Das Wasser des Lebens KHM 97 (1857)
Märchentyp AT: 551
Es war einmal ein König, der war krank, und niemand glaubte, dass er mit dem Leben
davonkäme. Er hatte aber drei Söhne, die waren darüber betrübt, gingen hinunter in den
Schlossgarten und weinten. Da begegnete ihnen ein alter Mann, der fragte sie nach ihrem
Kummer. Sie sagten ihm, ihr Vater wäre so krank, dass er wohl sterben würde, denn es
wollte ihm nichts helfen. Da sprach der Alte: "Ich weiss ein Mittel, das ist das
Wasser des Lebens, wenn er davon trinkt, so wird er wieder gesund; es ist aber schwer zu
finden."
Der älteste sagte: "Ich will es schon finden", ging zum kranken König und
bat ihn, er möchte ihm erlauben auszuziehen, um das Wasser des Lebens zu suchen, denn das
könnte ihn allein heilen. "Nein", sprach der König, "die Gefahr dabei ist
zu gross, lieber will ich sterben." Er bat aber so lange, bis der König einwilligte.
Der Prinz dachte in seinem Herzen: "Bringe ich das Wasser, so bin ich meinem Vater
der liebste und erbe das Reich."
Also machte er sich auf, und als er eine Zeitlang fortgeritten war, stand da ein Zwerg
auf dem Wege, der rief ihn an und sprach: "Wo hinaus so geschwind?" "Dummer
Knirps", sagte der Prinz ganz stolz, "das brauchst du nicht zu wissen", und
ritt weiter. Das kleine Männchen aber war zornig geworden und hatte einen bösen Wunsch
getan. Der Prinz geriet bald hernach in, eine Bergschlucht, und je weiter er ritt, je
enger taten sich die Berge zusammen, und endlich ward der Weg so eng, dass er keinen
Schritt weiter konnte; es war nicht möglich, das Pferd zu wenden oder aus dem Sattel zu
steigen, und er sass da wie eingesperrt.
Der kranke König wartete lange Zeit auf ihn, aber er kam nicht. Da sagte der zweite
Sohn: "Vater, lasst mich ausziehen und das Wasser suchen", und dachte bei sich:
"Ist mein Bruder tot, so fällt das Reich mir zu." Der König wollt ihn anfangs
auch nicht ziehen lassen, endlich gab er nach.
Der Prinz zog also auf demselben Weg fort, den sein Bruder eingeschlagen hatte, und
begegnete auch dem Zwerg, der ihn anhielt und fragte, wohin er so eilig wollte.
"Kleiner Knirps", sagte der Prinz, "das brauchst du nicht zu wissen",
und ritt fort, ohne sich weiter umzusehen. Aber der Zwerg verwünschte ihn, und er geriet
wie der andere in eine Bergschlucht und konnte nicht vorwärts und rückwärts. So gehts
aber den Hochmütigen.
Als auch der zweite Sohn ausblieb, so erbot sich der jüngste, auszuziehen und das
Wasser zu holen, und der König musste ihn endlich ziehen lassen. Als er dem Zwerg
begegnete und dieser fragte, wohin er so eilig wolle, so hielt er an, gab ihm Rede und
Antwort und sagte: "Ich suche das Wasser des Lebens, denn mein Vater ist
sterbenskrank."
"Weisst du auch, wo das zu finden ist?" "Nein", sagte der Prinz.
"Weil du dich betragen hast, wie sichs geziemt, nicht übermütig wie deine falschen
Brüder, so will ich dir Auskunft geben und dir sagen, wie du zu dem Wasser des Lebens
gelangst. Es quillt aus einem Brunnen in dem Hofe eines verwünschten Schlosses, aber du
dringst nicht hinein, wenn ich dir nicht eine eiserne Rute gebe und zwei Laiberchen Brot.
Mit der Rute schlag dreimal an das eiserne Tor des Schlosses, so wird es aufspringen;
inwendig liegen zwei Löwen, die den Rachen aufsperren, wenn du aber jedem ein Brot
hinwirfst, so werden sie still, und dann eile dich und hol von dem Wasser des Lebens,
bevor es zwölf schlägt, sonst schlägt das Tor wieder zu und du bist eingesperrt."
Der Prinz dankte ihm, nahm die Rute und das Brot, und machte sich auf den Weg.
Und als er anlangte, war alles so, wie der Zwerg gesagt hatte. Das Tor sprang beim
dritten Rutenschlag auf, und als er die Löwen mit dem Brot gesänftigt hatte, trat er in
das Schloss und kam in einen grossen schönen Saal; darin sassen verwünschte Prinzen,
denen zog er die Ringe vom Finger, dann lag da ein Schwert und ein Brot, das nahm er weg.
