Der Zauberer
und sein Lehrling 325
Märchentyp AT: 325
Grimm KHM: Der Gaudieb und sein Meister 68
Ein Sohn wird zu einem Zauberer in
die Lehre gegeben, und der Vater kann ihn nur mit fremder
Hilfe wiedererkennen, als er kommt, um ihn abzuholen. Sie
fliehen vom Zauberer. Da der Sohn, der ausgelernt hat,
sich in verschiedene Tiere verwandeln kann, verdienen
Vater und Sohn dadurch Geld, dass der Vater den Sohn in
verschiedenen Tiergestalten verkauft und ihn dann wieder
verschwinden lässt, bis ihn endlich der Zauberer auf
einem Markt oder anderswo als Pferd mit Halfter kauft. Da
kann er von der Verzauberung nicht freikommen, aber
schliesslich bringt er einen Vorbeigehenden dazu, ihm das
Halfter abzunehmen. Dann folgt ein Kampf in einer Reihe
verschiedener Tiergestalten zwischen dem Zauberer und
seinem ehemaligen Lehrling. Ursprünglich durfte dieser
Verwandlungskampf im Haus einer Prinzessin ausgekämpft
werden, der sich der Lehrling in Gestalt eines Ringes
schenken lässt, um während der Nächte ihr Liebhaber zu
sein. Der Zauberer hingegen kommt als Arzt der Prinzessin
ins Haus. Der Kampf endet mit dem Tod des Zauberers.
Anmerkung
Der bekannte Indologe Benfey ist der Meinung, dass
dieses Märchen indischen Ursprungs sei, da es im
Siddhi-Kur wiedergegeben ist. Selbst wenn man aus diesem
Anlass voraussetzte, dass das Märchen der altindischen
Literatur angehörte, so wiegt das federleicht vor der
Tatsache, dass die wesentlichsten Züge des Märchens
schon vor unserer Zeitrechnung bei Ovid bekannt waren. Er
schreibt in seinen Metamorphosen von einem Vater und einer
Tochter folgendes: "
Als der Vater bemerkte,
sie konnt’ die Gestalten vertauschen, Hat er nicht
selten verkauft sie. Sie wusst’ sich zu retten, Bald als
Stute, als Vogel, als Hinde, jetzt wieder als Färse, Und
ihrem gierigen Vater ein nicht ehrliches Leben
bereitend."
Vielleicht haben wir eine noch ältere Spur des
Märchens, nämlich in dem Hesiod (um 770 v.u.Z.)
zugeschrieben äolischen Märchen vom Kampf des Herakles
mit Periklymenos, dem Sohn Nelevs. Herakles konnte ihn
nicht überwinden, weil er von Poseidon die Gabe erhalten
hatte, seine Gestalt zu verändern: Bald streckt er seine
Schwingen als Adler, bald verschwindet er wie eine
Schlange, bald surrt er als Biene, bald kriecht er als
Ameise umher. Aber wie er als Biene auf dem Kriegswagen
sitzt, winkt Athene dem Herakles zu, der dadurch siegt.
Während der letzten Jahrhunderte vor unserer
Zeitrechnung stand der Weg zwischen dem Römischen Reich
und Indien offen. Das Märchen dürfte auch mit aller
Wahrscheinlichkeit sowohl in Indien, im eigentlichen
Persien, in den Ländern an den Quellen von Euphrat und
Tigris als auch in Kleinasien bekannt gewesen sein. Dafür
sprechen die armenischen, kaukasischen, türkischen und
arabischen Varianten. Die Erzählung wird u.a. - obwohl in
Fragmenten, eingefügt in ein anderes Märchen - in
Tausendundeiner Nacht wiedergegeben. Wir finden es in der
türkischen Version der Sieben weisen Meister oder Vierzig
Wesire (15. Jahrhundert) und im arabischen Tausendundein
Tag. In Europa ist das Märchen besonders reich belegt auf
dem Balkan, bei den Rumänen und in den slawischen
Ländern, ist aber im Westen bis Irland und im Norden bis
Island vorgedrungen. Ausserhalb des alten
Verbreitungsgebietes des orientalisch-europäischen
Märchens ist es östlich bis nach Indonesien und zu den
Philippinen gekommen.
Für das Alter der Sage gibt es eine Grenze, und zwar
das Vorkommen des zahmen Pferdes, das fast ohne Ausnahme
sowohl in den europäischen als auch in den asiatischen
Versionen erwähnt wird, sowohl im Siddhi-Kur wie bei den
Indern und bei Ovid. Es wird im Märchen als etwas
allgemein Bekanntes, aber Wertvolles vorausgesetzt.
