Allerleirauh
510B
Märchentyp AT: 510B; cf. 510A,
511, 722*
Grimm KHM: Allerleirauh 65
Ein König hat seine Gemahlin
verloren, der er auf dem Sterbebett versprochen hat, nur
diejenige zu heiraten, der ihre Kleider oder ihr Ring
passen bzw. die ihr völlig gleicht. Da nur die eigene
Tochter diesen Bedingungen entspricht, wünscht er sich
nichts mehr, als seine Tochter heiraten zu dürfen.
(Wünscht sich ein Bruder, seine Schwester heiraten zu
dürfen) Um Zeit zu gewinnen, erbittet sie sich schöne
Gewänder, ein silbernes, ein goldenes und ein
diamantengeschmücktes Gewand (bzw. Erden-, Wasser-,
Himmelskleid oder auch einen selbstfahrenden Wagen). Als
sie fertig sind, flieht sie, nachdem sie über die Kleider
einen Pelz aus allen möglichen Häuten (Esel, Bär,
Krähe oder Ratte) oder auch ein Gewand von Holz,
Birkenrinde oder Schilf gezogen hat. Sie kommt zu einem
fremden Schloss, wo sie in der Küche als Magd angestellt
wird, manchmal mit der Erlaubnis, dem König sein
Waschwasser, Handtuch etc. zu überbringen oder auch seine
Suppe zu kochen. Als im Schloss ein Ball stattfindet (oder
beim Besuch der Kirche), kleidet sie sich in eines ihrer
drei Gewänder, betritt unerkannt den Ballsaal und gewinnt
die Liebe des Königs, der sie festhalten möchte,
verschwindet aber ebenso flink wie sie gekommen ist (und
verliert einen Schuh). Oft entzieht sie sich ihm durch
einen magischen Spruch. Die Suppe, die sie dann dem König
kocht, schmeckt ihm jedoch so vortrefflich, dass er
diejenige, die die Suppe gekocht hat, zu sich rufen
lässt, ohne sie jedoch in ihrer dürftigen Kleidung zu
erkennen. Dies wiederholt sich dreimal, aber beim letzten
Mal wirft sie ihren Ring in die Suppe (in das Brot) und
vermag sich überdies nicht mehr richtig zu schwärzen. Da
reisst ihr der König ihre Kleider herunter (Holzkittel,
Zottelpelz), und darunter trägt sie ihr schönstes
Gewand. Bei der Schuhprobe erkennt er sie am passenden
Schuh. Schliesslich wird Hochzeit gefeiert.
Anmerkung
Literatur
Brewster, P.G.: The Incest Theme in Folksong.
Helsinki 1972.
Derungs, K.: Struktur des Zaubermärchens II.
Hildesheim 1994.
Karlinger, F.: Verwandlung auf der Flucht vor
drohendem Inzest. In: Schweiz. Archiv für Volkskunde 77,
1981. p. 178-184.
Rölleke, H.: Allerleirauh. In: Fabula 13, 1972. p.
153-159.
Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das
Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 589.
Märchen
>> Fair
Maria Wood
>> The girl
with golden teeth
Hinweise
Von dem verwandten "Aschenputtel" (KHM 21)
unterscheidet sich unser Märchen durch den Eingang wie
durch die Art, in der die Heldin entdeckt wird. Eine
paderbörnische Erzählung weicht in einigen Stücken ab.
Das Mädchen tut den Mantel von allerlei Rauhwerk, in das
auch Moos und, was man noch sonst im Wald findet,
eingenäht worden, über die drei glänzenden Kleider und
entflieht in den Wald. Dort steigt es aus Furcht vor den
wilden Tieren auf einen hohen Baum und schläft, auf den
Ästen ruhend, ein. Morgens kommen Holzhacker, Holz für
des Königs Hof zu holen, die hacken den Baum um, auf
welchem Allerleirauh noch immer fort schläft; doch fällt
er langsam, so dass es keinen Schaden nimmt. Es erwacht
ganz erschrocken; als es aber sieht, dass es bei guten
Leuten ist, bittet es, sie möchten es mitnehmen.
"Ja", sagen sie, "setz dich da auf den
Holzwagen, du Rauhtierchen!" Sie fahren an des
Königs Hof, und es dient in der Küche. Als es die Suppe
so gut gekocht hat, lässt es der König rufen und
spricht: "Du bist ja ein schönes Kind; komm, setz
dich auf meinen Sessel!" Da legt er ihm seinen Kopf
in den Schoss und spricht: "Laus mich ein
wenig!" Das tut es und muss es von nun an jeden
Mittag tun. Einmal sieht er dabei durch den Ärmel das
glänzende Sternenkleid durchblinken und reisst ihm den
Mantel ab, sie steht nun da als die schönste
Königstochter von der Welt. - Nach einer Erzählung aus
dem Paderbörnischen stellt sich Allerleirauh stumm. Der
König schlägt sie einmal mit der Peitsche; da bekommt
der Rauhmantel einen Ritz, durch den das Goldkleid
schimmert. Der König reisst ihn grösser, und so wird sie
entdeckt. Auch folgt in beiden Erzählungen die Strafe des
Vaters. Er muss sich selbst das Urteil sprechen, dass er
nicht länger verdiene König zu sein.
