Die wahre Braut KHM 186 (1857)
Märchentyp AT: 313, 510
Es war einmal ein Mädchen, das war jung und schön, aber seine Mutter war ihm früh
gestorben, und die Stiefmutter tat ihm alles gebrannte Herzeleid an. Wenn sie ihm eine
Arbeit auftrug, sie mochte noch so schwer sein, so ging es unverdrossen daran und tat, was
in seinen Kräften stand. Aber es konnte damit das Herz der bösen Frau nicht rühren,
immer war sie unzufrieden, immer war es nicht genug. Je fleissiger es arbeitete, je mehr
ward ihm aufgelegt, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie ihm eine immer
grössere Last aufbürden und das Leben recht sauer machen wollte.
Eines Tages sagte sie zu ihm: "da hast du zwölf Pfund Federn, die sollst du
abschleifen, und wenn du nicht heute abend damit fertig bist, so wartet eine Tracht
Schläge auf dich. Meinst du, du könntest den ganzen Tag faulenzen?" Das arme
Mädchen setzte sich zu der Arbeit nieder, aber die Tränen flossen ihm dabei über die
Wangen herab, denn es sah wohl, dass es unmöglich war, mit der Arbeit in einem Tage zu
Ende zu kommen. Wenn es ein Häufchen Federn vor sich liegen hatte und es seufzte oder
schlug in seiner Angst die Hände zusammen, so stoben sie auseinander, und es musste sie
wieder auflesen und von neuem anfangen. Da stützte es einmal die Ellbogen auf den Tisch,
legte sein Gesicht in beide Hände und rief: "ist denn niemand auf Gottes Erdboden,
der sich meiner erbarmt?" Indem hörte es eine sanfte Stimme, die sprach
"tröste dich, mein Kind, ich bin gekommen, dir zu helfen." Das Mädchen blickte
auf und eine alte Frau stand neben ihm. Sie fasste das Mädchen freundlich an der Hand und
sprach: "vertraue mir nur an, was dich drückt."
Da sie so herzlich sprach, so erzählte ihr das Mädchen von seinem traurigen Leben,
dass ihm eine Last auf die andere gelegt würde und es mit den aufgegebenen Arbeiten nicht
mehr zu Ende kommen könnte. "Wenn ich mit diesen Federn heute abend nicht fertig
bin, so schlägt mich die Stiefmutter; sie hat mirs angedroht, und ich weiss, sie
hält Wort." Ihre Tränen fingen wieder an zu fliessen, aber die gute Alte sprach:
"sei unbesorgt, mein Kind, ruhe dich aus, ich will derweil deine Arbeit
verrichten." Das Mädchen legte sich auf sein Bett und schlief bald ein. Die Alte
setzte sich an den Tisch bei die Federn, hu! wie flogen sie von den Kielen ab, die sie mit
ihren dürren Händen kaum berührte. Bald war sie mit den zwölf Pfund fertig.
Als das Mädchen erwachte, lagen grosse schneeweisse Haufen aufgetürmt, und alles war
im Zimmer reinlich aufgeräumt, aber die Alte war verschwunden. Das Mädchen dankte Gott
und sass still, bis der Abend kam. Da trat die Stiefmutter herein und staunte über die
vollbrachte Arbeit. "Siehst du, Trulle", sprach sie, "was man ausrichtet,
wenn man fleissig ist? hättest du nicht noch etwas anderes vornehmen können? aber da
sitzest du und legst die Hände in den Schoss." Als sie hinausging, sprach sie:
"Die Kreatur kann mehr als Brot essen, ich muss ihr schwerere Arbeit auflegen."