Und weiter kam er in ein Zimmer, darin stand eine schöne Jungfrau, die freute sich, als
sie ihn sah, küsste ihn und sagte, er hätte sie erlöst und sollte ihr ganzes Reich
haben, und wenn er in einem Jahre wiederkäme, so sollte ihre Hochzeit gefeiert werden.
Dann sagte sie ihm auch, wo der Brunnen wäre mit dem Lebenswasser er müsste sich aber
eilen und daraus schöpfen, eh es zwölf schlüge.
Da ging er weiter und kam endlich in ein Zimmer, wo ein schönes frischgedecktes Bett
stand, und weil er müde war, wollt er erst ein wenig ausruhen. Also legte er sich und
schlief ein: als er erwachte, schlug es dreiviertel auf zwölf. Da sprang er ganz
erschrocken auf, lief zu dem Brunnen und schöpfte daraus mit einem Becher, der daneben
stand, und eilte, dass er fortkam.
Wie er eben zum eisernen Tor hinausging, da schlugs zwölf, und das Tor schlug so
heftig zu, dass es ihm noch ein Stück von der Ferse wegnahm. Er aber war froh, dass er
das Wasser des Lebens erlangt hatte, ging heimwärts und kam wieder an dem Zwerg vorbei.
Als dieser das Schwert und das Brot sah, sprach er: "Damit hast du grosses Gut
gewonnen, mit dem Schwert kannst du ganze Heere schlagen, das Brot aber wird niemals
all." Der Prinz wollte ohne seine Brüder nicht zu dem Vater nach Haus kommen und
sprach: "Lieber Zwerg, kannst du mir nicht sagen, wo meine zwei Brüder sind? Sie
sind früher als ich nach dem Wasser des Lebens ausgezogen und sind nicht
wiedergekommen."
"Zwischen zwei Bergen stecken sie eingeschlossen", sprach der Zwerg,
"dahin habe ich sie verwünscht, weil sie so übermütig waren." Da bat der
Prinz so lange, bis der Zwerg sie wieder losliess, aber er warnte ihn und sprach:
"Hüte dich vor ihnen, sie haben ein böses Herz." Als seine Brüder kamen,
freute er sich und erzählte ihnen, wie es ihm ergangen wäre, dass er das Wasser des
Lebens gefunden und einen Becher voll mitgenommen und eine schöne Prinzessin erlöst
hätte, die wollte ein Jahr lang auf ihn warten, dann sollte Hochzeit gehalten werden, und
er bekäme ein grosses Reich. Danach ritten sie zusammen fort und gerieten in ein Land, wo
Hunger und Krieg war, und der König glaubte schon, er müsste verderben, so gross war die
Not. Da ging der Prinz zu ihm und gab ihm das Brot, womit er sein ganzes Reich speiste und
sättigte; und dann gab ihm der Prinz auch das Schwert, damit schlug er die Heere seiner
Feinde und konnte nun in Ruhe und Frieden leben. Da nahm der Prinz sein Brot und Schwert
wieder zurück, und die drei Brüder ritten weiter.
Sie kamen aber noch in zwei Länder, wo Hunger und Krieg herrschten, und da gab der
Prinz den Königen jedesmal sein Brot und Schwert, und hatte nun drei Reiche gerettet. Und
danach setzten sie sich auf ein Schiff und fuhren übers Meer. Während der Fahrt, da
sprachen die beiden ältesten unter sich: "der jüngste hat das Wasser des Lebens
gefunden und wir nicht, dafür wird ihm unser Vater das Reich geben, das uns gebührt, und
er wird unser Glück wegnehmen." Da wurden sie rachsüchtig und verabredeten
miteinander, dass sie ihn verderben wollten. Sie warteten, bis er einmal fest
eingeschlafen war, da gossen sie das Wasser des Lebens aus dem Becher und nahmen es für
sich, ihm aber gossen sie bitteres Meerwasser hinein.
Als sie nun daheim ankamen, brachte der jüngste dem kranken König seinen Becher,
damit er daraus trinken und gesund werden sollte. Kaum hatte er ein wenig von dem bitteren
Meerwasser getrunken, so ward er noch kränker als zuvor. Und wie er darüber jammerte,
kamen die beiden ältesten Söhne und klagten den jüngsten an, er hätte ihn vergiften
wollen, sie brächten ihm das rechte Wasser des Lebens, und reichten es ihm. Kaum hatte er
davon getrunken, so fühlte er seine Krankheit verschwinden, und war stark und gesund wie
in seinen jungen Tagen. Danach gingen die beiden zu dem jüngsten, verspotteten ihn und
sagten: "Du hast zwar das Wasser des Lebens gefunden, aber du hast die Mühe gehabt
und wir den Lohn; du hättest klüger sein und die Augen aufbehalten sollen, wir haben
dirs genommen, während du auf dem Meere eingeschlafen warst, und übers Jahr, da holt
sich einer von uns die schöne Königstochter. Aber hüte dich, dass du nichts davon
verrätst, der Vater glaubt dir doch nicht, und wenn du ein einziges Wort sagst, so sollst
du noch obendrein dein Leben verlieren, schweigst du aber, so soll dirs geschenkt
sein."
