Die Goldkinder KHM 85 (1857)
Märchentyp AT: 303, 315, 555
Es war einarmer Mann und eine arme Frau, die hatten nichts als eine kleine Hütte und
nährten sich vom Fischfang, und es ging bei ihnen von Hand zu Mund.
Es geschah aber, als der Mann eines Tages beim Wasser sass und sein Netz auswarf, dass
er einen Fisch herauszog, der ganz golden war. Und als er den Fisch voll Verwunderung
betrachtete, hub dieser an zu reden und sprach: "Hör, Fischer, wirfst du mich wieder
hinab ins Wasser, so mach ich deine kleine Hütte zu einem prächtigen Schloss." Da
antwortete der Fischer: "Was hilft mir ein Schloss, wenn ich nichts zu essen
habe?" Sprach der Goldfisch weiter: "Auch dafür soll gesorgt sein, es wird ein
Schrank im Schloss sein, wenn du den aufschliessest, so stehen Schüsseln darin mit den
schönsten Speisen, soviel du dir wünschest."
"Wenn das ist", sprach der Mann, "so kann ich dir wohl den Gefallen
tun." "Ja", sagte der Fisch, "es ist aber die Bedingung dabei, dass du
keinem Menschen auf der Welt, wer es auch immer sein mag, entdeckst, woher dein Glück
gekommen ist; sprichst du ein einziges Wort, so ist alles vorbei." Nun warf der Mann
den wunderbaren Fisch wieder ins Wasser und ging heim.
Wo aber sonst seine Hütte gestanden hatte, da stand jetzt ein grosses Schloss. Da
machte er ein paar Augen, trat hinein und sah seine Frau, mit schönen Kleidern geputzt,
in einer prächtigen Stube sitzen. Sie war ganz vergnügt und sprach: "Mann, wie ist
das auf einmal gekommen? Das gefällt mir wohl." "Ja", sagte der Mann,
"es gefällt mir auch, aber es hungert mich auch gewaltig, gibt mir erst was zu
essen." Sprach die Frau: "Ich habe nichts und weiss in dem neuen Haus nichts zu
finden."
"Das hat keine Not", sagte der Mann, "dort sehe ich einen grossen
Schrank, den schliess einmal auf." Wie sie den Schrank aufschloss, stand da Kuchen,
Fleisch, Obst, Wein, und lachte einen ordentlich an. Da rief die Frau voll Freude:
"Herz, was begehrst du nun?" Und sie setzten sich nieder, assen und tranken
zusammen. Wie sie satt waren, fragte die Frau: "Aber, Mann, wo kommt all dieser
Reichtum her?" "Ach", antwortete er, "frage mich nicht darum, ich darf
dirs nicht sagen, wenn ichs jemand entdecke, so ist unser Glück wieder
dahin." "Gut", sprach sie "wenn ichs nicht wissen soll, so
begehr ichs auch nicht zu wissen." Das war aber ihr Ernst nicht, es liess ihr
keine Ruhe Tag und Nacht, und sie quälte und stachelte den Mann so lang, bis er in der
Ungeduld heraussagte, es käme alles von einem wunderbaren goldenen Fisch, den er gefangen
und dafür wieder in Freiheit gelassen hätte.
Und wies heraus war, da verschwand alsbald das schöne Schloss mit dem Schrank, und sie
sassen wieder in der alten Fischerhütte. Der Mann musste wieder von vornen anfangen,
seinem Gewerbe nachgehen und fischen.
Das Glück wollte es aber, dass er den goldenen Fisch noch einmal herauszog.
"Hör", sprach der Fisch, "wenn du mich wieder ins Wasser wirfst, so will
ich dir noch einmal das Schloss mit dem Schrank voll Gesottenem und Gebratenem
zurückgeben; nur halt dich fest und verrat beileibe nicht, von wem dus hast, sonst
gehts wieder verloren." "Ich will mich schon hüten", antwortete der
Fischer und warf den Fisch in sein Wasser hinab.
