Die Wassernixe KHM 79 (1857)
Märchentyp AT: 313A
Ein Brüderchen und ein Schwesterchen spielten an einem Brunnen, und wie sie so
spielten, plumpsten sie beide hinein. Da war unten eine Wassernixe, die sprach:
"Jetzt habe ich euch, jetzt sollt ihr mir brav arbeiten", und führte sie mit
sich fort. Dem Mädchen gab sie verwirrten garstigen Flachs zu spinnen, und es musste
Wasser in ein hohles Fass schleppen, der Junge aber sollte einen Baum mit einer stumpfen
Axt hauen, und nichts zu essen bekamen sie als steinharte Klösse.
Da wurden zuletzt die Kinder so ungeduldig, dass sie warteten, bis eines Sonntags die
Nixe in der Kirche war, da entflohen sie. Und als die Kirche vorbei war, sah die Nixe,
dass die Vögel ausgeflogen waren, und setzte ihnen mit grossen Sprüngen nach. Die Kinder
erblickten sie aber von weitem, und das Mädchen warf eine Bürste hinter sich, das gab
einen grossen Bürstenberg mit tausend und tausend Stacheln, über den die Nixe mit
grosser Müh klettern musste; endlich aber kam sie doch hinüber. Wie das die Kinder
sahen, warf der Knabe einen Kamm hinter sich, das gab einen grossen Kammberg mit
tausendmal tausend Zinken, aber die Nixe wusste sich daran festzuhalten und kam zuletzt
doch drüber.
Da warf das Mädchen einen Spiegel hinterwärts, welches einen Spiegelberg gab, der war
so glatt, so glatt, dass sie unmöglich darüber konnte. Da dachte sie: "Ich will
geschwind nach Haus gehen und meine Axt holen und den Spiegelberg entzweihauen." Bis
sie aber wiederkam und das Glas aufgehauen hatte, waren die Kinder längst weit entflohen,
und die Wassernixe musste sich wieder in ihren Brunnen trollen.
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