Vorrede der Brüder Grimm
Wir finden es wohl, wenn von Sturm oder anderem
Unglück, das der Himmel schickt, eine ganze Saat zu Boden
geschlagen wird, dass noch bei niedrigen Hecken oder
Sträuchern, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich
gesichert hat und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind.
Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie
einsam und unbeachtet fort - keine frühe Sichel schneidet
sie für die grossen Vorratskammern; aber im Spätsommer,
wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die
sie suchen, und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig
gebunden und höher geachtet als sonst ganze Garben,
werden sie heimgetragen; winterlang sind sie Nahrung,
vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft.
So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben, wie
von so vielem, was in früherer Zeit geblüht hat, nichts
mehr übriggeblieben - selbst die Erinnerung daran fast
ganz verloren war - als unter dem Volke Lieder, ein paar
Bücher, Sagen und diese unschuldigen Hausmärchen. Die
Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage
noch gefeiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor
allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen,
die sie gesichert und einer Zeit aus der andern
überliefert haben.
Es war vielleicht gerade Zeit, diese Märchen
festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen,
immer seltener werden. Freilich, die sie noch wissen,
wissen gemeinlich auch recht viel, weil die Menschen ihnen
absterben, sie nicht den Menschen - aber die Sitte selber
nimmt immer mehr ab, wie alle heimlichen Plätze in
Wohnungen und Gärten, die vom Grossvater bis zum Enkel
fortdauerten, dem stetigen Wechsel einer leeren
Prächtigkeit weichen, die dem Lächeln gleicht, womit man
von diesen Hausmärchen spricht, welches vornehm aussieht
und doch wenig kostet. Wo sie noch da sind, leben sie so,
dass man nicht daran denkt, ob sie gut oder schlecht sind,
poetisch oder für gescheite Leute abgeschmackt - man
weiss sie und liebt sie, weil man sie eben so empfangen
hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So
herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat die Poesie
mit allem Unvergänglichen gemein, dass man ihr selbst
gegen einen andern Willen geneigt sein muss. Leicht wird
man übrigens bemerken, dass sie nur da gehaftet hat, wo
überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie oder
eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens
ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in
gleichem Sinne diese Märchen nicht rühmen oder gar gegen
eine entgegengesetzte Meinung verteidigen. Ihr blosses
Dasein reicht hin, sie zu schützen. Was so mannigfach und
immer wieder von neuem erfreut, bewegt und belehrt hat,
das trägt seine Notwendigkeit in sich und ist gewiss aus
jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben betaut, und
wenn es auch nur ein einziger Tropfen wäre, den ein
kleines, zusammenhaltendes Blatt gefasst hat, so schimmert
er doch in dem ersten Morgenrot.
Darum geht innerlich durch diese Dichtungen jene
Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und
selig erscheinen - sie haben gleichsam dieselben
bläulichweissen, makellosen, glänzenden Augen, die nicht
mehr wachsen können, während die andern Glieder noch
zart, schwach und zum Dienste der Erde ungeschickt sind.
