Das Waldhaus KHM 169 (1857)
Märchentyp AT: 431
Ein armer Holzhauer lebte mit seiner Frau und drei Töchtern in einer kleinen Hütte an
dem Rande eines einsamen Waldes. Eines Morgens, als er wieder an seine Arbeit wollte,
sagte er zu seiner Frau: "Lass mir mein Mittagsbrot von dem ältesten Mädchen hinaus
in den Wald bringen, ich werde sonst nicht fertig. Und damit es sich nicht verirrt",
setzte er hinzu, "so will ich einen Beutel mit Hirsen mitnehmen und die Körner auf
den Weg streuen." Als nun die Sonne mitten über dem Walde stand, machte sich das
Mädchen mit einem Topf voll Suppe auf den Weg. Aber die Feld- und Waldsperlinge, die
Lerchen und Finken, Amseln und Zeisige hatten den Hirsen schon längst aufgepickt, und das
Mädchen konnte die Spur nicht finden.
Da ging es auf gut Glück immer fort, bis die Sonne sank und die Nacht einbrach. Die
Bäume rauschten in der Dunkelheit, die Eulen schnarrten, und es fing an ihm angst zu
werden. Da erblickte es in der Ferne ein Licht, das zwischen den Bäumen blinkte.
"Dort sollten wohl Leute wohnen", dachte es, "die mich über Nacht
behalten", und ging auf das Licht zu. Nicht lange, so kam es an ein Haus, dessen
Fenster erleuchtet waren. Es klopfte an, und eine rauhe Stimme rief von innen:
"Herein". Das Mädchen trat auf die dunkle Diele und pochte an der Stubentür.
"Nur herein", rief die Stimme, und als es öffnete, sass da ein alter eisgrauer
Mann an dem Tisch, hatte das Gesicht auf die beiden Hände gestützt, und sein weisser
Bart floss über den Tisch herab fast bis auf die Erde. Am Ofen aber lagen drei Tiere, ein
Hühnchen, ein Hähnchen und eine buntgescheckte Kuh. Das Mädchen erzählte dem Alten
sein Schicksal und bat um ein Nachtlager. Der Mann sprach "Schön Hühnchen, Schön
Hähnchen, Und du schöne bunte Kuh, Was sagst du dazu?" "Duks!"
antworteten die Tiere , und das musste wohl heissen: "Wir sind es zufrieden",
denn der Alte sprach weiter: "Hier ist Hülle und Fülle, geh hinaus an den Herd und
koch uns ein Abendessen."
Das Mädchen fand in der Küche Überfluss an allem und kochte eine gute Speise, aber
an die Tiere dachte es nicht. Es trug die volle Schüssel auf den Tisch, setzte sich zu
dem grauen Mann, ass und stillte seinen Hunger. Als es satt war, sprach es: "Aber
jetzt bin ich müde, wo ist ein Bett, in das ich mich legen und schlafen kann?" Die
Tiere antworteten: "Du hast mit ihm gegessen, Du hast mit ihm getrunken, Du hast an
uns gar nicht gedacht, Nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht."
Da sprach der Alte: "Steig nur die Treppe hinauf, so wirst du eine Kammer mit zwei
Betten finden, schüttle sie auf und decke sie mit weissem Linnen, so will ich auch kommen
und mich schlafen legen." Das Mädchen stieg hinauf, und als es die Betten
geschüttelt und frisch gedeckt hatte, legte es sich in das eine, ohne weiter auf den
Alten zu warten.
Nach einiger Zeit aber kam der graue Mann, beleuchtete das Mädchen mit dem Licht und
schüttelte mit dem Kopf. Und als er sah, dass es fest eingeschlafen war, öffnete er eine
Falltüre und liess es in den Keller sinken. Der Holzhauer kam am späten Abend nach Hause
und machte seiner Frau Vorwürfe, dass sie ihn den ganzen Tag habe hungern lassen.
"Ich habe keine Schuld", antwortete sie, "das Mädchen ist mit dem
Mittagessen hinausgegangen, es muss sich verirrt haben; morgen wird es schon
wiederkommen."
