Die dankbaren
Tiere 554
Märchentyp AT: 554; cf. 302, 316,
329, 531, 552, 553, 559
Grimm KHM: Die weisse Schlange 17; Die Bienenkönigin 62
Der Jüngste von drei Brüdern hat
Tiere (Ameisen, Bienen, Enten, Vögel, Fische etc.)
geschont und ihnen Gutes getan bzw. ihnen Speise gegeben.
Sie erweisen sich dankbar und geben ihm Teile ihres
Körpers (Feder, Schuppe), mit denen er sie herbeizaubern
kann, wenn er ihre Hilfe benötigt. Oder er braucht nur an
sie zu denken, damit sie erscheinen. In einem Reich
erfüllt er nun verschiedene, schwierige Brautaufgaben,
die er dank der Tiere erfüllt: verschiedene Getreidearten
sortieren, einen Ring oder Schlüssel aus dem Meer holen,
eine Prinzessin von ihren vier gleichen Schwestern
unterscheiden, sich entweder durch die Luft oder über das
Wasser an einen entfernten Ort begeben, Perlen auflesen
usw. Nach diesen Proben gewinnt er die Prinzessin bzw.
erlöst sie und das verzauberte Schloss.
Anmerkung
Die hilfreichen Tiere sind ein sehr wichtiger
Bestandteil des Zaubermärchens und haben sehr alte Ahnen.
Den Vogel, der den Helden durch die Luft trägt, treffen
wir im sumerisch-babylonischen Etana-Märchen (3.
Jahrtausend v.u.Z.), und der freigekaufte Delphin, auf
dessen Rücken der Held später reitet, nimmt bei den
Griechen einen hervorragenden Platz ein. Delphinmärchen
kann man in Griechenland und Kleinasien von Herodot (geb.
um 484 v.u.Z.) an bis ins 1. Jahrhundert n.u.Z. verfolgen.
Der Kampf zwischen der Schlange und dem Adler, mit dem das
Etana-Märchen beginnt, wird bei den Indern im Mahabharata
(400 v. - 400 n.u.Z.) wiedergegeben, spiegelt sich aber
bei den Griechen bereits in der Iliade. In Apulejus’
Version des Amor- und Psyche-Märchens (425A) aus dem 2.
Jahrhundert n.u.Z. treten Adler und Ameise als helfende
Tiere auf. Der Adler kommt mit Lebenswasser, und Ameisen
helfen der Heldin, Getreide zu sortieren, ein Motiv, das
übrigens auch Plautus (gest. 184 v.u.Z.) berührt. Die
Aufgabe, aus vielen völlig gleichen Schwestern die Braut
herauszusuchen, finden wir bereits in der
Kathasaritsagara-Version von 313 (Die magische Flucht).
Das Motiv erinnert an einen entsprechenden
südeuropäischen Hochzeitsbrauch und hat seine
hauptsächlichste Verbreitung im slawischen Sprachgebiet.
Literatur
Baumann, H.: Das Tier als Zweites Ich. In: Tier
und Totem. Naturverbundenheit in archaischen Kulturen.
Hrsg. von Sigrid Hellbusch u.a. Bern 1998.
Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den
Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der
Brüder Grimm. Bern 1999.
Lindahl, C.: Dankbare Tiere. In: EM 3, p. 287-299.
Marx, A.: Griechische Märchen von dankbaren Tieren.
Stuttgart 1889.
Mudrak, E.: Herr und Herrin der Tiere. In: Fabula 4, 1961,
p. 163-173.
Röhrich, L.: Herr der Tiere. In: EM 6, p. 866-879.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Die weisse Schlange:
Durch den Genuss einer weissen Schlange erlernt man die
Tiersprache. Gleichbedeutend damit ist der Genuss des
Drachenherzens für Sigurd in der Edda. In einem
serbischen Märchen lehrt eine dankbare Schlange den
Jüngling die Tiersprache, indem sie ihm in den Mund
spuckt, in einer Erzählung der deutschen Gesta Romanorum
steckt eine Natter ihrem Retter eine Wurzel in den Mund.
