Die drei
Zitronen 408
Märchentyp AT: 408
Grimm KHM:
Ein Junge zieht aus, um sich eine
Prinzessin zu suchen. Eine alte Frau gibt ihm drei
Zitronen (Orangen, Äpfel etc.) mit der Anweisung, diese
erst am Wasser aufzuschneiden. Die erste und zweite Frucht
schneidet er jedoch zu früh auf, so dass die nackten
Mädchen, die den Früchten entsteigen, verdursten und
entschwinden. Aus der letzten Frucht kommt wiederum ein
bildschönes Mädchen hervor, doch diesmal tränkt er die
Erscheinende an einer Quelle. Er bittet sie, auf einem
Baum bei der Quelle zu warten, bis er sie in die Stadt
hineinführen kann (holt Kleider für die Nackte). Eine
Zigeunerin oder Mohrin entdeckt sie in ihrem Versteck und
wirft sie in die Quelle (verwandelt sie mit einer
Zaubernadel in eine Taube), nimmt ihre Stelle ein und wird
vom Jungen abgeholt. Das Mädchen aus der Zitrone wird,
als sie in die Quelle fällt, in einen Fisch (Vogel)
verwandelt, der vom Jungen gefangen wird. Aus den Schuppen
(Federn) entsteht ein Baum, aus dessen Frucht das Mädchen
wieder hervortritt. Sie gewinnt den Jungen zurück, und
die Zigeunerin wird bestraft. Oder man entdeckt die
Zaubernadel im Kopf der Taube. Als sie entfernt wird,
entwandelt sich der Vogel zur jungen Frau, die ihre
Geschichte erzählt und den Prinzen heiratet.
Anmerkung
Hier haben wir wohl nicht die gleiche, aber eine
ähnliche, mehrfache Verwandlungsserie Pflanze (Frucht) zu
Mensch zu Tier (Pflanze) zu Mensch wie in 318
(Batamärchen). Die Szenerie ist die gleiche wie in 450
(Brüderchen und Schwesterchen), das gern als
Muttermärchen der Drei Zitronen (Orangen, Eier,
Granatäpfel) bezeichnet werden kann und auf das wir
hinweisen. Wir haben den Baum, die Quelle und die Stadt,
die Usurpation jedoch geschieht vor der Hochzeit (wie in
403A). Es ist also eine relativ unbedeutende Änderung,
die diesem Märchen seinen etwas abweichenden Verlauf
gegeben hat. Hinter der Herkunft des Mädchens aus einer
Frucht steht das Motiv der übernatürlichen Empfängnis
bzw. Geburt, die oft eine Wiedergeburt darstellt - zudem
noch eingeleitet von einer alten Frau, die als mythische
Alte und Kinderschenkerin gilt. Diese Alte ist nicht nur
Schenkerin des Lebens sondern auch Prüferin. Sie leitet
in der Gestalt der "Zigeunerin" bzw. der
"Mohrin" - beides sind dunkle Frauengestalten
und erinnern an schwarze Erdgöttinnen (Schwarze Madonna)
- die Jenseitsreise (Mehrfachverwandlung) des jungen
Mädchens ein. Erst durch diesen schamanistischen,
totemistischen und mythologischen Prozess wird sie
Königin. Somit hebt sich, auf der Folie des
mythologischen Hintergrundes, die "negative"
Gestalt der "Todesgöttin" (Zigeunerin, Mohrin)
auf und relativiert sich, denn sie ist als alte Frau
zugleich auch Lebensgöttin. Mit ihr zusammen spielt das
Wasser des Lebens, die Quelle oder der Brunnen, von denen
gemäss des Volksglaubens die Kinder geholt werden, was
Reste und Spuren einer mutterrechtlichen Naturmythologie
widerspiegelt.
Literatur
Derungs, K.: Archaische Naturmotive in den
Zaubermärchen. In: Die ursprünglichen Märchen der
Brüder Grimm. Bern 1999.
Früh, S./Derungs, K.: Schwarze Madonna im
Märchen. Mythen und Märchen von der Schwarzen Frau. Bern
1998.
Goldberg, C.: The Tale of the Three Oranges.
Helsinki 1997.
Hellbusch, S. u.a.: Tier und Totem.
Naturverbundenheit in archaischen Kulturen. Bern 1998.
Holmberg, U.: Der Baum des Lebens. Göttinnen und
Baumkult. Bern 1996.
Holmberg, U.: Das Wasser des Lebens. Göttinnen und
Wasserkult. Bern 1997.
Köhler, R.: Die Schöne mit den sieben Schleiern. In:
Zeitschrift für Volkskunde 6, 1896, p. 63-64.
Propp, V.J.: Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens.
München 1987.
Schenda, R. (Hg.): Das Märchen der Märchen. Das
Pentamerone. Giambattista Basile. München 2000, p. 591,
616.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Die Cedercitrone. Hahn/Griechenland
49
Die drei Pomeranzen. Zingerle/Tirol 1,2
Die drei Zitronen. Basile/Italien 5,9
Vom reichen Grafensohn. Zingerle/Tirol 1,11
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