweiges der Wunderbaren Krüge (564) -, den Knüppel oftmals durch eine Anzahl Bewaffneter ersetzen, die aus irgendeiner Umhüllung (Ränzel, Kessel, Krug, Schachtel usw.) hervortreten, so z.B. gerade in der Wolfdietrichsage. Diese Hülle (Ränzel, Kessel usw.) wird dann nicht nur wie in 564 gleich dem Gegenstand gestaltet, der das gewünschte Essen oder Geld hervorbringt, sondern sogar mit diesem zu einem einzigen zusammengelegt. Wir stehen dann oft entweder vor einer Mühle oder einem Kessel. Eine völlig gleiche Zusammenlegung finden wir in einer buddhistischen Legende, die zu dem auf ost- und mitteleuropäischem Gebiet so häufigen Märchen 569 gehört, auf das wir hinweisen.

Diese Zusammenlegung führt uns jedoch teils zu 565, teils zum Grottasöngr oder Mühlengesang der jüngeren Edda, der dem 10. Jahrhundert zugeschrieben wird. König Fridleivs Sohn Frode in Dänemark, heisst es darin, kaufte in Schweden zwei Sklavinnen, Fenja und Menja, Nachkommen von Tjasse, die die Mühle Grotti drehten. Die Mühle konnte alles mahlen, was man sich wünschte, Gold, Glück und Frieden. Da aber Frode ihnen keine Ruhe gönnte, mahlten die beiden Sklavinnen ein ganzes Heer Bewaffneter, das seine Burg verbrannte und ihm sein Reich wegnahm. Da hatten Fenja und Menja genug gemahlen, und die Mühle sprang entzwei.

Wo der Grottasöngr gedichtet wurde, ist schwer zu sagen. Olrik verlegt ihn nach Norwegen, hauptsächlich im Hinblick darauf, dass er die Meinung vertritt, dass die beiden Sklavinnen Bergflüsse symbolisieren, die die Mühle treiben. Nach dem, was der Grottasöngr selbst sagt, stammten die beiden Sklavinnen aus Schweden. Wir sahen vorhin, dass die Bestandteile des Liedes zu einem grossen Teil aus den östlichen (slawischen) Zweigen von 563 und 564 geholt wurden. Parallelen sind bei den Finnen Hiisis russisch-karelische Mühle und die Sampo-Mühle, die Mehl und Salz mahlte.

Das Märchen 565 hat, wie wir sahen, die gleiche Quelle wie der Grottasöngr, aber eine andere Gestaltung. Auch dieses ist aus den östlichen (slawischen) Zweigen von 563 und 564 entstanden und hat vom ersteren das Motiv vom armen und reichen Bruder und vom Besuch des Armen beim Teufel übernommen und von beiden (oder von 569) die Wunschgegenstände, die gleichzeitig zu einem Gegenstand verschmelzen mussten, in der Regel zu einer Mühle, oder in einer kleineren Variantengruppe zu einem Kessel, die geben und bestrafen können. Die Mühle gibt dadurch, dass sie zum Wohle ihres rechtmässigen Eigentümers alles mahlt, Geld, Mehl, Heringe, Mehlsuppe oder Salz. Bestrafen kann sie dadurch, dass der Uneingeweihte sie nicht anzuhalten vermag (vgl. 569), aber niemals dadurch, dass sie wie die Mühle im Grottasöngr Bewaffnete hervorbringt. Dem Märchen wurde schliesslich ein ätiologischer Zusatz, der erklären will, warum das Meerwasser salzig ist, beigefügt. Ein "Schiffer" heisst es, hat sich unrechtmässig die Mühle angeeignet, und auch nachdem das Schiff untergegangen ist, weil die salzmahlende Mühle nicht angehalten werden konnte, fährt sie fort, auf dem Meeresgrund Salz zu mahlen. Die Bekanntschaft mit diesem Märchen (565) und dessen ätiologischem Zusatz ist es, die Snorri in seiner Einleitung zum Grottasöngr Frodes Besieger zu einem "Seekönig" machen lässt, der sich der Mühle und der beiden Sklavinnen bemächtigt und ihnen Salz zu mahlen befiehlt, bis das Schiff sinkt. Später fügt er in voller Übereinstimmung mit dem Märchen hinzu: "Das Meer tost, wenn die Mühle tost, und da wird das Meer salzig." Aber die Mühle Grotti war an sich keine Mühle, die nicht angehalten werden konnte. Sie mahlte nur so lang, wie sie rastlos von Fenja und Menja gedreht wurde. Der Grottasöngr und die Einleitung Snorris hierzu sind somit zwei verschiedene Schöpfungen, die eine inspiriert von 563 und 564, die letztere von 565.

Das Märchen 565 scheint mit morgenländischem Einschlag in Mitteleuropa entstanden zu sein und hat Varianten in Estland, Deutschland, der Normandie, Dänemark, Norwegen, auf Island, in Schweden und Finnland. Ganz vereinzelt sind auch auf ost- und westslawischem Gebiet, in Griechenland und in China Varianten zu finden. Im letztgenannten Land wird sogar das Meerwasser salzig. Diesen Zusatz dürfte das Märchen jedoch in Dänemark durch einfache Verdoppelung des Hauptmotivs erhalten haben. In Westdeutschland ist ein Sondertyp entstanden, in dem die Mühle, wie oben angedeutet, durch einen Kessel ersetzt wird, der seinen Besitzerinnen in bedrohlichem Übermass Brei kocht. Gewisse nordeuropäische Varianten sind mit 715 (Der Halbhahn) verschmolzen.


Literatur

Christiansen, R. Th.: Studies in Irish and Scandinavian folktales. Copenhagen 1959.
Derungs, K.: Struktur des Zaubermärchens II. Hildesheim 1994.
Holmberg, U.: Das Wasser des Lebens. Göttinnen und Wasserkult. Bern 1997.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens. München 1987.

Rochholz, E.: Wassergöttin Verena. In: Mythologische Landschaft Schweiz. Hrsg. von Kurt Derungs. Bern 1997.
Walker, B.G.: Die weise Alte. München 1985.


Märchen

>> Das grosse Buch der Zaubermärchen


Hinweise

 


Variantenverzeichnis

>> Märchen-Suchdienst

Die Mühle, die auf dem Meeresgrund mahlt. Asbjörnsen/Norwegen 1,50
Der süsse Brei. Grimm/KHM 103


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