Die sechs Diener KHM 134 (1857)
Märchentyp AT: 513A
Vorzeiten lebte eine alte Königin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das
schönste Mädchen unter der Sonne. Die Alte dachte aber auf nichts, als wie sie die
Menschen ins Verderben locken könnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie, wer ihre
Tochter haben wollte, musste zuvor einen Bund (eine Aufgabe) lösen, oder er müsste
sterben. Viele waren von der Schönheit der Jungfrau geblendet und wagten es wohl, aber
sie konnten nicht vollbringen, was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie
mussten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen.
Ein Königssohn, der hatte auch von der grossen Schönheit der Jungfrau gehört und
sprach zu seinem Vater: "Lasst mich hinziehen, ich will um sie werben."
"Nimmermehr", antwortete der König, "gehst du fort, so gehst du in deinen
Tod." Da legte der Sohn sich nieder und ward sterbenskrank, und lag sieben Jahre
lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater sah, dass keine Hoffnung mehr war,
sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm: "Zieh hin und versuche dein Glück, ich
weiss dir sonst nicht zu helfen." Wie der Sohn das hörte, stand er auf von seinem
Lager, ward gesund und machte sich fröhlich auf den Weg.
Es trug sich zu, als er über eine Heide zu reiten kam, dass er von weitem auf der Erde
etwas liegen sah wie einen grossen Heuhaufen, und wie er sich näherte, konnte er
unterscheiden, dass es der Bauch eines Menschen war, der sich dahingestreckt hatte; der
Bauch aber sah aus wie ein kleiner Berg. Der Dicke, wie er den Reisenden erblickte,
richtete sich in die Höhe und sprach: "Wenn Ihr jemand braucht, so nehmt mich in
Eure Dienste." Der Königssohn antwortete "was soll ich mit einem so ungefügen
Mann anfangen?"
"O", sprach der Dicke, "das will nichts sagen, wenn ich mich recht
auseinander tue, bin ich noch dreitausendmal so dick." "Wenn das ist",
sagte der Königssohn, "so kann ich dich brauchen, komm mit mir." Da ging der
Dicke hinter dem Königssohn her, und über eine Weile fanden sie einen andern, der lag
auf der Erde und hatte das Ohr auf den Rasen gelegt. Fragte der Königssohn: "Was
machst du da?" "Ich horche", antwortete der Mann. "Wonach horchst du
so aufmerksam?"
"Ich horche nach dem, was eben in der Welt sich zuträgt, denn meinen Ohren
entgeht nichts, das Gras sogar hör ich wachsen." Fragte der Königssohn: "Sage
mir, was hörst du am Hofe der alten Königin, welche die schöne Tochter hat?" Da
antwortete er: "Ich höre das Schwert sausen, das einem Freier den Kopf
abschlägt." Der Königssohn sprach: "Ich kann dich brauchen, komm mit
mir." Da zogen sie weiter und sahen einmal ein paar Füsse da liegen und auch etwas
von den Beinen, aber das Ende konnten sie nicht sehen. Als sie eine gute Strecke
fortgegangen waren, kamen sie zu dem Leib und endlich auch zu dem Kopf. "Ei",
sprach der Königssohn, "was bist du für ein langer Strick!"
"O", antwortete der Lange, "das ist noch gar nichts, wenn ich meine
Gliedmassen erst recht ausstrecke, bin ich noch dreitausendmal so lang, und bin grösser
als der höchste Berg auf Erden. Ich will Euch gerne dienen, wenn Ihr mich annehmen
wollt." "Komm mit", sprach der Königssohn, "ich kann dich
brauchen." Sie zogen weiter und fanden einen am Weg sitzen, der hatte die Augen
zugebunden. Sprach der Königssohn zu ihm: "Hast du blöde Augen, dass du nicht das
Licht sehen kannst?" "Nein", antwortete der Mann, "ich darf die Binde
nicht abnehmen, denn was ich mit meinen Augen ansehe, das springt auseinander, so gewaltig
ist mein Blick. Kann Euch das nützen, so will ich Euch gern dienen."
