Das Eselein KHM 144 (1857)
Märchentyp AT: 430
Es lebte einmal ein König und eine Königin, die waren reich und hatten alles, was sie
sich wünschten, nur keine Kinder. Darüber klagte sie Tag und Nacht und sprach: "Ich
bin wie ein Acker, auf dem nichts wächst." Endlich erfüllte Gott ihre Wünsche: als
das Kind aber zur Welt kam, sahs nicht aus wie ein Menschenkind, sondern war ein
junges Eselein.
Wie die Mutter das erblickte, fing ihr Jammer und Geschrei erst recht an, sie hätte
lieber gar kein Kind gehabt als einen Esel, und sagte, man sollt ihn ins Wasser werfen,
damit ihn die Fische frässen. Der König aber sprach: "Nein, hat Gott ihn gegeben,
soll er auch mein Sohn und Erbe sein, nach meinem Tod auf dem königlichen Thron sitzen
und die königliche Krone tragen." Also ward das Eselein aufgezogen, nahm zu, und die
Ohren wuchsen ihm auch fein hoch und grad hinauf. Es war aber sonst fröhlicher Art,
sprang herum, spielte und hatte besonders seine Lust an der Musik, so dass es zu einem
berühmten Spielmann ging und sprach: "Lehre mich deine Kunst, dass ich so gut die
Laute schlagen kann als du."
"Ach, liebes Herrlein", antwortete der Spielmann, "das sollt Euch
schwerfallen, Eure Finger sind nicht allerdings dazu gemacht und gar zu gross; ich sorge,
die Saiten haltens nicht aus." Es half keine Ausrede, das Eselein wollte und
musste die Laute schlagen, war beharrlich und fleissig und lernte es am Ende so gut als
sein Meister selber.
Einmal ging das junge Herrlein nachdenksam spazieren und kam an einen Brunnen, da
schaute es hinein und sah im spiegelhellen Wasser seine Eseleinsgestalt. Darüber ward er
so betrübt, dass es in die weite Welt ging und nur einen treuen Gesellen mitnahm. Sie
zogen auf und ab, zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur
eine einzige, aber wunderschöne Tochter hatte.
Das Eselein sagte: "Hier wollen wir weilen", klopfte ans Tor und rief
"es ist ein Gast haussen, macht auf, damit er eingehen kann." Als aber nicht
aufgetan ward, setzte er sich hin, nahm seine Laute und schlug sie mit seinen zwei
Vorderfüssen aufs lieblichste. Da sperrte der Türhalter gewaltig die Augen auf, lief zum
König und sprach: "Da draussen sitzt ein junges Eselein vor dem Tor, das schlägt
die Laute so gut als ein gelernter Meister."
"So lass mir den Musikanten hereinkommen", sprach der König. Wie aber ein
Eselein hereintrat, fing alles an über den Lautenschläger zu lachen. Nun sollte das
Eselein unten zu den Knechten gesetzt und gespeist werden, es ward aber unwillig und
sprach: "Ich bin kein gemeines Stalleselein, ich bin ein vornehmes." Da sagten
sie: "Wenn du das bist, so setzte dich zu dem Kriegsvolk."
"Nein", sprach es, "ich will beim König sitzen." Der König lachte
und sprach in gutem Mut "ja, es soll so sein, wie du verlangst, Eselein, komm her zu
mir." Danach fragte er "Eselein, wie gefällt dir meine Tochter?" Das
Eselein drehte den Kopf nach ihr, schaute sie an nickte und sprach: "Aus der Massen
wohl, sie ist so schön, wie ich noch keine gesehen habe."
"Nun, so sollst du auch neben ihr sitzen", sagte der König. "Das ist
mir eben recht", sprach das Eselein und setzte sich an ihre Seite, ass und trank und
wusste sich fein und säuberlich zu betragen. Als das edle Tierlein eine gute Zeit an des
Königs Hof geblieben war, dachte es: "Was hilft das alles, du musst wieder
heim", liess den Kopf traurig hängen, trat vor den König und verlangte seinen
Abschied. Der König hatte es aber lieb gewonnen und sprach: "Eselein, was ist dir?
