Der Krautesel KHM 122 (1857)
Märchentyp AT: 566, 567
Es war einmal ein junger Jäger, der ging in den Wald auf Anstand. Er hatte ein
frisches und fröhliches Herz, und als er daherging und auf dem Blatt pfiff, kam ein altes
hässliches Mütterchen, das redete ihn an und sprach: "Guten Tag, lieber Jäger, du
bist wohl lustig und vergnügt, aber ich leide Hunger und Durst, gib mir doch ein
Almosen." Da dauerte den Jäger das arme Mütterchen, dass er in seine Tasche griff
und ihr nach seinem Vermögen etwas reichte. Nun wollte er weitergehen, aber die alte Frau
hielt ihn an und sprach: "Höre, lieber Jäger, was ich dir sage, für dein gutes
Herz will ich dir ein Geschenk machen: geh nur immer deiner Wege, über ein Weilchen wirst
du an einen Baum kommen, darauf sitzen neun Vögel, die haben einen Mantel in den Krallen
und raufen sich darum. Da lege du deine Büchse an und schiess mitten drunter: den Mantel
werden sie dir wohl fallen lassen, aber auch einer von den Vögeln wird getroffen sein und
tot herabstürzen. Den Mantel nimm mit dir, es ist ein Wunschmantel, wenn du ihn um die
Schultern wirfst, brauchst du dich nur an einen Ort zu wünschen, und im Augenblick bist
du dort. Aus dem toten Vogel nimm das Herz heraus, und verschlucke es ganz, dann wirst du
allen und jeden Morgen früh beim Aufstehen ein Goldstück unter deinem Kopfkissen
finden."
Der Jäger dankte der weisen Frau und dachte bei sich: "Schöne Dinge, die sie mir
versprochen hat, wenns nur auch all so einträfe." Doch wie er etwa hundert Schritte
gegangen war, hörte er über sich in den Ästen ein Geschrei und Gezwitscher, dass er
aufschaute; da sah er einen Haufen Vögel, die rissen mit den Schnäbeln und Füssen ein
Tuch herum, schrien und zerrten und balgten sich, als wollts ein jeder allein haben.
"Nun", sprach der Jäger, "das ist wunderlich, es kommt ja gerade so, wie
das Mütterchen gesagt hat", nahm die Büchse von der Schulter, legte an und tat
seinen Schuss mitten hinein, dass die Federn herumflogen. Alsbald nahm das Getier mit
grossem Schreien die Flucht, aber einer fiel tot herab, und der Mantel sank ebenfalls
herunter. Da tat der Jäger, wie ihm die Alte geheissen hatte, schnitt den Vogel auf,
suchte das Herz, schluckte es hinunter und nahm den Mantel mit nach Haus.
Am andern Morgen, als er aufwachte, fiel ihm die Verheissung ein, und er wollte sehen,
ob sie auch eingetroffen wäre. Wie er aber sein Kopfkissen in die Höhe hob, da
schimmerte ihm das Goldstück entgegen, und am andern Morgen fand er wieder eins, und so
weiter jedesmal, wenn er aufstand. Er sammelte sich einen Haufen Geld, endlich aber dachte
er: "Was hilft mir all mein Gold, wenn ich daheim bleibe? Ich will ausziehen und mich
in der Welt umsehen." Da nahm er von seinen Eltern Abschied, hing seinen Jägerranzen
und seine Flinte um und zog in die Welt.
Es trug sich zu, dass er eines Tages durch einen dicken Wald kam, und wie der zu Ende
war, lag in der Ebene vor ihm ein ansehnliches Schloss. In einem Fenster desselben stand
eine Alte mit einer wunderschönen Jungfrau und schaute herab. Die Alte aber war eine Hexe
und sprach zu dem Mädchen: "Dort kommt einer aus dem Wald, der hat einen wunderbaren
Schatz am Leib, den müssen wir darum berücken, mein Herzenstöchterchen; uns steht das
besser an als ihm. Er hat ein Vogelherz bei sich, deshalb liegt jeden Morgen ein
Goldstück unter seinem Kopfkissen." Sie erzählt ihr, wie es damit beschaffen wäre,
und wie sie darum zu spielen hätte, und zuletzt drohte sie und sprach mit zornigen Augen:
"Und wenn du mir nicht gehorchst, so bist du unglücklich." Als nun der Jäger
näher kam, erblickte er das Mädchen und sprach zu sich: "Ich bin nun so lang
herumgezogen, ich will einmal ausruhen und in das schöne Schloss einkehren, Geld hab ich
ja vollauf." Eigentlich aber war die Ursache, dass er ein Auge auf das schöne Bild
geworfen hatte. Er trat in das Haus ein und ward freundlich empfangen und höflich
bewirtet.
