Simeliberg KHM 142 (1857)
Märchentyp AT: 676
Es waren zwei Brüder, einer war reich, der andere arm. Der Reiche aber gab dem Armen
nichts, und er musste sich vom Kornhandel kümmerlich ernähren; da ging es ihm oft so
schlecht, dass er für seine Frau und Kinder kein Brot hatte.
Einmal fuhr er mit seinem Karren durch den Wald, da erblickte er zur Seite einen
grossen kahlen Berg, und weil er den noch nie gesehen hatte, hielt er still und
betrachtete ihn mit Verwunderung. Wie er so stand, sah er zwölf wilde grosse Männer
daherkommen; weil er nun glaubte, das wären Räuber, schob er seinen Karren ins Gebüsch
und stieg auf einen Baum und wartete, was da geschehen würde. Die zwölf Männer gingen
aber vor den Berg und riefen "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf."
Alsbald tat sich der kahle Berg in der Mitte voneinander und die zwölfe gingen hinein,
und wie sie drin waren, schloss er sich zu. Über eine kleine Weile aber tat er sich
wieder auf, und die Männer kamen heraus und trugen schwere Säcke auf dem Rücken, und
wie sie alle wieder am Tageslicht waren, sprachen sie "Berg Semsi, Berg Semsi, tu
dich zu." Da fuhr der Berg zusammen und war kein Eingang mehr an ihm zu sehen, und
die zwölfe gingen fort.
Als sie ihm nun ganz aus den Augen waren, stieg der Arme vom Baum herunter und war
neugierig, was wohl im Berge Heimliches verborgen wäre. Also ging er davor und sprach
"Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf", und der Berg tat sich auch vor ihm auf.
Da trat er hinein, und der ganze Berg war eine Höhle voll Silber und Gold, und hinten
lagen grosse Haufen Perlen und blitzende Edelsteine, wie Korn aufgeschüttet. Der Arme
wusste gar nicht, was er anfangen sollte, und ob er sich etwas von den Schätzen nehmen
dürfte; endlich füllte er sich die Taschen mit Gold, die Perlen und Edelsteine aber
liess er liegen. Als er wieder herauskam, sprach er gleichfalls "Berg Semsi, Berg
Semsi, tu dich zu", da schloss sich der Berg und er fuhr mit seinem Karren nach Haus.
Nun brauchte er nicht mehr zu sorgen und konnte mit seinem Golde für Frau und Kind Brot
und auch Wein dazu kaufen, lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und tat jedermann
Gutes.
Als aber das Geld zu Ende war, ging er zu seinem Bruder, lieh einen Scheffel und holte
sich von neuem; doch rührte er von den grossen Schätzen nichts an. Wie er sich zum
drittenmal etwas holen wollte, borgte er bei seinem Bruder abermals den Scheffel. Der
Reiche aber war schon lange neidisch über sein Vermögen und den schönen Haushalt, den
er sich eingerichtet hatte, und konnte nicht begreifen, woher der Reichtum käme, und was
sein Bruder mit dem Scheffel anfinge. Da dachte er eine List aus und bestrich den Boden
mit Pech, und wie er das Mass zurückbekam, so war ein Goldstück daran hängen geblieben.
Alsbald ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: "Was hast du mit dem Scheffel
gemessen?"
"Korn und Gerste", sagte der andere. Da zeigte er ihm das Goldstück und
drohte ihm, wenn er nicht die Wahrheit sagte, so wollte er ihn beim Gericht verklagen. Er
erzählte ihm nun alles, wie es zugegangen war. Der Reiche aber liess gleich einen Wagen
anspannen, fuhr hinaus, wollte die Gelegenheit besser benutzen und ganz andere Schätze
mitbringen.
Wie er vor den Berg kam, rief er "Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich
auf." Der Berg tat sich auf, und er ging hinein. Da lagen die Reichtümer alle vor
ihm, und er wusste lange nicht, wozu er am ersten greifen sollte, endlich lud er
Edelsteine auf, soviel er tragen konnte. Er wollte seine Last hinausbringen, weil aber
Herz und Sinn ganz voll von den Schätzen waren, hatte er darüber den Namen des Berges
vergessen und rief "Berg Simeli, Berg Simeli, tu dich auf." Aber das war der
rechte Name nicht, und der Berg regte sich nicht und blieb verschlossen. Da ward ihm
angst, aber je länger er nachsann, desto mehr verwirrten sich seine Gedanken, und halfen
ihm alle Schätze nichts mehr.
Am Abend tat sich der Berg auf und die zwölf Räuber kamen herein, und als sie ihn
sahen, lachten sie und riefen: "Vogel, haben wir dich endlich, meinst du, wir
hättens nicht gemerkt, dass du zweimal hereingekommen bist, aber wir konnten dich
nicht fangen, zum drittenmal sollst du nicht wieder heraus." Da rief er: "Ich
wars nicht, mein Bruder wars", aber er mochte bitten um sein Leben und
sagen, was er wollte, sie schlugen ihm das Haupt ab.
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