Die goldene Gans KHM 64 (1857)
Märchentyp AT: 571
Es war ein Mann, der hatte drei Söhne, davon hiess der jüngste der Dummling, und
wurde verachtet und verspottet, und bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt. Es geschah, dass
der älteste in den Wald gehen wollte, Holz hauen, und eh er ging, gab ihm noch seine
Mutter einen schönen feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein mit, damit er nicht Hunger
und Durst erlitte.
Als er in den Wald kam, begegnete ihm ein altes graues Männlein, das bot ihm einen
guten Tag und sprach: "Gib mir doch ein Stück Kuchen aus deiner Tasche, und lass
mich einen Schluck von deinem Wein trinken, ich bin so hungrig und durstig." Der
kluge Sohn aber antwortete: "Geb ich dir meinen Kuchen und meinen Wein, so hab ich
selber nichts, pack dich deiner Wege", liess das Männlein stehen und ging fort.
Als er nun anfing, einen Baum zu behauen, dauerte es nicht lange, so hieb er fehl, und
die Axt fuhr ihm in den Arm, dass er musste heimgehen und sich verbinden lassen. Das war
aber von dem grauen Männchen gekommen.
Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, und die Mutter gab ihm, wie dem ältesten,
einen Eierkuchen und eine Flasche Wein. Dem begegnete gleichfalls das alte graue Männchen
und hielt um ein Stückchen Kuchen und einen Trunk Wein an. Aber der zweite Sohn sprach
auch ganz verständig: "Was ich dir gebe, das geht mir selber ab, pack dich deiner
Wege", liess das Männlein stehen und ging fort. Die Strafe blieb nicht aus, als er
ein paar Hiebe am Baum getan, hieb er sich ins Bein, dass er musste nach Haus getragen
werden.
Da sagt der Dummling: "Vater, lass mich einmal hinausgehen und Holz hauen."
Antwortete der Vater: "Deine Brüder haben sich Schaden dabei getan, lass dich davon,
du verstehst nichts davon." Der Dummling aber bat so lange, bis er endlich sagte:
"Geh nur hin, durch Schaden wirst du klug werden." Die Mutter gab ihm einen
Kuchen, der war mit Wasser in der Asche gebacken, und dazu eine Flasche saures Bier.
Als er in den Wald kam, begegnete ihm gleichfalls das alte graue Männchen, grüsste
ihn und sprach: "Gib mir ein Stück von deinem Kuchen und einen Trunk aus deiner
Flasche, ich bin so hungrig und durstig." Antwortete der Dummling: "Ich habe
aber nur Aschenkuchen und saueres Bier, wenn dir das recht ist, so wollen wir uns setzen
und essen." Da setzten sie sich, und als der Dummling seinen Aschenkuchen
herausholte, so wars ein feiner Eierkuchen, und das sauere Bier war ein guter Wein. Nun
assen und tranken sie, und danach sprach das Männlein: "Weil du ein gutes Herz hast
und von dem Deinigen gerne mitteilst, so will ich dir Glück bescheren. Dort steht ein
alter Baum, den hau ab, so wirst du in den Wurzeln etwas finden." Darauf nahm das
Männlein Abschied.
Der Dummling ging hin und hieb den Baum um, und wie er fiel, sass in den Wurzeln eine
Gans, die hatte Federn von reinem Gold. Er hob sie heraus, nahm sie mit sich und ging in
ein Wirtshaus, da wollte er übernachten. Der Wirt hatte aber drei Töchter, die sahen die
Gans, waren neugierig, was das für ein wunderlicher Vogel wäre, und hätten gar gern
eine von seinen goldenen Federn gehabt. Die älteste dachte: "Es wird sich schon eine
Gelegenheit finden, wo ich mir eine Feder ausziehen kann", und als der Dummling
einmal hinausgegangen war, fasste sie die Gans beim Flügel, aber Finger und Hand blieben
ihr daran festhängen.
Bald danach kam die zweite und hatte keinen andern Gedanken, als sich eine goldene
Feder zu holen: kaum aber hatte sie ihre Schwester angerührt, so blieb sie festhängen.
Endlich kam auch die dritte in gleicher Absicht: da schrien die andern: "Bleib weg,
ums Himmelswillen, bleib weg." Aber sie begriff nicht, warum sie wegbleiben sollte,
dachte: "Sind die dabei, so kann ich auch dabei sein", und sprang herzu, und wie
sie ihre Schwester angerührt hatte, so blieb sie an ihr hängen. So mussten sie die Nacht
bei der Gans zubringen.
