Der Blaubart
312
Märchentyp AT: 312; cf. 311
Grimm KHM: Fitchers Vogel 46
Ein Mädchen wird
von einem Ritter als seine Braut auf sein Schloss
gebracht. Dort wird ihr verboten, ein bestimmtes Zimmer zu
betreten. Sie tut es dennoch und entdeckt eine Menge
zerstückelter Frauenleiber. Es waren die ermordeten
Gattinnen des Ritters. Sie verrät sich dadurch, dass der
Schlüssel zu diesem Zimmer blutig geworden ist und das
Blut sich nicht abwaschen lässt. Als Ritter Blaubart sein
Schwert zieht, um sie zu töten, ist ihre Schwester gerade
zu Besuch. Die Schwester sieht vom Turm aus, dass ihre
beiden Brüder angeritten kommen. Da bittet die bedrohte
Gattin ihren Mann, wenigstens ein letztes Gebet verrichten
zu dürfen. Die Brüder kommen rechtzeitig und retten ihre
Schwester.
Anmerkung
Dieses Märchen ist nur eine von Charles Perrault
ausgeführte Romantisierung des vorhergehenden Märchens
311. Es ist auch kein Wundermärchen im eigentlichen Sinn.
Möglicherweise hat ein in ganz Europa verbreitetes
Volkslied über einen Gattenmörder Rymer Perrault
beeinflusst. Der Name "Blaubart" besagt nur,
dass der Ritter einen schwarzen Bart hatte. Dieser Zuname
findet sich schon im 16. Jahrhundert für Männer, die
darauf ausgehen, Mädchen zu verführen. In der
Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
von 1812 erscheint ebenfalls ein Blaubart-Märchen unter
der Nr. 62, welches aber dann keine weitere
Berücksichtigung mehr fand.
Literatur
Christiansen, R. Th.: Studies in folklore.
Bloomington 1957.
Haiding, K.: Kinderspiel und Volksüberlieferung. München
1939.
Heckmann, E.: Blaubart. Schwetzingen 1930.
Hartmann, E.: Die Trollvorstellungen in den Sagen und
Märchen der skandinavischen Völker. Stuttgart 1936.
Herzog, J.: Die Märchentypen des Ritter Blaubart und
Fitchervogel. Köln 1929.
Lontzen, G.: Die Erfindung des Blaubartmärchens
durch Charles Perrault. Erkrath 1990.
Mazenauer, B./Perrig, S.: Wie Dornröschen seine
Unschuld gewann. Leipzig 1995, p. 83 ff. (Blaubart)
Uther, H.-J.: Der Frauenmörder Blaubart und seine
Artverwandten. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde
84, 1988. p. 34-54.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Fitchers Vogel:
Bei Pröhle, "Bienchens Haus" heisst sie
Fledervogel, die Wiederbelebung der toten Schwestern
fehlt. Bei "Das Zwergloch" erhalten die von den
Zwergen in Rosen verwandelten Schwestern durch die
jüngste ihre menschliche Gestalt wieder und entrinnen in
verschiedenen Verkleidungen.
Wir unterscheiden hier folgende Motive: A. Ein Mädchen
wird durch ein verbotenes Zimmer auf die Probe gestellt;
ein Ei oder ein Schlüssel wird blutig. - B. Zwei
Schwestern erleiden für ihre Neugier den Tod. - C. Die
jüngste findet und belebt die Leichen. - D. Der Mörder
muss selber die Wiedererweckten in einem Korb forttragen.
- E. Die Heldin entrinnt als Vogel verkleidet. - F. Der
Mörder wird bestraft.
Anderwärts erscheint statt des Zwerges oder
Hexenmeisters ein Räuber oder Ritter, wie im
Räuberbräutigam KHM 40 und im Blaubartmärchen, oder der
Teufel; die Heimkehr aus dem Räuberhaus verliert oft das
Wunderbare, da die Frau ihren Mann zu einem Besuch bei
ihrem Vater zu bereden weiss. "Vom bösen Ritter am
Dietrichsberg"; die Heldin flieht mit den Köpfen
ihrer Schwestern. "Die Räuberbraut"; zieht dem
Brunnenpfahl ihre Kleider an und versteckt sich in einem
hohlen Baum; der Menschenfresser wird von einem jagenden
Prinzen erschossen. "Die verwünschten Vögel";
werden von der dritten Schwester besprengt; diese bindet
den Kopf der Katze, den sie verzehren soll, sich auf den
Leib, von wo er ihrem Mann antwortet. - Schottisch:
"The widow and her daughters"; Pferd lockt in
den Hügel, verbotenes Zimmer, hilfreiche Katze. -
Italienisch: "Le diable joué par sa femme"; sie
darf nicht in die Kessel sehen, in denen die armen Seelen
kochen, und lässt sich vom Teufel in einer Kiste
heimtragen. "Der Teufel und seine Weiber"; ein
Rettich zieht die drei Schwestern hinab; verbotenes
Zimmer, Rose; der Teufel trägt in drei Kisten die
Schwestern zurück, ohne es zu merken. "Der Teufel
heiratet die Schwestern". "L'orco"; Leben
des Unholds im Ei. "Le tre fornarine";
verbotenes Zimmer; die jüngste entflieht mit einem
Prinzen aus dem Räuberhaus. Bei "Ohimè" sollen
die Schwestern Menschenfleisch essen, das nachher auf die
Frage des Unholds antwortet.(Drei Brüder werden ebenso
erprobt bei "Il contadino che aveva tre
figlioli"; magische Flucht, das Pferd wird zu einer
Prinzessin.) - Maltesisch: "Der goldene Adler";
Flucht mit einem Prinzen.