Dem griechischen Seher Melampus vergelten die Schlangen
seine Wohltat, indem sie ihm die Ohren auslecken, worauf
er die Stimmen der Vögel versteht; gleiches wird von
Kassandra berichtet. Im griechischen Märchen bei Hahn
verschluckt der Drache den Königssohn, um ihn die
Tiersprache zu lehren, und speit ihn dann wieder aus. Nach
irischem, mährischem und armenischem Volksglauben
verleiht der Genuss von vierblätterigem Klee und andrem
Kraut diese Kenntnis, ein Kuchen oder Zaubertrank. In der
grossrussischen Sage leckt Stenka Rasin an dem Stein, den
er im Leib des von ihm erlegten Ungeheuers Volkodir
gefunden, und erfährt alles, was in der Welt vorgeht. Die
Fähigkeit, die Tiere zu verstehen, kann auch wieder
verloren gehen; in bretonischen Sagen bläst die Hexe dem
Mann, der von ihrer Schlangenspeise gekostet hat, in den
Mund; in kroatischen schabt sie ihm die Krötentunke von
der Zuge; in kleinrussischen spuckt der Herr dem
vorwitzigen Diener in den Mund; in weissrussischen
erschlägt er ihn sogar. Oder er reicht ihm einen
Vergessenheitstrunk aus Beifuss, bekreuzt oder bestreicht
ihn mit einem Zaubermittel.
Wer seiner Frau von seiner Kunst etwas sagt, vergisst
zufolge dem kleinrussischen Märchen die Hälfte davon; im
irischen wird der Held, der dasselbe tut, von der Frau in
einen Raben, ein Pferd und andre Tiere verwandelt.
Dass die Vögel höhere Weisheit besitzen und an den
Geschicken der Menschen mahnend, ratend, vorhersagend
anteilnehmen, ist ein alter und verbreiteter Glaube.
Versteht der Mensch ihr "Latein" nicht, so liegt
die Schuld an ihm.
Der zweite Teil des Märchens hat gleichen Inhalt mit
der Bienenkönigin (KHM 62) und dem Meerhäschen (KHM
191): drei Tiere, denen der gutherzige Jüngling Wohltaten
erweist, helfen ihm drei Aufgaben lösen (in KHM 191
verstecken sie ihn dreimal), wodurch er eine
Königstochter zur Gattin gewinnt. In dem Märchen von
Ferenand getrü und Ferenand ungetrü (KHM 126) erringt
der Held die Schöne mit Hilfe der dankbaren Tiere nicht
für sich, sondern im Auftrag seines Königs, doch gewinnt
die Jungfrau ihn selber lieb und reicht ihm nach
Beseitigung des Königs ihre Hand. In andern Erzählungen
helfen dankbare Tiere dem Helden die verborgene Seele
eines Ungeheuers aufsuchen und vernichten, wodurch eine
Prinzessin befreit wird, oder bringen ihm den geraubten
Wunschring zurück oder bieten sich ihm als Gefährten auf
der Brautfahrt an. Auch das Pferd, der Fuchs und der Kater
erweisen sich als gute Ratgeber des Helden.
Beide Teile des Märchens erscheinen auch in einer
kroatischen Fassung verbunden. Der Diener eines Arztes
kostet von einer Schlange, die er für jenen kochen soll,
und weiss nun ebensoviel wie er; da er gegen Fliegen,
Ameisen und Fische barmherzig ist, helfen ihm diese Tiere
bei den Aufgaben, die sein Herr auf der Brautfahrt lösen
soll, z. B. die Braut unter zehn Schwestern
herauszufinden.
Die Bienenkönigin:
Das Märchen gehört zusammen mit der weissen Schlange
(KHM 17) und dem Meerhäschen (KHM 191) und erzählt, wie
ein Jüngling, der oft der jüngste von drei Brüdern ist,
auf der Wanderung drei Tiere (Ameisen, Enten, Bienen oder
einen Raben, Fisch, Fuchs u. a.) aus Gefahr und Hungersnot
errettet und dafür von ihnen bei der Lösung mehrerer
Aufgaben unterstützt wird, durch die er eine schöne
Jungfrau gewinnt: er soll ausgestreute Hirse, Rübsamen
oder Perlen auslesen, einen Ring oder Schlüssel aus dem
Meer heraufholen, Wasser des Lebens und des Todes
herbeischaffen, einen Palast erbauen, unter einer Schar
gleichgekleideter Mädchen die jüngste Prinzessin
herausfinden oder sich vor der zauberkundigen Jungfrau
verstecken. In einigen Fassungen erhält er von den
dankbaren Tieren die Fähigkeit, sich in ihre Gestalt zu
verwandeln, wodurch er eine vom Drachen geraubte Jungfrau
befreit. Bisweilen holt er die ferne Schöne nicht für
sich, sondern für seinen König; dieser aber ist meist
durch einen neidischen Ratgeber wider den Jüngling
eingenommen und wird durch die Jungfrau, die den tapferen
Jüngling liebt, umgebracht.
