Der König vom goldenen Berg KHM 92 (1857)
Märchentyp AT: 400, 401A, 518, 560
Ein Kaufmann, der hatte zwei Kinder, einen Buben und ein Mädchen, die waren beide noch
klein und konnten noch nicht laufen. Es gingen aber zwei reichbeladene Schiffe von ihm auf
dem Meer, und sein ganzes Vermögen war darin, und wie er meinte, dadurch viel Geld zu
gewinnen, kam die Nachricht, sie wären versunken. Da war er nun statt eines reichen
Mannes ein armer Mann und hatte nichts mehr übrig als einen Acker vor der Stadt. Um sich
sein Unglück ein wenig aus den Gedanken zu schlagen, ging er hinaus auf den Acker, und
wie er da so auf- und abging, stand auf einmal ein kleines schwarzes Männchen neben ihm
und fragte, warum er so traurig wäre, und was er sich so sehr zu Herzen nähme. Da sprach
der Kaufmann: "Wenn du mir helfen könntest, wollt ich dir es wohl sagen."
"Wer weiss", antwortete das schwarze Männchen "vielleicht helf ich
dir." Da erzählte der Kaufmann, dass ihm sein ganzer Reichtum auf dem Meer zugrunde
gegangen wäre, und hätte er nichts mehr übrig als diesen Acker. "Bekümmere dich
nicht", sagte das Männchen, "wenn du mir versprichst, das, was dir zu Haus am
ersten widers Bein stösst, in zwölf Jahren hierher auf den Platz zu bringen, sollst du
Geld haben, soviel du willst." Der Kaufmann dachte: "Was kann das anders sein
als mein Hund?" Aber an seinen kleinen Jungen dachte er nicht und sagte ja, gab dem
schwarzen Mann Handschrift und Siegel darüber und ging nach Haus.
Als er nach Haus kam, da freute sich sein kleiner Junge so sehr darüber, dass er sich
an den Bänken hielt, zu ihm herbeiwackelte und ihn an den Beinen fest packte. Da erschrak
der Vater, denn es fiel ihm sein Versprechen ein, und er wusste nun, was er verschrieben
hatte; weil er aber immer noch kein Geld in seinen Kisten und Kasten fand, dachte er, es
wäre nur ein Spass von dem Männchen gewesen.
Einen Monat nachher ging er auf den Boden und wollte altes Zinn zusammensuchen und
verkaufen, da sah er einen grossen Haufen Geld liegen. Nun war er wieder guter Dinge,
kaufte ein, ward ein grösserer Kaufmann als vorher und liess Gott einen guten Mann sein.
Je näher aber die zwölf Jahre herbeikamen, je sorgvoller ward der Kaufmann, so dass
man ihm die Angst im Gesicht sehen konnte. Da fragte ihn der Sohn einmal, was ihm fehlte;
der Vater wollte es nicht sagen, aber jener hielt so lange an, bis er ihm endlich sagte,
er hätte ihn, ohne zu wissen, was er verspräche, einem schwarzen Männchen zugesagt und
vieles Geld dafür bekommen. Er hätte seine Handschrift mit Siegel darüber gegeben, und
nun musste er ihn, wenn zwölf Jahre herum wären, ausliefern. Da sprach der Sohn: "O
Vater, lasst Euch nicht bang sein, das soll schon gut werden, der Schwarze hat keine Macht
über mich."
Der Sohn liess sich von dem Geistlichen segnen, und als die Stunde kam, gingen sie
zusammen hinaus auf den Acker, und der Sohn machte einen Kreis und stellte sich mit seinem
Vater hinein. Da kam das schwarze Männchen und sprach zu dem Alten: "Hast du
mitgebracht, was du mir versprochen hast?" Er schwieg still, aber der Sohn fragte:
"Was willst du hier?" Da sagte das schwarze Männchen: "Ich habe mit deinem
Vater zu sprechen und nicht mir dir." Der Sohn antwortete: "Du hast meinen Vater
betrogen und verführt, gib die Handschrift heraus."
"Nein", sagte das schwarze Männchen, "mein Recht geb ich nicht
auf." Da redeten sie noch lange miteinander, endlich wurden sie einig, der Sohn weil
er nicht dem Erbfeind und nicht mehr seinem Vater zugehörte, sollte sich in ein
Schiffchen setzen, das auf einem hinabwärtsfliessenden Wasser stände, und der Vater
sollte es mit seinem eigenen Fuss fortstossen, und dann sollte der Sohn dem Wasser
überlassen bleiben. Da nahm er Abschied von seinem Vater, setzte sich in ein Schiffchen,
und der Vater musste es mit seinem eigenen Fuss fortstossen. Das Schiffchen schlug um, so
dass der unterste Teil oben war, die Decke aber im Wasser; und der Vater glaubte, sein
Sohn wäre verloren, ging heim und trauerte um ihn.
Das Schiffchen aber versank nicht, sondern floss ruhig fort, und der Jüngling sass
sicher darin, und floss es lange, bis es endlich an einem unbekannten Ufer festsitzen
blieb. Da stieg er ans Land, sah ein schönes Schloss vor sich liegen und ging darauf los.