Während die Ägypter noch keine Pferde besassen, waren
während der letzten Jahrhunderte des 2. Jahrtausends
v.u.Z. Hethiter und Mitannier die eigentlichen Züchter
dieses Tieres. Es kam etwa 2000 v.u.Z. auf. Älter kann
das Märchen also nicht sein. Eigentümlich ist, dass es
mehrere Züge mit dem Batamärchen (318) gemeinsam hat,
unserem am frühesten aufgezeichneten
orientalisch-europäischen Zaubermärchen, das gerade auf
hethitischem Gebiet (d.h. westlich der Quellen des
Euphrats) entstand und dort spätestens um 1300 v.u.Z.
bekannt war. Das Batamärchen enthält gleich dem Märchen
Der Zauberer und sein Lehrling unter anderem eine Serie
Tierverwandlungen, in der ein Pferd das erste Glied bildet
(in der ägyptischen Variante ist es ein Ochse).
Tierverwandlungsserien gibt es auch in zwei anderen
Märchen, im Märchen vom Riesen ohne Herz (302) und im
Märchen vom Brüderchen und Schwesterchen (450).
Literatur
His, M.: Die magische Flucht und das
Wettverwandeln. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde
30, 1930, p. 107-129.
Maurer, K.: Zum Wettkampf des Zauberes mit seinem
Lehrling. In: Zeitschrift für Volkskunde 6, 1896, p. 444.
Naumann, N.: Verschlinger Tod und Menschenfresser. In:
Saeculum 22, 1971, p. 59-70.
Röhrich, L.: Dienst beim Dämon. In: EM 3, p. 655-657.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Aus Wien eine abweichende Erzählung: ein Zaubermeister
sucht sich einen Jungen, der nicht schreiben und lesen
kann, um ihm zur Hand zu gehen. Er fragt einen, dem er
begegnet: "Kannst du schreiben und lesen?" -
"Ja", antwortet der Junge. Sagt der
Zaubermeister: "Kannst du schreiben und lesen, so
taugst du mir eben nichts". - "Von Schreiben und
Lesen sprecht Ihr? Da hab ich Euch unrecht verstanden; ich
glaubte, Ihr fragtet, ob ich schreien und essen könnte;
und das versteh ich auch aus dem Grund, aber schreiben und
lesen davon versteh ich nichts". Denkt der Zauberer:
"Der ist gut für mich", und weil er ihm sonst
gefällt, nimmt er ihn zu sich. Der Junge aber war witzig,
verstand beides Lesen und Schreiben sehr wohl und stellte
sich nur dumm an. Mithin bleibt er einige Zeit im Dienst
und tut ihm Handlangers Arbeit; insgeheim aber, wenn der
Zauberer beiseite oder ausgegangen ist, liest er in den
Zauberbüchern und lernt die Sprüche und Vorschriften
auswendig. Das geht so lange hin, bis ihn eines Tages der
Meister über einem Buch findet und merkt, was geschehen
ist. "Wart", ruft er, "du sollst mir nicht
entrinnen!" Der Knabe tut schnell einen kräftigen
Spruch, wird zum Vogel und entfliegt; der Meister
verwandelt sich eben so schnell in einen Raubvogel und
setzt ihm nach. Die Reihe von Verwandlungen, welche nun
folgte, wusste die Erzählerin nicht mehr; aber das Ende
davon war, dass der Junge klüger sich zeigte als der
Meister, und während dieser in Gestalt eines Haberkorns
da liegt, der Junge die eines Hahns annimmt und es
verschluckt; womit der Zauberer verloren und vernichtet
war.
Die wesentlichen Züge des Märchens sind: A) Der Vater
gibt seinen Sohn dem Zauberer in die Lehre, muss ihn aber
nach einem Jahr in seiner Tiergestalt wiedererkennen. - B)
Der Bursch lernt heimlich zaubern und entflieht. - C) Er
lässt sich vom Vater als Hund, Ochs, Pferd verkaufen,
zuletzt an den Zauberer, dem der Vater gegen das Gebot
auch den Zaum überlässt. - D1) Doch gelingt es ihm, den
Zaum abzustreifen und - D2) den Zauberer durch einen
Wettkampf in Verwandlungen (Hase, Fisch, Vogel usw.) zu
überwinden; - D3) meist verlangt, nachdem er als Vogel zu
einer Prinzessin geflüchtet ist und von ihr in Gestalt
eines Ringes geborgen wird, der als Arzt des kranken
Königs auftretende Zauberer diesen Ring; wie die
Königstochter den Ring hinwirft, liegen eine Menge
Hirsekörner da, die der Zauberer als Hahn aufpicken will;
aber schnell wird der Jüngling zum Fuchs und beisst dem
Hahn den Kopf ab.
Steirisch: "Der Hahnreiter"; verbotenes
Zimmer, Flucht auf dem redenden Schimmel mit Auswerfen von
Bürste, Striegel, Lappen. - Holsteinisch: "Der
Teufel ist tot"; Teufel statt Zauberer, Nonne statt
Prinzessin. - An den Fundevogel (KHM 51) erinnert ein
pommersches Märchen "Die Flucht vor dem
Zauberer"; wo der Zauberlehrling gemeinsam mit einem
Mädchen flieht und sich und das Mädchen in Teich und
Fisch, Kapelle und Bild, Tenne und Gerstenkörner
verwandelt.