Aus Siebenbürgen: "Von der Königstochter, die
von ihrem Schloss alles in ihrem Reich sah"; Rabe,
Fisch und Fuchs verstecken den Jüngling, wie bei Grimm
KHM 191. Aus Schwaben: "Donner, Blitz und
Wetter"; die dankbaren Tiere Wolf, Fisch und Hornisse
helfen dem Helden drei Pferde hüten, in die sich die
Entführer seiner drei Schwestern verwandelt haben. Aus
Thüringen: "Die verzauberte Prinzessin"; der
ältere Bruder übt an den Tieren Mutwillen und vermag die
drei Aufgaben nicht zu lösen. Vom Harz: "Soldat
Lorenz"; Ameisen und Enten suchen Rübsamen auf und
holen den Schlüssel aus dem See und "Von den
ungetreuen Wirtstöchtern und der Prinzessin mit den
goldenen Haaren"; Tiersprache erlernt. Die gerettete
Fliege hilft dem Jüngling im Dienst eines strengen Herrn
und bei der Erringung der Prinzessin, die dieser nicht zu
besitzen, sondern nur zu sehen verlangt. Aus Westfalen:
"Die schwarze Prinzessin"; wird durch den
Soldaten erlöst, der sich drei Nächte stumm von Geistern
misshandeln lässt und drei Aufgaben mit Hilfe dankbarer
Frösche, Ameisen und Wespen löst.
Flämisch: Hase, Ameise, Frosch, die der Jüngling auf
sein wunderbares Schiff mitgenommen hat, ermitteln den
Schatzdieb, lesen Korn aus dem Wald auf und holen den Ring
aus dem Brunnen. - Dänisch: "Under Galgen St.-Hans
Nat"; Rabe, Fisch und Hummel fällen Bäume, holen
einen Ring und bauen ein über Wasser und Land gehendes
Schiff. "Den tredie Søn"; labt auf des Pferdes
Rat Fische, Schweine und Tauben, die dann für ihn einen
Berg abtragen, Flachssamen sammeln und einen Ring aus dem
Meer holen; er versäumt des Pferdes Erlösung und wird
dafür ein Jahr von seiner Gattin ferngehalten. -
Schwedisch: "Die beiden Pflegebrüder"; Ente,
Ameise und Biene holen Schlüssel, lesen Getreide und
zeigen unter sieben Bildern das rechte. - Französisch:
"La sirène et l'épervier"; Wolf und Sperber
verleihen ihre Gestalt; Gänse, Ameise und Hummel holen
die Silberkugel, sondern die Körner und bezeichnen die
jüngste Prinzessin. "Les trois rencontres";
Fisch, Ameise, Rabe; Ring, Sand, Goldäpfel vom Berg des
Todes. "Le joueur de fifre"; Fisch, Ameise,
Biene; Schlüssel, Hirse, Prinzessin erkennen. "La
fille du roi de France"; Fliege, Schwein, Fisch. -
Mallorkinisch: "Der Lügensack"; Schlangen,
Ameisen, Falke; Pinie fällen, gemischten Samen sondern. -
Rumänisch: "Die Prinzessin und der
Schweinehirt"; er versteckt sich dreimal mit Hilfe
eines Adlers, Fisches und Waldgeistes und zerschlägt den
Zauberspiegel der Prinzessin. - Serbokroatisch: Ameise,
Fisch, Adler; Korn ausklauben, Dukaten aus dem Wasser
holen, Jordanwasser. Strohal: Krähe, Biene, Fisch;
Lebenswasser, Ring, Schöne erkennen. Valjavec: Wolf,
Adler, Fisch, Ameise; Pferde finden, Hirse zählen; mit
dem Zauberpferd befreit der Held die vom Drachen geraubte
Liebste. - Tschechisch: Ameise, Ente, Bienen; Perlen aus
dem Gras, Schlüssel aus dem See, jüngste Schwester
erkennen. "Die Taube mit den drei goldenen
Federn"; Pferd rät dem Helden, der seine vom Drachen
entführte Gattin sucht; Fliege, Wolf und Krebs helfen die
Pferde der Zauberin hüten. - Slowakisch: Ameise, Vogel,
Fisch; Mohn und Hirse sondern, Lebenswasser, Ring aus dem
Meer. Sbornik: Ameisen, Fisch, Teufel; Mohn aus der Asche,
Perle aus dem Meer, Rosen aus der Hölle. - Kleinrussisch:
Mäuse, Raben; Mohn auslesen, Seidentuch holen, Mädchen
erkennen. "Iwan der Nackte und sein Bruder";
Mäuse, Mücken, Hechte; Getreide, Ring, Jüngste
erkennen. Kolberg: Ente, Storch, Kranich; Mohn, Ring,
sprechendes Kind gleich nach der Brautnacht. -
Weissrussisch: Bär, Wolf, Fuchs, Hase, Täuberich,
Ameise; der Held entflieht mit der entführten Prinzessin,
sich und sie in jene Tiere verwandelnd; ermordet wie der
Drachentöter; Wolf, Biene, Ameise, Maus; Weizen
ausdreschen, Schuhe, Kirche aus Wachs anfertigen, Stute
mit zwölf goldenen und silbernen Fohlen holen. -
Ungarisch: "Die dankbaren Tiere"; Wolf, Maus und
Biene helfen Ferkó ein Schloss bauen, Getreidekörner
zusammenlesen und alle Wölfe versammeln; diese zerreissen
die neidischen Brüder des Helden und den König.