Am andern Morgen rief sie das Mädchen und sprach: "Da hast du einen Löffel,
damit schöpfe mir den grossen Teich aus, der bei dem Garten liegt. Und wenn du damit
abends nicht zu Rand gekommen bist, so weisst du, was erfolgt. Das Mädchen nahm den
Löffel und sah, dass er durchlöchert war, und wenn er es auch nicht gewesen wäre, es
hätte nimmermehr damit den Teich ausgeschöpft. Es machte sich gleich an die Arbeit,
kniete am Wasser, in das seine Tränen fielen, und schöpfte. Aber die gute Alte erschien
wieder, und als sie die Ursache von seinem Kummer erfuhr, sprach sie: "sei getrost,
mein Kind, geh in das Gebüsch und lege dich schlafen, ich will deine Arbeit schon
tun." Als die Alte allein war, berührte sie nur den Teich; wie ein Dunst stieg das
Wasser in die Höhe und vermischte sich mit den Wolken. Allmählich ward der Teich leer,
und als das Mädchen vor Sonnenuntergang erwachte und herbeikam, so sah es nur noch die
Fische, die in dem Schlamm zappelten. Es ging zu der Stiefmutter und zeigte ihr an, dass
die Arbeit vollbracht wäre. "Du hättest längst fertig sein sollen", sagte sie
und ward blass vor Ärger, aber sie sann etwas Neues aus. Am dritten Morgen sprach sie zu
dem Mädchen: "dort in der Ebene musst du mir ein schönes Schloss bauen, und zum
Abend muss es fertig sein." Das Mädchen erschrak und sagte: "wie kann ich ein
so grosses Werk vollbringen?"
"Ich dulde keinen Widerspruch", schrie die Stiefmutter, "kannst du mit
einem durchlöcherten Löffel einen Teich ausschöpfen, so kannst du auch ein Schloss
bauen. Noch heute will ich es beziehen, und wenn etwas fehlt, sei es das Geringste in
Küche oder Keller, so weisst du, was dir bevorsteht." Sie trieb das Mädchen fort,
und als es in das Tal kam, so lagen da die Felsen übereinander aufgetürmt; mit aller
seiner Kraft konnte es den kleinsten nicht einmal bewegen. Es setzte sich nieder und
weinte, doch hoffte es auf den Beistand der guten Alten. Sie liess auch nicht lange auf
sich warten, kam und sprach ihm Trost ein: "lege dich nur dort in den Schatten und
schlaf, ich will dir das Schloss schon bauen. Wenn es dir Freude macht, so kannst du
selbst darin wohnen." Als das Mädchen weggegangen war, rührte die Alte die grauen
Felsen an. Alsbald regten sie sich, rückten zusammen und standen da, als hätten Riesen
die Mauer gebaut: darauf erhob sich das Gebäude, und es war, als ob unzählige Hände
unsichtbar arbeiteten und Stein auf Stein legten. Der Boden dröhnte, grosse Säulen
stiegen von selbst in die Höhe und stellten sich nebeneinander in Ordnung. Auf dem Dach
legten sich die Ziegeln zurecht, und als es Mittag war, drehte sich schon die grosse
Wetterfahne wie eine goldene Jungfrau mit fliegendem Gewand auf der Spitze des Turms. Das
Innere des Schlosses war bis zum Abend vollendet. Wie es die Alte anfing, weiss ich nicht,
aber die Wände der Zimmer waren mit Seide und Sammet bezogen, buntgestickte Stühle
standen da und reichverzierte Armsessel an Tischen von Marmor, kristallne Kronleuchter
hingen von der Bühne herab und spiegelten sich in dem glatten Boden: grüne Papageien
sassen in goldenen Käfigen und fremde Vögel, die lieblich sangen: überall war eine
Pracht, als wenn ein König da einziehen sollte.
Die Sonne wollte eben untergehen, als das Mädchen erwachte und ihm der Glanz von
tausend Lichtern entgegenleuchtete. Mit schnellen Schritten kam es heran und trat durch
das geöffnete Tor in das Schloss. Die Treppe war mit rotem Tuch belegt und das goldene
Geländer mit blühenden Bäumen besetzt. Als es die Pracht der Zimmer erblickte, blieb es
wie erstarrt stehen. Wer weiss, wie lange es so gestanden hätte, wenn ihm nicht der
Gedanke an die Stiefmutter gekommen wäre. "Ach", sprach es zu sich selbst,
"wenn sie doch endlich zufriedengestellt wäre und mir das Leben nicht länger zur
Qual machen wollte." Das Mädchen ging und zeigte ihr an, dass das Schloss fertig
wäre. "Gleich will ich einziehen", sagte sie und erhob sich von ihrem Sitz. Als
sie in das Schloss eintrat, musste sie die Hand vor die Augen halten, so blendete sie der
Glanz. "Siehst du", sagte sie zu dem Mädchen, "wie leicht dirs
geworden ist, ich hätte dir etwas Schwereres aufgeben sollen." Sie ging durch alle
Zimmer und spürte in allen Ecken, ob etwas fehlte oder mangelhaft wäre, aber sie konnte
nichts auffinden. "Jetzt wollen wir hinabsteigen", sprach sie und sah das
Mädchen mit boshaften Blicken an, "Küche und Keller muss noch untersucht werden,
und hast du etwas vergessen, so sollst du deiner Strafe nicht entgehen." Aber das
Feuer brannte auf dem Herd, in den Töpfen kochten die Speisen, Kluft und Schippe waren
angelehnt, und an den Wänden das blanke Geschirr von Messing aufgestellt. Nichts fehlte,
selbst nicht der Kohlenkasten und die Wassereimer.
