Die zertanzten
Schuhe 306
Märchentyp AT: 306; cf. 507
Grimm KHM: Die zertanzten Schuhe 133
Eine Prinzessin (oder mehrere
Prinzessinnen) erwacht täglich am Morgen mit zertanzten
Schuhen. Dem, der die wirkliche Ursache ausfindig macht,
wird versprochen, die Prinzessin heiraten zu dürfen.
Misslingt es ihm aber, so soll er geköpft werden. Ein
Junge verfolgt die Prinzessin mit Hilfe verschiedener
magischer Gegenstände (Tarnkappe etc.) zuerst durch eine
Falltür und dann durch wunderbare, verzauberte Wälder
aus Kupfer, Silber und Gold in die jenseitige Unterwelt,
wo sie die ganze Nacht mit einem Zauberer oder dem Teufel
selbst tanzen muss und dabei ihre Schuhe abnützt. Dem
Helden gelingt es, sie zu entlarven, indem er
Beweisstücke seiner Entdeckung (Zweige, Becher, Schuhe
etc.) vorzeigt, die er während der Unterweltsfahrt
eingesammelt hat. Sie ist vom Zauber erlöst und er
gewinnt ihre Hand.
Anmerkung
Man hat das Gefühl, dass das Märchen dem Komplex aus
dem Orient stammender Märchen angehört, in dem die
Heldin wie Turandot ein Rätsel aufgibt, das der Held
unter Einsatz seines Kopfes lösen soll. Die Haupthandlung
scheint von dem folgenden armenisch-persischen Märchen
beeinflusst zu sein, von dem mehrere orientalische
Varianten sogar bis Indien existieren:
Ein Jüngling hat die Herausforderung der Prinzessin
angenommen, entweder ein von ihr aufgegebenes Rätsel zu
lösen und sich mit ihr zu verheiraten oder zu sterben.
Das Rätsel lautet: "Was hat Zenobia Gül getan und
Gül der Zenobia?" Durch Bestechung eines Sklaven
gelangt der Jüngling zu Gül, und dieser erzählt ihm,
dass seine Gattin, die wunderschöne Zenobia, jede Nacht
sein Sturmross genommen und sich zu einem Zauberer begeben
habe, mit welchem sie die ganze Nacht tanzte und koste.
Gül war ihr auf seinem Wolkenross gefolgt, hatte ihr
Unterfangen gesehen und vergeblich versucht, den Zauberer
zu töten. Nun hält Gül Zenobia in einem Käfig gefangen
und füttert sie zusammen mit seinem Hund, aber der
Zauberer, der sie verführte, wohnt im Keller des
Schlosses, von dem der Jüngling kommt. Die Prinzessin,
die ihm das Rätsel aufgegeben hatte, sucht den Zauberer
jede Nacht auf, wobei sie sich einer Falltür in ihrem
Gemach bedient, und hat zwei Kinder mit ihm. Wegen dieser
Neigung will sie sich nicht verehelichen, sondern gibt den
Freiern unmöglich Rätsel auf. Dem Jüngling, der Gül
für die richtige Lösung sein Leben verspricht, gelingt
es, ihm zu entkommen, indem er sich rasch versteckt. Er
entdeckt dem König sodann die ganzen Zusammenhänge und
hat damit das Rätsel gelöst. Der König lässt die
Tochter und die beiden Scheusale von Kindern töten.
In dieser Erzählung finden wir den wundersamen Weg vom
Schloss zum Aufenthaltsort des Zauberers und sogar die
Falltüre im Schlafgemach der Heldin wieder. Die Rolle des
Helden in den Zertanzten Schuhen ist eindeutig identisch
mit der Güls. In einigen südosteuropäischen Varianten
von den Zertanzten Schuhen geht die Fahrt genau wie im
Gülsmärchen durch die Luft, und der Held schlägt dabei
die Heldin. Die zertanzten Schuhe enden auch öfters so
wie das Gülsmärchen damit, dass die Heldin und ihre
Kinder zusammen mit dem Übernatürlichen zum Tode
verurteilt werden.
Das Turandotmotiv im Gülsmärchen sehen wir in
Apolonius von Tyrus, einem hellenistisch-römischen
"Roman", wiedergegeben, der bereits im 3.
Jahrhundert aus dem Griechischen ins Lateinische
übersetzt worden sein dürfte, und das Gülsmärchen hat
Vettern sowohl in der türkischen Version der Sieben
weisen Meister oder Vierzig Vesire (15. Jahrhundert) als
auch in den Gesta Romanorum.
Literatur
Brückner, A.: Die zertanzten Schuhe. In:
Zeitschrift für Volkskunde 16, 1906, p. 207.
Früh, S./Derungs, K.: Schwarze Madonna im
Märchen. Mythen und Märchen von der Schwarzen Frau. Bern
1998.
Gehrts, H.: Das Märchen von den zertanzten Schuhen. In:
Veröffentlichungen der Europ. Märchengesellschaft 10,
1986. p. 160-177.
Hartmann, E.: Die Trollvorstellungen in den Sagen und
Märchen der skandinavischen Völker. Tübingen 1936.