Serbokroatisch: der Räuberhauptmann folgt der
jüngsten Schwester; Schluss wie in Ali Baba und den
vierzig Räubern. Letopis: die Schwestern sind durch eine
schwarze, unter die Zunge gestossene Nadel betäubt. -
Bulgarisch: die jüngste entflieht in einer goldenen
Laterne, die dann ein Kaiser findet. - Cechisch: der
Teufel führt die Mädchen zu Luciper in die Teufelsburg;
ihre und andere Seelen werden mit Hilfe der Jungfrau Maria
aus den Töpfen erlöst. - Slowakisch: die Schwestern
salben sich und fliegen heim. - Polnisch: die jüngste
Schwester erschlägt den Kater, dem sie nicht zu fressen
geben soll, und entflieht mit den belebten Schwestern. Die
jüngste entlockt dem Mann, wo sein Leben liegt: in einem
unter einem grossen Stein verborgenen Schaf. -
Grossrussisch: statt des Räubers ein Bär; die Heldin
fährt ohne die Schwestern belebt zu haben in einem
Mörser voll Gold nach Hause; wie sie dem Bären zuruft:
"Ich sehe, ich sehe, krummfüssiger Teufel",
reisst er zornig Bäume nieder und wird von ihnen
erschlagen. - Kleinrussisch: die Schwestern fliehen
zusammen; der Bettler zündet ihre Hütte an, wird bald
gefangen und gehängt. Cubinskij: eingeschaltet in das
Mädchen als Krieger. - Weissrussisch: Bär; dann
Bärensohn und seine Gefährten. - Litauisch: die Koffer
mit den sechs Schwestern werden von den Gesellen des
Räubers zurückgetragen; Soldaten umstellen ihre Höhle.
- Lettisch: die dritte Frau lässt sich auch vom Mann
wegtragen; er gibt sich selbst den Tod, als er sieht, wie
er betört worden. - Türkisch: die Schwestern waren mit
den Ohren an die Wand genagelt; die jüngste flieht in
einer Kiste, die ins Meer geworfen wird. - Aus Palästina:
Vampir hängt die Schwestern an den Haaren auf und steckt
die jüngste in eine Kiste, die er ins Meer wirft. -
Indisch: "Der gefrässige Tiger"; Vogel warnt;
der Bruder rächt den Tod seiner drei Schwestern.
"Bopoluchi"; Krähe, Pfau und Schakal warnen;
das Mädchen tötet des Räubers Mutter, setzt die Leiche
in ihren Kleidern ans Spinnrad und entrinnt; als nachts
vier Räuber ihr Bett forttragen, erschlägt sie diese
alle.
Perraults berühmte Erzählung "Barbe-bleue",
welche 1697 veröffentlicht wurde, macht den Frauenmörder
zu einem reichen Ritter von unheimlicher Hässlichkeit.
Seine letzte Frau soll sterben, als durch den blutigen
Schlüssel offenbar wird, dass sie das verbotene Zimmer
betreten hat; sie erlangt eine Viertelstunde Aufschub und
sendet ihre ältere Schwester Anne auf den Turm, um nach
den erwarteten Brüdern auszuschauen; schon schleift sie
der Wüterich an den Haaren fort, da stürmen die beiden
Brüder herein und durchbohren ihn. Dieser dramatische
Schluss, die wiederholten angstvollen Fragen der Frau an
die in die Ferne spähende Schwester und die drohenden
Rufe des unten harrenden Blaubart, klingen in den neueren
französischen Volksmärchen wieder, wo oft die Brüder
durch einen Hund oder Falken der Frau herbeigerufen werden
und der sein Messer wetzende Unmensch beständig singt:
"J'aiguise, j'aiguise mon couteau, pour tuer ma femme
qu'est en haut."
Der Gehorsamsprobe mit dem verbotenen Zimmer, welche im
Märchen den Mord begründen soll, ist ein neues,
wenngleich bereits in indischen und arabischen
Erzählungen, auch im Marienkind (KHM 3) vorkommendes
Motiv.
Den skandinavischen und russischen Versionen
eigentümlich ist die Tiergestalt, die der Unhold annimmt,
um das Mädchen in seine unterirdische Wohnung zu locken;
in italienischen zieht ein Rettich oder Blumenkohl das
Mädchen hinunter. Dass eine angekleidete Puppe die Braut
vorstellen muss, wird ebenso im Märchen von der
Häsichenbraut (KHM 66) erzählt und zeigt die
Verwandtschaft. Die Verkleidung des Mädchens in einen
Vogel, den der begegnende Hexenmeister nicht erkennt,
gemahnt an die zur Fastnacht, bei Hochzeiten und andern
Festen üblichen Vermummungen.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
Der Blaubart. Perrault/Frankreich 3
Das Märchen vom Ritter Blaubart. Bechstein/Deutschland 70
König Blaubart. Meier/Deutschland 38
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