Sie zogen weiter und fanden einen Mann, der lag mitten im heissen Sonnenschein und
zitterte und fror am ganzen Leibe, so dass ihm kein Glied stillstand. "Wie kannst du
frieren?" sprach der Königssohn, "und die Sonne scheint so warm."
"Ach", antwortete der Mann, "meine Natur ist ganz anderer Art, je heisser
es ist, desto mehr frier ich, und der Frost dringt mir durch alle Knochen; und je kälter
es ist, desto heisser wird mir: mitten im Eis kann ichs vor Hitze und mitten im
Feuer vor Kälte nicht aushalten."
"Du bist ein wunderlicher Kerl", sprach der Königssohn, "aber wenn du
mir dienen willst, so komm mit." Nun zogen sie weiter und sahen einen Mann stehen,
der machte einen langen Hals, schaute sich um und schaute über alle Berge hinaus. Sprach
der Königssohn: "Wonach siehst du so eifrig?" Der Mann antwortete: "Ich
habe so helle Augen, dass ich über alle Wälder und Felder, Täler und Berge hinaus und
durch die ganze Welt sehen kann." Der Königssohn sprach: "Willst du, so komm
mit mir, denn so einer fehlte mir noch."
Nun zog der Königssohn mit seinen sechs Dienern in die Stadt ein, wo die alte Königin
lebte. Er sagte nicht, wer er wäre, aber er sprach: "Wollt ihr mir Eure schöne
Tochter geben, so will ich vollbringen, was Ihr mir auferlegt." Die Zauberin freute
sich, dass ein so schöner Jüngling wieder in ihre Netze fiel, und sprach: "Dreimal
will ich dir einen Bund aufgeben, lösest du ihn jedesmal, so sollst du der Herr und
Gemahl meiner Tochter werden."
"Was soll das erste sein?" fragte er. "Dass du mir einen Ring
herbeibringst, den ich ins Rote Meer habe fallen lassen." Da ging der Königssohn
heim zu seinen Dienern und sprach: "Der erste Bund ist nicht leicht, ein Ring soll
aus dem Roten Meer geholt werden, nun schafft Rat." Da sprach der mit den hellen
Augen: "Ich will sehen, wo er liegt", schaute in das Meer hinab und sagte:
"Dort hängt er an einem spitzen Stein." Der Lange trug sie hin und sprach:
"Ich wollte ihn wohl herausholen, wenn ich ihn nur sehen könnte."
"Wenns weiter nichts ist", rief der Dicke, legte sich nieder und hielt seinen
Mund ans Wasser; da fielen die Wellen hinein wie in einen Abgrund, und er trank das ganze
Meer aus, dass es trocken ward wie eine Wiese. Der Lange bückte sich ein wenig und holte
den Ring mit der Hand heraus. Da ward der Königssohn froh, als er den Ring hatte, und
brachte ihn der Alten. Sie erstaunte und sprach: "Ja, es ist der rechte Ring; den
ersten Bund hast du glücklich gelöst, aber nun kommt der zweite. Siehst du, dort auf der
Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die musst du mit Haut und
Haar, Knochen und Hörnern verzehren; und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein,
die musst du dazu austrinken; und bleibt von den Ochsen ein Haar und von dem Wein ein
Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen."
Sprach der Königssohn: "Darf ich mir keine Gäste dazu laden? Ohne Gesellschaft
schmeckt keine Mahlzeit." Die Alte lachte boshaft und antwortete: "Einen darfst
du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen." Da ging der
Königssohn zu seinen Dienern und sprach zu dem Dicken: "Du sollst heute mein Gast
sein und dich einmal satt essen." Da tat sich der Dicke voneinander und ass die
dreihundert Ochsen, dass kein Haar übrig blieb, und fragte, ob weiter nichts als das
Frühstück da wäre; den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne dass er ein
Glas nötig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu
Ende war, ging der Königssohn zur Alten und sagte ihr, der zweite Bund wäre gelöst. Sie
verwundene sich und sprach: "So weit hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein
Bund übrig", und dachte "du sollst mir nicht entgehen und wirst deinen Kopf
nicht oben behalten." "Heut abend", sprach sie, "bring ich meine
Tochter zu dir in deine Kammer, und du sollst sie mit deinem Arm umschlingen; und wenn ihr
da beisammen sitzt, so hüte dich, dass du nicht einschläfst: ich komme Schlag zwölf
Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren."