Du schaust ja sauer wie ein Essigkrug; bleib bei mir, ich will dir geben, was du
verlangst. Willst du Gold?"
"Nein", sagte das Eselein und schüttelte mit dem Kopf. "Willst du
Kostbarkeiten und Schmuck?" "Nein." "Willst du mein halbes
Reich?" "Ach nein." Da sprach der König: "Wenn ich nur wüsste, was
dich vergnügt machen könnte: willst du meine schöne Tochter zur Frau?" "Ach
ja", sagte das Eselein, "die möchte ich wohl haben", war auf einmal ganz
lustig und guter Dinge, denn das wars gerade, was er sich gewünscht hatte. Also
ward eine grosse und prächtige Hochzeit gehalten. Abends, wie Braut und Bräutigam in ihr
Schlafkämmerlein geführt wurden, wollte der König wissen, ob sich das Eselein auch fein
artig und manierlich betrüge, und hiess einen Diener sich dort verstecken.
Wie sie nun beide drinnen waren, schob der Bräutigam den Riegel vor die Türe, blickte
sich um, und wie er glaubte, dass sie ganz allein wären, da warf er auf einmal seine
Eselshaut ab und stand da als ein schöner königlicher Jüngling. "Nun siehst
du", sprach er, "wer ich bin, und siehst auch, dass ich deiner nicht unwert
war." Da ward die Braut froh, küsste ihn und hatte ihn von Herzen lieb. Als aber der
Morgen herankam, sprang er auf, zog seine Tierhaut wieder über, und hätte kein Mensch
gedacht, was für einer dahintersteckte. Bald kam auch der alte König gegangen.
"Ei", rief er, "ist das Eselein schon munter! Du bist wohl recht
traurig", sagte er zu seiner Tochter, "dass du keinen ordentlichen Menschen zum
Mann bekommen hast?" "Ach nein, lieber Vater, ich habe ihn so lieb, als wenn er
der allerschönste wäre, und will ihn mein Lebtag behalten." Der König wunderte
sich, aber der Diener, der sich versteckt hatte, kam und offenbarte ihm alles. Der König
sprach: "Das ist nimmermehr wahr."
"So wacht selber die folgende Nacht, Ihr werdets mit eigenen Augen sehen,
und wisst Ihr was, Herr König, nehmt ihm die Haut weg und werft sie ins Feuer, so muss er
sich wohl in seiner rechten Gestalt zeigen." "Dein Rat ist gut", sprach der
König, und abends, als sie schliefen, schlich er sich hinein, und wie er zum Bett kam,
sah er im Mondschein einen stolzen Jüngling da ruhen, und die Haut lag abgestreift auf
der Erde. Da nahm er sie weg und liess draussen ein gewaltiges Feuer anmachen und die Haut
hineinwerfen, und blieb selber dabei, bis sie ganz zu Asche verbrannt war. Weil er aber
sehen wollte, wie sich der Beraubte anstellen würde, blieb er die Nacht über wach und
lauschte.
Als der Jüngling ausgeschlafen hatte, beim ersten Morgenschein, stand er auf und
wollte die Eselshaut anziehen, aber sie war nicht zu finden. Da erschrak er und sprach
voll Trauer und Angst: "Nun muss ich sehen, dass ich entfliehe". Wie er
hinaustrat, stand aber der König da und sprach: "Mein Sohn, wohin so eilig, was hast
du im Sinn? Bleib hier, du bist ein so schöner Mann, du sollst nicht wieder von mir. Ich
gebe dir jetzt mein Reich halb, und nach meinem Tod bekommst du es ganz." "So
wünsch ich, dass der gute Anfang auch ein gutes Ende nehme", sprach der Jüngling,
"ich bleibe bei Euch." Da gab ihm der Alte das halbe Reich, und als er nach
einem Jahr starb, hatte er das ganze, und nach dem Tode seines Vaters noch eins dazu, und
lebte in aller Herrlichkeit.
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