Irisch: "The fisherman's son and the Gruagach of
tricks"; der Zauberer verfolgt den Helden samt seinen
elf Söhnen. - Griechisch: "Der Lehrer und sein
Schüler"; magische Flucht mit einer befreiten
Jungfrau, die den Helden nachher von Blindheit heilt. -
Serbokroatisch: "Der Teufel und sein Lehrjunge";
eine alte Frau beim Teufel rät dem Helden. - Estnisch:
von drei Broten erfährt der Vater, wie er seinen
verwandelten Sohn erkennen könne. - Türkisch: "Der
Zauberer und sein Lehrling"; der Knabe lässt sich
von seiner Mutter als Bad verkaufen, entrinnt als Vogel
und fällt dem Sultan als Rose vor die Füsse; wie der
Zauberer als fahrender Sänger herzutritt und die Rose
begehrt, folgen die Verwandlungen in Hirse und Hahn.
"Allem-Kallem"; der Knabe lernt von einem
Mädchen beim Dew das Allem-Kallem-Spiel. - Gagausisch:
der Knabe verwandelt sich in einen Hund, im Zimmer seines
Herrn in ein Mädchen, das jener zur Hochzeit in die
Kirche führt, und dann in einen Hund, der aus der Kirche
entläuft. - Awarisch: "Ohai"; der Jüngling
lernt die Kunst, weil er die Tochter des Königs nur dann
erhalten soll, wenn er alle andern übertrifft. -
Kalmükisch in der Einleitung des Siddhi-Kür: statt des
einen Zauberers sind es sieben Brüder, denen der
törichte Bruder des Zauberlehrlings das Pferd verkauft;
wie sie es schlachten wollen und es zum Fisch wird,
verwandeln sie sich in sieben Möwen; da wird der Fisch
zur Taube, die Möwen zu Habichten; die Taube flüchtet in
den Schoss des weisen Nâgârguna und verwandelt sich in
seinen Rosenkranz; als sieben Bettelmönche den Meister um
seinen Rosenkranz bitten, wirft er, die Hauptkugel im Mund
behaltend, die andern auf die Erde, wo sie zu Würmern
werden; die Verfolger in Gestalt von Hühnern picken
danach und werden vom Chanssohn erschlagen. - Arabisch:
"Mohammed l'Avisé"; der Held ist dem Zauberer
vor seiner Geburt versprochen; er entflieht mit der
Prinzessin, vor deren Vater er später als Granatapfel und
als Dolch erscheint und den Zauberer tötet.
Ovid erzählt bereits Metam. 8, 871 von Mestra, welche
die Gabe sich zu verwandeln besass, dass sie sich von
ihrem Vater Erysichthon als Sklavin verkaufen liess und in
andrer (tierischer) Gestalt zu ihm zurückkehrte.
Ein Wettkampf zweier Zauberer kommt im
niederländischen Malegis vor. Malegis gerät über die
Zauberbücher des Baldaris, den er für seinen Vater
hält, und lernt heimlich die Kunst daraus. Einmal, als
sie am Tisch sitzen, zaubert Baldaris Hasen und Kaninchen,
die nacheinander daherlaufen; da lässt Malegis zwei
schöne Windhunde auf die Tafel springen, welche die
Tierchen erjagen und zerreissen. Baldaris zaubert ein
Wasser, darin sich alle sollen die Hände waschen; aber
Malegis macht, dass das Wasser schwarz wird und klebt wie
Pech. - Einen Verwandlungswettkampf dagegen findet man in
der wallischen Sage von Gwion dem Kleinen, der sich vor
dem verfolgenden Caridwen in einen Hasen, Fisch, Vogel und
Weizenkörner verwandelt. Merkwürdig sind die nicht
gleichen, aber ähnlichen Verwandlungen zwischen zwei
Zauberkundigen in der Geschichte des zweiten Kalenders in
1001 Nacht; es kommt darin gleichfalls vor, dass der eine
Teil sich in einen Granatapfel verwandelt, dessen Körner
die Prinzessin als Hahn auffrisst; weil sie aber ein Korn
übersieht, gehen die Verwandlungen noch weiter. -
Verwandlungen eines verfolgten Liebespaares kommen in KHM
51 "Fundevogel", KHM 66 "Der liebste
Roland", KHM 76 "Die Nelke", KHM 79
"Die Wassernixe" vor.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Der Zauber-Wettkampf.
Bechstein/Deutschland 35
Krabat. Nedo/Sorben 29
Der Gaudieb und sein Meister. Grimm/KHM 68
Der Erzzauberer und sein Diener. Haltrich/Deutschland 14
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