Liljeblad, S.: Die Tobiasgeschichte und andere Märchen
mit toten Helfern. Lund 1927.
Opie, I. u. P.: The classic fairy tales. London, New York,
Toronto 1975.
Märchen
>> Das grosse Buch der
Zaubermärchen
Hinweise
Dazu folgende Erzählung: es sind nur drei
Königstöchter, deren Schuhe jeden Morgen entzwei
gefunden werden. Wer die Ursache herausbringt, soll die
jüngste zur Gemahlin haben, wer es aber nicht vermag, das
Leben verlieren. Zwölf sind schon aufgehängt, da meldet
sich der Soldat als der dreizehnte. Er schleicht ihnen
nachts durch den heimlichen Gang nach (den
unsichtbarmachenden Mantel hat er noch nicht). Die drei
Fräulein gehen bis zu einem See; da stehen drei grosse
Riesen, jeder nimmt eine von ihnen auf den Nacken und
trägt sie durch das Wasser zu einem kupfernen Schloss.
Der Soldat kann nicht nach, da erblickt er einen Löwen
und einen Fuchs, die haben einen Mantel und ein Paar
Stiefel, wenn man die antut, so kommt man hin, wo man sich
hinwünscht. Die beiden streiten sich, wer die Wunschdinge
haben soll; da spricht er: "Geht dreissig Schritte
weit, dann fangt an zu laufen! Wer am ersten wieder hier
ist, soll sie haben". Kaum sind sie fort, so zieht er
die Stiefel an, hängt den Mantel um und wünscht sich zu
den drei Königstöchtern. Er setzt sich unsichtbar zu der
ältesten und isst ihr alles vor dem Mund weg. Nach dem
Essen fängt der Tanz an, und sie tanzen so lang, bis ihre
Schuhe Löcher haben; dann tragen die Riesen sie wieder
über den See zurück. Er wünscht sich in sein Bett, so
dass sie ihn wie in tiefem Schlaf finden. In der zweiten
Nacht geht es ebenso, das Schloss ist silbern, und der
Soldat setzt sich zu der zweiten. In der dritten Nacht ist
es golden, und er sitzt bei der dritten, der zugesagten
Braut. Am dritten Tag entdeckt der Soldat dem König alles
und erhält die jüngste Schwester und nach des Alten Tod
das Reich.
Eine Erzählung aus Hessen hat viel Eigentümliches.
Eine Königstochter vertanzt alle Nacht zwölf Paar
Schuhe, jeden Morgen muss ein Schuster kommen und zwölf
Paar neue anmessen, die abends abgeliefert werden; dazu
hält er zwölf Gesellen. Niemand weiss, wie die Schuhe
nachts zerrissen werden. Als eines Abends der jüngste von
den Gesellen die Schuhe herbeiträgt und die Jungfrau
gerade nicht in ihrer Kammer ist, denkt er: "Du musst
herausbringen, wie die Schuhe zerrissen werden", und
legt sich unter ihr Bett. Nachts elf Uhr öffnet sich die
Falltüre, es kommen elf Königstöchter herauf, die
küssen einander, tun die neuen Schuhe an und steigen dann
zusammen hinab. Der Geselle der sich unsichtbar machen
kann, geht nach; sie kommen an ein Wasser, wo sie ein
Schiffer in seinen Kahn nimmt. Dieser klagt, dass das
Schiff schwerer sei. "Ach", sagen die zwölf
Jungfrauen, "wir haben doch nichts mitgenommen, kein
Tuch, kein Päckchen." Sie landen und gehen in zwölf
verschiedene Gärten, jeder gehört einer davon; sie
brechen die schönsten Blumen und schmücken sich damit.
Nun gehen sie zu einem Schloss, wo zwölf Königssöhne
sie empfangen und mit ihnen tanzen; alle sind lustig, nur
eine nicht, die ist leidmütig (es ist, als habe sie den
schönen Schusterbuben gesehen und sich in ihn verliebt).
Sie kehren wieder zurück, weil die Schuhe durchgetanzt
sind. Oben werfen sie die zwölf Paar zum Fenster hinaus,
wo schon ein ganzer Haufen Schuhe liegt. Der Geselle
schleicht sich fort; am andern Morgen kommt der Meister
und will der Königstochter die neuen Schuhe anmessen, sie
liegt aber noch im Bett und heisst ihn wiederkommen. Als
er wiederkommt, sagt sie, sie wolle keine Schuhe mehr, sie
brauche nur ein Paar, das solle er ihr durch seinen
jüngsten Gesellen schicken. Der aber sagt: "Ich gehe
nicht; erst ist die Reihe am ältesten." Dieser putzt
sich und geht hin; sie will ihn aber nicht, sondern den
jüngsten. Der spricht wieder: "Ich gehe nicht eher,
als bis es an mich kommt." So geht der zweite, dritte
und alle einer nach dem andern hin, bis sie den elften
auch zurückgeschickt hat. Da sagt der jüngste:
"Soll ich hin, so geh ich, wie ich da bin, und ziehe
keine bessere Kleider an." Wie er hinkommt, fällt
sie ihm um den Hals und sagt: "Du hast mich von den
elfen erlöst, in deren Gewalt ich gewesen und von denen
ich gepeinigt worden bin; ich liebe dich von Herzen, du
sollst mein Gemahl werden."