Das ist der Grund, warum wir durch unsere Sammlung nicht
bloss der Geschichte der Poesie und Mythologie einen
Dienst erweisen wollten, sondern es zugleich Absicht war,
dass die Poesie selbst, die darin lebendig ist, wirke und
erfreue, wen sie erfreuen kann, also auch, dass es als ein
Erziehungsbuch diene. Wir suchen für ein solches nicht
jene Reinheit, die durch ein ängstliches Ausscheiden
dessen, was Bezug auf gewisse Zustände und Verhältnisse
hat, wie sie täglich vorkommen und auf keine Weise
verborgen bleiben können, erlangt wird, und wobei man
zugleich in der Täuschung ist, dass, was in einem
gedruckten Buche ausführbar, es auch im wirklichen Leben
sei. Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit einer
geraden, nichts Unrechtes im Rückhalt bergenden
Erzählung. Dabei haben wir jeden für das Kinderalter
nicht passenden Ausdruck in dieser neuen Auflage
sorgfältig gelöscht. Sollte man dennoch einzuwenden
haben, dass Eltern eins und das andere in Verlegenheit
setzte und ihnen anstössig vorkomme, so dass sie das Buch
Kindern nicht geradezu in die Hände geben wollten, so mag
für einzelne Fälle die Sorge begründet sein, und sie
können dann leicht eine Auswahl treffen - im ganzen, das
heisst für einen gesunden Zustand, ist sie gewiss
unnötig. Nichts besser kann uns verteidigen als die Natur
selber, welche diese Blumen und Blätter in solcher Farbe
und Gestalt hat wachsen lassen; wem sie nicht zuträglich
sind nach beson- deren Bedürfnissen, der kann nicht
fordern, dass sie deshalb anders gefärbt und geschnitten
werden sollen. Oder auch, Regen und Tau fällt als eine
Wohltat für alles herab, was auf der Erde steht; wer
seine Pflanzen nicht hineinzustellen getraut, weil sie zu
empfindlich sind und Schaden nehmen könnten, sondern sie
lieber in der Stube mit abgeschrecktem Wasser begiesst,
wird doch nicht verlangen, dass Regen und Tau darum
ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden, was
natürlich ist, und danach sollen wir trachten. Übrigens
wissen wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das
Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenanstellen, wo
solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich grösserem Mass
einträten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses
heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis
unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne,
während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit
beleidigen.
Marie Hassenpflug (1791-1860)
Märchenbeiträgerin
Gesammelt haben wir an diesen Märchen
seit etwa dreizehn Jahren; der erste Band, welcher im
Jahre 1812 erschien, enthielt meist, was wir nach und nach
in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft
Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen
aufgefasst hatten. Der zweite Band wurde im Jahre 1814
beendigt und kam schneller zustande, teils weil das Buch
selbst sich Freunde verschafft hatte, die es nun, wo sie
bestimmt sahen, was und wie es gemeint war,
unterstützten, teils weil uns das Glück begünstigte,
das Zufall scheint, aber gewöhnlich beharrlichen und
fleissigen Sammlern beisteht. Ist man erst gewöhnt, auf
dergleichen zu achten, so begegnet es doch häufiger, als
man sonst glaubt, und das ist überhaupt mit Sitten und
Eigentümlichkeiten, Sprüchen und Scherzen des Volkes der
Fall. Die schönen plattdeutschen Märchen aus dem
Fürstentum Münster und Paderborn verdanken wir
besonderer Güte und Freundschaft; das Zutrauliche der
Mundart bei der inneren Vollständigkeit zeigt sich hier
besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden
deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen
und Märchen als eine fast regelmässige Vergnügung der
Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an
ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift teils
noch nicht durch Einführung des Fremden stört oder durch
Überladung abstumpft, teils, weil sie sichert, dem
Gedächtnis noch nicht nachlässig zu werden gestattet,
überhaupt bei Völkern, deren Literatur unbedeutend ist,
pflegt sich als Ersatz die Überlieferung stärker und
ungetrübter zu zeigen. So scheint auch Niedersachsen mehr
als alle anderen Gegenden behalten zu haben. Was für eine
viel vollständigere und innerlich reichere Sammlung wäre
im 15. Jahrhundert oder auch noch im 16. zu Hans Sachsens
und Fischarts Zeiten in Deutschland möglich gewesen!
Dorothea Viehmann (1755-1815)
Märchenbeiträgerin
Einer jener guten Zufälle war es, dass wir aus dem bei
Kassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin
kennenlernten, die uns die meisten und schönsten Märchen
des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war
noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre
Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und
Angenehmes, und aus grossen Augen blickte sie heil und
scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis
und sagte wohl selbst, dass diese Gabe nicht jedem
verliehen sei und mancher gar nichts im Zusammenhange
behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher
und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran,
erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal
langsam, so dass man ihr mit einiger Übung nach-
schreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich
beibehalten und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen
sein. Wer an leichte Verfälschung der Überlieferung,
Nachlässigkeit bei Aufbewahrung und daher an
Unmöglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der hätte
hören müssen, wie genau sie immer bei der Erzählung
blieb und auf ihre Richtigkeit eifrig war; sie änderte
niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache ab und
besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in
der Rede gleich selber. Die Anhänglichkeit an das
überlieferte ist bei Menschen, die in gleicher Lebensart
unabänderlich fortfahren, stärker, als wir, zur
Veränderung geneigt, begreifen. Eben darum hat es, so
vielfach bewährt, eine gewisse eindringliche Nähe und
innere Tüchtigkeit, zu der anderes, das äusserlich viel
glänzender erscheinen kann, nicht so leicht gelangt. Der
epische Grund der Volksdichtung gleicht dem durch die
ganze Natur in mannigfachen Abstufungen verbreiteten
Grün, das sättigt und sänftigt, ohne je zu ermüden.
