Die Gänsemagd KHM 89 (1857)
Märchentyp AT: 533
Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und
sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen
Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollten und das
Kind in das fremde Reich abreisen musste, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät
und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem
königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie
ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams
überliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter
hiess Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich
die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre
Finger, dass sie bluteten; darauf hielt sie ein weisses Läppchen unter und liess drei
Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: "Liebes Kind, verwahre sie
wohl, sie werden dir unterwegs not tun."
Also nahmen beide voneinander betrübten Abschied; das Läppchen steckte die
Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem
Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heissen Durst und sprach zu
ihrer Kammerjungfer: "Steig ab, und schöpfe mir mit meinem Becher, den du für mich
mitgenommen hast, Wasser aus dem Bache, ich möchte gern einmal trinken."
"Wenn Ihr Durst habt", sprach die Kammerjungfer, "so steigt selber ab,
legt Euch ans Wasser und trinkt, ich mag Eure Magd nicht sein." Da stieg die
Königstochter vor grossem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank,
und durfte nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie: "Ach Gott!" Da
antworteten die drei Blutstropfen: "wenn das deine Mutter wüsste, das Herz tät ihr
zerspringen." Aber die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder zu
Pferd.
So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und
sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluss kamen, rief sie noch einmal
ihrer Kammerjungfer: "Steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken",
denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch
hochmütiger: "Wollt Ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht Eure Magd
sein." Da stieg die Königstochter hernieder vor grossem Durst, legte sich über das
fliessende Wasser, weinte und sprach: "ach Gott!" Und die Blutstropfen
antworteten wiederum: "Wenn das deine Mutter wüsste, das Herz im Leibe tät ihr
zerspringen."
Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei
Tropfen waren, aus dem Busen und floss mit dem Wasser fort, ohne dass sie es in ihrer
grossen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich, dass sie
Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, dass diese die Blutstropfen verloren hatte,
war sie schwach und machtlos geworden.
Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hiess Falada, sagte die
Kammerjungfer: "Auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du"; und das
musste sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten, die
königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich musste sie
sich unter freiem Himmel verschwören, dass sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas
davon sagen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der
Stelle umgebracht worden. Aber Falada sah das alles an und nahms wohl in acht. Die
Kammerjungfer stieg nun auf Falada und die wahre Braut auf das schlechte Ross, und so
zogen sie weiter, bis sie endlich in dem königlichen Schloss eintrafen.
Da war grosse Freude über ihre Ankunft, und der Königssohn sprang ihnen entgegen, hob
die Kammerfrau vom Pferde und meinte, sie wäre seine Gemahlin; sie ward die Treppe
hinaufgeführt, die wahre Königstochter aber musste unten stehen bleiben. Da schaute der
alte König am Fenster und sah sie im Hof halten und sah, wie sie fein war, zart und gar
schön; ging alsbald hin ins königliche Gemach und fragte die Braut nach der, die sie bei
sich hätte und da unten im Hofe stände, und wer sie wäre. "Die hab ich mir
unterwegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was zu arbeiten, dass sie nicht
müssig steht." Aber der alte König hatte keine Arbeit für sie und wusste nichts,
als dass er sagte: "Da hab ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse, dem
mag sie helfen." Der Junge hiess Kürdchen (Konrädchen), dem musste die wahre
Braut helfen Gänse hüten.
Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König: "Liebster Gemahl, ich
bitte Euch, tut mir einen Gefallen." Er antwortete "das will ich gerne
tun." "Nun so lasst den Schinder rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten
bin, den Hals abhauen, weil es mich unterwegs geärgert hat." Eigentlich aber
fürchtete sie, dass das Pferd sprechen möchte, wie sie mit der Königstochter umgegangen
war. Nun war das so weit geraten, dass es geschehen und der treue Falada sterben sollte,
da kam es auch der rechten Königstochter zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich
ein Stück Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen Dienst erwiese.
In der Stadt war ein grosses finsteres Tor, wo sie abends und morgens mit den Gänsen
durch musste, unter das finstere Tor möchte er dem Falada seinen Kopf hinnageln, dass sie
ihn doch noch mehr als einmal sehen könnte." Also versprach das der Schindersknecht
zu tun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Tor fest.
Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Tor hinaustrieben, sprach sie im
Vorbeigehen: "O du Falada, da du hangest", da antwortete der Kopf, "O du
Jungfer Königin, Da du gangest, Wenn das deine Mutter wüsste, Ihr Herz tät ihr
zerspringen."
Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld. Und
wenn sie auf der Wiese angekommen war, sass sie nieder und machte ihre Haare auf, die
waren eitel Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich, wie sie glänzten, und wollte ihr
ein paar ausraufen. Da sprach sie:
"Weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen
und lass'n sich mit jagen,
Bis ich mich geflochten und geschnatzt
Und wieder aufgesatzt."