Es dauerte nicht lange, da war er so in das Hexenmädchen verliebt, dass er an nichts
anders mehr dachte und nur nach ihren Augen sah, und was sie verlangte, das tat er gerne.
Da sprach die Alte: "Nun müssen wir das Vogelherz haben, er wird nichts spüren,
wenn es ihm fehlt." Sie richteten einen Trank zu, und wie der gekocht war, tat sie
ihn in einen Becher und gab ihn dem Mädchen, das musste ihn dem Jäger reichen. Sprach
es: "Nun, mein Liebster, trink mir zu." Da nahm er den Becher, und wie er den
Trank geschluckt hatte, brach er das Herz des Vogels aus dem Leibe. Das Mädchen musste es
heimlich fortschaffen und dann selbst verschlucken, denn die Alte wollte es haben.
Von nun an fand er kein Gold mehr unter seinem Kopfkissen, sondern es lag unter dem
Kissen des Mädchens, wo es die Alte jeden Morgen holte; aber er war so verliebt und
vernarrt, dass er an nichts anders dachte, als mit dem Mädchen die Zeit zu vertreiben. Da
sprach die alte Hexe: "Das Vogelherz haben wir, aber den Wunschmantel müssen wir ihm
auch abnehmen." Antwortete das Mädchen: "Den wollen wir ihm lassen, er hat ja
doch seinen Reichtum verloren." Da ward die Alte bös und sprach: "So ein Mantel
ist ein wunderbares Ding, das selten auf der Welt gefunden wird, den soll und muss ich
haben." Sie gab dem Mädchen Anschläge und sagte, wenn es ihr nicht gehorchte,
sollte es ihm schlimm ergehen. Da tat es nach dem Geheiss der Alten, stellte sich einmal
ans Fenster und schaute in die weite Gegend, als wäre es ganz traurig. Fragte der Jäger:
"Was stehst du so traurig?"
"Ach, mein Schatz", gab es zur Antwort, "da gegenüber liegt der
Granatenberg, wo die köstlichen Edelsteine wachsen. Ich trage so gross Verlangen danach,
dass, wenn ich daran denke, ich ganz traurig bin; aber wer kann sie holen! Nur die Vögel,
die fliegen, kommen hin, ein Mensch nimmermehr."
"Hast du weiter nichts zu klagen", sagte der Jäger, "den Kummer will
ich dir bald vom Herzen nehmen." Damit fasste er sie unter seinen Mantel und
wünschte sich hinüber auf den Granatenberg, und im Augenblick sassen sie auch beide
drauf. Da schimmerte das edle Gestein von allen Seiten, dass es eine Freude war anzusehen,
und sie lasen die schönsten und kostbarsten Stücke zusammen. Nun hatte es aber die Alte
durch ihre Hexenkunst bewirkt, dass dem Jäger die Augen schwer wurden. Er sprach zu dem
Mädchen: "Wir wollen ein wenig niedersetzen und ruhen, ich bin so müde, dass ich
mich nicht mehr auf den Füssen erhalten kann." Da setzten sie sich, und er legte
sein Haupt in ihren Schoss und schlief ein.
Wie er entschlafen war, da band es ihm den Mantel von den Schultern und hing ihn sich
selbst um, las die Granaten und Steine auf und wünschte sich damit nach Haus.
Als aber der Jäger seinen Schlaf ausgetan hatte und aufwachte, sah er, dass seine
Liebste ihn betrogen und auf dem wilden Gebirg allein gelassen hatte. "O",
sprach er "wie ist die Untreue so gross auf der Welt!" Sass da in Sorge und
Herzeleid und wusste nicht, was er anfangen sollte. Der Berg aber gehörte wilden und
ungeheuern Riesen, die darauf wohnten und ihr Wesen trieben, und er sass nicht lange, so
sah er ihrer drei daherschreiten. Da legte er sich nieder, als wäre er in tiefen Schlaf
versunken. Nun kamen die Riesen herbei, und der erste stiess ihn mit dem Fuss an und
sprach: "Was liegt da für ein Erdwurm und beschaut sich inwendig?"