Wir erhielten ausser den Märchen des zweiten Bandes auch
reichliche Nachträge zu dem ersten und bessere
Erzählungen vieler dort gelieferten gleichfalls aus jener
oder andern ähnlichen Quellen. Hessen hat als ein
bergichtes, von grossen Heerstrassen abseits liegendes und
zunächst mit dem Ackerbau beschäftigtes Land den
Vorteil, dass es alte Sitten und Überlieferungen besser
aufbewahren kann. Ein gewisser Ernst, eine gesunde,
tüchtige und tapfere Gesinnung, die von der Geschichte
nicht wird unbeachtet bleiben, selbst die grosse und
schöne Gestalt der Männer in den Gegenden, wo der
eigentliche Sitz der Chatten war, haben sich auf diese Art
erhalten und lassen den Mangel an dem Bequemen und
Zierlichen - den man im Gegensatz zu andern Ländern, etwa
aus Sachsen kommend, leicht bemerkt - eher als einen
Gewinn betrachten. Dann empfindet man auch, dass die zwar
rauheren, aber oft ausgezeichnet herrlichen Gegenden wie
eine gewisse Strenge und Dürftigkeit der Lebensweise zu
dem Ganzen gehören. Überhaupt müssen die Hessen zu den
Völkern unseres Vaterlandes gezählt werden, die am
meisten wie die alten Wohnsitze, so auch die
Eigentümlichkeit ihres Wesens durch die Veränderung der
Zeit fest- gehalten haben. Was wir nun bisher für unsere
Sammlung gewonnen hatten, wollten wir bei dieser zweiten
Auflage dem Buch einverleiben. Daher ist der erste Band
fast ganz umgearbeitet, das Unvollständige ergänzt,
manches einfacher und reiner erzählt, und nicht viele
Stücke werden sich finden, die nicht in besserer Gestalt
erscheinen. Es ist noch einmal geprüft, was verdächtig
schien, das heisst, was etwa hätte fremden Ursprungs oder
durch Zusätze verfälscht sein können, und dann alles
ausgeschieden. Dafür sind die neuen Stücke, worunter wir
auch Beiträge aus Österreich und Deutschböhmen zählen,
eingerückt, so dass man manches bisher ganz Unbekannte
finden wird. Für die Anmerkungen war uns früher nur ein
enger Raum gegeben; bei dem erweiterten Umfange des Buches
konnten wir für jene nun einen eigenen dritten Band
bestimmen. Hierdurch ist es möglich geworden, nicht nur
das, was wir früher ungern zurückbehielten, mitzuteilen,
sondern auch neue, hierher gehörige Abschnitte zu
liefern, die, wie wir hoffen, den wissenschaftlichen Wert
dieser Überlieferungen noch deutlicher machen werden.
