Das
Ziegenmädchen 409A
Märchentyp AT: 409A
Grimm KHM:
Eine Frau ohne Kinder wünscht sich
eines so sehnlichst, auch wenn es ein Tier wäre. Sie
gebärt ein Ziegenmädchen (eine Dohle, einen Raben, ein
Schwein, einen Kürbis etc.). Eines Tages legt das
Ziegenkind sein Fell ab und beginnt zu spielen. Ein Prinz
sieht das schöne Mädchen und heiratet sie. Im Schloss
erregt sie als Ziege Aufsehen und wird von der
Schwiegermutter schlecht behandelt. Bei einer Hochzeit
erscheint das Ziegenmädchen in ihrer menschlichen
Gestalt, tanzt und wird bewundert. Sie wirft einen
goldenen Apfel, verschwindet und nimmt wieder
Ziegengestalt an. Schliesslich gelingt es dem Prinzen, das
Ziegenfell zu verbrennen und das Mädchen zu entzaubern.
Anmerkung
Die übernatürliche Empfängnis ist im Zaubermärchen
ein stehendes Motiv. Diese wird dadurch bewirkt, dass eine
Frau eine Frucht isst, eine Fliege verschluckt, aus einer
Quelle trinkt, an einen Stein geht, einen Traum hat oder
sich das Kind wünscht etc. Dadurch wird eine verstorbene
Person, Ahnin oder Ahne, wieder ins Leben geführt. Auch
die Erscheinung eines menschlich-tierischen bzw.
menschlich-pflanzlichen Wesens ist für das Zaubermärchen
kein Problem. Damit zusammen hängt die totemistische
Vorstellung einer Seelenverwandtschaft von Mensch und
Tier, Pflanze (siehe AT 407 Das Blumenmädchen) oder
Vogelei etc. In diesem Märchen ist es eine Tierbraut, die
einen Prinzen heiratet. Damit lässt sich die Erzählung
mit den weit verbreiteten Märchen vom Tierbräutigam
vergleichen, besonders AT 425 Die Schöne und das Tier, wo
jedoch ein Mann bzw. verzauberter Prinz die Fähigkeit
besitzt, seine Tierhaut abzulegen und ein Mädchen
heiratet. In der Mythologie ist eine göttliche
Frauengestalt mit ihrem Symboltier der Ziege bestens
bekannt. Diese Muttergöttin steht im Hintergrund des
"Ziegenmädchens", das auch einen goldenen
Apfel, den Liebesapfel, mit dem sie sich einen männlichen
Partner wählt, besitzt. Denkbar ist, dass hinter dem
häufig vorkommenden Motiv einer Frau bzw. eines Mannes
mit einem Tierfell eine sakrale Zeremonie steht, in
welcher eine Priesterin bzw. ein Priester in eine Tierhaut
gekleidet ist, z.B. in eine Eselshaut (siehe KHM 144 Das
Eselein). Tierfell bzw. Vogelkleid wiederum erinnern
auffallend an die Bekleidung der Schamaninnen und
Schamanen, die sich dadurch mit dem Tierahnen verwandt
fühlen. Auch sie üben eine sakral-mythologische Funktion
aus.
Literatur
Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den
Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der
Brüder Grimm. Bern 1999.
Duerr, H.P.: Sedna oder Die Liebe zum Leben.
Frankfurt 1990.
Johnson, B.: Lady of the Beasts. San Francisco 1990.
Ranke-Graves, R.v.: Griechische Mythologie. Reinbek 1987.
Thompson, S.: The Folktale. New York 1951.
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