Eine Erzählung leitet anders ein. Allerleirauh wird
von einer Stiefmutter vertrieben, weil ein fremder
Königssohn nicht ihrer rechten Tochter, sondern jener
einen Treuring geschenkt hat. Allerleirauh kommt hernach
an ihres Geliebten Hof, tut gemeine Arbeit und putzt ihm
die Schuhe, wird aber entdeckt, indem sie den Treuring
unter das Weissbrot legt. - Aus Niederösterreich:
"Besenwurf, Bürstenwurf, Kammwurf"; Adelheid
flüchtet vor dem Vater, der sie zur Frau begehrt, und
dient als Magd dem Fürsten, der im Zorn Besen, Bürste
und Kamm nach ihr wirft; beim Tanz nennt sie sich Adelheid
aus Besenwurf; er entdeckt sie, als er seinen Ring, den er
ihr angesteckt, in der Brühe findet. - Aus Mecklenburg:
beim Krauen sieht der Prinz das Demantkleid durch den
Krähenpelz schimmern. - Aus Ostpreussen: "Die
Prinzessin mit den schönen Kleidern"; wirft einen
Ring, goldene Weefe und Wocken in die Suppe des Königs.
In andern Fassungen ist de Eingang von dem
unnatürlichen Gelüsten des Vaters fortgefallen, so in
dem Märchen "Die Nymphe des Brunnens", wo
Mathilde nach der Zerstörung des väterlichen Schlosses
flüchtet; sie hat von ihrer Patin, einer Nixe, ein
Wunschbüchschen erhalten und entfernt sich aus dem
Tanzsaal mit dem Sprüchlein:
"Hinter mir Nacht und vor mit Tag,
Dass mich niemand sehen mag."
Aus Pommern: "Rauhtierchen"; das blinde
Mädchen wird von den Eltern einer Hexe geschenkt, die es
sehend macht, erzieht und mit einem Wunschbeutel, schönen
Kleidern und einer Zaubergabel beschenkt. Im Wald wird es
vom König gefunden und als Köchin angenommen. Aus
Holstein: "Ruchklas"; ein alter Mann spendet
Kleider, liest die Erbsen aus der Asche und schickt die
Heldin im Rauhpelz in die königliche Küche. - Dänisch:
sie klagt am Grab der Eltern, dass sie eine widerwärtige
Heirat schliessen soll, erhält ein Zauberstäbchen und
geht in die Fremde; dem liebeskranken Prinzen enthüllt
sie sich freiwillig. "Pulleru"; sie begehrt vom
Vater ein Federkleid und fliegt davon.
"Tahier-tahaer"; Prinz fliegt in ihr Fenster und
verwundet sich. - Schwedisch: "Pelsarubb"; der
Prinz erkennt sie, als sie ihn laust.
"Kråknäbbäkappan"; eine alte Frau lehrt sie,
dem Messer, Besen und Lappen Arbeit anzubefehlen.
"Annemor"; hilfreich erweist sich ein
Unterirdischer im Hügel. - In einer englischen Fassung
"Rashie Coat" verlangt der Vater der Heldin,
dass sie einen ihr verhassten Mann heirate; eine Fee leiht
ihr Beistand. - Gälisch: "The king who wished to
marry his daughter". - Irisch: "The princess in
the cat-skins"; eine Fee in Gestalt eines Füllens
berät die Heldin; der Prinz stutzt über die Ähnlichkeit
der Küchenmagd mit seiner Tänzerin und erkennt sie
endlich an dem Ring, den er ihr unbemerkt angesteckt hat.
In Frankreich: "Peau d'asne"; auf den Rat
einer Fee verlangt die Heldin, um den Vater hinzuhalten,
drei Kleider in Wetter-, Mond- und Sonnenfarbe und die
Haut seines Gold von sich gebenden Esels; sie flieht und
dient als Magd auf einem Meierhof, wo der Prinz sie durchs
Schlüsselloch in ihrer Kammer erblickt. Aus der Bretagne:
"Le roi qui voulait épouser sa propre fille";
der Prinz verkleidet sich als Frau und erfährt die
Geheimnisse der Mädchen, auch der Heldin.
"Césarine"; Königstochter von der eigenen
Mutter misshandelt, dient als Gänsehüterin und wird vom
Prinzen in ihrer Hütte erblickt.
Im Italienischen "Das Mädchen im Schrein":
Doralice entflieht ihrem Vater, der sie ehelichen will, in
einem Schrank verborgen, heiratet einen Prinzen, wird aber
von dem rachsüchtigen Vater der Ermordung ihrer Kinder
verdächtigt. Bei "L'orza" weiss die Amme für
die in gleicher Bedrängnis befindliche Königstochter
einen andern Rat; sie gibt ihr ein Hölzlein, das sie in
eine Bärin verwandelt, sobald sie es in den Mund nimmt;
ein Prinz findet sie im Wald, erblickt sie auch einmal in
Menschengestalt und gewinnt sie lieb.
