Die zwölf Jäger KHM 67 (1857)
Märchentyp AT: 884
Es war einmal ein Königssohn, der hatte eine Braut und hatte sie sehr lieb. Als er nun
bei ihr sass und ganz vergnügt war, da kam die Nachricht, dass sein Vater todkrank läge
und ihn noch vor seinem Ende zu sehen verlangte. Da sprach er zu seiner Liebsten:
"Ich muss nun fort und muss dich verlassen, da geb ich dir einen Ring zu meinem
Andenken. Wann ich König bin, komm ich wieder und hol dich heim." Da ritt er fort,
und als er bei seinem Vater anlangte, war dieser sterbenskrank und dem Tode nah. Er sprach
zu ihm: "Liebster Sohn, ich habe dich vor meinem Ende noch einmal sehen wollen,
versprich mir, nach meinem Willen dich zu verheiraten", und nannte ihm eine gewisse
Königstochter, die sollte seine Gemahlin werden. Der Sohn war so betrübt, dass er sich
gar nicht bedachte, sondern sprach: "Ja, lieber Vater, was Euer Wille ist, soll
geschehen", und darauf schloss der König die Augen und starb.
Als nun der Sohn zum König ausgerufen und die Trauerzeit verflossen war, musste er das
Versprechen halten, das er seinem Vater gegeben hatte, und liess um die Königstochter
werben, und sie ward ihm auch zugesagt. Das hörte seine erste Braut und grämte sich
über die Untreue so sehr, dass sie fast verging. Da sprach ihr Vater zu ihr:
"Liebstes Kind, warum bist du so traurig? Was du dir wünschest, das sollst du
haben." Sie bedachte sich einen Augenblick, dann sprach sie: "Lieber Vater, ich
wünsche mir elf Mädchen, von Angesicht, Gestalt und Wuchs mir völlig gleich."
Sprach der König: "Wenns möglich ist, soll dein Wunsch erfüllt werden",
und liess in seinem ganzen Reich so lange suchen, bis elf Jungfrauen gefunden waren,
seiner Tochter von Angesicht, Gestalt und Wuchs völlig gleich.
Als sie zu der Königstochter kamen, liess diese zwölf Jägerkleider machen, eins wie
das andere, und die elf Jungfrauen mussten die Jägerkleider anziehen, und sie selber zog
das zwölfte an. Darauf nahm sie Abschied von ihrem Vater und ritt mit ihnen fort und ritt
an den Hof ihres ehemaligen Bräutigams, den sie so sehr liebte.
Da fragte sie an, ob er Jäger brauchte, und ob er sie nicht alle zusammen in seinen
Dienst nehmen wollte. Der König sah sie an und erkannte sie nicht; weil es aber so
schöne Leute waren, sprach er ja, er wollte sie gerne nehmen; und da waren sie die zwölf
Jäger des Königs. Der König aber hatte einen Löwen, das war ein wunderliches Tier,
denn er wusste alles Verborgene und Heimliche. Es trug sich zu, dass er eines Abends zum
König sprach: "Du meinst, du hättest da zwölf Jäger?"
"Ja", sagte der König, "zwölf Jäger sinds." Sprach der
Löwe weiter: "Du irrst dich, das sind zwölf Mädchen." Antwortete der König:
"Das ist nimmermehr wahr, wie willst du mir das beweisen?"
"O, lass nur Erbsen in dein Vorzimmer streuen", antwortete der Löwe,
"da wirst dus gleich sehen. Männer haben einen festen Tritt, wenn die über
Erbsen hingehen, regt sich keine, aber Mädchen, die trippeln und trappeln und schlurfeln,
und die Erbsen rollen." Dem König gefiel der Rat wohl, und er liess die Erbsen
streuen.
Es war aber ein Diener des Königs, der war den Jägern gut, und wie er hörte, dass
sie sollten auf die Probe gestellt werden, ging er hin und erzählte ihnen alles wieder
und sprach: "Der Löwe will dem König weismachen, ihr wärt Mädchen." Da
dankte ihm die Königstochter und sprach hernach zu ihren Jungfrauen: "Tut euch
Gewalt an und tretet fest auf die Erbsen."
Als nun der König am andern Morgen die zwölf Jäger zu sich rufen liess, und sie ins
Vorzimmer kamen, wo die Erbsen lagen, so traten sie so fest darauf und hatten einen so
sichern starken Gang, dass auch nicht eine rollte oder sich bewegte. Da gingen sie wieder
fort, und der König sprach zum Löwen: "Du hast mich belogen, sie gehen ja wie
Männer."
Antwortete der Löwe: "Sie habens gewusst, dass sie sollten auf die Probe
gestellt werden, und haben sich Gewalt angetan. Lass nur einmal zwölf Spinnräder ins
Vorzimmer bringen, so werden sie herzukommen und werden sich daran freuen, und das tut
kein Mann." Dem König gefiel der Rat, und er liess die Spinnräder ins Vorzimmer
stellen.
Der Diener aber, ders redlich mit den Jägern meinte, ging hin und entdeckte
ihnen den Anschlag. Da sprach die Königstochter, als sie allein waren, zu ihren elf
Mädchen: "Tut euch Gewalt an und blickt euch nicht um nach den Spinnrädern."
Wie nun der König am andere Morgen seine zwölf Jäger rufen liess, so kamen sie durch
das Vorzimmer und sahen die Spinnräder gar nicht an. Da sprach der König wiederum zum
Löwen: "Du hast mich belogen, es sind Männer, denn sie haben die Spinnräder nicht
angesehen." Der Löwe antwortete: "Sie habens gewusst, dass sie sollten auf die
Probe gestellt werden, und haben sich Gewalt angetan." Der König aber wollte dem
Löwen nicht mehr glauben.
Die zwölf Jäger folgten dem König beständig zur Jagd, und er hatte sie je länger
je lieber. Nun geschah es, dass, als sie einmal auf der Jagd waren, Nachricht kam, die
Braut des Königs wäre im Anzug. Wie die rechte Braut das hörte, tats ihr so weh,
dass es ihr fast das Herz abstiess, und sie ohnmächtig auf die Erde fiel. Der König
meinte, seinem lieben Jäger sei etwas begegnet, lief hinzu und wollte ihm helfen, und zog
ihm den Handschuh aus. Da anblickte er den Ring, den er seiner ersten Braut gegeben, und
als er ihr in das Gesicht sah, erkannte er sie. Da ward sein Herz so gerührt, dass er sie
küsste, und als sie die Augen aufschlug, sprach er: "Du bist mein und ich bin dein,
und kein Mensch auf der Welt kann das ändern."
Zu der andern Braut aber schickte er einen Boten und liess sie bitten, in ihr Reich
zurückzukehren, denn er habe schon eine Gemahlin, und wer einen alten Schlüssel
wiedergefunden habe, brauche den neuen nicht. Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und der
Löwe kam wieder in Gnade, weil er doch die Wahrheit gesagt hatte.
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