Der zweite sprach: "Tritt ihn tot." Der dritte aber sprach verächtlich:
"Das wäre der Mühe wert! Lasst ihn nur leben, hier kann er nicht bleiben, und wenn
er höher steigt bis auf die Bergspitze, so packen ihn die Wolken und tragen ihn
fort."
Unter diesem Gespräch gingen sie vorüber, der Jäger aber hatte auf ihre Worte
gemerkt, und sobald sie fort waren, stand er auf und klimmte den Berggipfel hinauf. Als er
ein Weilchen da gesessen hatte, so schwebte eine Wolke heran, ergriff ihn, trug ihn fort
und zog eine Zeitlang am Himmel her, dann senkte sie sich und liess sich über einen
grossen, rings mit Mauern umgebenen Krautgarten nieder, also dass er zwischen Kohl und
Gemüsen sanft auf den Boden kam.
Da sah der Jäger sich um und sprach: "Wenn ich nur etwas zu essen hätte, ich bin
so hungrig, und mit dem Weiterkommen wirds schwerfallen; aber hier seh ich keinen Apfel
und keine Birne und keinerlei Obst, überall nichts als Krautwerk."
Endlich dachte er: "Zur Not kann ich von dem Salat essen, der schmeckt nicht
sonderlich, wird mich aber erfrischen." Also suchte er sich ein schönes Haupt aus
und ass davon, aber kaum hatte er ein paar Bissen hinabgeschluckt, so war ihm so
wunderlich zumute, und er fühlte sich ganz verändert. Es wuchsen ihm vier Beine, ein
dicker Kopf und zwei lange Ohren, und er sah mit Schrecken, dass er in einen Esel
verwandelt war. Doch weil er dabei immer noch grossen Hunger spürte und ihm der saftige
Salat nach seiner jetzigen Natur gut schmeckte, so ass er mit grosser Gier immerzu.
Endlich gelangte er an eine andere Art Salat, aber kaum hatte er etwas davon
verschluckt, so fühlte er aufs neue eine Veränderung, und kehrte in seine menschliche
Gestalt zurück. Nun legte sich der Jäger nieder und schlief seine Müdigkeit aus.
Als er am andern Morgen erwachte, brach er ein Haupt von dem bösen und eins von dem
guten Salat ab und dachte: "Das soll mir zu dem Meinigen wieder helfen und die
Treulosigkeit bestrafen." Dann steckte er die Häupter zu sich, kletterte über die
Mauer und ging fort, das Schloss seiner Liebsten zu suchen.
Als er ein paar Tage herumgestrichen war, fand er es glücklicherweise wieder. Da
bräunte er sich schnell sein Gesicht, dass ihn seine eigene Mutter nicht erkannt hätte,
ging in das Schloss und bat um eine Herberge. "Ich bin so müde", sprach er,
"und kann nicht weiter." Fragte die Hexe "Landsmann, wer seid Ihr, und was
ist Euer Geschäft?" Er antwortete: "Ich bin ein Bote des Königs und war
ausgeschickt, den köstlichsten Salat zu suchen, der unter der Sonne wächst. Ich bin auch
so glücklich gewesen, ihn zu finden, und trage ihn bei mir, aber die Sonnenhitze brennt
gar zu stark, dass mir das zarte Kraut zu welken droht und ich nicht weiss, ob ich es
weiterbringen werde."
Als die Alte von dem köstlichen Salat hörte, ward sie lüstern und sprach:
"Lieber Landsmann, lasst mich doch den wunderbaren Salat versuchen." "Warum
nicht?" antwortete er, "ich habe zwei Häupter mitgebracht und will Euch eins
geben", machte seinen Sack auf und reichte ihr das böse hin. Die Hexe dachte an
nichts Arges, und der Mund wässerte ihr so sehr nach dem neuen Gericht, dass sie selbst
in die Küche ging und es zubereitete. Als es fertig war, konnte sie nicht warten, bis es
auf dem Tisch stand, sondern sie nahm gleich ein paar Blätter und steckte sie in den
Mund, kaum aber waren sie verschluckt, so war auch die menschliche Gestalt verloren, und
sie lief als eine Eselin hinab in den Hof.