Und da kam ein so starker Wind, dass er dem Kürdchen sein Hütchen wegwehte über alle
Land, und es musste ihm nachlaufen. Bis es wiederkam, war sie mit dem Kämmen und
Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen. Da war Kürdchen bös und sprach
nicht mit ihr; und so hüteten sie die Gänse, bis dass es Abend ward, dann gingen sie
nach Haus.
Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Tor hinaustrieben, sprach die Jungfrau:
"O du Falada, da du hangest", Falada antwortete: "O du Jungfer Königin, Da
du gangest, Wenn das deine Mutter wüsste, Ihr Herz tät ihr zerspringen."
Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fing an ihr Haar auszukämmen,
und Kürdchen lief und wollte danach greifen, da sprach sie schnell:
"Weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen
und lass'n sich mit jagen,
Bis ich mich geflochten und geschnatzt
Und wieder aufgesatzt."
Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf weit weg, dass Kürdchen
nachlaufen musste; und als es wiederkam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es konnte
keins davon erwischen; und so hüteten sie die Gänse, bis es Abend ward. Abends aber,
nachdem sie heim gekommen waren, ging Kürdchen vor den alten König und sagte: "Mit
dem Mädchen will ich nicht länger Gänse hüten."
"Warum denn?" fragte der alte König. "Ei, das ärgert mich den ganzen
Tag." Da befahl ihm der alte König zu erzählen, wies ihm denn mit ihr ginge. Da
sagte Kürdchen: "Morgens, wenn wir unter dem finsteren Tor mit der Herde
durchkommen, so ist da ein Gaulskopf an der Wand, zu dem redet sie: "Falada, da du
hangest". Da antwortet der Kopf: "O du Königsjungfer, Da du gangest, Wwenn das
deine Mutter wüsste, Das Herz tät ihr zerspringen." Und so erzählte Kürdchen
weiter, was auf der Gänsewiese geschähe, und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen
müsste.
Der alte König befahl ihm, den nächsten Tag wieder hinauszutreiben, und er selbst,
wie es Morgen war, setzte sich hinter das finstere Tor und hörte da, wie sie mit dem
Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem
Busch auf der Wiese. Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd und
der Gänsejunge die Herde getrieben brachte, und wie nach einer Weile sie sich setzte und
ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder:
"Weh, weh, Windchen,
nimm Kürdchen sein Hütchen
und lass'n sich mit jagen,
Bis ich mich geflochten und geschnatzt
Und wieder aufgesatzt."
Da kam ein Windstoss und fuhr mit Kürdchens Hut weg, dass es weit zu laufen hatte, und
die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles
beobachtete.
Darauf ging er unbemerkt zurück, und als abends die Gänsemagd heim kam, rief er sie
beiseite und fragte, warum sie dem allem so täte. "Das darf ich Euch nicht sagen,
und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab ich mich unter freiem Himmel
verschworen, weil ich sonst um mein Leben gekommen wäre." Er drang in sie und liess
ihr keinen Frieden, aber er konnte nichts aus ihr herausbringen. Da sprach er: "Wenn
du mirs nicht sagen willst, so klag dem Eisenofen da dein Leid", und ging fort.
Da kroch sie in den Eisenofen, fing an zu jammern und zu weinen, schüttete ihr Herz
aus und sprach: "Da sitze ich nun von aller Welt verlassen, und bin doch eine
Königstochter, und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahingebracht, dass ich
meine königlichen Kleider habe ablegen müssen, und hat meinen Platz bei meinem
Bräutigam eingenommen, und ich muss als Gänsemagd gemeine Dienste tun. Wenn das meine
Mutter wüsste, das Herz im Leib tät ihr zerspringen." Der alte König stand aber
aussen an der Ofenröhre, lauerte ihr zu und hörte, was sie sprach. Da kam er wieder
herein und hiess sie aus dem Ofen gehen. Da wurden ihr königliche Kleider angetan, und es
schien ein Wunder, wie sie so schön war.
Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm, dass er die falsche Braut hätte:
die wäre bloss ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier, als die gewesene
Gänsemagd. Der junge König war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte,
und ein grosses Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden.
Obenan sass der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur
anderen, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem
glänzenden Schmuck.
Als sie nun gegessen und getrunken hatten und guten Mutes waren, gab der alte König
der Kammerfrau ein Rätsel auf, was eine solche wert wäre, die den Herrn so und so
betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte: "Welches Urteil ist
diese würdig?" Da sprach die falsche Braut: "Die ist nichts Besseres wert, als
dass sie splitternackt ausgezogen und in ein Fass gesteckt wird, das inwendig mit spitzen
Nägeln beschlagen ist; und zwei weisse Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse
auf, Gasse ab zu Tode schleifen." "Das bist du", sprach der alte König,
"und hast dein eigen Urteil gefunden, und danach soll dir widerfahren." Und als
das Urteil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit seiner rechten Gemahlin,
und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.
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