Allerleirauh KHM 65 (1857)
Märchentyp AT: 510A, 510B, 722*
Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit goldenen Haaren, und sie war so
schön, dass sich ihresgleichen nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, dass sie krank lag,
und als sie fühlte, dass sie bald sterben würde, rief sie den König und sprach:
"Wenn du nach meinem Tode dich wieder vermählen willst, so nimm keine, die nicht
ebenso schön ist, als ich bin, und die nicht solche goldene Haare hat, wie ich habe; das
musst du mir versprechen." Nachdem es ihr der König versprochen hatte, tat sie die
Augen zu und starb.
Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte nicht daran, eine zweite Frau zu
nehmen. Endlich sprachen seine Räte: "Es geht nicht anders, der König muss sich
wieder vermählen, damit wir eine Königin haben." Nun wurden Boten weit und breit
umhergeschickt, eine Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz
gleichkäme. Es war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch
gefunden hätte, so war doch keine da, die solche goldene Haare gehabt hätte. Also kamen
die Boten unverrichteter Sache wieder heim.
Nun hatte der König eine Tochter, die war gerade so schön wie ihre verstorbene
Mutter, und hatte auch solche goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der
König einmal an und sah, dass sie in allem seiner verstorbenen Gemahlin ähnlich war, und
fühlte plötzlich eine heftige Liebe zu ihr. Da sprach er zu seinen Räten: "Ich
will meine Tochter heiraten, denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Frau, und sonst
kann ich doch keine Braut finden, die ihr gleicht."
Als die Räte das hörten, erschraken sie und sprachen: "Gott hat verboten, dass
der Vater seine Tochter heirate, aus der Sünde kann nichts Gutes entspringen, und das
Reich wird mit ins Verderben gezogen." Die Tochter erschrak noch mehr, als sie den
Entschluss ihres Vaters vernahm, hoffte aber, ihn von seinem Vorhaben noch abzubringen. Da
sagte sie zu ihm: "Eh ich Euren Wunsch erfülle, muss ich erst drei Kleider haben,
eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die
Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und Rauhwerk
zusammengesetzt, und ein jedes Tier in Eurem Reich muss ein Stück von seiner Haut
dazugeben." Sie dachte aber "das anzuschaffen ist ganz unmöglich, und ich
bringe damit meinen Vater von seinen bösen Gedanken ab."
Der König liess aber nicht ab, und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche
mussten die drei Kleider weben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der
Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; und seine Jäger mussten alle Tiere im ganzen
Reiche auffangen und ihnen ein Stück von ihrer Haut abziehen; daraus ward ein Mantel von
tausenderlei Rauhwerk gemacht. Endlich, als alles fertig war, liess der König den Mantel
herbeiholen, breitete ihn vor ihr aus und sprach: "Morgen soll die Hochzeit
sein."
Als nun die Königstochter sah, dass keine Hoffnung mehr war, ihres Vaters Herz
umzuwenden, so fasste sie den Entschluss zu entfliehen. In der Nacht, während alles
schlief, stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen goldenen Ring,
ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes Haspelchen; die drei Kleider von Sonne, Mond
und Sternen tat sie in eine Nussschale, zog den Mantel von allerlei Rauhwerk an und machte
sich Gesicht und Hände mit Russ schwarz. Dann befahl sie sich Gott und ging fort, und
ging die ganze Nacht, bis sie in einen grossen Wald kam. Und weil sie müde war, setzte
sie sich in einen hohlen Baum und schlief ein.
Die Sonne ging auf, und sie schlief fort und schlief noch immer, als es schon hoher Tag
war. Da trug es sich zu, dass der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine
Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings herum und bellten. Sprach der
König zu den Jägern: "Seht doch, was dort für ein Wild sich versteckt hat."
Die Jäger folgten dem Befehl, und als sie wiederkamen, sprachen sie: "In dem hohlen
Baum liegt ein wunderliches Tier, wie wir noch niemals eins gesehen haben: an seiner Haut
ist tausenderlei Pelz; es liegt aber und schläft."