Der Königssohn dachte: "Der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen
behalten", doch rief er seine Diener, erzählte ihnen, wie die Alte gesagt hatte, und
sprach: "Wer weiss, was für eine List dahinter steckt, Vorsicht ist gut, haltet
Wache und sorgt, dass die Jungfrau nicht wieder aus meiner Kammer kommt."
Als die Nacht einbrach, kam die Alte mit ihrer Tochter und führte sie in die Arme des
Königssohns, und dann schlang sich der Lange um sie beide in einen Kreis, und der Dicke
stellte sich vor die Türe, also dass keine lebendige Seele herein konnte. Da sassen sie
beide, und die Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durchs Fenster auf ihr
Angesicht, dass er ihre wunderbare Schönheit sehen konnte. Er tat nichts, als sie
anschauen, war voll Freude und Liebe, und es kam keine Müdigkeit in seine Augen. Das
dauerte bis elf Uhr, da warf die Alte einen Zauber über alle, dass sie einschliefen, und
in dem Augenblick war auch die Jungfrau entrückt.
Nun schliefen sie hart bis ein Viertel vor zwölf, da war der Zauber kraftlos, und sie
erwachten alle wieder. "O Jammer und Unglück", rief der Königssohn, "nun
bin ich verloren!" Die treuen Diener fingen auch an zu klagen, aber der Horcher
sprach: "Seid still, ich will horchen", da horchte er einen Augenblick und dann
sprach er: "Sie sitzt in einem Felsen dreihundert Stunden von hier, und bejammert ihr
Schicksal. Du allein kannst helfen, Langer, wenn du dich aufrichtest, so bist du mit ein
paar Schritten dort." "Ja", antwortete der Lange, "aber der mit den
scharfen Augen muss mitgehen, damit wir den Felsen wegschaffen." Da huckte der Lange
den mit verbundenen Augen auf, und im Augenblick, wie man eine Hand umwendet, waren sie
vor dem verwünschten Felsen.
Alsbald nahm der Lange dem andern die Binde von den Augen, der sich nur umschaute, so
zersprang der Felsen in tausend Stücke. Da nahm der Lange die Jungfrau auf den Arm, trug
sie in einem Nu zurück, holte ebenso schnell auch noch seinen Kameraden, und eh es
zwölfe schlug, sassen sie wieder wie vorher und waren munter und guter Dinge.
Als es zwölf schlug, kam die alte Zauberin herbeigeschlichen, machte ein höhnisches
Gesicht, als wollte sie sagen: "Nun ist er mein", und glaubte, ihre Tochter
sässe dreihundert Stunden weit im Felsen. Als sie aber ihre Tochter in den Armen des
Königssohnes erblickte, erschrak sie und sprach: "Da ist einer, der kann mehr als
ich." Aber sie durfte nichts einwenden und musste ihm die Jungfrau zusagen. Da sprach
sie ihr ins Ohr: "Schande für dich, dass du gemeinem Volk gehorchen sollst und dir
einen Gemahl nicht nach deinem Gefallen wählen darfst." Da ward das stolze Herz der
Jungfrau mit Zorn erfüllt und sann auf Rache.
Sie liess am andern Morgen dreihundert Malter Holz zusammenfahren und sprach zu dem
Königssohn, die drei Bünde wären gelöst, sie würde aber nicht eher seine Gemahlin
werden, bis einer bereit wäre, sich mitten in das Holz zu setzen und das Feuer
auszuhalten. Sie dachte, keiner seiner Diener würde sich für ihn verbrennen, und aus
Liebe zu ihr würde er selber sich hineinsetzen, und dann wäre sie frei. Die Diener aber
sprachen: "Wir haben alle etwas getan, nur der Frostige noch nicht, der muss auch
daran", setzten ihn mitten auf den Holzstoss und steckten ihn an.
