Hans mein Igel KHM 108 (1857)
Märchentyp AT: 441
Es war einmal ein Bauer, der hatte Geld und Gut genug, aber wie reich er war, so fehlte
doch etwas an seinem Glück: er hatte mit seiner Frau keine Kinder. Öfters, wenn er mit
den andern Bauern in die Stadt ging, spotteten sie und fragten, warum er keine Kinder
hätte. Da ward er endlich zornig, und als er nach Haus kam, sprach er: "Ich will ein
Kind haben, und sollts ein Igel sein."
Da kriegte seine Frau ein Kind, das war oben ein Igel und unten ein Junge, und als sie
das Kind sah, erschrak sie und sprach: "Siehst du, du hast uns verwünscht." Da
sprach der Mann: "Was kann das alles helfen, getauft muss der Junge werden, aber wir
können keinen Gevatter dazu nehmen." Die Frau sprach "wir können ihn auch
nicht anders taufen als Hans mein Igel" Als er getauft war, sagte der Pfarrer:
"Der kann wegen seiner Stacheln in kein ordentlich Bett kommen." Da ward hinter
dem Ofen ein wenig Stroh zurecht gemacht und Hans mein Igel darauf gelegt. Er konnte auch
an der Mutter nicht trinken, denn er hätte sie mit seinen Stacheln gestochen. So lag er
da hinter dem Ofen acht Jahre und sein Vater war ihn müde und dachte, wenn er nur
stürbe; aber er starb nicht, sondern blieb da liegen.
Nun trug es sich zu, dass in der Stadt ein Markt war, und der Bauer wollte hingehen, da
fragte er seine Frau, was er ihr sollte mitbringen. "Ein wenig Fleisch und ein paar
Wecke, was zum Haushalt gehört", sprach sie. Darauf fragte er die Magd, die wollte
ein paar Toffeln und Zwickelstrümpfe. Endlich sagte er auch: "Hans mein Igel, was
willst du denn haben?" "Väterchen", sprach er, "bring mir doch einen
Dudelsack mit." Wie nun der Bauer wieder nach Haus kam, gab er der Frau, was er ihr
gekauft hatte, Fleisch und Wecke, dann gab er der Magd die Toffeln und die
Zwickelstrümpfe, endlich ging er hinter den Ofen und gab dem Hans mein Igel den
Dudelsack. Und wie Hans mein Igel den Dudelsack hatte, sprach er: "Väterchen, geht
doch vor die Schmiede und lasst mir meinen Göckelhahn beschlagen, dann will ich
fortreiten und will nimmermehr wiederkommen." Da war der Vater froh, dass er ihn los
werden sollte, und liess ihm den Hahn beschlagen, und als er fertig war, setzte sich Hans
mein Igel darauf, ritt fort, nahm auch Schweine und Esel mit, die wollt er draussen im
Walde hüten.
Im Wald aber musste der Hahn mit ihm auf einen hohen Baum fliegen, da sass er und
hütete die Esel und Schweine, und sass lange Jahre, bis die Herde ganz gross war, und
wusste sein Vater nichts von ihm. Wenn er aber auf dem Baum sass, blies er seinen
Dudelsack und machte Musik, die war sehr schön.
Einmal kam ein König vorbeigefahren, der hatte sich verirrt und hörte die Musik; da
verwunderte er sich darüber und schickte seinen Bedienten hin, er sollte sich einmal
umgucken, wo die Musik herkäme. Er guckte sich um, sah aber nichts als ein kleines Tier
auf dem Baum oben sitzen, das war ein Göckelhahn, auf dem ein Igel sass, und der machte
die Musik. Da sprach der König zum Bedienten, er sollte fragen, warum er da sässe, und
ob er nicht wusste, wo der Weg in sein Königreich ginge. Da stieg Hans mein Igel vom Baum
und sprach, er wollte den Weg zeigen, wenn der König ihm wollte verschreiben und
versprechen, was ihm zuerst begegnete am königlichen Hofe, sobald er nach Haus käme. Da
dachte der König: "Das kann ich leicht tun, Hans mein Igel verstehts doch
nicht, und ich kann schreiben, was ich will." Da nahm der König Feder und Tinte und
schrieb etwas auf, und als es geschehen war, zeigte ihm Hans mein Igel den Weg, und er kam
glücklich nach Haus.