"Wo ist der Eingang zum Keller?" rief sie, "wo der nicht mit
Weinfässern reichlich angefüllt ist, so wird dirs schlimm ergehen." Sie hob
selbst die Falltüre auf und stieg die Treppe hinab, aber kaum hatte sie zwei Schritte
getan, so stürzte die schwere Falltüre, die nur angelehnt war, nieder. Das Mädchen
hörte einen Schrei, hob die Türe schnell auf, um ihr zu Hilfe zu kommen, aber sie war
hinabgestürzt, und es fand sie entseelt auf dem Boden liegen.
Nun gehörte das prächtige Schloss dem Mädchen ganz allein. Es wusste sich in der
ersten Zeit gar nicht in seinem Glück zu finden, schöne Kleider hingen in den
Schränken, die Truhen waren mit Gold und Silber oder mit Perlen und Edelsteinen
angefüllt, und es hatte keinen Wunsch, den es nicht erfüllen konnte. Bald ging der Ruf
von der Schönheit und dem Reichtum des Mädchens durch die ganze Welt.
Alle Tage meldeten sich Freier, aber keiner gefiel ihr. Endlich kam auch der Sohn eines
Königs, der ihr Herz zu rühren wusste, und sie verlobte sich mit ihm. In dem
Schlossgarten stand eine grüne Linde, darunter sassen sie eines Tages vertraulich
zusammen, da sagte er zu ihr: "Ich will heimziehen und die Einwilligung meines Vaters
zu unserer Vermählung holen; ich bitte dich, harre mein hier unter dieser Linde, in
wenigen Stunden bin ich wieder zurück." Das Mädchen küsste ihn auf den linken
Backen und sprach: "Bleib mir treu, und lass dich von keiner andern auf diesen Backen
küssen. Ich will hier unter der Linde warten, bis du wieder zurückkommst." Das
Mädchen blieb unter der Linde sitzen, bis die Sonne unterging, aber er kam nicht wieder
zurück.
Sie sass drei Tage von Morgen bis Abend und erwartete ihn, aber vergeblich. Als er am
vierten Tag noch nicht da war, so sagte sie: "gewiss ist ihm ein Unglück begegnet,
ich will ausgehen und ihn suchen und nicht eher wiederkommen, als bis ich ihn gefunden
habe." Sie packte drei von ihren schönsten Kleidern zusammen, eins mit glänzenden
Sternen gestickt, das zweite mit silbernen Monden, das dritte mit goldenen Sonnen, band
eine Handvoll Edelsteine in ihr Tuch und machte sich auf. Sie fragte allerorten nach ihrem
Bräutigam, aber niemand hatte ihn gesehen, niemand wusste von ihm. Weit und breit
wanderte sie durch die Welt, aber sie fand ihn nicht. Endlich vermietete sie sich bei
einem Bauer als Hirtin, und vergrub ihre Kleider und Edelsteine unter einem Stein. Nun
lebte sie als eine Hirtin, hütete ihre Herde, war traurig und voll Sehnsucht nach ihrem
Geliebten. Sie hatte ein Kälbchen, das gewöhnte sie an sich, fütterte es aus der Hand,
und wenn sie sprach:
"Kälbchen, Kälbchen,
knie nieder,
vergiss nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergass,
die unter der grünen Linde sass",
so kniete das Kälbchen nieder und ward von ihr gestreichelt. Als sie ein paar Jahre
einsam und kummervoll gelebt hatte, so verbreitete sich im Lande das Gerücht, dass die
Tochter des Königs ihre Hochzeit feiern wollte. Der Weg nach der Stadt ging an dem Dorf
vorbei, wo das Mädchen wohnte, und es trug sich zu, als sie einmal ihre Herde austrieb,
dass der Bräutigam vorüberzog. Er sass stolz auf seinem Pferd und sah sie nicht an, aber
als sie ihn ansah, so erkannte sie ihren Liebsten. Es war, als ob ihr ein scharfes Messer
in das Herz schnitte. "Ach", sagte sie, "ich glaubte, er wäre mir treu
geblieben, aber er hat mich vergessen." Am andern Tag kam er wieder des Wegs. Als er
in ihrer Nähe war, sprach sie zum Kälbchen:
"Kälbchen, Kälbchen,
knie nieder,
vergiss nicht deine Hirtin wieder,
wie der Königssohn die Braut vergass,
die unter der grünen Linde sass",
Als er die Stimme vernahm, blickte er herab und hielt sein Pferd an. Er schaute der
Hirtin ins Gesicht, hielt dann die Hand vor die Augen, als wollte er sich auf etwas
besinnen, aber schnell ritt er weiter und war bald verschwunden. "Ach", sagte
sie, "er kennt mich nicht mehr", und ihre Trauer ward immer grösser.