Am andern Morgen nahm der Dummling die Gans in den Arm, ging fort und bekümmerte sich
nicht um die drei Mädchen, die daranhingen. Sie mussten immer hinter ihm drein laufen,
links und rechts, wies ihm in die Beine kam. Mitten auf dem Felde begegnete ihnen der
Pfarrer, und als er den Aufzug sah, sprach er: "Schämt euch, ihr garstigen Mädchen,
was lauft ihr dem jungen Bursch durchs Feld nach, schickt sich das?" Damit fasste er
die jüngste Hand und wollte sie zurückziehen; wie er sie aber anrührte, blieb er
gleichfalls hängen und musste selber hintendrein laufen.
Nicht lange, so kam der Küster daher, und sah den Herrn Pfarrer, der drei Mädchen auf
dem Fuss folgte. Da verwunderte er sich und rief: "Ei, Herr Pfarrer, wohinaus so
geschwind? vergesst nicht, dass wir heute noch eine Kindtaufe haben", lief auf ihn zu
und fasste ihn am Ärmel, blieb aber auch festhängen.
Wie die fünf so hintereinander hertrabten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom
Feld; da rief der Pfarrer sie an und bat, sie möchten ihn und den Küster losmachen. Kaum
aber hatten sie den Küster angerührt, so blieben sie hängen, und waren ihrer nun
siebene, die dem Dummling mit der Gans nachliefen.
Er kam darauf in eine Stadt, da herrschte ein König, der hatte eine Tochter, die war
so ernsthaft, dass sie niemand zum Lachen bringen konnte. Darum hatte er ein Gesetz
gegeben, wer sie könnte zum Lachen bringen, der sollte sie heiraten. Der Dummling, als er
das hörte, ging mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstochter, und als diese
die sieben Menschen immer hintereinander herlaufen sah, fing sie überlaut an zu lachen
und wollte gar nicht wieder aufhören. Da verlangte sie der Dummling zur Braut, aber dem
König gefiel der Schwiegersohn nicht, er machte allerlei Einwendungen und sagte, er
müsste ihm erst einen Mann bringen, der einen Keller voll Wein austrinken könnte.
Der Dummling dachte an das graue Männchen, das könnte ihm wohl helfen, ging hinaus in
den Wald, und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen,
der machte ein ganz betrübtes Gesicht. Der Dummling fragte, was er sich so sehr zu Herzen
nähme. Da antwortete er: "Ich habe so grossen Durst, und kann ihn nicht löschen,
das kalte Wasser vertrage ich nicht, ein Fass Wein habe ich zwar ausgeleert, aber was ist
ein Tropfen auf einem heissen Stein?"
"Da kann ich dir helfen", sagte der Dummling, "komm nur mit mir, du
sollst satt haben." Er führte ihn darauf in des Königs Keller, und der Mann machte
sich über die grossen Fässer, trank und trank, dass ihm die Hüften weh taten, und ehe
ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken.
Der Dummling verlangte abermals seine Braut, der König aber ärgerte sich, dass ein
schlechter Bursch, den jedermann einen Dummling nannte, seine Tochter davontragen sollte,
und machte neue Bedingungen: er müsste erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot
aufessen könnte.
Der Dummling besann sich nicht lange, sondern ging gleich hinaus in den Wald, da sass
auf demselben Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen,
machte ein grämliches Gesicht und sagte "ich habe einen ganzen Backofen voll
Raspelbrot gegessen, aber was hilft das, wenn man so grossen Hunger hat wie ich: mein
Magen bleibt leer, und ich muss mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben
soll." Der Dummling war froh darüber und sprach: "Mach dich auf und geh mit
mir, du sollst dich satt essen." Er führte ihn an den Hof des Königs, der hatte
alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuern Berg davon backen
lassen; der Mann aber aus dem Walde stellte sich davor, fing an zu essen, und in einem Tag
war der ganze Berg verschwunden. Der Dummling forderte zum drittenmal seine Braut, der
König aber suchte noch einmal Ausflucht und verlangte ein Schiff, das zu Land und zu
Wasser fahren könnte: "Sowie du aber damit angesegelt kommst", sagte er,
"so sollst du gleich meine Tochter zur Gemahlin haben."
Der Dummling ging geradeswegs in den Wald, da sass das alte graue Männchen, dem er
seinen Kuchen gegeben hatte, und sagte: "Ich habe für dich getrunken und gegessen,
ich will dir auch das Schiff geben; das alles tu ich, weil du barmherzig gegen mich
gewesen bist." Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr, und als der
König das sah, konnte er ihm seine Tochter nicht länger vorenthalten. Die Hochzeit ward
gefeiert, nach des Königs Tod erbte der Dummling das Reich, und lebte lange Zeit
vergnügt mit seiner Gemahlin.
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