Seine Tochter aber, wie sie ihn von weitem sah, war so voll Freuden, dass sie ihm
entgegenlief und ihn küsste. Da gedachte er an Hans mein Igel und erzählte ihr, wie es
ihm gegangen wäre, und dass er einem wunderlichen Tier hätte verschreiben sollen, was
ihm daheim zuerst begegnen würde, und das Tier hätte auf einem Hahn wie auf einem Pferde
gesessen und schöne Musik gemacht; er hätte aber geschrieben, es sollts nicht
haben, denn Hans mein Igel könnt es doch nicht lesen. Darüber war die Prinzessin froh
und sagte, das wäre gut, denn sie wäre doch nimmermehr hingegangen. Hans mein Igel aber
hütete die Esel und Schweine, war immer lustig, sass auf dem Baum und blies auf seinem
Dudelsack.
Nun geschah es, dass ein anderer König gefahren kam mit seinen Bedienten und Läufern,
und hatte sich verirrt, und wusste nicht wieder nach Haus zu kommen, weil der Wald so
gross war. Da hörte er gleichfalls die schöne Musik von weitem und sprach zu seinem
Läufer, was das wohl wäre, er sollte einmal zusehen. Da ging der Läufer hin unter den
Baum und sah den Göckelhahn sitzen und Hans mein Igel oben drauf. Der Läufer fragte ihn,
was er da oben vorhätte. "Ich hüte meine Esel und Schweine; aber was ist Euer
Begehren?" Der Läufer sagte, sie hätten sich verirrt und könnten nicht wieder ins
Königreich, ob er ihnen den Weg nicht zeigen wollte. Da stieg Hans mein Igel mit dem Hahn
vom Baum herunter, und sagte zu dem alten König, er wolle ihm den Weg zeigen, wenn er ihm
zu eigen geben wollte, was ihm zu Haus vor seinem königlichen Schlosse das erste begegnen
würde. Der König sagte ja und unterschrieb sich dem Hans mein Igel, er sollte es haben.
Als das geschehen war, ritt er auf dem Göckelhahn voraus und zeigte ihm den Weg, und
gelangte der König glücklich wieder in sein Reich. Wie er auf den Hof kam, war grosse
Freude darüber.
Nun hatte er eine einzige Tochter, die war sehr schön, die lief ihm entgegen, fiel ihm
um den Hals und küsste ihn und freute sich, dass ihr alter Vater wiederkam. Sie fragte
ihn auch, wo er so lange in der Welt gewesen wäre, da erzählte er ihr, er hätte sich
verirrt und wäre beinahe gar nicht wiedergekommen, aber als er durch einen grossen Wald
gefahren wäre, hätte einer, halb wie ein Igel, halb wie ein Mensch, rittlings auf einem
Hahn in einem hohen Baum gesessen und schöne Musik gemacht, der hätte ihm fortgeholfen
und den Weg gezeigt, er aber hätte ihm dafür versprochen, was ihm am königlichen Hofe
zuerst begegnete, und das wäre sie, und das täte ihm nun so leid. Da versprach sie ihm
aber, sie wollte gerne mit ihm gehen, wann er käme, ihrem alten Vater zuliebe.
Hans mein Igel aber hütete seine Schweine, und die Schweine bekamen wieder Schweine,
und wurden ihrer so viel, dass der ganze Wald voll war. Da wollte Hans mein Igel nicht
länger im Walde, leben, und liess seinem Vater sagen, sie sollten alle Ställe im Dorf
räumen, denn er käme mit einer so grossen Herde, dass jeder schlachten könnte, der nur
schlachten wollte. Da war sein Vater betrübt, als er das hörte, denn er dachte, Hans
mein Igel wäre schon lange gestorben. Hans mein Igel aber setzte sich auf seinen
Göckelhahn, trieb die Schweine vor sich her ins Dorf und liess schlachten; hu! da war ein
Gemetzel und ein Hacken, dass mans zwei Stunden weit hören konnte. Danach sagte
Hans mein Igel: "Väterchen, lasst mir meinen Göckelhahn noch einmal vor der
Schmiede beschlagen, dann reit ich fort und komme mein Lebtag nicht wieder." Da liess
der Vater den Göckelhahn beschlagen und war froh, dass Hans mein Igel nicht wiederkommen
wollte.