Nun kam die Magd in die Küche, sah den fertigen Salat da stehen und wollte ihn
auftragen, unterwegs aber überfiel sie, nach alter Gewohnheit, die Lust zu versuchen, und
sie ass ein paar Blätter. Alsbald zeigte sich die Wunderkraft, und sie ward ebenfalls zu
einer Eselin und lief hinaus zu der Alten, und die Schüssel mit Salat fiel auf die Erde.
Der Bote sass in der Zeit bei dem schönen Mädchen, und als niemand mit dem Salat kam,
und es doch auch lüstern danach war, sprach es: "Ich weiss nicht, wo der Salat
bleibt." Da dachte der Jäger: "Das Kraut wird schon gewirkt haben", und
sprach: "Ich will nach der Küche gehen und mich erkundigen." Wie er hinabkam,
sah er die zwei Eselinnen im Hof herumlaufen, der Salat aber lag auf der Erde. "Schon
recht", sprach er, "die zwei haben ihr Teil weg", und hob die übrigen
Blätter auf, legte sie auf die Schüssel und brachte sie dem Mädchen. "Ich bring
Euch selbst das köstliche Essen", sprach er, "damit Ihr nicht länger zu warten
braucht." Da ass sie davon und war alsbald wie die übrigen ihrer menschlichen
Gestalt beraubt und lief als eine Eselin in den Hof.
Nachdem sich der Jäger sein Angesicht gewaschen hatte, also dass ihn die Verwandelten
erkennen konnten, ging er hinab in den Hof und sprach: "Jetzt sollt ihr den Lohn für
eure Untreue empfangen." Er band sie alle drei an ein Seil und trieb sie fort, bis er
zu einer Mühle kam. Er klopfte an das Fenster, der Müller steckte den Kopf heraus und
fragte, was sein Begehren wäre. "Ich habe drei böse Tiere", antwortete er,
"die ich nicht länger behalten mag. Wollt Ihr sie bei Euch nehmen, Futter und Lager
geben, und sie halten, wie ich Euch sage, so zahl ich dafür, was Ihr verlangt." Da
sagte der Jäger, der alten Eselin, und das war die Hexe, sollte er täglich dreimal
Schläge und einmal fressen geben; der jüngern, welche die Magd war, einmal Schläge und
dreimal Futter; und der jüngsten, welche das Mädchen war, keinmal Schläge und dreimal
zu fressen; denn er konnte es doch nicht über das Herz bringen, dass das Mädchen sollte
geschlagen werden. Darauf ging er zurück in das Schloss, und was er nötig hatte, das
fand er alles darin.
Nach ein paar Tagen kam der Müller und sprach, er müsste melden, dass die alte
Eselin, die nur Schläge bekommen hätte und nur einmal zu fressen, gestorben wäre.
"Die zwei andern", sagte er weiter, "sind zwar nicht gestorben und kriegen
auch dreimal zu fressen, aber sie sind so traurig, dass es nicht lange mit ihnen dauern
kann." Da erbarmte sich der Jäger, liess den Zorn fahren und sprach zum Müller, er
sollte sie wieder hertreiben. Und wie sie kamen, gab er ihnen von dem guten Salat zu
fressen, dass sie wieder zu Menschen wurden.
Da fiel das schöne Mädchen vor ihm auf die Knie und sprach: "Ach, mein Liebster,
verzeiht mir, was ich Böses an Euch getan, meine Mutter hatte mich dazu gezwungen; es ist
gegen meinen Willen geschehen, denn ich habe Euch von Herzen lieb. Euer Wunschmantel
hängt in einem Schrank, und für das Vogelherz will ich einen Brechtrunk einnehmen."
Da ward er anderes Sinnes und sprach: "Behalt es nur, es ist doch einerlei,
denn ich will dich zu meiner treuen Ehegemahlin annehmen." Und da ward Hochzeit
gehalten, und sie lebten vergnügt miteinander bis an ihren Tod.
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