Daheim war nun alles wieder in voriger Herrlichkeit, und die Frau war in einer Freude
über das Glück; aber die Neugierde liess ihr doch keine Ruhe, dass sie nach ein paar
Tagen wieder zu fragen anhub, wie es zugegangen wäre, und wie er es angefangen habe. Der
Mann schwieg eine Zeitlang still dazu, endlich aber machte sie ihn so ärgerlich, dass er
herausplatzte und das Geheimnis verriet. In dem Augenblick verschwand das Schloss, und sie
sassen wieder in der alten Hütte. "Nun hast dus", sagte der Mann,
"jetzt können wir wieder am Hungertuch nagen." "Ach", sprach die Frau
"ich will den Reichtum lieber nicht, wenn ich nicht weiss, von wem er kommt; sonst
habe ich doch keine Ruhe."
Der Mann ging wieder fischen, und über eine Zeit, so wars nicht anders, er holte
den Goldfisch zum drittenmal heraus. "Hör", sprach der Fisch, "ich sehe
wohl, ich soll immer wieder in deine Hände fallen, nimm mich mit nach Haus und zerschneid
mich in sechs Stücke, zwei davon gib deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd, und zwei
leg in die Erde, so wirst du Segen davon haben."
Der Mann nahm den Fisch mit nach Haus und tat, wie er ihm gesagt hatte. Es geschah
aber, dass aus den zwei Stücken, die in die Erde gelegt waren, zwei goldene Lilien
aufwuchsen, und dass das Pferd zwei goldene Füllen bekam, und des Fischers Frau zwei
Kinder gebar, die ganz golden waren.
Die Kinder wuchsen heran, wurden gross und schön, und die Lilien und Pferde wuchsen
mit ihnen. Da sprachen sie: "Vater, wir wollen uns auf unsere goldenen Rosse setzen
und in die Welt ausziehen." Er aber antwortete betrübt: "Wie will ichs
aushalten, wenn ihr fortzieht und ich nicht weiss, wies euch geht?" Da sagten
sie: "Die zwei goldenen Lilien bleiben hier, daran könnt ihr sehen, wies uns
geht: sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, so sind wir krank; fallen sie
um, so sind wir tot."
Sie ritten fort und kamen in ein Wirtshaus, darin waren viele Leute, und als sie die
zwei Goldkinder erblickten, fingen sie an zu lachen und zu spotten. Wie der eine das
Gespött hörte, so schämte er sich, wollte nicht in die Welt, kehrte um und kam wieder
heim zu seinem Vater.
Der andere aber ritt fort und gelangte zu einem grossen Wald. Und als er hineinreiten
wollte, sprachen die Leute: "Es geht nicht, dass Ihr durchreitet, der Wald ist voll
Räuber, die werden übel mit Euch umgehen, und gar, wenn sie sehen, dass Ihr golden seid
und Euer Pferd auch, so werden sie Euch totschlagen." Er aber liess sich nicht
schrecken und sprach: "Ich muss und soll hindurch." Da nahm er Bärenfelle und
überzog sich und sein Pferd damit, dass nichts mehr vom Gold zu sehen war, und ritt
getrost in den Wald hinein.
Als er ein wenig fortgeritten war, so hörte er es in den Gebüschen rauschen und
vernahm Stimmen, die miteinander sprachen. Von der einen Seite riefs: "Da ist
einer", von der andern aber "lass ihn laufen, das ist ein Bärenhäuter, und arm
und kahl wie eine Kirchenmaus, was sollen wir mit ihm anfangen!" So ritt das Goldkind
glücklich durch den Wald, und geschah ihm kein Leid.
Eines Tages kam er in ein Dorf, darin sah er ein Mädchen, das war so schön, dass er
nicht glaubte, es könnte ein schöneres auf der Welt sein. Und weil er eine so grosse
Liebe zu ihm empfand, so ging er zu ihm und sagte: "Ich habe dich von ganzem Herzen
lieb, willst du meine Frau werden?" Er gefiel aber auch dem Mädchen so sehr, dass es
einwilligte und sprach: "Ja, ich will deine Frau werden und dir treu sein mein
Lebelang."
