Die Bienenkönigin KHM 62 (1857)
Märchentyp AT: 553, 554
Zwei Königssöhne gingen einmal auf Abenteuer und. gerieten in ein wildes, wüstes
Leben, so dass sie gar nicht wieder nach Haus kamen. Der jüngste, welcher der Dummling
hiess, machte sich auf und suchte seine Brüder; aber wie er sie endlich fand,
verspotteten sie ihn, dass er mit seiner Einfalt sich durch die Welt schlagen wollte, und
sie zwei könnten nicht durchkommen, und wären doch viel klüger. Sie zogen alle drei
miteinander fort und kamen an einen Ameisenhaufen. Die zwei ältesten wollten ihn
aufwühlen und sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen und ihre Eier
forttragen, aber der Dummling sagte "lasst die Tiere in Frieden, ich leids
nicht, dass ihr sie stört."
Da gingen sie weiter und kamen an einen See, auf dem schwammen viele, viele Enten. Die
zwei Brüder wollten ein paar fangen und braten, aber der Dummling liess es nicht zu und
sprach: "Lasst die Tiere in Frieden, ich leids nicht, dass ihr sie
tötet."
Endlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel Honig, dass er am Stamm
herunterlief. Die zwei wollten Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken, damit
sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling hielt sie aber wieder ab und sprach:
"Lasst die Tiere in Frieden, ich leids nicht, dass ihr sie verbrennt."
Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloss, wo in den Ställen lauter steinerne
Pferde standen, auch war kein Mensch zu sehen, und sie gingen durch alle Säle, bis sie
vor eine Tür ganz am Ende kamen, davor hingen drei Schlösser; es war aber mitten in der
Türe ein Lädlein, dadurch konnte man in die Stube sehen. Da sahen sie ein graues
Männchen, das an einem Tisch sass. Sie riefen es an, einmal, zweimal, aber es hörte
nicht; endlich riefen sie zum drittenmal, da stand es auf, öffnete die Schlösser und kam
heraus. Es sprach aber kein Wort, sondern führte sie zu einem reich besetzten Tisch; und
als sie gegessen und getrunken hatten, brachte es einen jeglichen in sein eigenes
Schlafgemach.
Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem ältesten, winkte und leitete ihn zu
einer steinernen Tafel, darauf standen drei Aufgaben geschrieben, wodurch das Schloss
erlöst werden könnte.
Die erste war, in dem Wald unter dem Moos lagen die Perlen der Königstochter, tausend
an der Zahl, die mussten aufgesucht werden, und wenn vor Sonnenuntergang noch eine einzige
fehlte, so ward der, welcher gesucht hatte, zu Stein
Der älteste ging hin und suchte den ganzen Tag, als aber der Tag zu Ende war, hatte er
erst hundert gefunden; es geschah, wie auf der Tafel stand, er ward in Stein verwandelt.
Am folgenden Tag unternahm der zweite Bruder das Abenteuer; es ging ihm aber nicht viel
besser als dem ältesten, er fand nicht mehr als zweihundert Perlen und ward zu Stein.
Endlich kam auch an den Dummling die Reihe, der suchte im Moos, es war aber so schwer, die
Perlen zu finden, und ging so langsam. Da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und
wie er so sass, kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Leben erhalten hatte, mit
fünftausend Ameisen, und es währte gar nicht lange, so hatten die kleinen Tiere die
Perlen miteinander gefunden und auf einen Haufen getragen. Die zweite Aufgabe aber war,
den Schlüssel zu der Schlafkammer der Königstochter aus der See zu holen. Wie der
Dummling zur See kam, schwammen die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten
unter und holten den Schlüssel aus der Tiefe.
Die dritte Aufgabe aber war die schwerste, aus den drei schlafenden Töchtern des
Königs sollte die jüngste und die liebste herausgesucht werden. Sie glichen sich aber
vollkommen, und waren durch nichts verschieden, als dass sie, bevor sie eingeschlafen
waren, verschiedene Süssigkeiten gegessen hatten, die älteste ein Stück Zucker, die
zweite ein wenig Sirup, die jüngste einen Löffel voll Honig. Da kam die Bienenkönigin
von den Bienen, die der Dummling vor dem Feuer geschützt hatte, und versuchte den Mund
von allen dreien, zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so
erkannte der Königssohn die rechte.
Da war der Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf erlöst, und wer von Stein war,
erhielt seine menschliche Gestalt wieder. Und der Dummling vermählte sich mit der
jüngsten und liebsten, und ward König nach ihres Vaters Tod; seine zwei Brüder aber
erhielten die beiden andern Schwestern.
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