Vor Tag aber stand der Holzhauer auf, wollte in den Wald und verlangte, die zweite
Tochter sollte ihm diesmal das Essen bringen. "Ich will einen Beutel Linsen
mitnehmen", sagte er, "die Körner sind grösser als Hirsen, das Mädchen wird
sie besser sehen und kann den Weg nicht verfehlen." Zur Mittagszeit trug auch das
Mädchen die Speise hinaus, aber die Linsen waren verschwunden; die Waldvögel hatten sie,
wie am vorigen Tag, aufgepickt und keine übrig gelassen. Das Mädchen irrte im Walde
umher, bis es Nacht ward, da kam es ebenfalls zu dem Haus des Alten ward hereingerufen,
und bat um Speise und Nachtlager. Der Mann mit dem weissen Bart fragte wieder die Tiere:
"Schön Hühnchen, Schön Hähnchen, Und du schöne bunte Kuh, Was sagst du
dazu?"
Die Tiere antworteten abermals "Duks", und es geschah alles wie am vorigen
Tag. Das Mädchen kochte eine gute Speise, ass und trank mit dem Alten und kümmerte sich
nicht um die Tiere. Und als es sich nach seinem Nachtlager erkundigte, antworteten sie:
"Du hast mit ihm gegessen, Du hast mit ihm getrunken, Du hast an uns gar nicht
gedacht, Nun sieh auch, wo du bleibst die Nacht." Als es eingeschlafen war, kam der
Alte, betrachtete es mit Kopfschütteln und liess es in den Keller hinab.
Am dritten Morgen sprach der Holzhauer zu seiner Frau: "Schicke mir heute unser
jüngstes Kind mit dem Essen hinaus, das ist immer gut und gehorsam gewesen, das wird auf
dem rechten Weg bleiben und nicht wie seine Schwestern, die wilden Hummeln,
herumschwärmen." Die Mutter wollte nicht und sprach: "Soll ich mein liebstes
Kind auch noch verlieren?"
"Sei ohne Sorge", antwortete er, "das Mädchen verirrt sich nicht, es
ist zu klug und verständig; zum Überfluss will ich Erbsen mitnehmen und ausstreuen, die
sind noch grösser als Linsen und werden ihm den Weg zeigen." Aber als das Mädchen
mit dem Korb am Arm hinauskam, so hatten die Waldtauben die Erbsen schon im Kropf, und es
wusste nicht, wohin es sich wenden sollte. Es war voll Sorgen und dachte beständig daran,
wie der arme Vater hungern und die gute Mutter jammern würde, wenn es ausbliebe. Endlich,
als es finster ward, erblickte es das Lichtchen und kam an das Waldhaus. Es bat ganz
freundlich, sie möchten es über Nacht beherbergen, und der Mann mit dem weissen Bart
fragte wieder seine Tiere: "Schön Hühnchen, Schön Hähnchen, Und du schöne bunte
Kuh, Was sagst du dazu?"
"Duks", sagten sie. Da trat das Mädchen an den Ofen, wo die Tiere lagen, und
liebkoste Hühnchen und Hähnchen, indem es mit der Hand über die glatten Federn
hinstrich, und die bunte Kuh kraulte es zwischen den Hörnern. Und als es auf Geheiss des
Alten eine gute Suppe bereitet hatte und die Schüssel auf dem Tisch stand, so sprach es:
"Soll ich mich sättigen und die guten Tiere sollen nichts haben? Draussen ist die
Hülle und Fülle, erst will ich für sie sorgen."