Nun hielten sie Hochzeit zusammen, und als sie eben in der grössten Freude waren, kam
der Vater der Braut heim, und als er sah, dass seine Tochter Hochzeit machte, verwunderte
er sich und sprach: "Wo ist der Bräutigam?" Sie zeigten ihm das Goldkind, das
hatte aber noch seine Bärenfelle um. Da sprach der Vater zornig: "Nimmermehr soll
ein Bärenhäuter meine Tochter haben", und wollte ihn ermorden. Da bat ihn die
Braut, was sie konnte, und sprach: "Er ist einmal mein Mann, und ich habe ihn von
Herzen lieb", bis er sich endlich besänftigen liess.
Doch aber kams ihm nicht aus den Gedanken, so dass er am andern Morgen früh
aufstand und seiner Tochter Mann sehen wollte, ob er ein gemeiner und verlumpter Bettler
wäre. Wie er aber hinblickte, sah er einen herrlichen, goldenen Mann im Bette, und die
abgeworfenen Bärenfelle lagen auf der Erde. Da ging er zurück und dachte: "Wie gut
ists, dass ich meinen Zorn bändigte, ich hätte eine grosse Missetat
begangen."
Dem Goldkind aber träumte, er zöge hinaus auf die Jagd nach einem prächtigen Hirsch,
und als er am Morgen erwachte, sprach er zu seiner Braut: "Ich will hinaus auf die
Jagd." Ihr war angst, und sie bat ihn dazubleiben und sagte: "Leicht kann dir
ein grosses Unglück begegnen", aber er antwortete: "Ich soll und muss
fort." Da stand er auf und zog hinaus in den Wald, und gar nicht lange, so hielt auch
ein stolzer Hirsch vor ihm, ganz nach seinem Traume. Er legte an und wollte schiessen,
aber der Hirsch sprang fort. Da jagte er ihm nach, über Graben und durch Gebüsche, und
ward nicht müde, den ganzen Tag; am Abend aber verschwand der Hirsch vor seinen Augen.
Und als das Goldkind sich umsah, so stand er vor einem kleinen Haus, darin sass eine Hexe.
Er klopfte an, und ein Mütterchen kam heraus und fragte: "Was wollt Ihr so spät
noch mitten in dem grossen Wald?" Er sprach: "Habt Ihr keinen Hirsch
gesehen?"
"Ja", antwortete sie, "den Hirsch kenn ich wohl", und ein
Hündlein, das mit ihr aus dem Haus gekommen war, bellte dabei den Mann heftig an.
"Willst du schweigen, du böse Kröte", sprach er, "sonst schiess ich dich
tot." Da rief die Hexe zornig: "Was, mein Hündchen willst du töten!" und
verwandelte ihn alsbald, dass er dalag wie ein Stein, und seine Braut erwartete ihn
umsonst und dachte: "Es ist gewiss eingetroffen, was mir so angst machte und so
schwer auf dem Herzen lag."
Daheim aber stand der andere Bruder bei den Goldlilien, als plötzlich eine davon
umfiel. "Ach Gott", sprach er "meinem Bruder ist ein grosses Unglück
zugestossen, ich muss fort, ob ich ihn vielleicht errette." Da sagte der Vater:
"Bleib hier, wenn ich auch dich verliere, was soll ich anfangen?" Er aber
antwortete: "Ich soll und muss fort."
Da setzte er sich auf sein goldenes Pferd und ritt fort und kam in den grossen Wald, wo
sein Bruder lag und Stein war. Die alte Hexe kam aus ihrem Haus, rief ihn an, und wollte
ihn auch berücken, aber er näherte sich nicht, sondern sprach: "Ich schiesse dich
nieder, wenn du meinen Bruder nicht wieder lebendig machst." Sie rührte, so ungerne
sies auch tat, den Stein mit dem Finger an, und alsbald erhielt er sein menschliches
Leben zurück.
Die beiden Goldkinder aber freuten sich, als sie sich wiedersahen, küssten und herzten
sich, und ritten zusammen fort aus dem Wald, der eine zu seiner Braut, der andere heim zu
seinem Vater. Da sprach der Vater: "Ich wusste wohl, dass du deinen Bruder erlöst
hattest, denn die goldene Lilie ist auf einmal wieder aufgestanden und hat
fortgeblüht." Nun lebten sie vergnügt, und es ging ihnen wohl bis an ihr Ende.
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