Wie er aber hineintrat, war es verwünscht: er ging durch alle Zimmer, aber sie waren
leer, bis er in die letzte Kammer kam, da lag eine Schlange darin und ringelte sich. Die
Schlange aber war eine verwünschte Jungfrau, die freute sich, wie sie ihn sah, und sprach
zu ihm: "Kommst du, mein Erlöser? auf dich habe ich schon zwölf Jahre gewartet;
dies Reich ist verwünscht, und du musst es erlösen."
"Wie kann ich das?" fragte er. "Heute nacht kommen zwölf schwarze
Männer, die mit Ketten behangen sind, die werden dich fragen, was du hier machst, da
schweig still und gib ihnen keine Antwort, und lass sie mit dir machen, was sie wollen:
sie werden dich quälen, schlagen und stechen, lass alles geschehen, nur rede nicht; um
zwölf Uhr müssen sie wieder fort. Und in der zweiten Nacht werden wieder zwölf andere
kommen, in der dritten vierundzwanzig, die werden dir den Kopf abhauen: aber um zwölf Uhr
ist ihre Macht vorbei, und wenn du dann ausgehalten und kein Wörtchen gesprochen hast, so
bin ich erlöst. Ich komme zu dir, und habe in einer Flasche das Wasser des Lebens, damit
bestreiche ich dich, und dann bist du wieder lebendig und gesund wie zuvor." Da
sprach er: "Gerne will ich dich erlösen." Es geschah nun alles so, wie sie
gesagt hatte: die schwarzen Männer konnten ihm kein Wort abzwingen, und in der dritten
Nacht ward die Schlange zu einer schönen Königstochter, die kam mit dem Wasser des
Lebens und machte ihn wieder lebendig. Und dann fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn,
und war Jubel und Freude im ganzen Schloss. Da wurde ihre Hochzeit gehalten, und er war
König vom goldenen Berge. Also lebten sie vergnügt zusammen, und die Königin gebar
einen schönen Knaben.
Acht Jahre waren schon herum, da fiel ihm sein Vater ein, und sein Herz ward bewegt,
und er wünschte, ihn einmal heimzusuchen. Die Königin wollte ihn aber nicht fortlassen
und sagte: "Ich weiss schon, dass es mein Unglück ist", er liess ihr aber keine
Ruhe, bis sie einwilligte. Beim Abschied gab sie ihm noch einen Wünschring und sprach:
"Nimm diesen Ring und steck ihn an deinen Finger, so wirst du alsbald dahin versetzt,
wo du dich hinwünschest, nur musst du mir versprechen, dass du ihn nicht gebrauchst, mich
von hier weg zu deinem Vater zu wünschen." Er versprach ihr das, steckte den Ring an
seinen Finger und wünschte sich heim vor die Stadt, wo sein Vater lebte.
Im Augenblick befand er sich auch dort und wollte in die Stadt; wie er aber vors Tor
kam, wollten ihn die Schildwachen nicht einlassen, weil er seltsame und doch so reiche und
prächtige Kleider an hatte. Da ging er auf einen Berg, wo ein Schäfer hütete, tauschte
mit diesem die Kleider und zog den alten Schäferrock an und ging also ungestört in die
Stadt ein. Als er zu seinem Vater kam, gab er sich zu erkennen, der aber glaubte
nimmermehr, dass es sein Sohn wäre, und sagte, er hätte zwar einen Sohn gehabt, der
wäre aber längst tot; doch weil er sähe, dass er ein armer dürftiger Schäfer wäre,
so wollte er ihm einen Teller voll zu essen geben. Da sprach der Schäfer zu seinen
Eltern: "Ich bin wahrhaftig euer Sohn, wisst ihr kein Mal an meinem Leibe, woran ihr
mich erkennen könnt?"
"Ja", sagte die Mutter, "unser Sohn hatte eine Himbeere unter dem
rechten Arm." Er streifte das Hemd zurück, da sahen sie die Himbeere unter seinem
rechten Arm und zweifelten nicht mehr, dass es ihr Sohn wäre. Darauf erzählte er ihnen,
er wäre König vom goldenen Berge, und eine Königstochter wäre seine Gemahlin, und sie
hätten einen schönen Sohn von sieben Jahren. Da sprach der Vater: "Nun und
nimmermehr ist das wahr: das ist mir ein schöner König, der in einem zerlumpten
Schäferrock hergeht." Da ward der Sohn zornig und drehte, ohne an sein Versprechen
zu denken, den Ring herum und wünschte beide, seine Gemahlin und sein Kind, zu sich. In
dem Augenblick waren sie auch da, aber die Königin, die klagte und weinte, und sagte, er
hätte sein Wort gebrochen und hätte sie unglücklich gemacht. Er sagte: "Ich habe
es unachtsam getan und nicht mit bösem Willen", und redete ihr zu; sie stellte sich
auch, als gäbe sie nach, aber sie hatte Böses im Sinn.