"Feenprinzessin Goldhaar"; Hund, Fisch, Tauben;
Prinzessin für den König holen. - Türkisch: "Der
verzauberte Granatenzweig und die Weltschöne";
Fisch, Ameise, Vogel; Ring, Hirse, Wasser des Paradieses.
Schon im 14. Jahrhundert (1330) erzählt der Perser
Nachschabî unser Märchen im Papageienbuch; vgl. Benfey,
Pantschatantra 1, 216. 415. Ein König stirbt und
hinterlässt zwei Söhne. Der älteste eignet sich die
Krone zu, der jüngste wandert aus. Er kommt zu einem
Teich, wo eine Schlange einen Frosch ergriffen hat. Er
ruft der Schlange zu, und diese lässt den Frosch los, der
wieder ins Wasser hüpft. Um die Schlange zu
entschädigen, schneidet er sich ein Stück Fleisch aus
dem Leib (eine indischen Erzählungen eigne Aufopferung,
s. Benfey 1, 388. 2, 543). Für diese Wohltaten sich
dankbar zu erweisen, kommen beide, der Frosch und die
Schlange, in Menschengestalt zu ihm und dienen ihm. Der
Prinz geht in den Dienst eines Königs; diesem fällt bei
einem Fischfang sein Ring ins Wasser, und er verlangt von
dem Prinzen, dass er ihn wieder heraufhole. Der
Froschmensch nimmt seine Froschgestalt an, begibt sich ins
Wasser und bringt den Ring herauf. Bald hernach wird die
Tochter des Königs von einer Schlange gebissen, und
niemand kann sie vom Tod erretten als der Schlangenmensch,
der das Gift aus der Wunde saugt. Darauf gibt der König
dem Prinzen seine Tochter zur Gemahlin. Die beiden treuen
Diener nehmen jetzt ihren Abschied und geben sich zuvor zu
erkennen als der Frosch, dem er das Leben gerettet, und
als die Schlange, der er von seinem eigenen Fleisch zu
essen gegeben hatte. - Aus Ceylon: Elefant, Schwein,
Turteltaube; Wald ausroden, Körner zusammenklauben,
Schöne im dunkeln Zimmer erkennen. - Auch in der 1001
Nacht "Le prince de Sind et Fatime" helfen
dankbare Heuschrecken, Elefanten und Geister Getreide
sondern, einen Wasserbehälter leeren und einen Palast
bauen, wodurch der Prinz die Schöne gewinnt. - Japanisch:
Libelle, Affe, Schildkröte setzen den Helden über den
Strom, holen den Kranich und zeigen unter den Mädchen die
rechte Braut.
Unter den Aufgaben, die dankbare Tiere (KHM 17) für
den Helden lösen, kommt das Auslesen von verschiedenen
Samenkörnern schon im Psychemärchen des Apuleius (Metam
6, 10) vor, ferner im Aschenputtel (KHM 21). - Wasser aus
der stygischen Quelle holt bei Apuleius 6, 15 ein Adler
für Psyche, ebenda 6, 16 Schönheitssalbe der Proserpina.
Lebenswasser wird ausser in den hier und zu KHM 126
angeführten Erzählungen auch in KHM 97 herbeigeschafft.
- Das Herausfinden der Braut aus einer Schar von Mädchen
ist ein in Frankreich, Italien und Serbien geübter
Hochzeitsbrauch. Nahe verwandt ist das Aufsuchen einer
versteckten Braut, das in verschiedenen der angeführten
Märchen vorkommt. - Umgekehrt erhält auch der Jüngling
die Aufgabe, sich vor dem Mädchen zu verstecken (KHM
191).
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Die Bienenkönigin. Grimm/KHM 62
Carevna Unke. Afanasjew/Russland 269
Die verzauberte Prinzessin. Bechstein/Deutschland 5
Die weisse Schlange. Grimm/KHM 17
Vom Mann ohne Herz. Bechstein/Deutschland 17
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