Da begann das Feuer zu brennen und brannte drei Tage, bis alles Holz verzehrt war, und
als die Flammen sich legten, stand der Frostige mitten in der Asche, zitterte wie ein
Espenlaub und sprach: "Einen solchen Frost habe ich mein Lebtage nicht ausgehalten,
und wenn er länger gedauert hätte, so wäre ich erstarrt." Nun war keine Aussicht
mehr zu finden, die schöne Jungfrau musste den unbekannten Jüngling zum Gemahl nehmen.
Als sie aber nach der Kirche fuhren, sprach die Alte: "Ich kann die Schande nicht
ertragen", und schickte ihr Kriegsvolk nach, das sollte alles niedermachen, was ihm
vorkäme, und ihr die Tochter zurückbringen. Der Horcher aber hatte die Ohren gespitzt
und die heimlichen Reden der Alten vernommen. "Was fangen wir an?" sprach er zu
dem Dicken, aber der wusste Rat, spie einmal oder zweimal hinter dem Wagen einen Teil von
dem Meereswasser aus, das er getrunken hatte, da entstand ein grosser See, worin die
Kriegsvölker stecken blieben und ertranken.
Als die Zauberin das vernahm, schickte sie ihre geharnischten Reiter, aber der Horcher
hörte das Rasseln ihrer Rüstung und band dem einen die Augen auf, der guckte die Feinde
ein bisschen scharf an, da sprangen sie auseinander wie Glas. Nun fuhren sie ungestört
weiter, und als die beiden in der Kirche gesegnet waren, nahmen die sechs Diener ihren
Abschied und sprachen zu ihrem Herrn: "Eure Wünsche sind erfüllt, Ihr habt uns
nicht mehr nötig, wir wollen weiterziehen und unser Glück versuchen."
Eine halbe Stunde vor dem Schloss war ein Dorf, vor dem hütete ein Schweinehirt seine
Herde: wie sie dahin kamen, sprach er zu seiner Frau: "Weisst du auch recht, wer ich
bin? Ich bin kein Königssohn, sondern ein Schweinehirt, und der mit der Herde dort, das
ist mein Vater; wir zwei müssen auch daran und ihm helfen hüten." Dann stieg er mit
ihr in das Wirtshaus ab und sagte heimlich zu den Wirtsleuten, in der Nacht sollten sie
ihr die königlichen Kleider wegnehmen.
Wie sie nun am Morgen aufwachte, hatte sie nichts anzutun, und die Wirtin gab ihr einen
alten Rock und ein Paar alte wollene Strümpfe, dabei tat sie noch, als wärs ein grosses
Geschenk, und sprach: "Wenn nicht Euer Mann wäre, hätt ichs Euch gar nicht
gegeben." Da glaubte sie, er wäre wirklich ein Schweinehirt, und hütete mit ihm die
Herde und dachte: "Ich habe es verdient mit meinem Übermut und Stolz."
Das dauerte acht Tage, da konnte sie es nicht mehr aushalten, denn die Füsse waren ihr
wund geworden. Da kamen ein paar Leute und fragten, ob sie wüsste, wer ihr Mann wäre.
"Ja", antwortete sie, "er ist ein Schweinehirt, und ist eben ausgegangen,
mit Bändern und Schnüren einen kleinen Handel zu treiben." Sie sprachen aber:
"Kommt einmal mit, wir wollen Euch zu ihm hinführen", und brachten sie ins
Schloss hinauf; und wie sie in den Saal kam, stand da ihr Mann in königlichen Kleidern.
Sie erkannte ihn aber nicht, bis er ihr um den Hals fiel, sie küsste und sprach:
"Ich habe so viel für dich gelitten, da hast du auch für mich leiden sollen."
Nun ward erst die Hochzeit gefeiert, und ders erzählt hat, wollte, er wäre auch
dabei gewesen.
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