Was die Weise betrifft, in der wir hier gesammelt
haben, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit
angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts
hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst
verschönert, sondern ihren Inhalt so wiedergegeben, wie
wir ihn empfangen hatten; dass der Ausdruck und die
Ausführung des einzelnen grossenteils von uns herrührt,
versteht sich von selbst, doch haben wir jede
Eigentümlichkeit, die wir bemerkten, zu erhalten gesucht,
um auch in dieser Hinsicht der Sammlung die
Mannigfaltigkeit der Natur zu lassen. Jeder, der sich mit
ähnlicher Arbeit befasst, wird es übrigens begreifen,
dass dies kein sorgloses und unachtsames Auffassen kann
genannt werden, im Gegenteil ist Aufmerksamkeit und ein
Takt nötig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das
Einfachere, Reinere und doch in sich Vollkommenere von dem
Verfälschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzählungen
haben wir, sobald sie sich ergänzten und zu ihrer
Vereinigung keine Widersprüche wegzuschneiden waren, als
eine mitgeteilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede
gewöhnlich ihre eigentümlichen Züge hatte, der besten
den Vorzug gegeben und die andern für die Anmerkungen
aufbewahrt. Diese Abweichungen nämlich erschienen uns
merkwürdiger als denen, welche darin bloss Abänderungen
und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen,
da es im Gegenteil vielleicht nur Versuche sind, einem im
Geist bloss vorhandenen, unerschöpflichen, auf
mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen
einzelner Sätze, Züge und Einleitungen sind wie epische
Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der
sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem anderen
Sinne eigentlich nicht zu verstehen.
Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten.
Hätte es überall geschehen können, so würde die
Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein
Fall, wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der
Sprache zuschanden wird, und man fühlt, dass eine
geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem
übrigen sein mag, heller und durchsichtiger, aber auch
schmuckloser geworden ist und nicht mehr so fest dem Kerne
sich anschliesst. Schade, dass die niederhessische Mundart
in der Nähe von Kassel, als in den Grenzpunkten des alten
sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine
unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von
Niedersächsischem und Hochdeutschem ist.
In diesem Sinne gibt es unseres Wissens sonst keine
Sammlung von Märchen in Deutschland. Entweder waren es
nur ein paar zufällig erhaltene, die man mitteilte, oder
man betrachtete sie bloss als rohen Stoff, um grössere
Erzählungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen
erklären wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, dass
in allem lebendigen Gefühl für eine Dichtung ein
poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch
eine Überlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes
wäre; ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend
nach ihrer Eigentümlichkeit, jeder Mund anders erzählt.
Aber es ist doch ein grosser Unterschied zwischen jenem
halb unbewussten, dem stillen Forttreiben der Pflanzen
ähnlichen und von der unmittelbaren Lebensquelle
getränkten Entfalten und einer absichtlichen, alles nach
Willkür zusammenknüpfenden und auch wohl leimenden
Umänderung; diese aber ist es, welche wir nicht billigen
können. Die einzige Richtschnur wäre dann die von seiner
Bildung abhängende, gerade vorherrschende Ansicht des
Dichters, während bei jenem natürlichen Fortbilden der
Geist des Volkes in dem einzelnen waltet und einem
besondern Gelüsten vorzudringen nicht erlaubt. Räumt man
den Überlieferungen wissenschaftlichen Wert ein, das
heisst, gibt man zu, dass sich in ihnen Anschauungen und
Bildungen der Vorzeit erhalten, so versteht sich von
selbst, dass dieser Wert durch solche Bearbeitungen fast
immer zugrunde gerichtet wird. Allein, die Poesie gewinnt
nicht dadurch; denn wo lebt sie wirklich als da, wo sie
die Seele trifft, wo sie in der Tat kühlt und erfrischt
oder wärmt und stärkt? Aber jede Bearbeitung dieser
Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose
Reinheit wegnimmt, reisst sie aus dem Kreise, welchem sie
angehören und wo sie ohne Überdruss immer wieder be-
gehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall,
dass man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die
Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes
Ausmalen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller
Völker genährten Bildung nicht allzu schwer fällt,
dafür gibt. Aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als
Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an
das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt
dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns
der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges, Stilles und
Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht
doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie
anrührte, auch die Speisen, in Gold verwandelte, und kann
uns mitten im Reichtum nicht sättigen und tränken. Gar,
wo aus blosser Einbildungskraft die Mythologie mit ihren
Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer
und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten
Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte
Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern
und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein
freies Auffassen derselben zu eigenen, ganz der Zeit
angehörenden Dichtungen; denn wer hätte Lust, der Poesie
Grenzen abzustecken?
Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen; dabei
denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und
wünschen, dass denen, welche diese Brosamen der Poesie
Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich
verborgen bleiben möge.
Kassel, am 3ten Julius 1819
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