Der alte König war zornig über seinen jüngsten Sohn und glaubte, er hätte ihm nach
dem Leben getrachtet. Also liess er den Hof versammeln und das Urteil über ihn sprechen,
dass er heimlich sollte erschossen werden. Als der Prinz nun einmal auf die Jagd ritt und
nichts Böses vermutete, musste des Königs Jäger mitgehen. Draussen, als sie ganz allein
im Wald waren, und der Jäger so traurig aussah, sagte der Prinz zu ihm: "Lieber
Jäger, was fehlt dir?" Der Jäger sprach: "Ich kanns nicht sagen und soll es
doch." Da sprach der Prinz: "Sage heraus, was es ist, ich will dirs
verzeihen."
"Ach", sagte der Jäger, "ich soll Euch totschiessen, der König hat
mirs befohlen." Da erschrak der Prinz und sprach: "Lieber Jäger, lass
mich leben, da geb ich dir mein königliches Kleid, gib mir dafür dein schlechtes."
Der Jäger sagte: "Das will ich gerne tun, ich hätte doch nicht nach Euch schiessen
können." Da tauschten sie die Kleider, und der Jäger ging heim, der Prinz aber ging
weiter in den Wald hinein.
Über eine Zeit, da kamen zu dem alten König drei Wagen mit Gold und Edelsteinen für
seinen jüngsten Sohn; sie waren aber von den drei Königen geschickt, die mit des Prinzen
Schwert die Feinde geschlagen und mit seinem Brot ihr Land ernährt hatten, und die sich
dankbar bezeigen wollten. Da dachte der alte König: "Sollte mein Sohn unschuldig
gewesen sein?" Und sprach zu seinen Leuten: "Wäre er noch am Leben, wie tut
mirs so leid, dass ich ihn habe töten lassen."
"Er lebt noch", sprach der Jäger, "ich konnte es nicht übers Herz
bringen, Euern Befehl auszuführen", und sagte dem König, wie es zugegangen war. Da
fiel dem König ein Stein von dem Herzen, und er liess in allen Reichen verkündigen, sein
Sohn dürfte wiederkommen und sollte in Gnaden aufgenommen werden.
Die Königstochter aber liess eine Strasse vor ihrem Schloss machen, die war ganz
golden und glänzend, und sagte ihren Leuten, wer darauf geradewegs zu ihr geritten käme,
das wäre der rechte, und den sollten sie einlassen, wer aber daneben käme, der wäre der
rechte nicht, und den sollten sie auch nicht einlassen. Als nun die Zeit bald herum war,
dachte der älteste, er wollte sich eilen, zur Königstochter gehen und sich für ihren
Erlöser ausgeben, da bekäme er sie zur Gemahlin und das Reich daneben.
Also ritt er fort, und als er vor das Schloss kam und die schöne goldene Strasse sah,
dachte er: "Das wäre jammerschade, wenn du darauf rittest", lenkte ab und ritt
rechts nebenher. Wie er aber vor das Tor kam, sagten die Leute zu ihm, er wäre der rechte
nicht, er sollte wieder fortgehen.
Bald darauf machte sich der zweite Prinz auf, und wie der zur goldenen Strasse kam und
das Pferd den einen Fuss daraufgesetzt hatte, dachte er: "Es wäre jammerschade, das
könnte etwas abtreten", lenkte ab und ritt links nebenher. Wie er aber vor das Tor
kam, sagten die Leute, er wäre der rechte nicht, er sollte wieder fortgehen.
Als nun das Jahr ganz herum war, wollte der dritte aus dem Wald fort zu seiner Liebsten
reiten und bei ihr sein Leid vergessen. Also machte er sich auf, und dachte immer an sie
und wäre gerne schon bei ihr gewesen, und sah die goldene Strasse gar nicht.
Da ritt sein Pferd mitten darüber hin, und als er vor das Tor kam, ward es aufgetan,
und die Königstochter empfing ihn mit Freuden und sagte, er wär ihr Erlöser und der
Herr des Königreichs, und ward die Hochzeit gehalten mit grosser Glückseligkeit. Und als
sie vorbei war, erzählte sie ihm, dass sein Vater ihn zu sich entboten und ihm verziehen
hätte. Da ritt er hin und sagte ihm alles, wie seine Brüder ihn betrogen und er doch
dazu geschwiegen hätte. Der alte König wollte sie strafen, aber sie hatten sich aufs
Meer gesetzt und waren fortgeschifft und kamen ihr Lebtag nicht wieder.
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