"Zuccaccia"; die Amme macht ihr ein Kleid aus
Kürbisstreifen. "Mona Caterina"; König hört
die Gänse die Schönheit ihrer badenden Hüterin rühmen.
- Sicilisch: "Fidi e Cridi"; Cridi flieht mit
ihrer Schwester und tritt an ihre Stelle als Königsbraut,
als Fidi vom Vater für ein Jahr in eine Eidechse
verwünscht wird. "La cerva"; beide Schwestern
in einer Kiste ins Meer geworfen. Die eine vertritt als
Braut die in eine Hindin Verwandelte. "L'orso";
die Prinzessin flieht als Bärin verkleidet, weil der
Vater sie von der Welt absperrt.
Katalanisch: "La gavia d'or"; die Heldin
flüchtet in einer goldenen Truhe, die in eines Prinzen
Zimmer gelangt. "La Pell d'ase"; Gänse singen
von ihrer schönen Hirtin, vom Prinzen belauscht,
Ringprobe statt Schuhprobe. - Mallorkinisch: "Die
Feuerbläserin"; von der Fee erhält das Mädchen
zwei Flaschen mit Schönheits- und Hässlichkeitswasser
und drei Mandeln, in denen Kleider stecken. -
Serbokroatisch: die von der bösen Schwester in der Speise
eingegebene Schlange entstellt das Mädchen; verstossen
dient es als Gänsehirtin, bis der Prinz die der
Schlafenden aus dem Mund kriechende Schlange tötet und
das Holzgewand birst. - Tschechisch: "Die Prinzessin
mit dem Goldstern auf der Stirn". "Der gläserne
Berg"; vermischt mit den sieben Raben, KHM 25.
Slavia: durch Drehung einer im Traum erhaltenen Nuss macht
die Heldin sich zum Küchenjungen; später im Bad an dem
Stern auf der Stirn erkannt. - Kleinrussisch aus Galizien:
der ins Meer geworfene Sarg wird dem Prinzen gebracht; der
verbrecherische Vater ermordet das Kind der Heldin und
will die Verstossene in der Teufelsmühle umbringen, sie
stürzt ihn aber unters Mühlrad und belebt nach dem Rat
dreier Tauben ihr Kind.
In einem nordindischen Märchen lässt die Heldin sich
ein Holz- oder Fellkleid machen, um sich vor einem Dämon
zu verbergen, der als Affe oder Katze ihren Verlobten
bedroht hat, oder um unerkannt dem Bräutigam zu dienen,
der sie infolge einer List der neidischen Stiefschwestern
verstossen hat; der Prinz entdeckt sie und tötet den
Dämon. - Im japanischen Märchen "Das Mädchen mit
Holznapf" befiehlt die sterbende Mutter der einzigen
Tochter, einen Holznapf, der ihr schönes Antlitz
verdeckt, zu tragen, damit sie den Nachstellungen der
Männer entrinne. Aber der Sohn ihrer Herrin freit dennoch
um sie, und am Hochzeitstag zerspringt der Napf, und
kostbare Juwelen fallen heraus. - Die Yumale in
Innerafrika berichten, dass Njelu Alimi, als ihr Bruder
sie zur Gattin nehmen wollte, in der Haut eines alten
Mannes entrann und das Amt eines Ziegenhirten versah; als
ihr taubstummer Genosse sie einst die Haut ablegen und
baden sieht, lockt er am nächsten Tag durch Gebäreden
andre Männer herbei, die dem König von der Schönen
erzählen, der wirbt um sie, aber sie geht zu ihrem Stamm
zurück, da ihr Bruder inzwischen gestorben ist, und wird
Oberpriesterin. - Brasilisch: "Dona Labismina";
die hilfreiche Schlange ist eine Zwillingsschwester der
Heldin Maria.
Der Eingang des Märchens, worin die Heldin von dem
eignen Vater zur Ehe begehrt wird, erscheint in
verschiedenen mittelalterlichen Dichtungen. Auch in einem
färöischen Lied von Osla, will der König nur die
heiraten, welcher die Kleider der verstorbenen Königin
passen. Anderwärts sucht er die, die den Ring der ersten
Gattin anstecken kann oder ebensolche Haare hat; bisweilen
hat er dies seiner sterbenden Frau schwören müssen. Die
Kleidung, in der die Heldin ihrem Vater entrinnt und ihre
Schönheit vor jedermann verbirgt, ist entweder ein rauher
Pelz oder ein hölzernes Gewand, das sie wie ein Kasten
umschliesst, so dass sie sich auch für einen Mann
ausgeben kann. In der Regel erhält sie davon ihren Namen.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Allerleirauh. Grimm/KHM 65
Aschenpüster mit der Wundergerte. Bechstein/Deutschland 1
Die Bärin. Basile/Italien 2,6
Die Nymphe des Brunnens. Musäus/Deutschland 2,6
Schweinehaut. Afanasjew/Russland 290
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