Bald darauf sollte an dem Hof des Königs drei Tage lang ein grosses Fest gefeiert
werden, und das ganze Land ward dazu eingeladen. "Nun will ich das letzte
versuchen", dachte das Mädchen, und als der Abend kam, ging es zu dem Stein, unter
dem es seine Schätze vergraben hatte. Sie holte das Kleid mit den goldnen Sonnen hervor,
legte es an und schmeckte sich mit den Edelsteinen. Ihre Haare, die sie unter einem Tuch
verborgen hatte, band sie auf, und sie fielen in langen Locken an ihr herab. So ging sie
nach der Stadt und ward in der Dunkelheit von niemand bemerkt. Als sie in den hell
erleuchteten Saal trat, wichen alle vor Verwunderung zurück, aber niemand wusste, wer sie
war. Der Königssohn ging ihr entgegen, doch er erkannte sie nicht. Er führte sie zum
Tanz und war so entzückt über ihre Schönheit, dass er an die andere Braut gar nicht
mehr dachte.
Als das Fest vorüber war, verschwand sie im Gedränge und eilte vor Tagesanbruch in
das Dorf, wo sie ihr Hirtenkleid wieder anlegte. Am andern Abend nahm sie das Kleid mit
den silbernen Monden heraus und steckte einen Halbmond von Edelsteinen in ihre Haare. Als
sie auf dem Fest sich zeigte, wendeten sich alle Augen nach ihr, aber der Königssohn
eilte ihr entgegen, und ganz voll Liebe erfüllt tanzte er mit ihr allein und blickte
keine andere mehr an. Ehe sie wegging, musste sie ihm versprechen, den letzten Abend
nochmals zum Fest zu kommen. Als sie zum drittenmal erschien, hatte sie das Sternenkleid
an, das bei jedem ihrer Schritte funkelte, und Haarband und Gürtel waren Sterne von
Edelsteinen. Der Königssohn hatte schon lange auf sie gewartet und drängte sich zu ihr
hin. "Sage mir nur, wer du bist", sprach er, "mir ist, als wenn ich dich
schon lange gekannt hätte."
"Weisst du nicht", antwortete sie, "was ich tat, als du von mir
schiedest?" Da trat sie zu ihm heran und küsste ihn auf den linken Backen: in dem
Augenblick fiel es wie Schuppen von seinen Augen, und er erkannte die wahre Braut.
"Komm", sagte er zu ihr, "hier ist meines Bleibens nicht länger",
reichte ihr die Hand und führte sie hinab zu dem Wagen. Als wäre der Wind vorgespannt,
so eilten die Pferde zu dem Wunderschloss.
Schon von weitem glänzten die erleuchteten Fenster. Als sie bei der Linde
vorbeifuhren, schwärmten unzählige Glühwürmer darin, sie schüttelte ihre Äste und
sendete ihre Düfte herab. Auf der Treppe blühten die Blumen, aus dem Zimmer schaffte der
Gesang der fremden Vögel, aber in dem Saal stand der ganze Hof versammelt, und der
Priester wartete, um den Bräutigam mit der wahren Braut zu vermählen.
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