Da ging es, holte Gerste und streute sie dem Hühnchen und Hähnchen vor, und brachte
der Kuh wohlriechendes Heu, einen ganzen Arm voll. "Lassts euch schmecken, ihr
lieben Tiere", sagte es, "und wenn ihr durstig seid, sollt ihr auch einen
frischen Trunk haben." Dann trug es einen Eimer voll Wasser herein, und Hühnchen und
Hähnchen sprangen auf den Rand, steckten den Schnabel hinein und hielten den Kopf dann in
die Höhe, wie die Vögel trinken, und die bunte Kuh tat auch einen herzhaften Zug. Als
die Tiere gefuttert waren, setzte sich das Mädchen zu dem Alten an den Tisch und ass, was
er ihm übrig gelassen hatte. Nicht lange, so fing Hühnchen und Hähnchen an, das
Köpfchen zwischen die Flügel zu stecken, und die bunte Kuh blinzelte mit den Augen. Da
sprach das Mädchen "sollen wir uns nicht zur Ruhe begeben?
Schön Hühnchen, Schön Hähnchen, Und du schöne bunte Kuh, Was sagst du dazu?"
Die Tiere antworteten: "Duks, Du hast mit uns gegessen, Du hast mit uns getrunken, Du
hast uns alle wohl bedacht, Wir wünschen dir eine gute Nacht."
Da ging das Mädchen die Treppe hinauf, schüttelte die Federkissen und deckte frisches
Linnen auf, und als es fertig war, kam der Alte und legte sich in das eine Bett, und sein
weisser Bart reichte ihm bis an die Füsse. Das Mädchen legte sich in das andere, tat
sein Gebet und schlief ein.
Es schlief ruhig bis Mitternacht, da ward es so unruhig in dem Hause, dass das Mädchen
erwachte. Da fing es an in den Ecken zu knittern und zu knattern, und die Türe sprang auf
und schlug an die Wand: die Balken dröhnten, als wenn sie aus ihren Fugen gerissen
würden, und es war, als wenn die Treppe herabstürzte, und endlich krachte es, als wenn
das ganze Dach zusammenfiele. Da es aber wieder still ward und dem Mädchen nichts zuleid
geschah, so blieb es ruhig liegen und schlief wieder ein.
Als es aber am Morgen bei hellem Sonnenschein aufwachte, was erblickten seine Augen? Es
lag in einem grossen Saal, und ringsumher glänzte alles in königlicher Pracht: an den
Wänden wuchsen auf grünseidenem Grund goldene Blumen in die Höhe, das Bett war von
Elfenbein und die Decke darauf von rotem Samt, und auf einem Stuhl daneben standen ein
Paar mit Perlen bestickte Pantoffel. Das Mädchen glaubte, es wäre ein Traum, aber es
traten drei reichgekleidete Diener herein und fragten was es zu befehlen hätte.
"Geht nur", antwortete das Mädchen, "ich will gleich aufstehen und dem
Alten eine Suppe kochen und dann auch schön Hühnchen, schön Hähnchen und die schöne
bunte Kuh füttern." Es dachte, der Alte wäre schon aufgestanden, und sah sich nach
seinem Bette um, aber er lag nicht darin, sondern ein fremder Mann. Und als es ihn
betrachtete und sah, dass er jung und schön war, erwachte er, richtete sich auf und
sprach: "Ich bin ein Königssohn und war von einer bösen Hexe verwünscht worden,
als ein alter eisgrauer Mann in dem Wald zu leben; niemand durfte um mich sein als meine
drei Diener in der Gestalt eines Hühnchens, eines Hähnchens und einer bunten Kuh. Und
nicht eher sollte die Verwünschung aufhören, als bis ein Mädchen zu uns käme, so gut
von Herzen, dass es nicht gegen die Menschen allein, sondern auch gegen die Tiere sich
liebreich bezeigte, und das bist du gewesen, und heute um Mitternacht sind wir durch dich
erlöst und das alte Waldhaus ist wieder in meinen königlichen Palast verwandelt
worden."
Und als sie aufgestanden waren, sagte der Königssohn den drei Dienern, sie sollten
hinfahren und Vater und Mutter des Mädchens zur Hochzeitsfeier herbeiholen. "Aber wo
sind meine zwei Schwestern?" fragte das Mädchen. "Die habe ich in den Keller
gesperrt, und morgen sollen sie in den Wald geführt werden und sollen bei einem Köhler
so lange als Mägde dienen, bis sie sich gebessert haben und auch die armen Tiere nicht
hungern lassen."
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