Aus Niedersachsen: "Die zertanzten Schuhe";
auf den Rat eines Zwerges stellt sich der Bauer schlafend
und folgt unsichtbar den sechs Königstöchtern. Aus
Ostpreussen: "Der dwatsche Hans"; folgt der
Prinzessin, da er sich durch ein wunderbares Handtuch
unsichtbar machen kann, in ihr unterirdisches Schloss, wo
sie nicht tanzt, sondern liest und schläft. Aus dem
Temescher Banat: "Der Mantel"; den Tarnmantel
erhält Hans für den Dienst bei der Hexe; zum Wahrzeichen
bricht er einen kupfernen, silbernen und goldenen Zweig
ab.
Dänisch: "Prindsessen med de tolv Par
Guldsko"; hier folgt der Bursche mit seinem
unsichtbar machenden Stock der Prinzessin, die
allnächtlich zwölf Tänze mit dem Trold hält, und
tötet diesen, bevor er sie heiratet, durch einen
Nadelstich und belebt die in Bäume verwandelten Menschen.
- Isländisch: "Die verwünschte Elbenkönigin";
der Wintergast muss am ersten Sommertag das Geheimnis des
Königs Oddur erraten haben oder das Leben verlieren; er
sieht in der Weihnachtsnacht den König in einen Sumpf
springen, folgt ihm und gewahrt, wie Oddur dort sich in
Frauengewänder hüllt und von einem unterirdischen König
als Gattin begrüsst wird. Als er dies am ersten Sommertag
erzählt, dankt ihm Oddur, überträgt ihm die Regierung
und verschwindet. In andern Fassungen ist es ein Knecht,
der die angebliche Wirtschafterin, eine zum Magddienst bei
den Menschen verwünschte Elbin, in der Weihnachtsnacht
beobachtet und sie dadurch erlöst. - Französisch:
"Les douze princesses dansantes". -
Portugiesisch: "The seven iron slippers"; nur
eine Prinzessin; der Soldat folgt ihr in Nebelkappe und
Siebenmeilenstiefeln. - Serbokroatisch aus Slawonien: die
Prinzessin, die mit den Vilen getanzt, wird von ihrem
Gatten geschlagen, bis Feuer von ihr fliegt. Aus Serbien:
der Held nimmt drei streitenden Teufeln Teppich, Tarnkappe
und Knüppel im Sack ab; Schluss Hochzeit. Aus Bosnien:
"Die Nachtschwärmerin". - Tschechisch: Gräfin
mit ihren beiden Töchtern versinkt. - Slowakisch: die
dritte Schwester, die nicht mittanzt, soll den Goldapfel,
Birne und Beutel der Hexe holen; zwölf Prinzessinnen
tanzen in der Hölle, auf Befehl des Königs von Pferden
zerrissen. - In einem polnischen Märchen zertanzen drei
Königstöchter, darunter zwei Zauberinnen, alle Tage zwei
Paar Schuhe; sie waren nachts über Land geflogen.
Die heimlich zur Nachtzeit tanzenden Prinzessinnen
gehen wohl auf die Vorstellungen vom nächtlichen Tanz der
Elfen und von den Hexenversammlungen zurück. Um die
Schuld der dem Helden zugedachten Jungfrau abzuschwächen,
heisst es bisweilen, sie sei als die jüngste von den
Schwestern mitgenommen, oder es sollten durch das Tanzen
verzauberte Prinzen erlöst werden. Meist befreit der Held
die Königstochter von dem auf ihr lastenden Bann und
führt sie als Braut heim; doch schliessen auch mehrere
slawische Fassungen mit der Verdammnis derselben. In den
isländischen Varianten dagegen kehrt die in
Menschengestalt dienende Elbin, nachdem ihr Wesen erkannt
ist, froh zu den Ihrigen zurück (erotische Bedeutung des
Schuhes).
Eine verwandte Gruppe bilden die Märchen von der Braut
des Hexenmeisters. Hier gibt eine Prinzessin, die in einen
hässlichen Zauberer verliebt ist, ihren Freiern auf, ihre
Gedanken zu erraten oder einen verborgenen Gegenstand
herbeizuschaffen; dies gelingt dem Helden mit Hilfe eines
Dieners, der sich zuletzt als ein dankbarer Toter
offenbart. - Serbokroatisch: "Der Vilaberg";
statt der Prinzessin eine Vila, deren Blick den Jüngling
stumm und blind macht; der vom Galgen Losgekaufte nötigt
die Vilen, ihn zu heilen und ihm eine Gattin zu geben.
Variantenverzeichnis
>> Märchen-Suchdienst
König Oddur. Rittershaus/Island
85,1
Von der Elbenkönigin Hildur. Rittershaus/Island 85,3
Die zertanzten Schuhe. Grimm/KHM 133
Die schwarze Prinzessin. Früh/Madonna
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