Die kluge Bauerntochter KHM 94 (1857)
Märchentyp AT: 875
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine
alleinige Tochter, da sprach die Tochter: "Wir sollten den Herrn König um ein
Stückchen Rottland bitten." Da der König ihre Armut hörte, schenkte er ihnen auch
ein Eckchen Rasen, den hackte sie und ihr Vater um, und wollten ein wenig Korn und derart
Frucht darauf säen. Als sie den Acker beinah herum hatten, so fanden sie in der Erde
einen Mörsel von purem Gold. "Hör", sagte der Vater zu dem Mädchen,
"weil unser Herr König ist so gnädig gewesen und hat uns diesen Acker geschenkt, so
müssen wir ihm den Mörsel dafür geben." Die Tochter aber wollte es nicht
bewilligen und sagte: "Vater, wenn wir den Mörsel haben und haben den Stösser
nicht, dann müssen wir auch den Stösser herbeischaffen, darum schweigt lieber
still."
Er wollte ihr aber nicht gehorchen, nahm den Mörsel, trug ihn zum Herrn König und
sagte, den hätte er gefunden in der Heide, ob er ihn als eine Verehrung annehmen wollte.
Der König nahm den Mörsel und fragte, ob er nichts mehr gefunden hätte.
"Nein", antwortete der Bauer. Da sagte der König, er solle nun auch den
Stösser herbeischaffen. Der Bauer sprach, den hätten sie nicht gefunden; aber das half
ihm so viel, als hätt ers in den Wind gesagt, er ward ins Gefängnis gesetzt, und sollte
so lange da sitzen, bis er den Stösser herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mussten ihm
täglich Wasser und Brot bringen, was man so in dem Gefängnis kriegt, da hörten sie, wie
der Mann als fort schrie: "Ach, hätt ich meiner Tochter gehört! Ach, ach, hätt ich
meiner Tochter gehört!"
Da gingen die Bedienten zum König und sprachen das, wie der Gefangene als fort schrie:
"Ach, hätt ich doch meiner Tochter gehört!" und wollte nicht essen und nicht
trinken. Da befahl er den Bedienten, sie sollten den Gefangenen vor ihn bringen, und da
fragte ihn der Herr König, warum er also fort schrie: "Ach, hätt ich meiner Tochter
gehört!" "Was hat Eure Tochter denn gesagt?" "Ja, sie hat gesprochen,
ich sollte den Mörsel nicht bringen, sonst müsst ich auch den Stösser schaffen."
"Habt Ihr so eine kluge Tochter, so lasst sie einmal herkommen." Also musste sie
vor den König kommen, der fragte sie, ob sie denn so klug wäre, und sagte, er wollte ihr
ein Rätsel aufgeben, wenn sie das treffen könnte, dann wollte er sie heiraten. Da sprach
sie gleich ja, sie wollts erraten.
Da sagte der König: "Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten,
nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht ausser dem Weg, und wenn du das kannst, will ich
dich heiraten." Da ging sie hin, und zog sich aus splinternackend, da war sie nicht
gekleidet, und nahm ein grosses Fischgarn, und setzte sich hinein und wickelte es ganz um
sich herum, da war sie nicht nackend; und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel
das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen musste und war das nicht geritten
und nicht gefahren; der Esel musste sie aber in deren Fahrgleise schleppen, so dass sie
nur mit der grossen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht ausser
dem Wege. Und wie sie so daherkam, sagte der König, sie hätte das Rätsel getroffen, und
es wäre alles erfüllt. Da liess er ihren Vater los aus dem Gefängnis, und nahm sie bei
sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.
Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog, da trug
es sich zu, dass Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloss hielten, die hatten Holz verkauft;
etliche hatten Ochsen vorgespannt, und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei
Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllen, das lief weg und legte sich mitten zwischen
zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren.
Als nun die Bauern zusammenkamen, fingen sie an, sich zu zanken, zu schmeissen und zu
lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen
hättens gehabt; und der andere sagte nein, seine Pferde hättens gehabt, und
es wäre sein.
Der Zank kam vor den König, und er tat den Ausspruch, wo das Füllen gelegen hätte,
da sollt es bleiben; und also bekams der Ochsenbauer, dems doch nicht
gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen. Nun hatte
er gehört, wie dass die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen
Bauersleuten gekommen wäre, ging er zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte,
dass er sein Füllchen wiederbekäme. Sagte sie: "Ja, wenn Ihr mir versprecht, dass
Ihr mich nicht verraten wollt, so will ichs Euch sagen. Morgen früh, wenn der König auf
der Wachtparade ist, so stellt Euch hin mitten in die Strasse, wo er vorbeikommen muss,
nehmt ein grosses Fischgarn und tut, als fischet Ihr, und fischt also fort und schüttet
das Garn aus, als wenn Ihrs voll hättet", und sagte ihm auch, was er antworten
sollte, wenn er vom König gefragt würde.
Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf einem trockenen Platz. Wie der
König vorbeikam und das sah, schickte er seinen Läufer hin, der sollte fragen, was der
närrische Mann vorhätte. Da gab er zur Antwort: "Ich fische." Fragte der
Läufer, wie er fischen könnte, es wäre ja kein Wasser da. Sagte der Bauer: "So gut
als zwei Ochsen können Füllen kriegen, so gut kann ich auch auf dem trockenen Platz
fischen." Der Läufer ging hin und brachte dem König die Antwort, da liess er den
Bauer vor sich kommen und sagte ihm, das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte:
und sollts gleich bekennen. Der Bauer aber wollts nicht tun und sagte immer:
Gott bewahr! er hätt es von sich. Sie legten ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen
und drangsalten ihn so lange, bis ers bekannte, dass ers von der Frau Königin
hätte.
Als der König nach Haus kam, sagte er zu seiner Frau: "Warum bist du so falsch
mit mir, ich will dich nicht mehr zur Gemahlin: deine Zeit ist um, geh wieder hin, woher
du gekommen bist, in dein Bauernhäuschen." Doch erlaubte er ihr eins, sie sollte
sich das Liebste und Beste mitnehmen, was sie wüsste, und das sollte ihr Abschied sein.
Sie sagte: "Ja, lieber Mann, wenn dus so befiehlst, will ich es auch tun",
und fiel über ihn her und küsste ihn und sprach, sie wollte Abschied von ihm nehmen.
Dann liess sie einen starken Schlaftrunk kommen, Abschied mit ihm zu trinken; der König
tat einen grossen Zug, sie aber trank nur wenig.
Da geriet er bald in einen tiefen Schlaf, und als sie das sah, rief sie einen Bedienten
und nahm ein schönes weisses Linnentuch und schlug ihn da hinein, und die Bedienten
mussten ihn in einen Wagen vor die Türe tragen, und fuhr sie ihn heim in ihr Häuschen.
Da legte sie ihn in ihr Bettchen, und er schlief Tag und Nacht in einem fort, und als er
aufwachte, sah er sich um und sagte: "Ach Gott, wo bin ich denn?" Rief seinen
Bedienten, aber es war keiner da. Endlich kam seine Frau vors Bett und sagte: "Lieber
Herr König, Ihr habt mir befohlen, ich sollte das liebste und Beste aus dem Schloss
mitnehmen, nun hab ich nichts Besseres und Lieberes als dich, da hab ich dich
mitgenommen." Dem König stiegen die Tränen in die Augen, und er sagte: "Liebe
Frau, du sollst mein sein und ich dein", und nahm sie wieder mit ins königliche
Schloss und liess sich aufs neue mit ihr vermählen; und werden sie ja wohl noch auf den
heutigen Tag leben.
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