Da führte er sie hinaus vor die Stadt auf den Acker und zeigte ihr das Wasser, wo das
Schiffchen war abgestossen worden, und sprach dann: "Ich bin müde, setze dich
nieder, ich will ein wenig auf deinem Schoss schlafen." Da legte er seinen Kopf auf
ihren Schoss und sie lauste ihn ein wenig, bis er einschlief. Als er eingeschlafen war,
zog sie erst den Ring von seinem Finger, dann zog sie den Fuss unter ihm weg und liess nur
den Toffel zurück; hierauf nahm sie ihr Kind in den Arm und wünschte sich wieder in ihr
Königreich.
Als er erwachte, lag er da ganz verlassen, und seine Gemahlin und das Kind waren fort
und der Ring vom Finger auch, nur der Toffel stand noch da zum Wahrzeichen. "Nach
Haus zu deinen Eltern kannst du nicht wieder gehen", dachte er, "die würden
sagen, du wärst ein Hexenmeister, du willst aufpacken und gehen, bis du in dein
Königreich kommst."
Also ging er fort und kam endlich zu einem Berg, vor dem drei Riesen standen und
miteinander stritten, weil sie nicht wussten, wie sie ihres Vaters Erbe teilen sollten.
Als sie ihn vorbeigehen sahen, riefen sie ihn an und sagten, kleine Menschen hätten
klugen Sinn, er sollte ihnen die Erbschaft verteilen. Die Erbschaft aber bestand aus einem
Degen, wenn einer den in die Hand nahm und sprach: "Köpfe alle runter, nur meiner
nicht", so lagen alle Köpfe auf der Erde; zweitens aus einem Mantel, wer den anzog,
war unsichtbar; drittens aus ein Paar Stiefeln, wenn man die angezogen hatte und sich
wohin wünschte, so war man im Augenblick da. Er sagte: "Gebt nur die drei Stücke,
damit ich probieren könnte, ob sie noch in gutem Stande sind." Da gaben sie ihm den
Mantel, und als er ihn umgehängt hatte, war er unsichtbar und war in eine Fliege
verwandelt. Dann nahm er wieder seine Gestalt an und sprach: "Der Mantel ist gut, nun
gebt mir das Schwert." Sie sagten: "Nein, das geben wir nicht! Wenn du
sprächst: "Köpfe alle runter, nur meiner nicht", so wären unsere Köpfe alle
herab und du allein hättest den deinigen noch."
Doch gaben sie es ihm unter der Bedingung, dass ers an einem Baum probieren
sollte. Das tat er, und das Schwert zerschnitt den Stamm eines Baumes wie einen Strohhalm.
Nun wollt er noch die Stiefeln haben, sie sprachen aber: "Nein, die geben wir nicht
weg, wenn du sie angezogen hättest und wünschest dich oben auf den Berg, so stünden wir
da unten und hätten nichts." "Nein", sprach er, "das will ich nicht
tun." Da gaben sie ihm auch die Stiefeln. Wie er nun alle drei Stücke hatte, so
dachte er an nichts als seine Frau und sein Kind und sprach so vor sich hin: "Ach
wäre ich auf dem goldenen Berg", und alsbald verschwand er vor den Augen der Riesen,
und war also ihr Erbe geteilt.
Als er nah beim Schloss war, hörte er Freudengeschrei, Geigen und Flöten, und die
Leute sagten ihm, seine Gemahlin feierte ihre Hochzeit mit einem andern. Da ward er zornig
und sprach: "Die falsche, sie hat mich betrogen und mich verlassen, als ich
eingeschlafen war." Da hing er seinen Mantel um und ging unsichtbar ins Schloss
hinein.
Als er in den Saal eintrat, war da eine grosse Tafel mit köstlichen Speisen besetzt,
und die Gäste assen und tranken, lachten und scherzten. Sie aber sass in der Mitte in
prächtigen Kleidern auf einem königlichen Sessel und hatte die Krone auf dem Haupt. Er
stellte sich hinter sie, und niemand sah ihn. Wenn sie ihr ein Stück Fleisch auf den
Teller legten, nahm er ihn weg und ass es: und wenn sie ihr ein Glas Wein einschenkten,
nahm ers weg und tranks aus; sie gaben ihr immer, und sie hatte doch immer
nichts, denn Teller und Glas verschwanden augenblicklich. Da ward sie bestürzt und
schämte sie sich, stand auf und ging in ihre Kammer und weinte, er aber ging hinter ihr
her. Da sprach sie: "Ist denn der Teufel über mir, oder kam mein Erlöser nie?"
Da schlug er ihr ins Angesicht und sagte: "Kam dein Erlöser nie? Er ist über
dir, du Betrügerin. Habe ich das an dir verdient?" Da machte er sich sichtbar, ging
in den Saal und rief "die Hochzeit ist aus, der wahre König ist gekommen!" Die
Könige, Fürsten und Räte, die da versammelt waren, höhnten und verlachten ihn; er aber
gab kurze Worte und sprach: "Wollt ihr hinaus oder nicht?" Da wollten sie ihn
fangen und drangen auf ihn ein, aber er zog sein Schwert und sprach: "Köpfe alle
runter, nur meiner nicht." Da rollten alle Köpfe zur Erde, und er war allein der
Herr und war wieder König vom goldenen Berge.
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