Die zertanzten Schuhe KHM 133 (1857)
Märchentyp AT: 306
Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, eine immer schöner als die
andere. Sie schliefen zusammen in einem Saal, wo ihre Betten nebeneinander standen, und
abends, wenn sie darin lagen, schloss der König die Tür zu und verriegelte sie. Wenn er
aber am Morgen die Türe aufschloss, so sah er, dass ihre Schuhe zertanzt waren, und
niemand konnte herausbringen, wie das zugegangen war. Da liess der König ausrufen,
wers könnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine
davon zur Frau wählen und nach seinem Tod König sein; wer sich aber meldete und es nach
drei Tagen und Nächten nicht herausbrächte, der hätte sein Leben verwirkt.
Nicht lange, so meldete sich ein Königssohn und erbot sich, das Wagnis zu unternehmen.
Er ward wohl aufgenommen und abends in ein Zimmer geführt, das an den Schlafsaal stiess.
Sein Bett war da aufgeschlagen, und er sollte acht haben, wo sie hingingen und tanzten;
und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinausgingen, war
auch die Saaltüre offen gelassen. Dem Königssohn fiels aber wie Blei auf die Augen
und er schlief ein, und als er am Morgen aufwachte, waren alle zwölfe zum Tanz gewesen,
denn ihre Schuhe standen da und hatten Löcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten
Abend gings nicht anders, und da ward ihm sein Haupt ohne Barmherzigkeit abgeschlagen. Es
kamen hernach noch viele und meldeten sich zu dem Wagestück, sie mussten aber alle ihr
Leben lassen.
Nun trug es sich zu, dass ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen
konnte, sich auf dem Weg nach der Stadt befand, wo der König wohnte. Da begegnete ihm
eine alte Frau, die fragte ihn, wo er hin wollte. "Ich weiss selber nicht
recht", sprach er, und setzte ihm Scherz hinzu "ich hätte wohl Lust, ausfindig
zu machen, wo die Königstöchter ihre Schuhe vertanzen, und darnach König zu
werden."
"Das ist so schwer nicht", sagte die Alte, "du musst den Wein nicht
trinken, der dir abends gebracht wird, und musst tun, als wärst du fest
eingeschlafen." Darauf gab sie ihm ein Mäntelchen und sprach: "Wenn du das
umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den zwölfen dann nachschleichen." Wie
der Soldat den guten Rat bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so dass er ein Herz
fasste, vor den König ging und sich als Freier meldete.
Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm königliche Kleider
angetan. Abends zur Schlafenszeit ward er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette
gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein; aber er hatte sich einen
Schwamm unter das Kinn gebunden, liess den Wein da hineinlaufen, und trank keinen Tropfen.
Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu
schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten, und
die älteste sprach: "Der hätte auch sein Leben sparen können."
Danach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige
Kleider heraus; putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den
Tanz. Nur die jüngste sagte: "Ich weiss nicht, ihr freut euch, aber mir ist so
wunderlich zumute: gewiss widerfährt uns ein Unglück."
"Du bist eine Schneegans", sagte die älteste, "die sich immer
fürchtet. Hast du vergessen, wie viel Königssöhne schon umsonst dagewesen sind? Dem
Soldaten hätt ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, der Lümmel wäre
doch nicht aufgewacht." Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten,
aber der hatte die Augen zugetan, rührte und regte sich nicht, und sie glaubten nun ganz
sicher zu sein. Da ging die älteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die
Erde, und sie stiegen durch die Öffnung hinab, eine nach der andern, die älteste voran.
Der Soldat, der alles mit angesehen hatte, zauderte nicht lange, hing sein Mäntelchen
um und stieg hinter der jüngsten mit hinab. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig
aufs Kleid, da erschrak sie und rief: "Was ist das? Wer hält mich am Kleid?"
"Sei nicht so einfältig", sagte die älteste, "du bist an einem Haken
hängen geblieben." Da gingen sie vollends hinab, und wie sie unten waren, standen
sie in einem wunderprächtigen Baumgang, da waren alle Blätter von Silber und schimmerten
und glänzten. Der Soldat dachte: "Du willst dir ein Wahrzeichen mitnehmen", und
brach einen Zweig davon ab: da fuhr ein gewaltiger Krach aus dem Baume. Die jüngste rief
wieder: "Es ist nicht richtig, habt ihr den Knall gehört?"