Sprach der König: "Seht zu, ob ihrs lebendig fangen könnt, dann
bindets auf den Wagen und nehmts mit." Als die Jäger das Mädchen
anfassten, erwachte es voll Schrecken und rief ihnen zu: "Ich bin ein armes Kind, von
Vater und Mutter verlassen, erbarmt euch mein und nehmt mich mit." Da sprachen sie:
"Allerleirauh, du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst du die
Asche zusammenkehren." Also setzten sie es auf den Wagen und fuhren heim in das
königliche Schloss. Dort wiesen sie ihm ein Ställchen an unter der Treppe, wo kein
Tageslicht hinkam, und sagten: "Rauhtierchen, da kannst du wohnen und schlafen."
Dann ward es in die Küche geschickt, da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer,
rupfte das Federvieh, belas das Gemüs, kehrte die Asche und tat alle schlechte Arbeit. Da
lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie
solls mit dir noch werden!
Es geschah aber einmal, dass ein Fest im Schloss gefeiert ward, da sprach sie zum Koch:
"Darf ich ein wenig hinaufgehen und zusehen? Ich will mich aussen vor die Türe
stellen." Antwortete der Koch: "Ja, geh nur hin, aber in einer halben Stunde
musst du wieder hier sein und die Asche zusammentragen." Da nahm sie ihr
Öllämpchen, ging in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch sich den Russ von dem
Gesicht und den Händen ab, so dass ihre volle Schönheit wieder an den Tag kam. Dann
machte sie die Nuss auf und holte ihr Kleid hervor, das wie die Sonne glänzte. Und wie
das geschehen war, ging sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Weg, denn niemand
kannte sie, und meinten nicht anders, als dass es eine Königstochter wäre.
Der König aber kam ihr entgegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr, und dachte
in seinem Herzen: "So schön haben meine Augen noch keine gesehen." Als der Tanz
zu Ende war, verneigte sie sich, und wie sich der König umsah, war sie verschwunden, und
niemand wusste, wohin. Die Wächter, die vor dem Schlosse standen, wurden gerufen und
ausgefragt, aber niemand hatte sie erblickt.
Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen, hatte geschwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht
und Hände schwarz gemacht und den Pelzmantel umgetan, und war wieder Allerleirauh. Als
sie nun in die Küche kam und an ihre Arbeit gehen und die Asche zusammenkehren wollte,
sprach der Koch: "Lass das gut sein bis morgen und koche mir da die Suppe für den
König, ich will auch einmal ein bisschen oben zugucken; aber lass mir kein Haar
hineinfallen, sonst kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen." Da ging der Koch
fort, und Allerleirauh kochte die Suppe für den König, und kochte eine Brotsuppe, so gut
es konnte, und wie sie fertig war, holte es in dem Ställchen seinen goldenen Ring und
legte ihn in die Schüssel, in welche die Suppe angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende
war, liess sich der König die Suppe bringen und ass sie, und sie schmeckte ihm so gut,
dass er meinte, niemals eine bessere Suppe gegessen zu haben. Wie er aber auf den Grund
kam, sah er da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen, wie er dahin geraten
war. Da befahl er, der Koch sollte vor ihn kommen. Der Koch erschrak, wie er den Befehl
hörte, und sprach zu Allerleirauh: "Gewiss hast du ein Haar in die Suppe fallen
lassen; wenns wahr ist, so kriegst du Schläge." Als er vor den König kam, fragte
dieser, wer die Suppe gekocht hätte. Antwortete der Koch: "Ich habe sie
gekocht." Der König aber sprach "das ist nicht wahr, denn sie war auf andere
Art und viel besser gekocht als sonst." Antwortete er: "Ich muss es gestehen,
dass ich sie nicht gekocht habe, sondern das Rauhtierchen." Sprach der König:
"Geh und lass es heraufkommen." Als Allerleirauh kam, fragte der König:
"Wer bist du?"