Hans mein Igel ritt fort in das erste Königreich, da hatte der König befohlen, wenn
einer käme auf einem Hahn geritten, und hätte einen Dudelsack bei sich, dann sollten
alle auf ihn schiessen, hauen und stechen, damit er nicht ins Schloss käme. Als nun Hans
mein Igel dahergeritten kam, drangen sie mit den Bajonetten auf ihn ein, aber er gab dem
Hahn die Sporen, flog auf, über das Tor hin vor des Königs Fenster, liess er sich da
nieder, und rief ihm zu, er sollt ihm geben, was er versprochen hätte, sonst so wollt er
ihm und seiner Tochter das Leben nehmen.
Da gab der König seiner Tochter gute Worte, sie möchte zu ihm hinausgehen, damit sie
ihm und sich das Leben rettete. Da zog sie sich weiss an, und ihr Vater gab ihr einen
Wagen mit sechs Pferden und herrliche Bedienten, Geld und Gut. Sie setzte sich ein, und
Hans mein Igel mit seinem Hahn und Dudelsack neben sie, dann nahmen sie Abschied und zogen
fort, und der König dachte, er kriegte sie nicht wieder zu sehen. Es ging aber anders,
als er dachte, denn als sie ein Stück Wegs von der Stadt waren, da zog ihr Hans mein Igel
die schönen Kleider aus, und stach sie mit seiner Igelhaut, bis sie ganz blutig war,
sagte: "Das ist der Lohn für eure Falschheit, geh hin, ich will dich nicht",
und jagte sie damit nach Haus, und war sie beschimpft ihr Lebtag.
Hans mein Igel aber ritt weiter auf seinem Göckelhahn und mit seinem Dudelsack nach
dem zweiten Königreich, wo er dem König auch den Weg gezeigt hatte. Der aber hatte
bestellt, wenn einer käme wie Hans mein Igel, sollten sie das Gewehr präsentieren, ihn
frei hereinführen, Vivat rufen, und ihn ins königliche Schloss bringen. Wie ihn nun die
Königstochter sah, war sie erschrocken, weil er doch gar zu wunderlich aussah, sie dachte
aber, es wäre nicht anders, sie hätte es ihrem Vater versprochen. Da ward Hans mein Igel
von ihr bewillkommt, und ward mit ihr vermählt, und er musste mit an die königliche
Tafel gehen, und sie setzte sich zu seiner Seite, und sie assen und tranken.
Wies nun Abend ward, dass sie wollten schlafen gehen, da fürchtete sie sich sehr
vor seinen Stacheln; er, aber sprach, sie sollte sich nicht fürchten, es geschähe ihr
kein Leid, und sagte zu dem alten König, er sollte vier Mann bestellen, die sollten
wachen vor der Kammertüre und ein grosses Feuer anmachen, und wann er in die Kammer
einginge und sich ins Bett legen wollte, würde er aus seiner Igelshaut herauskriechen und
sie vor dem Bett liegen lassen; dann sollten die Männer hurtig herbeispringen und sie ins
Feuer werfen, auch dabeibleiben, bis sie vom Feuer verzehrt wäre.
Wie die Glocke nun elfe schlug, da ging er in die Kammer, streifte die Igelshaut ab und
liess sie vor dem Bette liegen; da kamen die Männer und holten sie geschwind und warfen
sie ins Feuer; und als sie das Feuer verzehrt hatte, da war er erlöst, und lag da im Bett
ganz als ein Mensch gestaltet, aber er war kohlschwarz wie gebrannt. Der König schickte
zu seinem Arzt, der wusch ihn mit guten Salben und balsamierte ihn, da ward er weiss, und
war ein schöner junger Herr. Wie das die Königstochter sah, war sie froh, und am andern
Morgen stiegen sie mit Freuden auf, assen und tranken, und ward die Vermählung erst recht
gefeiert, und Hans mein Igel bekam das Königreich von dem alten König.
Wie etliche Jahre herum waren, fuhr er mit seiner Gemahlin zu seinem Vater und sagte,
er wäre sein Sohn; der Vater aber sprach, er hätte keinen, er hätte nur einen gehabt,
der wäre aber wie ein Igel mit Stacheln geboren worden, und wäre in die Welt gegangen.
Da gab er sich zu erkennen, und der alte Vater freute sich und ging mit ihm in sein
Königreich.
Mein Märchen ist aus, und geht vor Gustchen sein Haus.
top