Die älteste aber sprach: "Das sind Freudenschüsse, weil wir unsere Prinzen bald
erlöst haben." Sie kamen darauf in einen Baumgang, wo alle Blätter von Gold, und
endlich in einen dritten, wo sie klarer Demant waren; von beiden brach er einen Zweig ab,
wobei es jedesmal krachte, dass die jüngste vor Schrecken zusammenfuhr: aber die älteste
blieb dabei, es wären Freudenschüsse.
Sie gingen weiter und kamen zu einem grossen Wasser, darauf standen zwölf Schifflein,
und in jedem Schifflein sass ein schöner Prinz, die hatten auf die zwölfe gewartet, und
jeder nahm eine zu sich, der Soldat aber setzte sich mit der jüngsten ein. Da sprach der
Prinz: "Ich weiss nicht, das Schiff ist heute viel schwerer, und ich muss aus allen
Kräften rudern, wenn ich es fortbringen soll." "Wovon sollte das kommen",
sprach die jüngste, "als vom warmen Wetter, es ist mir auch so heiss zumut."
Jenseits des Wassers aber stand ein schönes hellerleuchtetes Schloss, woraus eine
lustige Musik erschallte von Pauken und Trompeten. Sie ruderten hinüber, traten ein, und
jeder Prinz tanzte mit seiner Liebsten; der Soldat aber tanzte unsichtbar mit, und wenn
eine einen Becher mit Wein hielt, so trank er ihn aus, dass er leer war, wenn sie ihn, an
den Mund brachte; und der jüngsten ward auch angst darüber, aber die älteste brachte
sie immer zum Schweigen. Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen, wo alle Schuhe
durchgetanzt waren und sie aufhören mussten. Die Prinzen fuhren sie über das Wasser
wieder zurück, und der Soldat setzte sich diesmal vorne hin zur ältesten. Am Ufer nahmen
sie von ihren Prinzen Abschied und versprachen, in der folgenden Nacht wiederzukommen.
Als sie an der Treppe waren, lief der Soldat voraus und legte sich in sein Bett, und
als die zwölf langsam und müde heraufgetrippelt kamen, schnarchte er schon wieder so
laut, dass sies alle hören konnten, und sie sprachen: "Vor dem sind wir
sicher." Da taten sie ihre schönen Kleider aus, brachten sie weg, stellten die
zertanzten Schuhe unter das Bett und legten sich nieder.
Am andern Morgen wollte der Soldat nichts sagen, sondern das wunderliche Wesen noch mit
ansehen, und ging die zweite und die dritte Nacht wieder mit. Da war alles wie das
erstemal, und sie tanzten jedesmal, bis die Schuhe entzwei waren. Das drittemal aber nahm
er zum Wahrzeichen einen Becher mit. Als die Stunde gekommen war, wo er antworten sollte,
steckte er die drei Zweige und den Becher zu sich und ging vor den König, die zwölfe
aber standen hinter der Türe und horchten, was er sagen würde. Als der König die Frage
tat: "Wo haben meine zwölf Töchter ihre Schuhe in der Nacht vertanzt?" so
antwortete er "mit zwölf Prinzen in einem unterirdischen Schloss", berichtete,
wie es zugegangen war, und holte die Wahrzeichen hervor.
Da liess der König seine Töchter kommen und fragte sie, ob der Soldat die Wahrheit
gesagt hätte, und da sie sahen, dass sie verraten waren und leugnen nichts half, so
mussten sie alles eingestehen. Darauf fragte ihn der König, welche er zur Frau haben
wollte. Er antwortete "ich bin nicht mehr jung, so gebt mir die älteste." Da
ward noch am selbigen Tage die Hochzeit gehalten und ihm das Reich nach des Königs Tode
versprochen. Aber die Prinzen wurden auf so viel Tage wieder verwünscht, als sie Nächte
mit den zwölfen, getanzt hatten.
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