"Ich bin ein armes Kind, das keinen Vater und Mutter mehr hat." Fragte er
weiter: "Wozu bist du in meinem Schloss?" Antwortete es "ich bin zu nichts
gut, als dass mir die Stiefeln um den Kopf geworfen werden." Fragte er weiter:
"Wo hast du den Ring her, der in der Suppe war?" Antwortete es: "Von dem
Ring weiss ich nichts." Also konnte der König nichts erfahren und musste es wieder
fortschicken.
Über eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerleirauh den Koch wie vorigesmal um
Erlaubnis, zusehen zu dürfen. Antwortete er: "Ja, aber komm in einer halben Stunde
wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er so gerne isst." Da lief es in sein
Ställchen, wusch sich geschwind und nahm aus der Nuss das Kleid, das so silbern war wie
der Mond, und tat es an. Dann ging es hinauf, und glich einer Königstochter; und der
König trat ihr entgegen und freute sich, dass er sie wiedersah, und weil eben der Tanz
anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder so
schnell, dass der König nicht bemerken konnte, wo sie hinging. Sie sprang aber in ihr
Ställchen, und machte sich wieder zum Rauhtierchen, und ging in die Küche, die Brotsuppe
zu kochen. Als der Koch oben war, holte es das goldene Spinnrad und tat es in die
Schüssel, so dass die Suppe darüber angerichtet wurde.
Danach ward sie dem König gebracht, der ass sie, und sie schmeckte ihm so gut wie das
vorigemal, und liess den Koch kommen, der musste auch diesmal gestehen, dass Allerleirauh
die Suppe gekocht hätte.
Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie antwortete, dass sie nur dazu da
wäre, dass ihr die Stiefeln an den Kopf geworfen würden und dass sie von dem goldenen
Spinnrädchen gar nichts wüsste.
Als der König zum drittenmal ein Fest anstellte, da ging es nicht anders als die
vorige[n] Male. Der Koch sprach zwar: "Du bist eine Hexe, Rauhtierchen, und tust
immer etwas in die Suppe, davon sie so gut wird, und dem König besser schmeckt, als was
ich koche;" doch weil es so bat, so liess er es auf die bestimmte Zeit hingehen.
Nun zog es ein Kleid an, das wie die Sterne glänzte, und trat damit in den Saal. Der
König tanzte wieder mit der schönen Jungfrau und meinte, dass sie noch niemals so schön
gewesen wäre. Und während er tanzte, steckte er ihr, ohne dass sie es merkte, einen
goldenen Ring an den Finger, und hatte befohlen, dass der Tanz recht lang währen sollte.
Wie er zu Ende war, wollte er sie an den Händen festhalten, aber sie riss sich los und
sprang so geschwind unter die Leute, dass sie vor seinen Augen verschwand. Sie lief, was
sie konnte, in ihr Ställchen unter der Treppe, weil sie aber zu lange und über eine
halbe Stunde geblieben war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, sondern warf
nur den Mantel von Pelz darüber, und in der Eile machte sie sich auch nicht ganz russig,
sondern ein Finger blieb weiss. Allerleirauh lief nun in die Küche, kochte dem König die
Brotsuppe und legte, wie der Koch fort war, den goldenen Haspel hinein. Der König, als er
den Haspel auf dem Grunde fand, liess Allerleirauh rufen: da erblickte er den weissen
Finger und sah den Ring, den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an der
Hand und hielt sie fest, und als sie sich losmachen und fortspringen wollte, tat sich der
Pelzmantel ein wenig auf, und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der König fasste den
Mantel und riss ihn ab. Da kamen die goldenen Haare hervor und sie stand da in voller
Pracht und konnte sich nicht länger verbergen. Und als sie Russ und Asche aus ihrem
Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner, als man noch jemand auf Erden gesehen hatte.
Der König aber sprach: "Du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr
voneinander." Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an
ihren Tod.
top