Vom klugen Schneiderlein KHM 114 (1857)
Märchentyp AT: 850
Es war einmal eine Prinzessin gewaltig stolz; kam ein Freier, so gab sie ihm etwas zu
raten auf, und wenn ers nicht erraten konnte, so ward er mit Spott fortgeschickt.
Sie liess auch bekanntmachen, wer ihr Rätsel löste, sollte sich mit ihr vermählen, und
möchte kommen, wer da wollte. Endlich fanden sich auch drei Schneider zusammen, davon
meinten die zwei ältesten, sie hätten so manchen feinen Stich getan und hättens
getroffen, da könnts ihnen nicht fehlen, sie müsstens auch hier treffen; der
dritte war ein kleiner unnützer Springinsfeld, der nicht einmal sein Handwerk verstand,
aber meinte, er müsste dabei Glück haben, denn woher sollts ihm sonst kommen. Da
sprachen die zwei andern zu ihm: "Bleib nur zu Haus, du wirst mit deinem bisschen
Verstande nicht weit kommen." Das Schneiderlein liess sich aber nicht irre machen und
sagte, es hätte einmal seinen Kopf darauf gesetzt und wollte sich schon helfen, und ging
dahin, als wäre die ganze Welt sein.
Da meldeten sich alle drei bei der Prinzessin und sagten, sie sollte ihnen ihre Rätsel
vorlegen: es wären die rechten Leute angekommen, die hätten einen feinen Verstand, dass
man ihn wohl in eine Nadel fädeln könnte. Da sprach die Prinzessin: "Ich habe
zweierlei Haar auf dem Kopf, von was für Farben ist das?"
"Wenns weiter nichts ist", sagte der erste, "es wird schwarz und weiss
sein, wie Tuch, das man Kümmel und Salz nennt." Die Prinzessin sprach: "Falsch
geraten, antworte der zweite." Da sagte der zweite: "Ists nicht schwarz
und weiss, so ists braun und rot, wie meines Herrn Vaters Bratenrock."
"Falsch geraten", sagte die Prinzessin, "antworte der dritte, dem seh
ichs an, der weiss es sicherlich."
Da trat das Schneiderlein keck hervor und sprach: "Die Prinzessin hat ein
silbernes und ein goldenes Haar auf dem Kopf, und das sind die zweierlei Farben." Wie
die Prinzessin das hörte, ward sie blass, und wäre vor Schrecken beinah hingefallen,
denn das Schneiderlein hatte es getroffen, und sie hatte fest geglaubt, das würde kein
Mensch auf der Welt herausbringen. Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: "Damit
hast du mich noch nicht gewonnen, du musst noch eins tun, unten im Stall liegt ein Bär,
bei dem sollst du die Nacht zubringen; wenn ich dann morgen aufstehe, und du bist noch
lebendig, so sollst du mich heiraten." Sie dachte aber, damit wollte sie das
Schneiderlein loswerden, denn der Bär hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der
ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein liess sich nicht abschrecken, war
ganz vergnügt und sprach: "Frisch gewagt ist halb gewonnen."
Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Bären gebracht. Der Bär
wollt auch gleich auf den kleinen Kerl los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen
geben. "Sachte, sachte", sprach das Schneiderlein, "ich will dich schon zur
Ruhe bringen." Da holte es ganz gemächlich, als hätt es keine Sorgen, welsche
Nüsse aus der Tasche, biss sie auf und ass die Kerne. Wie der Bär das sah, kriegte er
Lust und wollte auch Nüsse haben. Das Schneiderlein griff in die Tasche und reichte ihm
eine Handvoll; es waren aber keine Nüsse, sondern Wackersteine. Der Bär steckte sie ins
Maul, konnte aber nichts aufbringen, er mochte beissen, wie er wollte. "Ei",
dachte er, "was bist du für ein dummer Klotz! Kannst nicht einmal die ' Nüsse
aufreissen", und sprach zum Schneiderlein: "Mein, beiss mir die Nüsse
auf."
"Da siehst du, was du für ein Kerl bist", sprach das Schneiderlein,
"hast so ein grosses Maul und kannst die kleine Nuss nicht aufreissen." Da nahm
es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nu in den Mund und knack, war sie entzwei.
"Ich muss das Ding noch einmal probieren", sprach der Bär, "wenn
ichs so ansehe, ich mein, ich müssts auch können." Da gab ihm das
Schneiderlein abermals Wackersteine, und der Bär arbeitete und biss aus allen
Leibeskräften hinein. Aber du glaubst auch nicht, dass er sie aufgebracht hat.
Wie das vorbei war, holte das Schneiderlein eine Violine unter dem Rock hervor und
spielte sich ein Stückchen darauf. Als der Bär die Musik vernahm, konnte er es nicht
lassen und fing an zu tanzen, und als er ein Weilchen getanzt hatte, gefiel ihm das Ding
so wohl, dass er zum Schneiderlein sprach: "Hör, ist das Geigen schwer?"
"Kinderleicht, siehst du, mit der Linken leg ich die Finger auf und mit der
Rechten streich ich mit dem Bogen drauf los, da gehts lustig, hopsasa, vivallalera!"
"So geigen", sprach der Bär, "das möcht ich auch verstehen, damit ich
tanzen könnte, sooft ich Lust hätte. Was meinst du dazu? Willst du mir Unterricht darin
geben?"
"Von Herzen gern", sagte das Schneiderlein, "wenn du Geschick, dazu
hast. Aber weis einmal deine Tatzen her, die sind gewaltig lang, ich muss dir die Nägel
ein wenig abschneiden." Da ward ein Schraubstock herbeigeholt, und der Bär legte
seine Tatzen darauf, das Schneiderlein aber schraubte sie fest und sprach: "Nun
warte, bis ich mit der Schere komme", liess den Bären brummen, soviel er wollte,
legte sich in die Ecke auf ein Bund Stroh und schlief ein.
Die Prinzessin als sie am Abend den Bären so gewaltig brummen hörte, glaubte nicht
anders, als er brummte vor Freuden und hätte dem Schneider den Garaus gemacht. Am Morgen
stand sie ganz unbesorgt und vergnügt auf, wie sie aber nach dem Stall guckt, so steht
das Schneiderlein ganz munter davor und ist gesund wie ein Fisch im Wasser. Da konnte sie
nun kein Wort mehr dagegen sagen, weil sies öffentlich versprochen hatte, und der
König liess einen Wagen kommen, darin musste sie mit dem Schneiderlein zur Kirche fahren,
und sollte sie da vermählt werden.
Wie sie eingestiegen waren, gingen die beiden andern Schneider, die ein falsches Herz
hatten und ihm sein Glück nicht gönnten, in den Stall und schraubten den Bären los. Der
Bär in voller Wut rannte hinter dem Wagen her. Die Prinzessin hörte ihn schnauben und
brummen: es ward ihr angst und sie rief: "Ach, der Bär ist hinter uns und will dich
holen." Das Schneiderlein war fix, stellte sich auf den Kopf, steckte die Beine zum
Fenster hinaus und rief "siehst du den Schraubstock? Wann du nicht gehst, so sollst
du wieder hinein." Wie der Bär das sah, drehte er um und lief fort. Mein
Schneiderlein fuhr da ruhig in die Kirche, und die Prinzessin ward ihm an die Hand
getraut, und lebte er mit ihr vergnügt wie eine Heidlerche. Wers nicht glaubt,
bezahlt einen Taler.
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